Franziska Albers: Autismus-Spektrum-Störungen in der Grundschule
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 19.05.2022

Franziska Albers: Autismus-Spektrum-Störungen in der Grundschule. Praktische Hilfen für den Schulalltag. AOL Verlag AAP Lehrerwelt GmbH (Hamburg) 2021. 84 Seiten. ISBN 978-3-403-10637-1. D: 15,95 EUR, A: 15,95 EUR, CH: 17,50 sFr.
Thema
Der Schüler Paul erhält eine Autismus Diagnose – nun stellt sich in Schule die Frage, wie Paul am besten bei der Bewältigung des Schulalltags unterstützt werden kann. Dieser Ratgeber stellt Hintergründe der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung vor und zeigt anhand von konkreten Beispielen, wie mit verschiedenen Strukturierungshilfen der Schulalltag für autistische Kinder in der Grundschule barrierefreier gestaltet werden kann.
Autorin
Franziska Albers ist als Bildungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt „Frühe Hilfen“ in der Schulsozialarbeit tätig.
Entstehungshintergrund
Franziska Albers hat ein weiteres Buch (als e-Book) zum Thema Autismus-Spektrum-Störung in der Sekundarstufe 5 bis 10. Klasse herausgegeben.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist im DIN A 5 Format erschienen und hat einen Umfang von 84 Seiten, die sich neben dem Vorwort in drei ausführliche Kapitel und drei Listen (Kapitel 4 bis 6) zusammensetzen: eine Seite mit Tipps und Ideen für den Unterricht (Kapitel 4), eine Linkliste für länderspezifische Informationen (Kapitel 5) und eine Literaturliste mit Printquellen, Internetquellen und Bildnachweisen (Kapitel 6).
Am linken oberen Rand findet sich die Kapitelüberschrift, am rechten oberen Rand die Überschrift des jeweiligen Abschnitts. Zahlreiche Bilder, 22 Abbildungen und Tabellen zeigen praktische Anwendungsmöglichkeiten. Die Ausführungen werden jeweils an Fallbeispielen konkretisiert, es finden sich sechs Fallvignetten. Ergänzend kann digitales Zusatzmaterial heruntergeladen werden.
Das erste Kapitel definiert die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) im Allgemeinen und sie wird am Beispiel von Max spezifiziert. Auf Seite 16 wird eine Checkliste zur Vorbereitung eines Elterngesprächs vorgestellt. Neben der Geschichte des Erscheinungsbild Autismus (Kanner/​Asperger) finden sich zudem Diagnosekriterien und Erklärungen zum Overload, Meltdown und Shutdown, mögliche Reaktionen aufgrund einer erhöhten Reizempfindlichkeit.
Das zweite Kapitel Schüler aus dem Autismus Spektrum im Grundschulalltag beginnt mit einzelnen Schritten bei der Aufnahme von Schüler:innen aus dem Autismus Spektrum. Daran schließt sich das Beispiel von Jonte an. Ein erster Schritt liegt darin, den individuellen Unterstützungsbedarf herauszuarbeiten, wichtig ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit zum Nachteilsausgleich zu kennen. Bei der Förderplanung geht es auch immer um die Beseitigung oder Minimierung der identifizierten Barrieren beispielsweise in der Kommunikation. Konkretisiert wird dies am Beispiel von Shirin, die ein sog. Ich-Buch verwendet, um sich vorzustellen. Zum Abschluss des Kapitels wird kurz die Rolle und die Aufgaben von Schulbegleitung/​Schulhelfern/​Teilhabeassistenz oder Integrationsfachkraft besprochen.
Von der Gestaltung des Schulalltages handelt das dritte Kapitel. Es beginnt mit der Anpassung an den Ablauf des Schulalltages (Albers nennt vier Programme wie TEACCH, PECS, Gebärdensprache und Metatalk) und Anpassungen an die Didaktik. Lehrerinnen und Lehrer müssen nicht alles kennen, es ist hilfreich, Expertinnen und Experten hinzuzuziehen. Ein Exkurs thematisiert das Vorliegen eines inhomogenen Leistungsprofils, konkretisiert durch eine Tabelle (S. 47), die die Stärken und Schwächen analysiert.
