Julian Knop: "Ein bisschen wie zuhause"
Rezensiert von Prof. Dr. Helmut Kury, 27.10.2023
Julian Knop: "Ein bisschen wie zuhause". Langzeitbesuche als Maßnahme zur erweiterten Einbindung von Außenkontakten im Jugendstrafvollzug.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2021.
336 Seiten.
ISBN 978-3-428-18315-9.
D: 99,90 EUR,
A: 102,70 EUR.
Reihe: Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen - 26.
Entstehungshintergrund
Bei der Arbeit handelt es sich um die Dissertation des Autors im Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin.
Aufbau und Inhalt
Die Arbeit umfasst 337 Seiten, ist neben einer Einleitung in drei umfangreiche Kapitel gegliedert.
In der Einleitung betont der Autor, dass das Ziel des Jugendstrafvollzugs die Resozialisierung der Täter sei. „Werden junge Menschen im geschlossenen Jugendstrafvollzug untergebracht, so werden sie aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld herausgerissen, mit dem Ziel, sie nach der Gefangenschaft in die Gesellschaft jenseits der Gefängnismauern wiedereinzugliedern. Dies schafft eine problematische und geradezu paradoxe Situation, da die Re-Integration in eine soziale Außenwelt angestrebt wird, die während der Gefangenschaft de facto abwesend ist“ (S. 15). Der Langzeitbesuch „scheint besonders geeignet, soziale Interaktionen außerhalb des Gefängnisses nachzuempfinden, ermöglicht er doch menschliche Nähe, Privatsphäre und Intimität“ (S. 15). Ab 2006 seien Langzeitbesuche erstmals normiert worden. „Über die tatsächliche Implementierung und Wirkung dieser Maßnahme ist jedoch in der deutschen Strafvollzugsforschung wenig bekannt“, das gelte insbesondere für den Jugendstrafvollzug. Langzeitbesuche seien schon immer umstritten gewesen (S. 17). In Deutschland fehle in der Literatur eine „systematische Erfassung und gut strukturierte Darstellung der kriminologischen Bedeutung von sozialen Beziehungen“.
Kapitel 1 (S. 19–44) beinhaltet „theoretische Grundlagen zum Langzeitbesuch aus raumsoziologischer und rechtshistorischer Perspektive“. Die Grenze zwischen „drinnen“ und „draußen“ verschwimme im heutigen Gefängnisalltag aufgrund von Besuchsmöglichkeiten und Lockerungen im Haftalltag mehr und mehr. Langzeitbesuche würden die Möglichkeit schaffen, „Freiheit zu simulieren“ (S. 21). Dadurch werde die Gefängnismauer „letztlich poröser … als auf den ersten Blick angenommen“ (S. 23). Für die Inhaftierten stelle der „Langzeitbesuchsraum einen Ort dar, in dem sie für eine Zeit dem Gefängnisleben entfliehen und Personen aus ihrem alten Leben vor der Gefangenschaft begegnen können“ (S. 23). Der Besuch sei unbewacht und unbeaufsichtigt, stehe damit auch „in einem besonderen Verhältnis zu der verbleibenden Gefängnisumgebung innerhalb der Gefängnismauern“ (S. 24). Die dauernde Kontrolle der Inhaftierten werde im Langzeitbesuchsraum unterbrochen, er ermögliche somit „Freiheit in der durch Unfreiheit gekennzeichneten Umgebung Gefängnis“, könne somit „negativen Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen entgegenwirken“ und somit die Wiedereingliederung in die Gesellschaft unterstützen (S. 25 f.).
Rechtliche Regelungen hinsichtlich Besuchen im Strafvollzug hätten inzwischen eine nahezu hundertjährige Geschichte. Der Autor stellt wesentliche Aspekte der historischen Entwicklung seit 1871, der erstmaligen Normierung räumlicher Trennung von jugendlichen und erwachsenen Gefangenen, bis heute dar. Erstmals seien Langzeitbesuche im Erwachsenenvollzug implementiert worden, seien allerdings bis heute eine „umstrittene Maßnahme“ (S. 26). Besuche seien schon vor 1923 in ersten Gesetzen für den Strafvollzug einiger Bundesstaaten rechtlich geregelt gewesen, allerdings habe „erst die Veröffentlichung der Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen von 1923“ zu einer Vereinheitlichung gesetzlicher Regelungen bezüglich des Besuchsverkehrs im Strafvollzug geführt. Den Gefangenen sei nun das Recht eingeräumt worden, Besuche zu empfangen. 1930 sei in der rechtswissenschaftlichen Literatur erstmals thematisiert worden, männlichen Gefangenen weiblichen Besuch in der Anstalt ohne Beisein Dritter zu empfangen, allerdings seien erhebliche Bedenken geäußert worden, während des Nationalsozialismus habe die Thematik keine Bedeutung erlangt, der Besuchsverkehr sei deutlich eingeschränkt worden, danach sei der Strafvollzug durch Landesordnungen geregelt worden. Es sei etwa auf den Erhalt der Familie, die Bedeutung sozialer Außenbeziehungen, hinsichtlich einer Wiedereingliederung der Inhaftierten nach Haftentlassung hingewiesen worden.
