Hajo Seng: Autistisches Erleben
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 01.02.2022
Hajo Seng: Autistisches Erleben. Eine Annäherung aus lebensweltlicher Perspektive.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2021.
258 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3045-0.
D: 32,90 EUR,
A: 33,90 EUR.
Reihe: Forschung Psychosozial.
Thema
Nicht in-der-Welt-Sein, stigmatisiert und ausgeschlossen sein durch die eigene Art – so fühlen sich autistische Menschen. Häufig erleben sie Verständnisschwierigkeiten mit nicht-autistischen, selten mit anderen autistischen Menschen. Der eigene Autismus wird im Wesentlichen als eine andere Form des Denkens und Wahrnehmens erlebt, die nur dadurch zum Problem wird, dass sie in der Minderheit sind.
Der Autor Hajo Seng stellt das Denken und Wahrnehmen in den Fokus seiner Dissertation und untersucht, wie autistische Menschen ihr Autistisch-Sein erleben. Basis dafür ist einerseits eine qualitative Studie und andererseits fließen auch die Erfahrungen, die der Autor selbst als Autist gemacht hat, ein. Damit erweitert er das Forschungsfeld um systematische lebensweltliche Betrachtungen zum Thema Autismus und zeigt Wege auf, diese Perspektive mit aktuellen Forschungen der Neurobiologie und Neuropsychologie zu Autismus zusammenzubringen.
Autor
1994 erhielt Hajo Seng, geb. 1963 die Diagnose Autismus. Damit wurde sein Autistisch-Sein zum zentralen Aspekt seines Lebens. Eine Dokumentation über Temple Grandin (1999) veränderte sein Blick auf die Diagnose. 2002 nahm er in Berlin an einer autistischen Selbsthilfegruppe teil und ein Jahr später gründete er eine Selbsthilfegruppe in Hamburg, zudem gründete er mit anderen Aspies e.V und begann 2008 das autWorker Projekt, in dem auf den Autismus bezogene Bausteine erarbeitet wurden, um mehr zum Thema Autismus zu verstehen. 2012 -2019 arbeitete er an seiner Dissertation „Annäherung an ein autistisches Erleben“, die er selbst als „eine Collage“ bezeichnet.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist im DIN-A5-Softcover-Format erschienen und hat einen Umfang von 258 Seiten, die sich in sieben Kapiteln und zahlreichen Unterkapiteln gliedern, die nicht durchnummeriert sind. Auf dem linken oberen Seitenrand findet sich der Name des jeweiligen Kapitels und auf dem rechten oberen Rand der Titel des jeweiligen Unterkapitels. O-Töne von autistischen Menschen sind vom Fließtext eingerückt gedruckt.
Das erste Kapitel mit dem Titel Forschen und teilhaben beginnt mit der Kritik von Selbstvertretungsorganisationen, die darauf aufmerksam machen, dass Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben, in der Forschung nicht als Expert*innen in eigener Sache beteiligt sind und damit die Forschung an den Bedarfen autistischer Menschen „vorbeiforscht“ (S. 35). Es gibt unterschiedliche Arten des Forschens z.B. schreiben Autistinnen und Autisten Bücher, der Autor bezeichnet diese Art der Forschung als „wildes“ Forschen und stellt diese Form dem disziplinierten Denken und Forschen gegenüber. Seng fordert einen Perspektivwechsel, dahingehend, dass die Fragen autistischer Menschen beantwortet werden, sodass sie ihr Anderssein verstehen und produktiv in ihr Leben integrieren können. Der Autor begründete 2005 den Selbstvertretungsverein Aspies e.V. und gestaltete damit die Entstehung einer autistischen Community in Deutschland mit. In diesen Communities trat ein entscheidender Unterschied zu gängigen Vorstellung von Autismus zutage. Die Menschen empfanden sich viel weniger behindert, sondern als „systematisch ausgeschlossen, exkludiert und diskriminiert“ (S. 24). Im Rahmen von Workshops, die 2009 starteten, entstand das Forschungsfeld „Autistische Fähigkeiten“, in dem autistische Menschen neue Aspekte ihres Autistisch-seins kennenlernen können. Anfänglich gab es eine Struktur zur Durchführung und zu Inhalten der Workshops, diese öffneten sich zunehmend, um auf Vorerwartungen zu verzichten. Das Kapitel schließt mit Erläuterungen zum Forschungsdesign und zur Gliederung ab.
