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Andreas Reckwitz, Hartmut Rosa: Spätmoderne in der Krise

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Frindte, 03.01.2022

Cover Andreas Reckwitz, Hartmut Rosa: Spätmoderne in der Krise ISBN 978-3-518-58775-1

Andreas Reckwitz, Hartmut Rosa: Spätmoderne in der Krise. Was leistet die Gesellschaftstheorie? Suhrkamp Verlag (Berlin) 2021. 310 Seiten. ISBN 978-3-518-58775-1. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR, CH: 38,50 sFr.

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Eine Reminiszenz und das Thema

Eine Erinnerung, die scheinbar mit dem Thema des zu besprechenden Buches so gut wie nichts zu tun hat, kann sich der Rezensent zu Beginn seiner Rezension nicht verkneifen: Im Juni 2001 erschien im Journal of Personality and Social Psychology ein Beitrag des amerikanisch-israelischen Sozialpsychologen Arie Kruglanski, in dem dieser die „theory shyness“ der sozialpsychologischen Community beklagte, um anschließend eine „greater theoretical activity by social psychologists …” einzufordern (2001, S. 871). Nicht die theoretische Zurückhaltung der Sozialpsycholog*innen im allgemeinen ist der Grund für Kruglanskis Klage, sondern vor allem das von Robert K. Merton initiierte Theoretisieren „[…] in the direction of developing ‚theories of the middle range’[…] To borrow a metaphor from the world of fashion, if post_Lewinian theories were ‚middies’, many subsequent formulation were more like ‚minis’: middi and mini theoretical skirts“ (Kruglanski, 2001, S. 872). Neben der Fragmentierung der sozialpsychologischen Forschungsfelder führe die Scheu der Sozialpsycholog*innen vor großen (general) Theorien dazu, dass sich ihre Wissenschaft von den großen Debatten über die gesellschaftlichen Probleme der Politik, der Wirtschaft, der Welt und des Friedens abkopple und nicht mehr gehört werde (Kruglanski, ebd., S. 873). Soweit die Reminiszenz. Und nun zum Buch von Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa. Beide treibt die mangelnde Bereitschaft zu großen, in diesem Falle, Gesellschaftstheorien ebenfalls um. Auch sie sehen u.a. in der radikalen „[…] Ausdifferenzierung der Soziologie in eine Fülle von Bindestrichsoziologien und -studies“ (S. 17; Hervorh. im Original) einen Grund für mangelnde theoretische Synthesen. Angesichts des Krisenmodus, in dem sich die Spätmoderne, also die gegenwärtige gesellschaftliche Formation, befinde, müsse sich die (große) Gesellschaftstheorie wieder ihren Platz in der Soziologie und in der Öffentlichkeit erkämpfen. Mit den Worten des Rezensenten: Die gesellschaftliche Not ist groß und bedarf eines grundlegenden theoretischen Entwurfs, um sie analysieren, diagnostizieren und wenden (therapieren) zu können. Also, was leistet die Gesellschaftstheorie, um die Krise der Spätmoderne zu verstehen und zu bewältigen? Darum geht es in diesem Buch, das aus soziologischer Sicht bereits von Marian Pradella (2021) auf socialnet besprochen wurde. Der Rezensent erlaubt sich deshalb den Luxus, aus seiner sozialpsychologischen Perspektive im Buch nach Anregungen und hilfreichen interdisziplinären Anschlussmöglichkeiten zu suchen. Und er wurde fündig. Deshalb bittet der Rezensent auch um Nachsicht wegen der umfangreichen Referenzen, auf die er sich nicht (nur) wegen eines wissenschaftlichen Impression Managements bezieht, sondern um seine gefundenen Anschlussmöglichkeiten zumindest ansatzweise zu illustrieren. Um die Leserinnen und Leser aber nicht allzu sehr mit sozialpsychologischen Assoziationen zu langweilen, wurden diese in den meisten Fällen in die Anmerkungen verlagert.

Die Autoren

Andreas Reckwitz ist Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor hatte er gleichnamige Professuren in Konstanz und Frankfurt an der Oder inne. Neben dem „Das hybride Subjekt“ (2006)[1] wurden auch seine Bücher „Die Erfindung der Kreativität“ (erschienen 2012)[2] und „Die Gesellschaft der Singularitäten“ (2017)[3] hochgelobt und mit Preisen ausgezeichnet.

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt. Wichtige Bücher sind u.a. „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ (2005), „Beschleunigung und Entfremdung“ (2013)[4] und „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016)[5].

Martin Bauer ist Philosoph, Literatur- und Religionswissenschaftler sowie geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift Mittelweg 36 und des Portals Soziopolis am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Inhalt und Diskussion

Das Buch enthält vier lesenswerte Teile: Eine Einleitung von Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa, das von Reckwitz verfasste Kapitel „Gesellschaftstheorie als Werkzeug“, das Kapitel von Rosa mit dem Titel „Best Account. Skizze einer systematischen Theorie der modernen Gesellschaft“ und ein von Martin Bauer moderiertes Gespräch „Moderne und Kritik“ mit den beiden Hauptautoren.