In der Strafvollzugspraxis habe in den 1970er-Jahren weitgehend eine ablehnende Haltung gegenüber Langzeitbesuchen vorgeherrscht. Am 1. 1. 1977 sei dann das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, das „Strafvollzugsgesetz“, in Kraft getreten. Hier seien Gefangenen Rechte eingeräumt worden, mit Personen außerhalb der Anstalt zu verkehren und mindestens eine Stunde Besuch im Monat zu empfangen. In den 1980er-Jahren sei der Langzeitbesuch dann erstmals in der Praxis umgesetzt worden. Veränderungen auf legislativer Ebene seien erst durch die Föderalismusreform I von 2006 angestoßen worden. Die Gesetzgebungsbefugnis hinsichtlich Strafvollzug sei nun auf die Bundesländer übertragen worden. Aktuell würden 13 Bundesländer Langzeitbesuche in ihren Strafvollzugsgesetzen regeln.
Besonders geht der Autor auf die historische Entwicklung im Jugendstrafvollzug ein (S. 35 ff.). Bis Ende des 19. Jahrhunderts seien in Deutschland Gefangene weder nach Alter noch Geschlecht getrennt untergebracht worden (S. 35). Ab 1871 seien einzelne Jugendabteilungen gegründet worden. 1912 sei dann das erste deutsche Jugendgefängnis in Wittlich eingerichtet worden. Die Entwicklung der Vollzugspraxis sei allerdings nur langsam voran gegangen. Bis 1928 seien nur wenige weitere Jugendgefängnisse eingerichtet worden. Langzeitbesuche im Jugendstrafvollzug seien im Fachdiskurs erstmalig 1974 thematisiert worden. Das Bundesverfassungsgericht legte in einer Entscheidung von 2006 fest, dass auch für den Jugendstrafvollzug eine gesetzliche Grundlage erforderlich sei, setzte eine Frist bis zur Schaffung einer detaillierten Regelung bis zum 1. 1. 2008.
Was die „gegenwärtige Situation im Jugendstrafvollzug“ betrifft, führt der Autor aus, dass zurzeit in der Hälfte der einschlägigen Gesetze Langzeitbesuche erwähnt würden (S. 41). Vergleiche mit internationalen Regelungen würden für Deutschland einen „Nachholbedarf“ belegen. Die historische Entwicklung der Regelungen würde zeigen, dass der Langzeitbesuch stets auch von den jeweiligen gesellschaftlichen Einstellungen und Wertvorstellungen beeinflusst werde. Aktuell gleiche die „gesetzliche Langzeitbesuchssituation … einem Flickenteppich, der von Widersprüchen und Inkohärenzen durchzogen ist“ (S. 44).
Kapitel 2 (S. 45 – 213), das umfangreichste, beinhaltet einen „Vergleich der Rechtslage des Langzeitbesuchs mit kriminologischen Erkenntnissen“. Der Autor geht zunächst auf Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug ein. Durch die Föderalismusreform I von 2006 sei die Kompetenz für die Strafvollzugsgesetzgebung auf die Bundesländer übertragen worden. Zu Anfang von 2008 seien in allen Bundesländern eigene Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug in Kraft getreten. Das Vollzugsziel des Jugendstrafvollzuges sei die Resozialisierung der Inhaftierten (S. 46). Der Gesetzgeber verstehe darunter die „Befähigung des Gefangenen …, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen“ (S. 46). Resozialisierung sei kein klar definierter Fachbegriff, vielmehr eine „Kurzform für ein ganzes Programm“ (S. 46). Das BVerfG definiere „Resozialisierung als die Wiedereingliederung des Straftäters und der Straftäterin in die Gesellschaft“ (S. 46). Hervorgehoben werde in den gesetzlichen Bestimmungen auch der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten als weitere Aufgabe. Sühne und Vergeltung hätten hinsichtlich der Gestaltung des Jugendstrafvollzugs offiziell keinerlei Bedeutung.