Neben der wissenschaftlichen Forschung über Autismus gibt es biografische Veröffentlichungen, das sind zwei unterschiedliche Perspektiven in der Autismusforschung, die in umfassender und systematischer Form dargelegt werden. Die „Innensicht“ und „Außensicht“ wird in Bezug auf die Gemeinsamkeiten beider Perspektiven betrachtet. Der Autor benennt sieben Merkmale des Autismus, die Charakteristiken darstellen (Quelle ASAN 2009, Theunissen 2014), diese werden mit den acht typischen Charakteristika des Autismus Experten Tebartz von Elst verglichen (S. 54). Das Besondere an den Charakteristiken ist, dass sie -anders als Diagnosekriterien in psychologischen Manualen- nicht nur eine Außenperspektive in den Fokus nehmen. Die Autismusforschung ist vielschichtig und sie steckt nach Aussage des Autors in einer Sackgasse (S. 64), das zeigt sich an der Fülle von teils widersprüchlichen Befunden. Zudem werden durch die Forschung kaum Ergebnisse produziert, die für die autistischen Menschen und deren Angehörigen relevant sind.
Der Autor postuliert, dass eine Betrachtung des Phänomens Autismus auf einer neuropsychologischen Grundlage den Vorteil bringt, dass sie auch nicht defizitäre Sichtweisen zulässt. Autismus ist keine Krankheit oder Störung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Schon 1997 hat Tony Attwood vertreten, dass Autismus eine Normvariante des Menschseins ist, daraus folgt, dass autistische Menschen weniger einer Therapie bedürfen, sondern eine integrierende Haltung ihrer Umwelt benötigen. Zu diesem Aspekt der Betrachtung gibt es auch Veröffentlichungen von Feuser, Baron-Cohen oder Silverman (S. 70ff). Als eine der ersten Forschende in eigener Sache wird an dieser Stelle auch Temple Grandin genannt, die sich schon mit diesem Tenor 1983 zum Thema Autismus äußerte. Bedauerlicherweise hat sich bis heute die partizipatorische Forschung wie sie z.B. von dem britischen Soziologen Damian Milton gefordert wird, nicht ausreichend durchgesetzt.
Hajo Seng beginnt seine nicht repräsentative Felduntersuchung zum autistischen Anderssein mit der Analyse von sechs Interviews im Rahmen einer Freizeitveranstaltung von autistischen Menschen für autistische Menschen. Fragestellung und Ziel der Interviews war herauszuarbeiten, was das Spezifisch Autistische ist. Die Interviews wurden anhand eines Leitfadens mit sechs Fragenbereichen geführt. Bei der Analyse der Ergebnisse kristallisierten sich zwei zentrale Themenfelder heraus: “Anderssein“ und „Innen- und Außenperspektiven“ vor allem in Bezug auf die Bereiche „Verstehen und Verstanden werden“ und „Sprechen“.
„Autistisch sein ist aus autistischer Sicht ein Anderssein, das schwer zu verstehen und noch schwieriger zu vermitteln ist. Es zeigt sich als subtil und tiefgreifend zugleich, als ein Unterschied, der so wenig offenkundig ist, das er erklärt werden muss, zugleich aber auch so tiefgreifend, dass im Hinblick auf Verstehen und Verstandenwerden, die Welt in zwei Teile aufgeteilt zu sein scheint: einen nichtautistischen und einen autistischen…Die Interviewten erfahren ihren Autismus eher als Diskriminierung denn als Behinderung.“(S. 107)
Grundlage der vorliegenden Arbeit sind auch Erfahrungen aus den Workshops „Autistische Fähigkeiten“, die 2009 durch die autWorker eG starteten. Seit 2016 bietet der Autor „Fähigkeits-Workshops“ auch in Berufsbildungsbereichen und bei Weiterbildungsträgern an. Er und andere Autist:innen geben ihre Erfahrungen in Vorträgen und Fortbildungen weiter. Neben dem Bericht über die vielfältigen Erfahrungen folgen Ausführungen zur Entwicklung der Workshops und deren inhaltliche Ausgestaltung (Kapitel über Autistisches Erleben).