Einleitung (S. 9-21)

Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa kennen und schätzen sich schon länger, auch und gerade wegen ihren unterschiedlichen theoretischen Perspektiven. Umso erfreulicher ist es, dass sie es nun wagen, ihre Auffassungen „[…] einander gegenüberzustellen und miteinander ins Gespräch zu bringen“ (S. 10). Große Erzählungen sind bekanntlich nicht an ihr Ende gekommen. Das Interesse der Öffentlichkeit an großen Gesellschaftsanalysen ist keinesfalls erlahmt (S. 11). Das hängt wohl einerseits mit der „Ballung gesellschaftlicher Krisenmomente“ (S. 12) der letzten Jahre zusammen. Andererseits gibt es ja durchaus großangelegte soziologische Versuche, den gesellschaftlichen Veränderungen theoretisch beizukommen.[6] Reckwitz und Rosa nennen beispielsweise die Arbeiten von Zygmunt Bauman, Luc Boltanski, Anthony Giddens, David Harvey oder Bruno Latour; sie erinnern auch an Karl Marx, Max Weber, Georg Simmel, an die Frankfurter Schule oder an Niklas Luhmann. Trotzdem scheint die Bereitschaft zu großen Gesellschafts- und Sozialtheorien in der soziologischen Community nicht sehr ausgeprägt zu sein. Reckwitz und Rosa machen dafür vor allem die „[…] radikale Ausdifferenzierung der Soziologie“ und Effekte der „[…] postmodernen Wissenschaftskritik“ (S. 17), nach der die heterogenen und pluralen Wirklichkeiten kaum als Ganzes zu erfassen sind, verantwortlich. Insofern ist der Mut der Autoren zu bewundern, mit ihren soziologischen Konzeptionen eine grundlegende Krisendiagnostik und quasi ein „High-Level Theorizing“ (Kruglanski, 2001, S. 872) zu betreiben.

Andreas Reckwitz: Gesellschaftstheorie als Werkzeug (S. 25-150)

In sechs Abschnitten legt Andreas Reckwitz seinen soziologischen Werkzeugkasten auf den Tisch: 1. Doing theory, 2. Praxistheorie als Sozialtheorie, 3. Die Praxis der Moderne, 4. Gesellschaftstheorie at work: Von der bürgerlichen Moderne über die industrielle Moderne zur Spätmoderne, 5. Theorie als kritische Analytik, 6. Coda: Der Experimentalismus der Theorie.