Zwischen den beiden Zielbestimmungen, einer zukünftigen Lebensführung in sozialer Verantwortung ohne Straftaten und dem Schutz der Allgemeinheit bestehe grundsätzlich kein Gegensatz, allerdings würden diese in einem „Spannungsverhältnis“ zueinander stehen. Langzeitbesuche könnten einerseits der Integration der Inhaftierten dienen, andererseits würden sie auch Gefahren, wie Geiselnahme bzw. Übergriffe auf besuchende Personen mit sich bringen. Resozialisierung sei als „ranghöchste Aufgabe“ zu betrachten, habe ein „besonders hohes Gewicht“ (S. 48). Bei der Vollzugsgestaltung und der Gewährung von Langzeitbesuch müssten „vertretbare Risiken eingegangen werden, die den Schutz der Allgemeinheit betreffen“ (S. 48).
Gestaltungsgrundsätze seien „Wegweiser für den Strafvollzug, für die Vollzugsleitung und die Vollzugsbediensteten“ (S. 49). Die drei „klassischen“ Strafvollzugsgrundsätze seien Angleichung, Gegensteuerung und Integration, daneben würden in den Landesgesetzen weitere Gestaltungsaufträge betont, es zeige sich hier zwischen den Bundesländern ein „höchst uneinheitliches Bild“ (S. 50). Eine Aufgabe des Jugendstrafvollzugs sei auch die Gewährung von Sicherheit und Ordnung, in der Anstalt sei ein gewaltfreies Klima wesentlich. In manchen Regelungen zum Strafvollzug würden die Lebenslagen und Bedürfnisse von weiblichen und männlichen Gefangenen festgelegt (S. 51).
Eine besondere Bedeutung habe die Gewährung von Sicherheit und Ordnung (S. 51 ff.). In den Landesgesetzen zum Jugendstrafvollzug werde formuliert, „dass Sicherheit und Ordnung der Anstalt die Grundlage des auf die Förderung und Erziehung aller Jugendstrafgefangenen ausgerichteten Anstaltslebens bilden und dazu beitragen, dass in der Anstalt ein gewaltfreies Klima herrscht“ (S. 51). Persönliche Sicherheit für alle Beteiligten und ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt seien eine wesentliche Grundlage für eine positive Entwicklung der Insassen. Ordnung in der Anstalt stelle allerdings eine schwer zu fassende Generalklausel dar (S. 52). Insbesondere Langzeitbesuche böten teilweise Probleme bei der Überwachung der Sicherheit. „Deutlich wird, dass Langzeitbesuch und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in einem Spannungsverhältnis stehen können“ (S. 53).
Grundsätzlich hätten Jugendstrafgefangene das Recht auf Kontakte zu Personen außerhalb der Anstalt, diese seien auch von den Justizvollzugsanstalten zu fördern. Die meisten Regelungen der Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug würden die Besuchszeit auf mindestens vier Stunden monatlich festlegen. Einen besonderen Stellenwert hätten Kontakte zu eigenen Kindern. Die „gegenwärtige Rechtslage zum Langzeitbesuch im deutschen Jugendstrafvollzug (ist) äußerst unübersichtlich“ (S. 59). Nach manchen Landesregelungen müsse der Gefangene etwa für Langzeitbesuche „geeignet“ sein, von den Besuchern müsse ein „günstiger Einfluss“ auf den Inhaftierten zu erwarten sein. Lediglich in den gesetzlichen Bestimmungen von Brandenburg hätten geeignete Jugendstrafgefangene einen Anspruch auf Langzeitbesuche (S. 60). Die Durchführung von Langzeitbesuchen sei nicht detailliert geregelt (S. 61). Insbesondere würden Bestimmungen zum Bereich Sexualität fehlen.
Rechtsprechung zu Langzeitbesuchen im Jugendstrafvollzug würde fehlen, diese würden auch kaum durchgeführt. Es sei unbestritten, dass im Strafvollzug die Bindung an die Grundrechte fortbestehe. Gefangene hätten ein Recht auf Außenkontakte, insbesondere zu Ehegatten und Familien (S. 63). Familienbeziehungen seien zu unterstützen und zu fördern. „Insbesondere Langzeitbesuche können zum Schutz von Ehe und Familie im Strafvollzug beitragen, indem sie längere und unbeaufsichtigte Interaktionen in besonders geschützten Räumlichkeiten ermöglichen“ (S. 64). Nach herrschender Meinung bestehe allerdings „kein Rechtsanspruch auf Langzeitbesuch mit Intimkontakt“, es gebe hierzu vor allem bei verheirateten Langzeitgefangenen kontroverse Meinungen (S. 65).
