Julius Daven: Bis Du tot bist - oder bis ich tot bin
Rezensiert von Prof. Dr. Andreas Schrenk, 27.12.2021
Julius Daven: Bis Du tot bist - oder bis ich tot bin. Wegbegleitung für Kinder und Jugendliche. tredition GmbH (Hamburg) 2021. 264 Seiten. ISBN 978-3-347-41766-3.
Thema
Das Buch beschäftigt sich ausgiebig mit der Rolle der ehrenamtlichen Wegbegleitung für Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und beleuchtet diese aus unterschiedlichen Perspektiven.
Autor oder Herausgeber
Julius Daven ist freier Autor und engagiert sich als qualifizierter, ehrenamtlicher Wegbegleiter und gibt seine Erfahrungen in dieser Rolle weiter.
Entstehungshintergrund
Julius Daven hat in seiner Kindheit häusliche Gewalt erlebt und wollte sich freiwillig in einem Heim melden, bis ihm eine erwachsene Bezugsperson außerhalb seines Elternhauses begegnete, die seine Wegbegleiterin wurde. Diese half ihm in seiner Sozialisation und wirkte als Korrektiv für seine belastenden Erfahrungen. Er ist dann selbst im Erwachsenenalter über einen kleinen regionalen Verein in Köln Wegbegleiter für ein Kind geworden. Seine Erfahrungen als Wegbegleiter möchte er weitergeben und Menschen ermutigen, sich als Wegbegleiter:in zu engagieren. Vor allem aber möchte er den Auftrag der ehrenamtlichen Wegbegleitung in Deutschland bekannt machen. Er wünscht sich eine strukturelle Lösung und liefert in seinem Buch hierzu nachvollziehbare Argumente.
Inhalt
Der Haupt-Titel von Julius Davens neuestem Buch (November 2021) bringt fadengrade auf den Punkt, worum es im Buch geht und was sein Anliegen ist. Kinder und Jugendliche, die in Hilfesystemen der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden oder diese Systeme verlassen, erhalten das Angebot, bereits während sie im Heim leben oder nach ihrem Aufenthalt eine/n ehrenamtliche/n Wegbegleiter:in an die Seite zu bekommen. Viele Kinder und Jugendliche haben vor ihrer Unterbringung in Hilfemaßnahmen prägende und teilweise traumatisierende Erfahrungen mit instabilen, nicht verlässlichen, dissozialen, negativen, missbräuchlichen und gewalttätigen Beziehungen gemacht. Wenn ein junger Mensch -häufig sehr krisenhaft- außerhalb seiner Familie untergebracht wird, bzw. sich selbst für ein Heim entscheidet, kann er/sie im Abstand z.B. zu den Eltern zunächst zur Ruhe kommen und sich im Idealfall mit Unterstützung allmählich für andere, bessere Erfahrungen mit Menschen öffnen. Die Betreuer:innen, die sich in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe professionell und engagiert, mit Herz und Verstand, methodisch fundiert um diese jungen Menschen kümmern, leisten hier einen ganz besonderen Beitrag. Was in den Hilfesystemen, strukturell bedingt, nicht gesichert geleistet werden kann, ist ein sogenanntes „eins zu eins-Setting“, also die Betreuung eines jungen Menschen durch eine Betreuungsperson, exklusiv, individuell, verlässlich und insbesondere dauerhaft. Hier schließt die Idee der Wegbegleitung, wie sie von Julius Daven beschrieben wird, eine Lücke. Qualifizierte Wegbegleiter:innen sollen bei der ehrenamtlichen Begleitung eines jungen Menschen professionell angeleitet und supervisorisch unterstützt und betreut werden. Der Autor lässt Sozialpädagog:innen, Einrichtungsleiter:innen und Wegbegleiter:innen zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen mit diesem Modell berichten. Auch ehemalige Hilfeempfänger:innen schildern, wie Wegbegleitung im beschriebenen Sinne während oder nach ihrer Hilfemaßnahme hilfreich und stabilisierend gewirkt hat bzw. vermutlich hätte.
Diskussion
Die konkreten Beispiele und die Schilderungen gehen unter die Haut und die Triggerwarnung, die der Autor seinem Buch voranstellt, hat ihren Grund und ist berechtigt. Julius Daven beschreibt zudem sehr feinfühlig und umfassend die Nöte, Bedarfe und Bedürfnisse von Care-Leaver:innen und macht deutlich, wie Wegbegleiter:innen junge Care-Leaver:innen im Anschluss an die Hilfemaßnahme beim „Fuß fassen“ konkret unterstützen und damit zur Nachhaltigkeit von Jugendhilfemaßnahmen beitragen können.
Was mir beim Lesen dieses Buch besonders gefallen hat, ist die große Sensibilität des Autors für die Grenzen der Wegbegleitung und die erkennbare Reflektiertheit hinsichtlich der Beziehungsgestaltung zwischen Begleitenden und Begleiteten. Der daraus ableitbare hohe Anspruch an die persönliche Reife, Reflexionsfähigkeit und Bereitschaft der Wegbegleiter:innen, sich selbst fachlich begleiten zu lassen, lenkt den Fokus auf die Auswahl und die Qualifizierung der Ehrenamtlichen. Die Verantwortung, die ein/e Wegbegleiter:in auf sich nimmt, ist so besonders wie die Selbstverpflichtung und das Engagement, das diese Aufgabe fordert. Wegbegleiter:in zu werden, ist eine Entscheidung, hinter die man nicht mehr zurück geht. Das Versprechen, jemanden auf seinem Weg ins und durch das Leben zu begleiten, exklusiv, bedingungslos loyal, auf Dauer und ohne jemals wieder weg zu gehen, ist groß. Umso bedeutsamer ist die fachliche Vorbereitung und Begleitung ehrenamtlicher Wegbegleiter:innen und hierbei gebührt dem fachlich, methodisch und strukturell gesicherten Schutz der Begleiteten höchste Aufmerksamkeit und Priorität.
Fazit
Das Werk von Julius Daven ist in vielerlei Hinsicht ein wertvolles Fachbuch und eignet sich durch die Vielzahl von prägnanten Fallbeispielen auch sehr gut für die Ausbildung bzw. Studium in der sozialen Arbeit, der Pädagogik und der Psychologie. Mein Wunsch ist, dass die Erkenntnisse und Erfahrungen von Julius Daven mit dem Modell der Wegbegleitung weiter wissenschaftlich untermauert werden. Die Jugendhilfe wird immer mehr Kindern und Jugendlichen im Kontext Systemsprenger:innen nicht mehr ausreichend gerecht. Ehrenamtliche Wegbegleitung, nicht nur gut gemeint, sondern gut gemacht, kann höchst wertvoll auch für Carleaver:innen sein und sollte ein fester Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe werden.
Rezension von
Prof. Dr. Andreas Schrenk
Dipl.-Päd.; Dipl. Soz.Päd. (FH)
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Es gibt 1 Rezension von Andreas Schrenk.
Zitiervorschlag
Andreas Schrenk. Rezension vom 27.12.2021 zu:
Julius Daven: Bis Du tot bist - oder bis ich tot bin. Wegbegleitung für Kinder und Jugendliche. tredition GmbH
(Hamburg) 2021.
ISBN 978-3-347-41766-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28892.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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