  1. Doing theory – Der Abschnitt beginnt mit einem starken Satz: „Theorie ist selbst eine Praxis, genauer: Sie ist ein Ensemble von Praktiken“ (S. 25). Damit ist das wissenschaftliche Hauptinstrument benannt. Reckwitz nutzt für sein soziologisches Arbeiten die Praxistheorie bzw. einen praxeologischen Ansatz. Dazu später mehr. Zunächst geht es Andreas Reckwitz in diesem Abschnitt – etwas lehrbuchhaft – darum, den Stellenwert von Theorie in der Soziologie im Allgemeinen und von Sozial- und Gesellschaftstheorien im Besonderen herauszuarbeiten. En passant wird der soziologische Forschungsbetrieb und seine Fokussierung auf Theorien mittlerer Reichweite (im Sinne von Robert K. Merton) kritisiert (S. 26), an große Sozialtheorien erinnert und für big pictures, mit denen die Totalität des Sozialen gezeichnet werden kann, plädiert (S. 28). Sozialtheorie und Gesellschaftstheorie sind solche big pictures. Während Sozialtheorien quasi die Grundbegrifflichkeiten liefern, um soziologisches Forschen anleiten zu können, machen Gesellschaftstheorien allgemeine Aussagen über besondere Gesellschaften (S. 32). Reckwitz sieht die Kernaufgabe von Gesellschaftstheorie in der Arbeit an einer „[…] Theorie der Moderne im Allgemeinen und einer Theorie der Spätmoderne als der zeitgenössischen Phase der Moderne im Besonderen“ (S. 36). Theorien sind für ihn Werkzeuge und keine aus einem Guss gefertigten und abgeschlossenen Systeme. Theorie als Werkzeug bedeutet, nicht von einem deduktiv-hierarchischen Begriffssystem auszugehen, sondern Theorien als begriffliche Netzwerke zu nutzen, das von den Theoretiker*innen und allen anderen Nutzer*innen beständig weiterentwickelt werden kann.
  2. Praxistheorie als Sozialtheorie – Zu den Bezugspersonen, die Andreas Reckwitz aufruft, um seine Entscheidung für den praxeologischen Ansatz zu untermauern, gehören u.a. (in alphabetischer Reihenfolge) Pierre Bourdieu, Michel Foucault, Harald Garfinkel, Anthony Giddens, Bruno Latour, Henri Lefèbvre und Theodore Schatzki. Aus der Sicht des Rezensenten gehören sicher auch die Arbeiten zum Sozialen Konstruktionismus (Gergen, 1994) zu wichtigen Ideengebern einer Theorie der Praxis (Frindte & Jacob, 2018).[7] Die Arbeiten von Karin Knorr-Cetina zur Konstruktion von Wissen (z.B. 1981) oder von Jürgen Streeck (2009) zum Zusammenhang von Konversationsanalyse und Ethnomethodologie zählen ebenfalls zu wichtigen Grundlagen eines praxeologischen Ansatzes der Welterkennung und -erzeugung. Auch auf Karl Marx und dessen Satz von der „Wissenschaft als allgemeine Arbeit“ (Marx, 1977, MEW, Band 25, S. 114) könnten sich die Anhänger der Praxistheorie berufen (z.B. empfehlenswert: Ruben, 1976, S. 27). Das Feld ist also weit. Ein wichtiges Merkmal der unterschiedlichen praxeologischen Ansätze dürfte die Annahme sein, dass die Welt sich aus „[…] ständig reproduzierenden und zugleich in Veränderung begriffenen Ensembles von Praktiken“ (S. 53) zusammensetzt. Solche Praktiken lassen sich weder auf die Eigenschaften der agierenden Individuen noch auf etwaige gesellschaftliche Makrostrukturen reduzieren. Andreas Reckwitz hebt vier Praktiken besonders hervor (S. 59 ff.): Diskurse (als Praktiken der Repräsentation, in denen die Wirklichkeit in bestimmter Weise dargestellt, interpretiert und thematisiert wird), Affekte (als Bestandteile von Praktiken; auch für Kenneth J. Gergen sind Emotionen und Affekte Teil sozialer Beziehungsmuster und nur durch diese zu erklären (Gergen, 1994, S. 218 f.), Subjekte (die keine autonomen Akteure sind, sondern erst im Vollzug der Praktiken und deren Aneignung zu mehr oder weniger reflektierenden Subjekten werden; dazu passt ganz gut Gergens Auffassung vom relationalen Selbst; Gergen, 1991), Lebensformen bzw. Institutionen (nicht als „[…] stabile, gewissermaßen zeitenthobene Strukturen“ (S. 65), sondern als aktive, im Prozess sich immer wieder reproduzierende und neu hergestellte Praktiken).
  3. Die Praxis der Moderne - Zu den praxeologischen Werkzeugen, um die Moderne im Allgemeinen zu beschreiben, gehören drei Grundmechanismen (warum nicht vier, fünf oder dreiunddreißig?): a) eine Dialektik der Öffnung und Schließung der Kontingenz des Sozialen, b) ein Spannungsfeld zwischen formaler Rationalisierung und werthaft-affektiver Kulturalisierung und c) ein radikal zeitliches Regime des Neuen auf der einen sowie Verlustdynamik und zeitliche Hybridisierung auf der anderen Seite (S. 71). Das heißt, die Moderne ist kein sich linear entwickelnder Prozess, sondern „[…] ein Geschehen des Konflikts und des Widerstreits“ (S. 71, Hervorh. im Original). Alle drei Dialektiken erinnern den Rezensenten – ohne, dass er unsichere induktive Schlüssen beabsichtigt – an Grundmechanismen der Entwicklung sozialer Gruppen, so etwa an die Prozesse der Kommunikationsverdichtung und Kommunikationsauflösung (Frindte & Geschke, 2019, S. 271 f.) oder an das Spannungsverhältnis von formalen Gruppenstrukturen und gruppenspezifischen Emotionen (z.B. Paulsen & Kauffeld, 2016).
    Andreas Reckwitz will mit seinen Werkzeugen – in expliziter Absetzung von klassischen soziologischen Modernisierungstheorien – Bilder der Moderne als ein Konfliktgeschehen zeichnen, ein Konfliktgeschehen „[…] zwischen Rationalisierung und Kulturalisierung, Generalisierung und Singularisierung, Hegemonie und Kritik, und dies alles im Spannungsfeld von Neuheit, Verlustverarbeitung und Vergangenheitsbewältigung“ (S. 98).
    Die Differenzierung dieses Konfliktgeschehens in drei Versionen der Moderne steht im Mittelpunkt des vierten Abschnitts. Der Rezensent muss allerdings gestehen, dass er die Begründungen (die auch im Gespräch der Autoren mit Martin Bauer noch einmal erörtert werden, S. 264 ff.) nicht ganz verstanden hat, warum die drei o.g. Grundmechanismen nur die Versionen der Moderne kennzeichnen und nicht auch für vorgängige Gesellschaftsformationen oder -epochen gelten sollten, z.B. für die Dialektik der Renaissance oder der Aufklärung. Aber vielleicht fehlt es dem Rezensenten auch an ausreichendem historischen Wissen.