Im Weiteren geht der Autor auf internationale Regelungen ein. Die „Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen, Ehe und Familie sowie die Realisierung von Außenkontakten insbesondere durch Besuch“ seien etwa durch Regelungen der Vereinten Nationen und des Europarats, etwa die „Mandela Rules“, anerkannt und geschützt, allerdings handle es sich hierbei lediglich um nicht rechtsverbindliche „Empfehlungen“ (S. 66). Die Mindeststandards des Europarats seien ein „soft law“.
Im Weiteren geht Knop differenziert auf kriminologische Erkenntnisse über den Einfluss von sozialen Kontakten auf die Jugendstrafgefangenen und Kriminalität im Allgemeinen ein (S. 68 ff.). Eine spezifische kriminologische Theorie der sozialen Beziehungen gebe es nicht. Angesprochen wird das Konzept des sozialen Kapitals, verstanden als „Eigenschaften von sozialem Leben, von Netzwerken und Normen sowie Vertrauen, Eigenschaften, die es beteiligten Personen ermöglichen, effektiver gemeinsame Ziele zu erreichen“ (S. 70). Soziales Kapitel beeinflusse auch Kriminalität, könne auch eine delinquenzfördernde Wirkung entfalten. Kriminalitätstheorien würden vor allem Ursachen für den Beginn und die Fortdauer von Delinquenz ansprechen.
Der Autor geht auf theoretische Konzepte zur Kriminalität ein, in denen die Bedeutung sozialer Kontakte bei deren Entstehung und Fortdauer diskutiert wird. Diskutiert werden in dem Zusammenhang Anomietheorien (S. 71 ff.), Kontrolltheorien (S. 75 ff.), Lerntheorien (S. 78 ff.), die Bisoziale Kriminalitätstheorie (S. 81 ff.), die Theorie der reintegrativen Beschämung (S. 83 ff.), Labelingtheorien (S. 84 ff.), Situative Theorien (S. 85 ff.) und Integrative und prozessorientierte Theorien (S. 86). „Desistance“-Forschungen würden spezifisch auf Entwicklungen zur Abkehr von Kriminalität eingehen (S. 88 ff.). Kurz besprochen werden in dem Kontext die Theorie der „Turning Points“, Theorien der kognitiven Transformation (S. 89 ff.) und Aspekte des „Desistance“-Prozesses (S. 91 ff.). In einem weiteren Kapitel werden „Soziale Kontakte und Behandlung“ angesprochen (S. 92). Soziale Kontakte haben auf Entstehung und Fortsetzung von straffälligem Verhalten eine wesentliche Bedeutung, etwa im Rahmen des familiären Umfeldes (S. 96 ff.). Eingegangen wird auf die Relevanz von Erziehungsstilen, die Bindung an die Eltern, die „Beziehungsqualität zwischen Eltern und Nachwuchs“ (S. 100 ff.), den Einfluss des familiären Hintergrunds, Kriminalität in der Familie (S. 103 ff.) und die Rolle von Peers (S. 105 ff.).
In einem eigenen Kapitel geht der Autor ergänzend differenziert auf „Soziale Kontakte während der Gefangenschaft“ ein (S. 113), weiterhin auf „Beziehungsverläufe“. Bereits frühe Gefängnisstudien hätten die Auswirkung einer Trennung von der Außenwelt auf straffälliges Verhalten thematisiert (S. 123 ff.).
Knop diskutiert im Weiteren den „Einfluss des sozialen Umfelds auf Gefangene und Einfluss der Gefangenschaft auf soziale Umfelder“ (S. 127 ff.). Gefangene könnten nach den Ergebnissen empirischer Studien die „Gefangenschaft am besten bewältigen, wenn sie mit ihrer Familie in Kontakt stehen“ (S. 127). Familien und Freunde würden die größte Unterstützung für die Inhaftierten bieten, für Jugendstrafgefangene vor allem die Eltern. „Die Trennung von nahestehenden Personen wird von vielen Gefangenen als die größte Belastung der Gefangenschaft empfunden“ (S. 127). Soziale Kontakte hätten bei Jugendstrafgefangenen einen erheblichen Einfluss auf deren psychosoziale Entwicklung. Oft werde „Gefangenen erst während der Gefangenschaft bewusst, wie wichtig ihre Angehörigen für sie sind …“ (S. 128). Ein spezielles Problemfeld stelle der Einfluss von Peers während der Gefangenschaft dar, etwa solchen innerhalb als auch außerhalb des Gefängnisses.
