Friedemann Bringt: Umkämpfte Zivilgesellschaft
Rezensiert von Nojin Malla Mirza, 25.02.2022
Friedemann Bringt: Umkämpfte Zivilgesellschaft. Mit menschenrechtsorientierter Gemeinwesenarbeit gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2021.
298 Seiten.
ISBN 978-3-8474-2535-9.
D: 38,00 EUR,
A: 39,10 EUR.
Reihe: Soziale Arbeit und Menschenrechte - Band 4.
Thema
Das Buch befasst sich mit Gelingensbedingungen der Gemeinwesenarbeit (GWA) im Kontext zunehmender Ungleichwertigkeitsstrukturen und ideologischer Auffassungen. Stützend an theoretisches Elaborat und empirische Daten zu dem Thema bezweckt der Autor eine Herausleitung einer Handlungsempfehlung für zukünftige GWA-Projekte. Mit Einbezug der Forschungserkenntnisse von Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) wird die Entfaltung von demokratiefördernde Projektvorhaben erörtert.
Entstehungshintergrund
Die vorliegende Veröffentlichung wurde als Dissertation an der Fakultät Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld mit dem Titel „Umkämpfte Zivilgesellschaft. Wann gelingt Gemeinwesenarbeit gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit?“ eingereicht und erfolgreich vollendet.
Autor
Dr. Friedemann Bringt arbeitet als Fachreferent für Qualitäts- und Berufsfeldentwicklung im Berufsverband Mobile Beratung e.V. Ebenso hat er als Fachreferent für Qualitätsentwicklung und Projektleitung Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) im Kulturbüro Sachsen e.V. gearbeitet, dessen Projekte er als Praxisbezug einbettet.
Aufbau und Inhalt
Der Autor fokussiert sich in seinem Buch auf die Ausarbeitung einer Handlungsempfehlung für sozialräumliche und demokratieförderliche GWA. Hierfür nutzt er sieben Kapitel mit insgesamt 75 Unterkapiteln, um Lesende von den Grundlagentheorien und praxisbezogene Beispiele der GWA im Kulturbüro Sachsen e.V. hin zu seiner Empfehlung für zukünftige Projekte zu führen. Im Anschluss daran finden die Leser*innen unterschiedliche Verzeichnisse.
Einführend unternimmt der Autor Bezug zu der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung von Rassismus und geht von „neue Qualität des Alltagsrassismus“ (S. 15) aus, die eine ebenso andersgeartete Bürgerbeteiligung aufweist und auch eine Normalisierung von offenkundigen rassistischen und gewalttätigen Haltungen beinhaltet. Hierfür führt er Beispielgebend die AfD und PEGIDA ein. Im Rahmen dessen wird auf das Entgegenwirken mit sozialräumlichen Projekten und Interventionen verwiesen, die eine demokratische Alltagsstruktur stärken. Um sich dieser These anzunähern, setzt er sich zunächst mit Grundlagentheorien und definitorische Klarstellung von in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffen.
Im ersten Kapitel werden grundlegende politikwissenschaftliche Begriffe erläutert, die im Zusammenhang mit der Gemeinwesenarbeit handlungsleitend sind. Zu Beginn wird der facettenreiche Begriff Rechtsextremismus erläutert. Die Begriffliche Erläuterung führt zur Diskussion über Reproduktionsmechanismen menschenfeindlicher Einstellungen und im Umkehrschluss die notwendigen Unterbrechungsmöglichkeiten. Anknüpfend daran wird die Wichtigkeit einer menschenrechtsgeprägten Demokratieausführung für sozialräumliche Stärkung demokratischer Lebenswelten klargestellt.
Die theoretische Fundierung wird im zweiten Kapitel mit dem Fokus auf Sozialraumbezüge weiter ausgeführt. Die Begriffserfassung wird anhand Theorien von Pierre Bourdieu, Jürgen Habermas, Kurt Lewin und nach Chicago School of Sociology vollzogen. Zusammenfassend verdeutlicht Friedemann Bringt die anhaltenden Fundamente der GFM und ideologischen Strukturen, der sich demokratiefördernde Projekte stellt und weist auf das Erfordernis kleinschrittiges Entgegenarbeiten durch GWA.