  4. Gesellschaftstheorie at work: Von der bürgerlichen Moderne über die industrielle Moderne zur Spätmoderne – Auf jeden Fall sind die drei Grundmechanismen moderner Gesellschaften die Instrumente oder Werkzeuge, mit denen Andreas Reckwitz die bürgerliche Moderne, die industrielle Moderne und die Spätmoderne zu kennzeichnen vermag. „Jede Version der Moderne folgte bisher dem gleichen Muster: Zu Beginn steht der Optimismus der Kontingenzöffnung, im Laufe der Zeit werden die immanenten Widersprüche und Mangelhaftigkeiten sichtbar, die Chance der Öffnung verwandelt sich in einen neuen Zwang, in eine Kontingenzschließung, die Kritik und Innovation auf den Plan rufen“ (S. 119). So richtet sich die Kontingenzöffnung der bürgerlichen Moderne (am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert) gegen den Feudalismus und Aristokratismus; in der industriellen Moderne (1920er bis 1970er Jahre) wird u.a. die Kultur der Bürgerlichkeit durch die Angestelltenkultur in Frage gestellt; in der Spätmoderne (von den 1980er Jahren bis zur Gegenwart) werden u.a. Ökonomie und Kultur globalisiert. Und gleichzeitig bzw. zeitlich versetzt sind die Versionen der Moderne z.B. durch Verlusterfahrungen in Folge der Kontingenzschließung gekennzeichnet; in der bürgerlichen Moderne scheint es u.a. der Bedeutungsverlust der Religion zu sein, in der industriellen Moderne die Verlusterfahrungen durch totalitäre Gewalt und in der Spätmoderne treten u.a. Statusverluste durch die Modernisierung oder ökologische Verluste in den Vordergrund (S. 118). Mit drei Krisenmomente haben die Menschen in der Spätmoderne besonders zu kämpfen: mit einer sozialen Krise der Anerkennung (die sich vor allem in der „[…] ökonomischen Asymmetrie zwischen den Modernisierungsgewinnern und Modernisierungsverlierern“ ausdrückt, S. 120), mit einer kulturellen Krise der Selbstverwirklichung (in der u.a. die gesellschaftliche Norm, ein interessantes, selbstbestimmtes Leben zu führen, für manche Menschen auch mit Erfahrungen des Scheiterns verbunden ist) und mit einer Krise des Politischen (die u.a. mit einer Partikularisierung der Öffentlichkeit einhergeht). Insgesamt werde zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich, dass die Kernidee der Moderne, die Idee des Fortschritts, an ihre Grenzen stößt und Verlusterfahrungen bzw. Verlusterwartungen die momentane Phase der Spätmoderne kennzeichnen: „Das betrifft die Status- und Zukunftsverluste der postindustriellen Modernisierungsverlierer, die Traumata von Individuen und Gruppen als Opfer von individuellen Gewalterfahrungen und der politischen Gewaltgeschichte sowie die prognostizierten Verluste durch ökologische Katastrophen“ (S. 127 f.).
    Sicher, diese Diagnose ließe sich auch konkreter, kapitalismuskritischer, formulieren. Bekanntlich ist der Kapitalismus nicht die Antwort, sondern die Frage (Hobsbawn 2014, S. 395), die Frage, ob der Kapitalismus künftig so wandlungsfähig bleiben wird, wie es in den vergangenen zwei Jahrhunderten den Anschein hatte. Es ist auch die Frage, ob der Kapitalismus in der Lage ist, die Schere zwischen Arm und Reich auf nationaler und internationaler Ebene schließen zu können. Sicher, das „amerikanische Jahrhundert“ (Žižek 2018, S. 404) dürfte vorbei sein. Der neoliberale Kapitalismus in den USA ist hingegen noch nicht am Ende. Neue Zentren des globalen Kapitalismus bilden sich in Europa, China und Lateinamerika aus. Die alten und neuen Supermächte versuchen, ihre je eigenen Herrschaftsregeln als allgemeingültige Normen für das globale Miteinander durchzusetzen. Ein naturgemäßes Klima, Umweltschutz, soziale, religiöse und ethnische Gerechtigkeit, eine gerechte Weltwirtschaft, Vollbeschäftigung, bezahlbare Wohnungen für alle, universelle Menschenrechte und eine friedliche Welt lassen sich aber weder mit dem Kapitalismus in seinen heutigen Formen noch in staatsautoritären oder fundamentalistisch verfassten Gesellschaften erreichen. All das und noch mehr ließe sich sicher hinzufügen, wenn es um eine Krisendiagnose der Spätmoderne geht. Warum sich Andreas Reckwitz mit solchen gesellschaftskritischen Aussagen auffallend zurückhält, hängt mit seiner wissenschaftlichen Grundhaltung zusammen.
  5. Theorie als kritische Analytik – Diese, seine Grundhaltung nennt Andreas Reckwitz kritische Analytik. Es handelt sich dabei weder um eine „externe Beurteilungsperspektive“, um Praktiken, Prozesse und Strukturen zu bewerten, noch geht sie von einer „Utopie des gelingenden Lebens“ aus, „[…] sondern bewegt sich soziologisch-analytisch auf der Ebenen der Praktiken, Prozesse und Strukturen selbst“, ohne sich auf die subjektiven Perspektiven der Akteure zu beschränken (S. 131 f.). Reckwitz betreibt keine positivistische Beschreibung der sozialen Welt und auch keine Gesellschaftskritik, die sich an der Kritischen Theorie der Frankfurter orientiert. An anderer Stelle hat er sein Vorgehen „soziologische Entmystifizierung“ genannt (Reckwitz, 2018). Es geht ihm darum, die Strukturen, Wissensordnungen und gesellschaftlichen Zusammenhänge transparent zu machen, die den Subjekten und Institutionen meist nicht deutlich werden. Metaphorisch gesprochen: Andreas Reckwitz will nicht die Verhältnisse zum Tanzen zwingen, sondern erst einmal die Melodien erforschen, die quasi im Rücken der Subjekte und Institutionen gespielt werden. Ganz distanziert kann das nicht geschehen, sodass er seinem kritisch-analytischem Vorgehen durchaus „[…] einen schwachen Normativismus“ (S. 130) zugesteht. Aus seiner Sicht haben Sozial- und Kulturwissenschaften die Aufgabe, als „[…] intellektuelle Werkzeuge der Kontingenzöffnung“ eingesetzt zu werden, um aufzuzeigen, „[…] dass das, was ist, auch anders sein könnte, weil es von menschengemachten Faktoren abhängt, die erst in der Analyse transparent werden“ (S. 132; Hervorh. im Original). So lässt sich die o.g. Zurückhaltung von Andreas Reckwitz in der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse erklären. Wie lassen sich aber, bei aller Zurückhaltung, die je eigenen wissenschaftlichen blinden Flecke in der Analyse von Gesellschaften erkennen? Eine Antwort auf diese Frage bietet Reckwitz im letzten Abschnitt seines Beitrages an.
  6. Coda: Der Experimentalismus der TheorieDoing theory ist die Antwort auf o.g. Frage. Wenn es gelingt, mittels der Theorie als Werkzeug neue, faszinierende Perspektiven auf Welt und gesellschaftliche Wirklichkeit hinzuzufügen (S. 149) und damit das Werkzeug zu verbessern sowie neue Kontingenzen zu offerieren, dann sollte es sich doch um ein gutes theoretisches Werkzeug handeln. „Theoretische Mehrsprachigkeit ist gefragt, das heißt der gekonnte Wechsel zwischen verschiedenen theoretischen Vokabularen im pragmatischen Geist der Offenheit für die Pluralität der Weltzugänge“ (S. 150; Hervorh. im Original). Dass man das auch in Seminaren und interdisziplinären Zusammenkünften üben kann und sollte, ist ein Anliegen von Andreas Reckwitz, für das sich übrigens auch der eingangs zitierte Arie Kruglanski im Rahmen der (Sozial-)Psychologie stark macht (Kruglanski, 2001, S. 875).