In einem eigenen Abschnitt geht Knop auf Probleme von Gefangenen mit eigenen Kindern ein. Internationale Untersuchungen würden zeigen, „dass sich die meisten Gefangenen in Kontakt mit ihren Kindern befinden, sich um sie sorgen, sich ihren Kindern nahe fühlen und ihnen ihre Vaterrolle sowie die elterliche Identität sehr wichtig sind“ (S. 136). Die Gestaltung der Vaterrolle sei für Gefangene problematisch. Weitgehend werde eine Entfremdung von den eigenen Kindern befürchtet, was durchaus begründet sei. Langzeitbesuche könnten den Kontakt zu den Kindern unterstützen. Günstige Einflüsse, „die von Kontakten zu Kindern in der Gefangenschaft ausgehen“, sollten unterstützt werden, „indem Kinder möglichst intensiv auch durch Langzeitbesuche in den Vollzug der Jugendstrafe eingebunden werden, mit dem Ziel, Resozialisierung zu fördern“ (S. 139). Kontakte zu nahestehenden Personen während der Gefangenschaft hätten in der Regel positive Auswirkungen auf die Zeit nach Haftentlassung. Die Rolle und Bedeutung des sozialen Umfeldes von Inhaftierten werde von Wissenschaft und Strafvollzug zu wenig beachtet. Die große Mehrheit von Familien junger Gefangener wäre gerne stärker in den Vollzug der Freiheitsstrafe eingebunden. Vielfach würden die Familien unter finanziellen Problemen leiden, weiterhin unter Ausgrenzung und Stigmatisierung aufgrund der Straftaten eines Angehörigen.
In Europa würden ca. 800.000 Kinder getrennt von ihren inhaftierten Eltern leben, für Deutschland gebe es keine amtlichen Zahlen, nach Schätzungen seien es etwa 100.000 Minderjährige. Trotz der großen Bedeutung der Thematik „werden Kinder gefangener Eltern in Forschung und Praxis größtenteils ausgeblendet“ (S. 146). Eine Gefangenschaft des Vaters stelle eine „ernsthafte Bedrohung für die gesunde Kindesentwicklung“ dar (S. 147). Kinder sollten auch während der Inhaftierung des Vaters „unter möglichst normalen Umständen interagieren können“. Der Verlust des Vaters führe bei den Kindern zu Angstgefühlen, Verwirrung, Schmerz und Trauer. Kinder von Gefangenen hätten ein „deutlich erhöhtes Risiko, an psychischen und körperlichen Problemen zu leiden“, sie seien öfters krank (S. 148). Auch zeigten sie im jungen Erwachsenenalter eine höhere kriminelle Belastung. Nur in wenigen Fällen gehe es den Kindern nach einer Inhaftierung des Vaters besser.
In einem eigenen Kapitel geht der Autor auf das Thema Sexualität im Gefängnis ein, einem bisher nahezu unerforschten Gebiet (S. 150 ff.). Der Einfluss des Fehlens frei gestalteter Sexualität auf die Gefangenen, spezifische Einflüsse auf Partnerschaften, werden diskutiert. Langzeitbesuche hätten auch einen enormen Einfluss auf das Delinquenzverhalten nach Haftentlassung (S. 160 ff.). Nach Entlassung würden überwiegend Familien und weitere nahestehende Personen den sozialen Empfangsraum bilden. Die Zeit nach Entlassung würde auch für das Umfeld eine besondere Situation darstellen und dieses beeinflussen. Das Eingehen einer Partnerschaft bzw. eine Heirat könne „als für den Kriminalitätsausstieg zentrales Ereignis“ angesehen werden, habe in der Regel eine kriminalitätsmindernde Wirkung.
In einem weiteren Kapitel werden Langzeitbesuche und reguläre Besuche miteinander verglichen. Flächendeckende Untersuchungen würden bisher fehlen. „Grundsätzlich sind Besuche die wichtigste Kommunikationsform in Gefangenschaft und gehören zu den bedeutendsten Ereignissen des Haftalltags“ (S. 177). Gefangene, die Besuche erhalten, würden nach Entlassung weniger rückfällig werden. „Je häufiger Besuche stattfinden, desto geringer das Rückfallrisiko“ (S. 178). Besuche von Angehörigen könnten auch Fehlverhalten in der Anstalt reduzieren. Was Langzeitbesuche betrifft, gebe es „weder nationale noch internationale Studien, die den Jugendstrafvollzug betreffen“, es werden deshalb nur Forschungsergebnisse zum Erwachsenenvollzug berichtet (S. 188).