Der Autor ist eng mit dem Forschungsfeld verflochten und im Abschnitt Annäherung an die eigene Biografie gibt er seine eigenen Erfahrungen und die aus den Workshops in Vorträgen wieder. In seinem Vortrag „über die Struktur meines Autismus“ arbeitet er vier Aspekte autistischen Erlebens „Kleidung“, „Körper“, „andere Menschen“ und „Zeichen und Formeln“ heraus. Weiter beschreibt er bspw. Aspekte des „Anderssein“, „Verstehen“, „das autistische Selbst“ sowie „Stärken und Fähigkeiten“. Sein Vortrag endet mit einer Tabelle, die seinen Lebenslauf von 1969-2009 beschreibt, sie beginnt mit der Schulzeit (Grundschule, Gymnasium), mit Studienversuchen und tiefen Einschnitten (Depression). Die Tabelle zeigt sehr deutlich, wie lange es gedauert hat, bis der Autor sein mathematisches Interesse zu einem Beruf gemacht hat: 2009 begann seine Arbeit bei autWorker und in einer Bibliothek. Der Autor reflektiert diese Lebenserfahrungen inkl. der Rückschläge als weitere Stärke mit weiteren Potenzialen.
„Was ist Autismus?“ in diesem Abschnitt nutzt der Autor den sog „button-of“ Ansatz und es entsteht eine Collage, „ein Bild, das vor allen Dingen das Erleben autistischer Menschen sichtbar macht, auf eine Weise, das sie sich darin wieder erkennen.“ (S. 14). Diese Collage besteht aus mehreren Teilen wie das „Anderssein“, das „Verstehen und Verstanden werden“, das „anders denken“ oder „getrenntes Denken“ sowie „autistische Denkstile“ und hat zum Ziel, vom Erleben zum Verständnis zu gelangen. Autismus betrifft zentrale Aspekte des menschlichen Seins (Sprache, Wahrnehmung, Denken), die so umfangreich sind, dass es an dieser Stelle nicht gelingen kann, sie komplett zu betrachten. Seng wählt Einzelteile der Collage wie z.B. die Betrachtung von Autismus im sozialen Kontext (und dabei das Anderssein, das Fremdsein, das Ausgeschlossensein), bei einer weiteren Betrachtung nimmt er die Psyche autistischer Menschen in den Blick (Denken und Sprache sowie Bewusstsein und Persönlichkeit), dazu gehört für ihn auch die neurobiologische Annäherung. Am Ende des Kapitels stellt er die Frage, ob es gelingen kann, von der Collage zum Bild zu kommen, wohl wissend, dass eine Collage nie fertig ist, weil immer wieder neue Aspekte hinzukommen können. Seng resümiert: wenn es ein Bild ergibt, dann hat dieses mehrere Schichten (Zusammenfassung dazu auf Seite 241-246). Das Buch schließt mit dem Abschnitt über „Autismusforschung von innen“ und Gedanken zu Selbsterkenntnis und Empowerment.
Diskussion
Der Autor wählte den „button-of“ Ansatz, durch den eine Collage entsteht, „ein Bild, das vor allen Dingen das Erleben autistischer Menschen sichtbar macht, auf eine Weise, das sie sich darin wieder erkennen.“ (S. 14). Am Ende des Buches zieht Seng das Resümee, dass es kein vollständiges Bild geben kann, da es stets Weiterentwicklungen gibt. Wenn man von einem Bild sprechen möchte, dann eines mit vielen verschiedenen Schichten.