Hartmut Rosa: „Best Account. Skizze einer systematischen Theorie der modernen Gesellschaft“ (S. 151 – 251)

Hartmut Rosa antwortet auf die Reckwitzschen Vorlagen in vier Abschnitten: 1. Was ist und was kann eine Theorie der Gesellschaft?, 2. Dynamische Stabilisierung und Weltreichweitenvergrößerung: Eine Analyse der modernen Sozialformation, 3. Desynchronisation und Entfremdung: Diagnose und Kritik der Moderne, 4. Adaptive Stabilisierung und Resonanz: Therapeutisch-transgressive Skizze eines alternativen Horizonts.

  1. Was ist und was kann eine Theorie der Gesellschaft?Hartmut Rosa fragt zunächst, wie die Theoriegrößen (Karl Marx, Émile Durkheim, Max Weber, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Niklas Luhmann, Ulrich Beck und andere) die Merkmale bestimmt haben, um die Moderne als spezifische soziale Formation zu charakterisieren. Und wie erwartet, sind die Stimmen vielfältig und divers. Nicht zuletzt, weil gängige Bestimmungen „[…] normativ aufgeladen sind und (sich) darin ethnozentristische Voreingenommenheiten und Engführungen offenbaren, die nicht zuletzt die poststrukturalistisch und vor allem auch die postkolonial orientierten Kritiker der letzten Jahrzehnte in aller Klarheit aufgedeckt haben“ (S. 155). Damit führt Hartmut Rosa Leserinnen und Leser gleich und direkt in die Definitionskämpfe der Jetztzeit ein. Aber, ähnlich wie Andreas Reckwitz, äußert er anfangs seine Zweifel, ob es angesichts derartiger Deutungs- und Definitionskämpfe überhaupt möglich ist, Gesellschaft als Formation zu denken und darauf bezogene Großtheorien zu entwerfen und empirisch zu begründen (S. 160).
    Als „selbstinterpretierende Wesen“ sind Menschen[8] nun einmal darauf angewiesen, sich und ihre Weltzusammenhänge zu deuten (S. 161) und der Soziologie kommt dabei die Aufgabe zu, bestmögliche Interpretationen der gesellschaftlichen Lage anzubieten. Hartmut Rosa nennt diese bestmöglichen Interpretationen „Best Account“, Versuche also, „[…] in einer gegebenen soziohistorischen Lage auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Ressourcen […] und im Lichte der in ihr drängenden `Kulturprobleme`[…], aus denen sich die interessenleitenden Fragestellungen ergeben, den bestmöglichen (Selbst-)Deutungsvorschlag zu entwickeln“ (S. 166).
    An dieser Stelle wird auch eine erste Differenz zur kritischen Analytik von Andreas Reckwitz deutlich. Rosa will nicht nur Grundmechanismen moderner Gesellschaften beobachten und analysieren, sondern auch die „Antriebsenergie“ der Akteure, ihre Ängste, Wünsche und Ambitionen erschließen (S. 174). Insofern muss sich ein Best Account zumindest auf zwei Perspektiven stützen, auf die Perspektive der ersten Person, den Subjekten, und auf die Perspektive der dritten Person, den wissenschaftlichen Beobachter*innen. Eine systematische Gesellschaftstheorie führt so unter der Hand, oder im Sinne von Hartmut Rosa: zwangsläufig und in der Tradition der kritischen Theorie, zur systematischen und unauflöslichen Einheit von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik (S. 176). Um diese Einheit zu realisieren, erarbeitet Rosa seinen Best Account mittels eines theoretisch-methodischen Dreischritts (S. 177): a) Analyse (systematische Identifikation und Bestimmung der konstitutiven Merkmale und Entwicklungstendenzen einer sozialen Formation, b) Diagnose (Identifikation von Fehlentwicklungen und Störungen innerhalb einer Formation, c) Therapie (Suche nach Ansatzpunkten für die Überwindung der Missverhältnisse und Fehlentwicklungen).
  2. Dynamische Stabilisierung und Weltreichweitenvergrößerung: Eine Analyse der modernen Sozialformation – In diesem Abschnitt befasst sich Hartmut Rosa mit der Analyse, in deren Ergebnis sich zwei Bausteine herauskristallisieren: Baustein 1: dynamische Stabilisierung, Baustein 2: Weltreichweitenvergrößerung. Mit dem ersten Baustein wird eine weitere Differenz zu Andreas Reckwitz deutlich. Nicht die drei o.g. dialektischen Grundmechanismen (z.B. die Dialektik der Öffnung und Schließung der Kontingenz des Sozialen) sind für Rosa die Antreiber der Moderne, sondern der Modus der dynamischen Steigerung, also das stetige Wachstum, die Beschleunigung und eine Innovationsverdichtung kennzeichnen die strukturellen Notwendigkeiten der modernen Sozialformation als „heiße Gesellschaft“ (S. 186 ff.). Es handelt sich, mit anderen Worten, um die „[…] rastlose Vermehrung des Werts“ (Marx, 1977, MEW, Band 23, S. 168), um den permanenten Verwertungsdruck in der kapitalistischen Moderne.