Die Zahl der Besuchsmöglichkeiten habe im deutschen Strafvollzug deutlich zugenommen. Dargestellt werden Berichte von Inhaftierten zu ihren Erfahrungen, ferner nationale und internationale Forschungsergebnisse. Die Durchführung von Besuchen habe zahlreiche positive Auswirkungen auf die Gefangenen, wie etwa auch eine Reduzierung der Rückfallquote. Betrachte man allerdings problematische Sozialkontakte, würden kriminologische Erkenntnisse zeigen, dass diese Kriminalität fördern könnten (S. 210). Der Entzug von Sozialkontakten, insbesondere zur eigenen Familie, werde von Gefangenen „als eine der größten Belastungen der Gefangenschaft wahrgenommen“ (S. 212).
Kapitel 3 (S. 214–276) stellt eine quantitative und eine qualitative „empirische Untersuchung des Langzeitbesuchs im Jugendstrafvollzug“ dar. Für den quantitativen Teil der Studie wurde ein Fragebogen entwickelt, der an alle Anstaltsleitungen von Justizvollzugsanstalten verschickt wurde, davon haben 25 an der Befragung teilgenommen. Von diesen bieten nur 6 die Möglichkeit zu Langzeitbesuchen an. Der Vergleich mit dem Erwachsenenvollzug zeigt, „dass Jugendstrafgefangene hinsichtlich der Möglichkeit von Langzeitbesuch nicht nur rechtlich, sondern auch rechtstatsächlich gegenüber Gefangenen des Erwachsenenstrafvollzugs schlechter gestellt sind“ (S. 217). Während 24 % der Jugendstrafvollzugsanstalten theoretisch Langzeitbesuche ermöglichen, sind es im Erwachsenenstrafvollzug 38 %. 2015 haben deutschlandweit nur etwa 52 Jugendstrafgefangene tatsächlich Langzeitbesuche erhalten, das sind 1,2 %. Das macht „sehr große Unterschiede zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafgefangenen deutlich“ (S. 219). Andere Besuchsformen könnten die Vorteile von Langzeitbesuchen nicht ersetzen. Die Begründungen für das Fehlen von Langzeitbesuchen, etwa durch die Vollzugsanstalten, seien nicht überzeugend und könnten durch Forschungsergebnisse auch widerlegt werden.
Die Bundesländer würden sich hinsichtlich Vollzugs-öffnender Maßnahmen teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Während etwa Bremen nach einer vergleichenden Studie 3.904 Ausgänge pro 100 Inhaftierten gewähre, waren es in Bayern nur 95 Ausgänge. „Während Langzeitbesuche in der Hälfte der Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug normiert werden, ermöglichen nur etwa ein Drittel der Justizvollzugsanstalten theoretisch Langzeitbesuch, und tatsächlich haben nur etwa 1 % der Jugendstrafgefangenen im Jahr 2015 Langzeitbesuch empfangen“ (S. 223). Auch in Bezug auf die Kriterien hinsichtlich der Gewährung von Langzeitbesuchen würden sich die Anstalten deutlich unterscheiden, auch bestehe ein erheblicher Unterschied zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug. Die Mehrzahl der Jugendanstalten würden während der Besuche keine sexuellen Kontakte gestatten.
Eine „vertiefende Untersuchung in den Justizvollzugsanstalten JA Hameln, der JVA Herford und der JVA Wuppertal-Ronsdorf“ liefert weitere differenzierte Daten zur Fragestellung (S. 231 ff.). Für den Langzeitbesuch gebe es keine Untersuchungen. Da es sich beim Langzeitbesuch somit um einen wenig erforschten Bereich handelt, habe sich nach Einschätzung des Autors die „qualitative Forschung als Exploration“ empfohlen (S. 233). Vorrangiges Ziel der Studie sei es gewesen, „erste Erkenntnisse über den bisher unerforschten Untersuchungsbereich zu generieren“ (S. 233). Die „übergeordnete Fragestellung“ sei, welche subjektive Bedeutung „Langzeitbesuche und mit dieser Besuchsform verbundene Themenfelder von sozialen Außenbeziehungen und Sexualität für junge Gefangene, Angehörige und Vollzugsmitarbeiter/​innen in Jugendstrafanstalten, die Langzeitbesuche durchführen“ hätten (S. 233).
