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Klaus Sarimski: Familien von Kindern mit Behinderungen

Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 25.02.2022

Cover Klaus Sarimski: Familien von Kindern mit Behinderungen ISBN 978-3-8017-3036-9

Klaus Sarimski: Familien von Kindern mit Behinderungen. Ein familienorientierter Beratungsansatz. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2021. 230 Seiten. ISBN 978-3-8017-3036-9. 29,95 EUR. CH: 38,93 sFr.

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Thema

Familien, in denen ein Kind mit einer Behinderung aufwächst, sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Der Band stellt den aktuellen Forschungsstand zu der Frage zusammen, welche individuellen Bewältigungskräfte und sozialen Ressourcen eine Rolle für das Gelingen des Anpassungsprozesses der Familien spielen, und leitet daraus ein familienorientiertes Beratungskonzept ab (aus dem Klappentext).

Autor

Prof. Dr. Klaus Sarimski, geb. 1955: Studium der Psychologie in Köln. 1980–1981 Psychologe in einer Frühförderstelle. 1981–2007 Psychologe im Kinderzentrum München. 2007–2021 Professor für Sonderpädagogische Frühförderung an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Arbeitsschwerpunkte: Familienorientierte Frühförderung, soziale Teilhabe und psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen.

Aufbau und Inhalt

Das Buch enthält zehn Kapitel, zusammengefasst zu drei Teilen:

I: Behinderung eines Kindes – Belastung und Ressourcen

  • Im ersten Kapitel gibt Sarimski eine Literaturübersicht über zahlreiche Studien zum Erleben von Belastungen bei Eltern mit Kindern mit Behinderung, beginnend mit der Diagnoseeröffnung und zum weiteren Verlauf. Eltern reagieren ganz unterschiedlich auf die Diagnose und auf die Herausforderungen im häuslichen Alltag.
  • Im zweiten Kapitel sucht Sarimski nach Ressourcen für das Gelingen des Anpassungsprozesses. Erlebte soziale Unterstützung, individuelle Bewältigungsstrategien und die Bewertung der Behinderung sind in einem systemischen Modell wichtige Determinanten für die familiäre Lebensqualität. Im dritten Kapitel werden diese Faktoren für einzelne Behinderungsformen detailliert referiert: Cerebralparesen, Hör- und Sehbehinderung, Down-Syndrom, verschiedene weitere genetische Syndrome, Autismus-Spektrum-Störung, schwere und mehrfache Behinderung und sehr unreife Geburt.
  • Grundlage zielgerichteter Interventionen ist die Erfassung des individuellen Belastungserlebens, in einem explorativen Gespräch oder durch Fragebögen (Kapitel 4), wobei u.a. Nachwirkungen der Diagnosemitteilung, die Beziehungsqualität zum Kind, individuelle und soziale Ressourcen erhoben und beurteilt werden sollen. Auf dieser Basis können familienorientierte Beratungsgespräche geführt werden mit dem Ziel der Stärkung der individuellen und sozialen Bewältigungskräfte und so die psychische Stabilität und die familiäre Lebensqualität zu verbessern und zu stärken. Es werden Methoden und Programme zur Veränderung des Umgangs mit Stress und zur Erhöhung der Erziehungskompetenz vorgestellt, die Rolle von Selbsthilfegruppen thematisiert und ausführlich über sozialrechtliche Hilfen informiert.

II: Väter – Geschwister – Großeltern: Sichtweisen und Bedürfnisse

  • Im fünften Kapitel geht es um die Belastungen und Bedürfnisse von Vätern. Das Erleben der Diagnosevermittlung und die Auseinandersetzung mit der Behinderung, auch im Vergleich mit dem Erleben der Mütter, werden thematisiert, ebenso wie die Auswirkungen auf die Partnerschaft und die Beteiligung der Väter am Alltag, der Betreuung und der Förderung. Ausführlich geht Sarimski auf Themen und Bedürfnisse der Väter bei der Beratung ein.
  • Die Behinderung eines Kindes ist auch eine Belastung für Geschwisterkinder (Kapitel 6). Es werden die Risiken für die psychologische Stabilität der Geschwisterkinder (weniger Aufmerksamkeit der Eltern, aber gesteigerte Erwartungen an Leistung und Übernahme von Aufgaben, soziale Isolation, aber auch mangelndes Wissen über die Behinderung des Geschwisters), auch in ihren Auswirkungen auf die Qualität der Geschwisterbeziehung besprochen. Eine besondere Rolle nehmen die Verhaltensauffälligkeiten des behinderten Kindes und psychosozialen Ressourcen der Familie ein. Es können aber auch positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Geschwisterkinder beobachtet werden. Anschließend werden Empfehlungen für die Unterstützung der Geschwisterkinder gegeben und Kontaktadressen angeführt.
  • Auch für Großeltern stellt die Diagnose der dauerhaften Behinderung eines Enkelkindes eine Belastung dar (Kapitel 7). Der wichtigste Einflussfaktor für eine gelingende Unterstützung durch die Großeltern ist die Qualität der Beziehung vor der Geburt des Kindes. Großeltern werden bislang in Beratungskontexten kaum berücksichtigt.