    Aber bekanntlich lässt sich die Moderne nicht nur aus ihrer strukturellen Dynamik erklären. Dazu bedarf es einer soziologischen (und psychologischen) Perspektive auf die agierenden Subjekte, die von Hartmut Rosa (und auch das ist eine Differenz zu Andreas Reckwitz) nicht nur in ihrer sozial-kulturellen Form beobachtet, sondern auch in ihrer Leiblichkeit begriffen werden. Und so schreibt Rosa, dass menschliche Weltverhältnisse von Kräften des Begehrens und denen der Angst geprägt sind (S. 191).[9]
    Die Suche nach diesen Grundmotivationen treibt Hartmut Rosa um: „Was motiviert die Subjekte in ihrer Lebensführung so, dass sie die Steigerungsimperative der Moderne erfüllen – wonach suchen sie, was erscheint ihnen erstrebenswert; und was fürchten sie, was versuchen sie zu vermeiden?“ (S. 192). Die kurze Antwort, die später noch erläutert wird, lautet: Es ist die Suche nach Resonanz und das Vermeiden von Resonanzverweigerung. Mit dem Begriff der Resonanz hat Rosa – bereits an früherer Stelle – einen Beziehungsmodus des „[…] In-der-Welt-Seins, das heißt eine spezifische Art und Weise des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt“ definiert (Rosa, 2016, S. 285) und damit zugleich das Gegenteil von Entfremdung bestimmt (Rosa, ebd., S. 306).[10] In der Moderne zeigt sich die kulturelle Kraft der sozialen Antriebsmomente, die mit Resonanzsuche und Vermeidung von Resonanzverweigerung verbunden sind, in der „[…] Verheißung einer (individuellen und kollektiven) Vergrößerung der Weltreichweite…“ (S. 195; Hervorh. im Original).
  3. Desynchronisation und Entfremdung: Diagnose und Kritik der Moderne – Sowohl die gesellschaftliche Steigerungsdynamik als auch die kulturellen Antriebsmomente stagnieren offenbar in der gegenwärtigen Formation der Moderne. Mehr noch sie sind in der Krise. Da sind sich Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa weitgehend einig. Die Finanzkrise, die 2008/2009 einen Höhepunkt erreichte, ist noch lange nicht überwunden ist (S. 206 f.). Eine Demokratiekrise zeigt sich u.a. in den Schwierigkeiten der etablierten demokratischen Politik, Schrittmacher und Gestalter des sozialen Wandels zu sein (S. 208 f.). Über die ökologische Krise müssen nicht viele Worte verloren werden. Hier ist schnelles, entscheidendes Handeln gefragt, um die fortschreitende globale Erwärmung zu stoppen (S. 210 f.). Eine Psychokrise, die sich u.a. in der westlichen Welt in der Zunahme von Burnout-Syndromen und Depressionen zeigt, untergräbt die psycho-sozialen Bestandsbedingungen der modernen Sozialformation (S. 212 ff.).[11]
  4. Adaptive Stabilisierung und Resonanz: Therapeutisch-transgressive Skizze eines alternativen Horizonts – что делать? Das ist die Frage, die sich Hartmut Rosa angesichts seiner kritischen Analyse der Moderne stellt. Und auch hier zeigt sich wieder eine Differenz zu Andreas Reckwitz. Anders als dieser will Rosa „[…] die Möglichkeiten für ein anderes Weltverhältnis im Ganzen ausloten“ (S. 225; Hervorh. im Original). Man könnte auch sagen, Rosa sucht nach einer realen Utopie, um den Krisen der Spätmoderne zu begegnen. „Mehr Resonanz“ wagen, könnte die Überschrift dieser Suche sein (S. 249): Resonanz auf sozialer Ebene „[…] im Sinne responsiver Beziehungen zu anderen Menschen“; Resonanz auf materieller Ebene in Form antwortender Beziehungen zu stofflich-dinglichen Weltausschnitten; Resonanz auf existentieller Ebene, um in sinnvoller Weise mit dem Weltganzen (mit Natur, Leben, Universum, Geschichte) in Antwortbeziehung stehen zu können; Resonanz auf der Selbstachse, um mit unserem Körper, unseren Emotionen, unserer Biographie in Einklang zu kommen. Nicht ständige Verfügbarmachung von Ressourcen, Beschleunigung von Leben und Welt und Modi der Aggression, sondern eine Welt im „[…] Gestus eines transformativen Hörens und Antwortens“ (S. 250, Hervorh. im Original) stellt sich Hartmut Rosa als besseres Paradigma des Zukünftigen vor.
    Angesichts der Tatsachen, dass sich der global agierende Kapitalismus noch immer durch ein hohes Maß an Beharrungstendenz und die Fähigkeit auszeichnet, die saturierten Mehrheiten in den „westlichen“ Gesellschaften an den eigenen Status Quo zu binden, könnte man Rosas Vorstellungen für romantisch halten, romantisch um umgangssprachlichen Sinne, also für einfühlsam, aber überschwänglich und idealisierenden. Aber vielleicht erfordert das Überleben der Menschheit solch überschwängliche Ideen des Wandels (siehe auch: Fromm 1999; Original: 1976).