Im Weiteren wird differenziert auf die Erhebungsmethode, die Auswahl der Population und die Datenauswertung eingegangen. Daraufhin werden die Resultate der qualitativen Untersuchung dargestellt (S. 238 ff.). Die Intensität von Kontakten zu außenstehenden Personen variiere erheblich, laufe über Telefonate und Briefe. Grundsätzlich habe der Kontakt zu den Angehörigen einen hohen Stellenwert für die Inhaftierten, entsprechend werde etwa ein Abbruch als „schwierige Situation“ erlebt (S. 239). Es werden Beispiele von wörtlichen Aussagen der Befragten zu der Thematik und ihrem Erleben der Situation wiedergegeben. Insbesondere der Kontakt zu Freundeskreisen scheine oft abzubrechen. Vielfach würden sich die Gefangenen im Stich gelassen fühlen. Teilweise würden die Gefangenen Kontakte auch ihrerseits abbrechen. Die Mehrzahl der Gefangenen würde „negative Beziehungsveränderungen während der Gefangenschaft (erleben). Sie haben das Gefühl, nicht mehr am Leben ihrer Liebsten teilnehmen zu können und sich aufgrund der Kontaktreduzierung auseinanderzuleben. Die ungewisse Situation ruft Verlustängste hervor“ (S. 242).
Einen sehr großen Stellenwert habe die seitens der Familie erlebte Unterstützung. Angehörige würden vor allem auch einen Anknüpfungspunkt für die Zeit nach Haftentlassung darstellen. Die Besuchszeit werde als zu kurz erlebt, die Abstände zwischen den Besuchen zu lang, die Häufigkeit als zu gering. Die Anwesenheit kontrollierender Personen würde das Ansprechen einzelner Themen verhindern. Die Gespräche im Rahmen von Langzeitbesuchen scheinen „positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefunden der jungen Gefangenen zu haben“ (S. 247). Auch würden sie einzelne Gefangene motivieren, sich positiv in den Gefängnisalltag einzugliedern. Die Hürden für die Gewährung von Langzeitbesuchen würden als zu hoch erlebt, es gebe zu viele Einschränkungen. Als besonders belastend werde die vollständige Entkleidung vor zwei Bediensteten nach den Besuchen erlebt.
Präsentiert werden auch Befragungsergebnisse der Inhaftierung auf das soziale Umfeld, nahestehende Personen. Einige Angehörige erleben die Inhaftierung des nahestehenden Jugendlichen als „große Veränderung im eigenen Leben“ (S. 254), als belastende Situation, teilweise komme es zu einer Umorganisation von Familienstrukturen. Es werden Gefühle wie Einsamkeit und Trauer beschrieben. Teilweise hätte die Inhaftierung auch positive Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Kinder der Inhaftierten würden vielfach ihren Vater vermissen und könnten die veränderte Situation nicht einordnen. Die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf die Angehörigen reiche von Ablehnung bis zu Unterstützung in der schwierigen Situation. Reguläre Besuche würden von den Angehörigen als „ambivalente Ereignisse“ beschrieben (S. 256), so wolle man den Inhaftierten vor allem nicht weiter belasten. Vor allem auch für gemeinsame Kinder seien Besuche wichtig. Angehörige würden teilweise auch von emotionalen Belastungen nach den Besuchen berichten.
Mitarbeiter/​innen der Anstalten würden berichten, die Gefangenschaft führe vor allem auch zu einer Vereinsamung der Betroffenen. Außenkontakte würden einen „ambivalenten Einfluss im Kontext der Gefangenschaft“ haben (S. 262). Einerseits würden sie im Leben der jungen Gefangenen eine zentrale Rolle spielen, andererseits könnten sie auch einen negativen Einfluss haben, etwa auch das Einbringen verbotener Gegenstände ermöglichen. Das soziale Umfeld habe vielfach zur Kriminalität der Inhaftierten beigetragen. Eine Entlassung in dieses Umfeld sei vielfach kontraproduktiv. „Deshalb legen Mitarbeiter/​innen den Schwerpunkt ihrer Arbeit eher darauf, die jungen Gefangenen für Problemlagen zu sensibilisieren und sie bei der Resourcenentwicklung für den Umgang mit problematischen Sozialkontakten zu unterstützen“ (S. 263).
Unterschiedlich werde beurteilt, wieweit Langzeitbesuche einen Einfluss auf die Sicherheit und Ordnung eines Gefängnisses haben. Vor allem werde das Einbringen verbotener Gegenstände thematisiert und die Gefahr von Geiselnahmen. Kontrovers werde beurteilt, wieweit Langzeitbesuche als Belohnung eingesetzt werden sollten, um dadurch Verhalten von Inhaftierten zu beeinflussen. „Aus Sicht der Mitarbeiter/​innen hat der Langzeitbesuch positive Auswirkungen, da er … das psychische Wohlbefinden steigert“ und so auch die Kooperation mit dem Gefangenen erleichtern könne (S. 267). Überwiegend werde der Langzeitbesuch als wichtige Resozialisierungsmaßnahme beschrieben.