III: Familien in besonderen Lebenssituationen

  • Im achten Kapitel werden die Bedarfe und Problemstellungen von Familien mit zusätzlichen sozialen Belastungen besprochen (Familien in Armutslagen, alleinerziehende Eltern, Eltern mit psychischen Erkrankungen, Eltern mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit, schwer erreichbare Familien). Während in den vorausgehenden Kapiteln zur Veranschaulichung Interviewaussagen von Betroffenen (Müttern, Vätern, Geschwisterkindern und Großeltern) berichtet werden, kommen hier Fachkräfte mit Zugang zu den Familien zu Wort. Förderung der elterlichen Reflexionsfähigkeit und die Mobilisierung sozialer Unterstützung sind Schwerpunkt.
  • Familien mit Migrationshintergrund sind eine sehr heterogene Gruppe (Kapitel 9). Kulturell geprägte Vorstellungen von Familienbeziehungen und Erziehungshaltungen sowie die Wahrnehmung von Behinderung beeinflussen die Arbeit mit diesen Familien und stellen eine große Herausforderung für die Fachkräfte dar; oft kommen mangelnde Sprachkenntnisse, Fluchterfahrung sowie der (ungesicherte) Status in Deutschland hinzu. Häufig sind Zugangsbarrieren zu Unterstützungsangeboten abzubauen. Es braucht interkulturelle Kompetenz in der Beratung, um individuelle soziale Bewältigungskräfte zu mobilisieren.
  • Kinder mit einer Behinderung wachsen auch in Pflegefamilien auf. Sie haben häufig traumatisierende Erfahrungen gemacht und keine adäquate Versorgung und emotionale Bindungen erlebt und stellen somit erhöhte Herausforderungen für die Pflegefamilien dar. Diese werden erläutert und am Beispiel der Fetalen Alkohol-Störung (FASD) exemplarisch vertieft.

Diskussion

Kinder mit Behinderung brauchen nicht nur Förderung durch Fachkräfte. Sie brauchen auch Familien, die die Kraft haben, die Herausforderungen, die ein Kind mit Behinderung stellt, auch zu bewältigen. Und dazu brauchen die Familien und jede dazugehörige Person fachgerechte Unterstützung.

Dazu kann dieses Buch beitragen. Sarimski präsentiert eine Fülle an empirischen und wissenschaftlichen Daten und referiert zahlreiche Studien. Trotzdem ist das Buch immer nahe an der fachlichen Praxis und gibt viele Anregungen. Diese sind in jedem Kapitel auch durch „Für die Praxis“ eigens gekennzeichnet und zusammengefasst.

Es wird nicht nur die Kernfamilie berücksichtigt. Die besonderen Bedürfnisse von Vätern, Geschwisterkindern und Großeltern werden gesehen. Auch zusätzliche Belastungen werden deutlich beschrieben und spezifische Unterstützungsmaßnahmen angesprochen.

Manchmal ist es schwer, sich von gewohnten Begriffen, die durch neue abgelöst werden, zu verabschieden und die neuen zu verwenden. So verweist Sarimski auf S. 104 auf die Einführung der Pflegegrade, schreibt aber anschließend wieder von Pflegestufen.

Lesenswert ist auch das Schlusswort mit einer Würdigung des verstorbenen Züricher Kinderarztes Remo Largo, dem Sarimski auch dieses Buch widmet.

Zielgruppen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einrichtungen, die mit der Beratung und Begleitung von Eltern behinderter Kinder betraut sind

Fazit

Das Buch vermittelt vielfältiges Wissen über und für die Arbeit mit Familien von Kindern mit Behinderung. Es werden auch Väter, Geschwisterkinder und Großeltern explizit berücksichtigt. Die Leserin und der Leser werden umfänglich informiert und erhalten vielfältige Anregungen zur praktischen Umsetzung. Sarimski legt wieder ein Buch vor, das zu den Standardwerken in den entsprechenden Einrichtungen gehören sollte.

Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Es gibt 197 Rezensionen von Lothar Unzner.

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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 25.02.2022 zu: Klaus Sarimski: Familien von Kindern mit Behinderungen. Ein familienorientierter Beratungsansatz. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2021. ISBN 978-3-8017-3036-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28930.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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