„Moderne und Kritik“ – ein Gespräch mit den beiden Hauptautoren, moderiert von Martin Bauer (S. 253-310)

Um es kurz zu machen: das Gespräch wird nicht nur professionell und exzellent moderiert. Es verdeutlicht den Leserinnen und Lesern noch einmal die Differenzen und die Übereinstimmungen zwischen den großen Theorieentwürfen von Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa. Der Rezensent versagt sich eine ausführliche Besprechung und hebt beispielhaft nur zwei Aspekte hervor: a) Während sich Andreas Reckwitz auffallend abstinent gegenüber der Gesellschaftskritik und möglichen Zukunftsentwürfen verhält, kritisiert Hartmut Rosa die Prozesslogik der gegenwärtigen Moderne und schlägt Wege für ein „besseres Leben“ vor. b) Andreas Reckwitz bearbeitet seinen Gegenstand, die Formen der Moderne, mit Neugier und der Distanz, die ihm seine kritische Analytik erlaubt. Hartmut Rosa macht sich für die Einheit von Ich- und Wir-Perspektive stark, muss sich aber fragen lassen, ob Perspektiven einer ersten und einer dritten Person ausreichen, um ein Mensch-Welt-Verhältnis nach seinem Resonanz- bzw. Entfremdungspotenzial hinreichend beurteilen zu können. Es geht ja dabei u.a. darum, subjektives Resonanzerleben oder -misserleben der ersten Person durch Vergleich mit der (mehr oder weniger) wissenschaftlichen Sicht der dritten Person zu validieren. Vielleicht scheitert aber ein solcher Vergleich schlicht an den Unschärferelationen, die beim Erleben und Beobachten von Eigenem und Anderen nicht zu vermeiden sind (vgl. auch: Frindte, 1998, S. 268 ff.).

Fazit

Es ist ein anregendes Buch. Keine Frage. Dem Rezensenten ist zwar wieder einmal aufgefallen, wie groß die Sprachdivergenzen zwischen soziologischer und sozialpsychologischer Sprache sind. Nichtsdestotrotz lohnt sich die Lektüre des Buches, auch wenn es Nichteingeweihten teils schwere Kost bietet. Es lohnt sich aus vielen Gründen, a) weil zwei geschätzte Soziologen mit teils unterschiedlichen methodologischen und theoretischen Auffassungen offen ihre Entwürfe zur Diskussion stellen, b) weil sie in gegenseitiger Wertschätzung miteinander streiten, c) weil große sozialwissenschaftliche Theorien nötig sind, um Gegenwärtiges kritisch beobachten und gegebenenfalls verändern zu können, d) weil die soziologischen Großtheorien der Autoren zahlreiche und anregende Anschlussmöglichkeiten für sozialpsychologisches Weiterdenken bieten, e) weil die Spätmoderne in der Krise ist und über die Zukünfte neu nachgedacht werden muss, f) weil …

Also, vertrauen Sie dem Rezensenten, er weiß, was er tut, und lesen Sie dieses Buch.

Literatur

Bargh, J. (2018). Vor dem Denken: Wie das Unbewusste uns steuert. München: Droemer Verlag.

Chartrand, T. L. & Bargh, J. A. (1999). The chameleon effect: the perception-behavior link and social interaction. Journal of Personality and social Psychology, 76(6), 893.

Decker, O. & Brähler, E. (Hrsg.) (2020). Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Dörner, D. (2012). Selbstreflexion und Handlungsregulation: die psychologischen Mechanismen und ihre Bedingungen. In W. Lübbe (Hrsg.), Kausalität und Zurechnung (199-222). Berlin, New York: De Gruyter.

Frindte, Wolfgang (1998). Soziale Konstruktionen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Frindte, W., & Jacob, S. (2018). Sozialer Konstruktionismus und Sozialpsychologie. In O. Decker (Hrsg.), Sozialpsychologie und Sozialtheorie (S. 141-153). Wiesbaden: Springer VS.

Frindte, W. & Geschke, D. (2019). Lehrbuch Kommunikationspsychologie. Weinheim, Basel: Beltz/​Juventa.

Fromm, E. (1999; Original: 1976). Haben und Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. In Erich-Fromm-Gesamtausgabe in 12 Bänden, Band II, herausgegeben von R. Funk. (S. 269-414). Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.

Gergen, K. J. (1991). The saturated self. dilemmas of identity in contemporary life. New York: Basic Books.

Gergen, K. J. (1994). Realities and relationships: Soundings in social construction. Cambridge, Mass. & London: Harvard University Press.

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Anmerkungen

[1] siehe auch: Frindte, W. (2020). Rezension zu: Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Berlin: Suhrkamp Verlag. https://www.socialnet.de/rezensionen/​27264.php. Zugegriffen: 14.12.2021.