Den Mittelpunkt des Buches bildet eine Feldstudie aus sechs Interviews. Diese ergeben folgendes Bild: “Autistisch sein ist aus autistischer Sicht ein Anderssein, das schwer zu verstehen und noch schwieriger zu vermitteln ist. Es zeigt sich als subtil und tiefgreifend zugleich, als ein Unterschied, der so wenig offenkundig ist, das er erklärt werden muss, zugleich aber auch so tiefgreifend, dass im Hinblick auf Verstehen und Verstandenwerden, die Welt in zwei Teile aufgeteilt zu sein scheint: einen nichtautistischen und einen autistischen…Die Interviewten erfahren ihren Autismus eher als Diskriminierung denn als Behinderung“(S. 107). Diese Beschreibung, die auch von anderen Menschen aus dem Autismus Spektrum erlebt wird, zeigt auf, dass es höchste Zeit wird, diese Formen der Diskriminierung zu beenden - hier ist die Gesellschaft als Ganzes gefragt.
Erst mit 31 Jahren erhält Hajo Seng seine Diagnose und damit bekommt das, was er bis dahin erlebt hat, einen Namen. Im Abschnitt Annäherung an die eigene Biografie beschreibt er seinen Weg und arbeitet im Vortrag „über die Struktur meines Autismus“ vier Aspekte autistischen Erlebens heraus: „Kleidung“, „Körper“, „andere Menschen“ und „Zeichen und Formeln“. Weiter beschreibt er das Erleben des „Anderssein“, „Verstehen“, „das autistische Selbst“, „Verstehen und verstanden“ sowie „Stärken und Fähigkeiten“. Er macht sehr deutlich: Was in der Diagnose mit einem Terminus bezeichnet wird ist in der Realität sehr vielschichtig und nicht trivial zu verstehen.
In Tabellenform zeigt er seinen Lebenslauf in der Spanne von 1969-2009 auf, er beginnt mit der Schulzeit (Grundschule, Gymnasium), mit Studienversuchen und tiefen Einschnitten (Depression). Die Tabelle zeigt sehr deutlich, wie lange es gedauert hat, bis der Autor sein mathematisches Interesse zu einem Beruf gemacht hat: 2009 begann seine Arbeit bei autWorker und in einer Bibliothek. Der Autor reflektiert seine Lebenserfahrungen inkl. der Rückschläge und ordnet diese als weitere Stärke mit weiteren Potenzialen ein.
Menschen, die aufgrund der eigenen Art stigmatisiert und ausgeschlossen werden, die in einer Welt leben, in der Unverständnis herrscht, erleiden permanenten Stress. Nicht selten erkranken Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben, an Depressionen, so auch der Autor. Dies zu thematisieren ist wichtig, denn es zeigt anderen, dass die Lebensbedingungen einen maßgeblichen Anteil an der Erkrankung haben. Menschen sind soziale Wesen, wollen zugehörig sein. Systeme, die stigmatisieren und diskriminieren sind nicht förderlich.
Hajo Seng hat die autWorker gegründet und deren Arbeit maßgeblich mitbestimmt. Sein Name steht für den Paradigmenwechsel, weg von der Defizitorientierung in Bezug auf das Erscheinungsbild „Autismus“ hin zu der Erkenntnis, dass es sich a) um eine Normvariante des Menschseins handelt und b) hin zu der Erkenntnis, dass es autistische Fähigkeiten gibt, die bewusst gemacht werden müssen.
Das Buch beginnt nicht am Anfang mit der Frage, was Autismus ist, sondern es endet mit der Frage „Was ist Autismus?“. Wie bei einer Collage ist „ein Bild, das vor allen Dingen das Erleben autistischer Menschen sichtbar macht, auf eine Weise, das sie sich darin wieder erkennen.“ (S. 14) entstanden. Diese Collage besteht aus mehreren Teilen wie das „Anderssein“, das „Verstehen und Verstanden werden“ oder das „anders denken“ oder „getrenntes Denken“ sowie „autistische Denkstile“ und hat zum Ziel, vom Erleben zum Verständnis zu gelangen.
Autismus betrifft zentrale Aspekte des menschlichen Seins (Sprache, Wahrnehmung, Denken), die so umfangreich sind, dass es an dieser Stelle nicht gelingen kann, sie komplett zu betrachten. Seng wählt Einzelteile der Collage wie z.B. die Betrachtung von Autismus im sozialen Kontext (und dabei das Anderssein, das Fremdsein, das Ausgeschlossensein), eine weitere Betrachtungen nimmt die Psyche autistischer Menschen in den Blick (Denken und Sprache sowie Bewusstsein und Persönlichkeit), dazu gehört für ihn auch eine neurobiologische Annäherung.