Im nachfolgenden Kapitel Hier wird auf die Erarbeitung des Sozialraums als konkreten Ort sozialprofessioneller Intervention eingegangen. Im Mittelpunkt seiner Ausführung steht die Erschließung von individuellen und lebensweltbezogenen Rahmenbedingungen und deren Nutzbarmachung für sozialräumlich angelegte Konzepte und deren Umsetzung. Dabei spielt neben bestehender Alltagsstruktur und deren machtsensiblen Umgang damit auch die jeweiligen Milieuzugehörigkeiten eine zentrale Rolle. Hierfür plädiert der Autor für die Initiierung unterschiedlicher Unterstützungsangebote in Sozialräumen. Dabei werden verschiedene Modelle von Gemeinwesenarbeit vorgestellt.
Kapitel 4 veranschaulicht durch eine analytische Illustration zweier GWA-Projekte in Sachsen die aus den vorherigen Kapiteln dargelegte theoretische GWA- Ansätze. An den aufgeführten Praxisbeispielen war Friedemann Bringt als Projektleiter beteiligt.
Im nächsten Schritt stütz sich die Praxisreflexion im fünften Abschnitt auf die theoretische Darstellung im vorherigen Kapitel. Schließlich werden hier beide Projekte auf Grundlage kommunaler Kontextanalysen im Hinblick auf die Möglichkeiten und auch Herausforderungen in der GWA reflektiert.
Das Fundament aus theoretischer Umrahmung und derer kritischen Reflexion macht die Empfehlung für zukünftige Projekte aus. Die Wirksam- und Nachhaltigkeit von GWA-Projekte in der Auseinandersetzung mit rassistischen- und Ungleichwertigkeitsideologien wird hier nochmals verdeutlich und zusammenfassend behandelt. Eine Aktivierung und Stärkung einer demokratieorientierten Netzwerkstruktur kann durch Projekte umsetzbar gemacht werden.
Er geht auf die Empfehlung für Ausgangsbedingungen zukünftiger GWA-Projekte im KBS ein und stellt folgerichtig unterschiedliche Herausforderungen und mehrdimensionale Skepsis, die gegenüber GWA-Projekten entstehen könnten (S. 274). Wiederkehrend wird die Bedeutsamkeit einer längerfristigen Wirkungsbeabsichtigung in Sozialräumen betont. Dies soll unter Berücksichtig der „lebensweltlichen Diskursen“ und vor allem auch „Bedürfnissen der Adressat*innen“ (S. 275) erfolgen.
Diskussion
Angesichts der Durchdringung rassistischer und rechtsextremistischer Ideologien vieler Bereiche unseres Alltagslebens behandelt das Buch ein aktuelles und wichtiges Thema. Soziale Phänomene lassen sich zunehmend raumbezogen und anlehnend am Habitus feststellbar machen. Aus analytischer Sicht wird dies bedeutungsvoller für sozialraumbezogene Interventionsprojekte, die mit demokratischer und menschenrechtsorientierter Zielsetzung eine weiterführende Ausweitung von rassistischen Ideologien eindämmt und auch aktuell bestehende Strukturen durchdringt.
Fazit
Die Gefasstheit des Buches widerspiegelt sich im Zusammenwirken theoretischer Themenbezüge und praktischer Anwendungsbeispiele und dessen logischen zusammenführende Analyse. Ferner regen die nachvollziehbaren Gedankengänge und die einleuchtende Gliederung im projektbezogenen Teil des Buches das Weiterdenken an und machen die Empfehlung und Appelle praktisch anwendbar. Ein lesenswertes Buch für Praktiker*innen und unterschiedliche Akteure auf der Meso- und Mikroebene.
Rezension von
Nojin Malla Mirza
M.A., Lehrbeauftragte an der Hochschule Bielefeld, promoviert im Rahmen des Promotionskollegs NRW zum Thema „Sozialraumorientierung als Beratungsansatz im Kontext der Grundsicherungsleistung der Jobcenter“.
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Zitiervorschlag
Nojin Malla Mirza. Rezension vom 25.02.2022 zu:
Friedemann Bringt: Umkämpfte Zivilgesellschaft. Mit menschenrechtsorientierter Gemeinwesenarbeit gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2021.
ISBN 978-3-8474-2535-9.
Reihe: Soziale Arbeit und Menschenrechte - Band 4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28844.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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