[2] siehe auch: Schnurer, J. (2013). Rezension zu: Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Berlin: Suhrkamp Verlag. https://www.socialnet.de/rezensionen/​14393.php. Zugegriffen: 14.12.2021.

[3] siehe auch: Flick, P. (2018). Rezension zu: Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin: Suhrkamp Verlag. https://www.socialnet.de/rezensionen/​24642.php. Zugegriffen: 14.12.2021.

[4] siehe auch: Klevenow, G.-H. (2014). Rezension zu: Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit. Berlin: Suhrkamp Verlag (Berlin). https://www.socialnet.de/rezensionen/​27264.php; Zugegriffen: 14.12.2021.

[5] siehe auch: Schlittmaier, A. (2016). Rezension zu: Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp Verlag. https://www.socialnet.de/rezensionen/​20367.php. Zugegriffen: 14.12.2021.

[6] Das gilt im Übrigen, trotz der berechtigten Klage von Arie Kruglanski, auch für die Sozialpsychologie. Man denke etwa an die von Klaus Holzkamp und Kolleg*innen initiierte (und fast vergessene) Kritische Psychologie (z.B. Holzkamp, 1983), an die Theorie der sozialen Identität (z.B. Tajfel & Turner, 1979), an die Theorie der Sozialen Repräsentationen des Franzosen Serge Moscovici (z.B. Moscovici, 1984) oder an den Sozialen Konstruktionismus (Social Constructionism) von Kenneth J. Gergen (z.B. Gergen, 1994).

[7] Für den Sozialkonstruktionisten Kenneth J. Gergen zum Beispiel ist eine Theorie keine systematische Landkarte für ein wirkungsvolles praktisches Handeln, sondern eine Form diskursiven Handelns und so selbst eine Praxisform (Gergen & Zielke, 2006, S. 306).

[8] Das passt ganz gut zu psychologischen Einsichten, nach denen sich Menschen neben ihrer Gesellschaftlichkeit zumindest durch drei weitere Besonderheiten von anderen Lebewesen unterscheiden: a) durch ihre Fähigkeit, über die eigene individuelle und menschheitsbezogene Gewordenheit reflektieren zu können (z.B. Dörner 2012); b) durch ihren Willen, Zukunft hoffnungsvoll zu antizipieren (z.B. Zimbardo & Boyd, 1999); und c) durch ihr Wissen, irgendwann sterben zu müssen (z.B. Greenberg, Pyszczynski & Solomon, 1997).

[9] Man könnte im Sinne der Feldtheorie von Kurt Lewin auch allgemeiner von Annäherung (Appetenz) und Vermeidung (Aversion) als Grundmotivationen sprechen (z.B. Lewin, 1935). Interessanterweise sehen manche Beobachter*innen eine inhaltliche Nähe zwischen der Resonanztheorie von Hartmut Rosa und der Feldtheorie von Kurt Lewin. Neslihan Sriram-Uzundal wagt sich gar so weit vor, die Soziologie der Weltbeziehung von Rosa als moderne Feldtheorie zu bezeichnen (Sriram-Uzundal, 2021).

[10] Ein besonders eindrucksvolles sozialpsychologisches Ressonanzphänomen ist der Chamäleoneffekt (Chartrand & Bargh, 1999). Unter Chamäleon-Effekt wird das unbewusste Nachahmen von Gesten, Gesichtsausdrücken und generell von nonverbalen Verhaltensweisen verstanden. Mit der Erforschung solcher Phänomene wurde übrigens die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Unbewussten am Ende des 20.Jahrhunderts wieder in der akademischen Psychologie verankert (Bargh, 2018). In der (Sozial-)Psychologie gibt es überdies eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen und empirischen Belegen, die – im weiteren Sinne – auf die menschlichen Bedürfnisse, in resonanter Weise mit der Welt verbunden zu sein, verweisen. Arie Kruglanski spricht zum Beispiel von einem Bedürfnis nach Bedeutsamkeit (quest for significance; Kruglanski et al, 2014). Kipling D. Williams hat sich ausführlich mit dem Phänomen des Ostracism (jemanden ignorieren, meiden, aus der sozialen Welt verbannen; auch social exclusion, rejection) beschäftigt. In einem „Temporal Need-Threat Modell“ hat Williams (2009) auf fundamentale Bedürfnisse hingewiesen, die in Folge von Ostracism bedroht werden, so auf das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit (belonging) oder auf das Bedürfnis nach Kontrolle.

[11] Zu den gravierenden Störungen der psychosozialen Bestandsbedingungen in der gegenwärtigen Moderne gehören aus Sicht des Rezensenten sicher auch der wachsende Autoritarismus, die Verschwörungsaffinität sowie gesteigerte Rassismen in Teilen der Bevölkerung (vgl. z.B. Heyder & Eisentraut, 2020; Decker & Brähler, 2020).

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Frindte
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Kommunikationswissenschaft - Abteilung Kommunikationspsychologie
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Zitiervorschlag
Wolfgang Frindte. Rezension vom 03.01.2022 zu: Andreas Reckwitz, Hartmut Rosa: Spätmoderne in der Krise. Was leistet die Gesellschaftstheorie? Suhrkamp Verlag (Berlin) 2021. ISBN 978-3-518-58775-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28898.php, Datum des Zugriffs 08.10.2024.


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