Am Ende dieses Kapitels stellt der Autor die Frage, ob es gelingen kann, von der Collage zum Bild zu kommen, wohl wissend, dass eine Collage nie fertig ist, weil immer wieder neue Aspekte hinzukommen können. Seng resümiert: wenn es ein Bild ergibt, dann hat dieses mehrere Schichten, die zusammenfassend auf den Seiten 241-246 nachzulesen sind. Das Buch schließt mit dem Abschnitt über „Autismusforschung von innen“ und Gedanken zu Selbsterkenntnis und Empowerment. Die Gründung von autWorker im Jahr 2008 war für den Autor dem Beginn seines politischen Engagements. Mittlerweile sind Erkenntnisse, die auch in den Workshops“ Autistische Fähigkeiten“ herausgearbeitet wurden nicht mehr „Fantastereien“, sondern sie sind mittlerweile im „autistischen Mainstream“ angekommen (S. 249). Autistisches Empowerment definiert Seng als Hinterfragen bestehender Autismusbilder, sich selbst als autistischen Menschen zu reflektieren und als solcher nach außen sichtbar zu sein, so kann auch anderen der Weg bereitet werden.
Die Metapher mit der Collage ist sehr treffen und beschreibt die Vielschichtigkeit des Erscheinungsbild Autismus. Ich erlebe es immer wieder als Bereicherung, auf Veröffentlichungen von Menschen wie Hajo Seng oder Temple Grandin Zugriff zu haben, denn lange Zeit war -wie auch Seng schreibt- das Phänomen einseitig von Außenansichten bestimmt, die meist zudem noch defizitär pointiert sind, die die Normabweichungen in den Vordergrund stellen, statt zu erkennen, dass es Normvarianten des Menschseins (Attwood) sind.
Fazit
Nicht in-der-Welt-Sein, stigmatisiert und ausgeschlossen sein durch die eigene Art – so fühlen sich autistische Menschen. Häufig erleben sie Verständnisschwierigkeiten mit nicht-autistischen, selten mit anderen autistischen Menschen. Der eigene Autismus wird im Wesentlichen als eine andere Form des Denkens und Wahrnehmens erlebt, die nur dadurch zum Problem wird, dass sie in der Minderheit sind.
Der Autor Hajo Seng stellt das Denken und Wahrnehmen in den Fokus seiner Dissertation und untersucht, wie autistische Menschen ihr Autistisch-Sein erleben. Basis dafür ist einerseits eine qualitative Studie und andererseits fließen auch eigene Erfahrungen ein. Damit erweitert er das Forschungsfeld um systematische lebensweltliche Betrachtungen zum Thema Autismus und zeigt Wege auf, diese Perspektive mit aktuellen Forschungen der Neurobiologie und Neuropsychologie zu Autismus zusammenzubringen. Eine Forschungsarbeit, die auch persönliche Berichte enthält. Das Phänomen Autismus wird auf vielschichtige Weise dargestellt und erweitert das Wissen darüber.
Schon 1997 hat Tony Attwood vertreten, dass Autismus eine Normvariante des Menschseins ist, daraus folgt, dass autistische Menschen weniger einer Therapie, sondern eine integrierende Haltung ihrer Umwelt benötigen. Zu diesem Aspekt der Betrachtung gibt es auch Veröffentlichungen von Feuser, Baron-Cohen oder Silverman (S. 70ff). Als eine der ersten Forschende in eigener Sache ist an dieser Stelle auch Temple Grandin zu nennen, die sich schon mit diesem Tenor 1983 zum Thema Autismus äußerte. Bedauerlicherweise hat sich bis heute die partizipatorische Forschung wie sie z.B. von dem britischen Soziologen Damian Milton gefordert wird, nicht ausreichend durchgesetzt.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Es gibt 311 Rezensionen von Petra Steinborn.
Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 01.02.2022 zu:
Hajo Seng: Autistisches Erleben. Eine Annäherung aus lebensweltlicher Perspektive. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2021.
ISBN 978-3-8379-3045-0.
Reihe: Forschung Psychosozial.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28962.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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