Als praxiserprobte erfolgreiche Strategie hat sich die Strukturierung des Schulalltages bewährt. Erläutert werden die zeitliche Strukturierung, die räumliche Strukturierung, die Strukturierung von Handlungsabläufen sowie die Gestaltung der Arbeitsmaterialien, die sich aus der TEACCH®-Philosophie ableiten.
Was es zudem braucht ist die Anpassungen in der Kommunikation und die Strukturierung von Pausen, dieses Vorgehen wird am Beispiel von Paul beschrieben. Das Kapitel endet mit Hinweisen zum Sportunterricht, zu Partner- oder Gruppenarbeiten sowie zu anderen sozialen Situationen, die am Beispiel von Ensar konkretisiert werden.
Diskussion
Im Buch wird immer noch der Begriff der Autismus Spektrum-„Störung“ verwendet. Zugegeben, die medizinische Bezeichnung dieser Diagnose ist richtig, dennoch ist sie für den pädagogischen Alltag verzichtbar. Grundsätzlich ist an dieser Stelle auch zu fragen, ob es im Zeitalter der Inklusion überhaupt noch zeitgemäß ist, den Begriff der „Störung“ zu verwenden, gerade im pädagogischen Kontext wäre der Begriff „Disposition“ angebrachter.
Hilfreich ist der Hinweis auf die Reaktionsweisen Overload, Meltdown und Shutdown, diese Verhaltensweisen können aufgrund einer erhöhten Reizempfindlichkeit auftreten. Es ist wichtig, sie zu erkennen und zu wissen, wie die überfordernden Situationen vermieden werden können.
Lehrkräfte berichten mir nach meinen Fall-Beratungen immer wieder, wie hilfreich erarbeitete Strategien für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse sind, nicht nur für die vermeintlich „behinderten“. Das wesentliche Prinzip inklusiver Pädagogik ist die Wertschätzung und Anerkennung von Diversität.
Das Buch hält eine Fülle von Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Unterrichts bereit, was sich in den zahlreichen Abbildungen und Bildern zeigt, die dazu anregen, die Praxis entsprechend zu gestalten. Sie lehnen sich an die TEACCH®Philosophie an, in deren Mittelpunkt die Anpassung der Umwelt steht, hier liegen auch in Schule viele Möglichkeiten oft noch ungenutzt brach. Wenn es gelingt, diese zu entdecken, dann profitieren alle im System.
Aktuell vollzieht sich ein Paradigmenwechsel durch die ICF, also die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“, diese Klassifikation befördert ein ressourcenorientiertes biopsychosoziales Verständnis. Einen großen Einfluss hat die Umwelt, durch die ein Mensch im Alltag „behindert wird“, also Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe erlebt. Diese Perspektive hilft den Schulalltag dahingehend zu reflektieren, welche unterstützenden Wirkfaktoren es gibt, nicht nur für Kinder mit autistischer Disposition.
Fazit
Der Schüler Paul erhält eine Autismus Diagnose – nun stellt sich in Schule die Frage, wie Paul am besten bei der Bewältigung des Schulalltags unterstützt werden kann. Dieser Ratgeber stellt Hintergründe der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung vor und zeigt anhand von konkreten Beispielen, wie mit verschiedenen Strukturierungshilfen der Schulalltag für autistische Kinder in der Grundschule barrierefreier gestaltet werden kann. Durch zahlreiche Beispiele und Tipps können Missverständnisse und Konflikte innerhalb der Lerngruppe vermieden werden, sodass eine gelungene Teilhabe gelingen kann. Das Büchlein ist eine praktische Hilfe für den Schulalltag der Grundschule der Klassen 1 bis 4.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 19.05.2022 zu:
Franziska Albers: Autismus-Spektrum-Störungen in der Grundschule. Praktische Hilfen für den Schulalltag. AOL Verlag AAP Lehrerwelt GmbH
(Hamburg) 2021.
ISBN 978-3-403-10637-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28961.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
Urheberrecht
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