Die Bedeutung sexueller Kontakte während der Langzeitbesuche werde unterschiedlich beurteilt. Sexuelle Deprivation könne zu einer Veränderung des Frauenbildes führen. „Erstmals wurde für den Jugendstrafvollzug gezeigt, dass es insbesondere mangelnde Privatsphäre und kurze Dauer sind, die bei regulären Besuchen bedeutungsvolle Interaktionen verhindern. Junge Gefangene haben das Gefühl, dass sie eine Maske tragen und sich während der Besuche verstellen müssen“ (S. 271 f.). Die Untersuchungsergebnisse hätten deutlich belegen können, dass Langzeitbesuche zahlreiche günstige Auswirkungen auf die Inhaftierten haben. Angehörige fühlten sich durch die Inhaftierung vielfach mit bestraft. Manche würden auch positive Aspekte betonen, etwa eine Verbesserung der Beziehung zu dem Täter, größere Nähe und Zusammenhalt (S. 273). Die Forschungsergebnisse gäben auch wichtige Hinweise zur Einstellung von Mitarbeitern gegenüber Langzeitbesuchen.
Zusammenfassend kommt Knop zu dem Ergebnis, dass „Langzeitbesuche im deutschen Jugendstrafvollzug bisher nicht etabliert sind“ (S. 277). Die Untersuchung habe deutlich gemacht, „dass der Langzeitbesuch gegenüber anderen Besuchsformen vielfältige Vorzüge hat und gerade für die spezifischen Herausforderungen, vor denen junge Gefangene stehen, unbedingt zu empfehlen ist“ (S. 278). „Aus der Gesamtschau folgt, dass Langzeitbesuche notwendige Besuchsergänzungen in einem humanen und familienfreundlichen Jugendstrafvollzug darstellen. Die vielen Widersprüche und Probleme, die sich bei der mangelhaften Umsetzung des Langzeitbesuchs in der Realität zeigen, legen jedoch auch immer wieder nahe, über die Sinnhaftigkeit von Jugendgefängnissen nachzudenken“ (S. 281).
Diskussion
Die Arbeit von Knop liefert eine wesentliche und differenzierte Diskussion von Vorteilen und Problemen von Besuchen, Vollzugs-öffnenden Maßnahmen im Rahmen des Jugendstrafvollzugs. Die zeitliche Entwicklung solcher Maßnahmen wird beschrieben, deren kriminologische Bedeutung im Rahmen einer Resozialisierung der Inhaftierten hinsichtlich Vor- und Nachteilen kritisch diskutiert. Theoretische Konzepte zur Entstehung von straffälligem Verhalten werden übersichtlich erörtert. Besonders wird auch auf spezifische Probleme von Inhaftierten mit eigenen Kindern eingegangen. Der wesentliche Stellenwert des sozialen Umfeldes hinsichtlich Entstehung und Prävention von Kriminalität wird hervorgehoben. Kinder von Gefangenen werden in der Regel ausgeblendet, obwohl sie hinsichtlich der weiteren Entwicklung von Straftaten eine wesentliche Rolle spielen. Aufschlussreich ist auch die Diskussion von Langzeitbesuchen im Vergleich zu regulären Besuchskontakten. Deutlich wird auch das Fehlen von entsprechender kriminologischer Forschung. Wichtige Resultate einer Studie zum Langzeitbesuch im Jugendstrafvollzug bekommen dadurch eine weitere Bedeutung. Der Anhang der Arbeit präsentiert den eingesetzten Fragebogen und stellt Gesetzesentwürfe der Bundesländer und des Bundes zum Strafvollzug dar. Deutlich zeigen sich hier auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.
Fazit
Die Arbeit ist am Thema Interessierten zu empfehlen, kann vor allem auch wesentliche Hinweise zur effektiveren Gestaltung des Jugendstrafvollzugs geben.
Rezension von
Prof. Dr. Helmut Kury
Universität Freiburg, Max Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht (pens.)
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Zitiervorschlag
Helmut Kury. Rezension vom 27.10.2023 zu:
Julian Knop: "Ein bisschen wie zuhause". Langzeitbesuche als Maßnahme zur erweiterten Einbindung von Außenkontakten im Jugendstrafvollzug. Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2021.
ISBN 978-3-428-18315-9.
Reihe: Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen - 26.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28947.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.
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