Martin Scherer, Josef Berghold et al. (Hrsg.): Klimakrise und Gesundheit
Rezensiert von Lea Dohm, 05.01.2022
Martin Scherer, Josef Berghold, Helmwart Hierdeis (Hrsg.): Klimakrise und Gesundheit. Zu den Risiken einer menschengemachten Dynamik für Leib und Seele. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2021. 213 Seiten. ISBN 978-3-525-40771-4. D: 30,00 EUR, A: 31,00 EUR.
Thema
Die Titelwahl „Klimakrise und Gesundheit“ beschreibt zugleich das Themenfeld, in das die Publikation des Mediziners Martin Scherer, des Sozialpsychologen Josef Berghold und des Psychoanalytikers Helmwart Hierdeis eingeordnet werden kann. Die Herausgeber leisten hier einen Beitrag zu einem (fälschlicherweise) noch recht jungen, hochwichtigen Aufgabenbereich der Gesundheitswissenschaften: Der Prävention, dem Verständnis und der Bewältigung der menschengemachten Klimakrise.
Autor:innen
Entstehungshintergrund
Die Erderhitzung schreitet weiterhin scheinbar unaufhaltsam voran, die Herausforderung einer großen gesellschaftlichen Transformation unter starkem Zeitdruck wird mehr und mehr Menschen bewusst. In diesem Zusammenhang ist es nur logisch, die Implikationen der Krise für sämtliche Lebensbereiche in den Blick zu nehmen und in dieser Form Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Auswirkungen der Klimakrise für die psychische und körperliche Gesundheit können deutlich kommuniziert werden – an dieser Stelle hinkt der deutsche Sprachraum dem englischen noch hinterher. Das vorliegende Buch trägt dazu bei, diese Leerstelle zu füllen.
Aufbau und Inhalt
In zehn Kapiteln stellen zwölf Autor*innen ihre Herangehensweisen an die Problematik dar. Es starten Irena Kaspar-Ott und Elke Hertig mit einem naturwissenschaftlichen Überblick und den konkreten Auswirkungen der Klimakrise in Deutschland – gefolgt von Alina Herrmann, die zu erwartende körperliche Folgeschäden, aber auch die hohen Emissionen des Gesundheitssektors selbst problematisiert.
Acht weitere Kapitel stellen in der Folge vorwiegend (sozial)psychologisch, psychoanalytisch und philosophische Annäherungen vor: Zunächst bieten der Arzt Michael Schonnebeck und Verhaltenstherapeut Fabian Chmielewski den Lesenden in ihren Kapiteln einen Überblick über individuelles und kollektives Verhalten in Großkrisen und Grenzsituationen. Wie eine von Konsum geprägte gesellschaftliche Mentalität sich auf unsere Psyche auswirkt und u.a. unsere menschliche Verbundenheit mit der Natur aus unserer Wahrnehmung auszuschließen droht, stellt die international vernetzte Psychoanalytikerin Delaram Habibi Kohlen dar. Auch der Arzt und Psychoanalytiker Christoph Nikendei beschreibt in seinem Beitrag die „Natur des Menschen“ in der Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Im sechsten Kapitel bemüht sich Hans-Geert Metzger um eine psychoanalytische Annäherung an einen Generationenkonflikt.
Psychologe Felix Peter und seine Kollegin Dagmar Petermann, zugleich Physikerin, bieten in Kapitel acht einen umfassenden Überblick über die komplexen Herausforderungen der Klimakrise für Kinder und Jugendliche. Im Essay-Stil berichtet dann der Psychotherapeut Volker Harbeck von Vertrauensräumen für Klimaengagierte. Abgeschlossen wird das Buch mit einer Darstellung von Mitherausgeber Josef Berghold unserer „perversen Kultur“, die sich durch fehlendes öffentliches Bewusstsein der Klimakrise auszeichne.
Diskussion
Inhaltlich bietet das Buch also einen breiten Blick auf vor allem die psychischen Problemfelder und Herausforderungen in Zeiten der Klimakrise. Um die Lesenden in die gebotene Brisanz unser aller gemeinsamen Krise einzustimmen, stellen die ersten beiden Kapitel eine gelungene, sachliche und gut verständliche Einführung in das Thema dar. Die folgenden, vorwiegend psychologisch orientierten Kapitel vermögen in ihrer Gesamtheit einen Eindruck zu vermitteln, wie komplex und zugleich dringend das Themenfeld sich psychologischen und psychoanalytischen Fachgruppen als Herausforderung darstellt.
Beim Lesen stechen einzelne Kapitel in ihrer Bedeutung und Qualität in verschiedener Hinsicht hervor. Als besonders hilfreich und bereichernd erscheint zum Beispiel die überblicksartige, gut recherchierte Arbeit zur besonderen Problemstellung bei Kindern und Jugendlichen. Sie verknüpft epidemiologische Fragestellungen mit Erkenntnissen zur Krankheitsbelastung dieser besonders vulnerablen Gruppe, schließt eine Lebenslaufperspektive mit ihren Entwicklungsphasen ein und bietet letztlich auch Möglichkeiten zum Weiterdenken und -handeln für interessierte Kolleg*innen unter Gesichtspunkten der Resilienz. Nach der Lektüre entsteht der Eindruck, einen fundierten ersten Überblick über dieses ansonsten hierzulande noch vernachlässigte Thema gewonnen zu haben.
Weniger hilfreich präsentiert sich hingegen das Kapitel zu einem Generationenkonflikt zwischen der Generation von Jugendlichen und ihren Eltern. Hier irritieren transfeindlich anmutende Aussagen des Autors, das „Verzichtsnarrativ“ wird ohne weitere Einordnung bedient, und ein Zusammenhang der angerissenen Themen mit der Klimakrise scheint abschnittsweise kaum noch ersichtlich.
Fazit
„Klimakrise und Gesundheit“ bietet interessierten Lesenden vielfältige, vor allem psychologisch-psychoanalytisch geprägte Ausschnitte zur inneren Verarbeitung und zum (Nicht-)Handeln der Menschen in der Klimakrise. Das Buch bietet auf diese Weise wichtige Aspekte der Problembeschreibung. In einem Folgeband könnten nun konstruktive Beispiele der psychischen Verarbeitung gemeinsam mit Handlungsmöglichkeiten dargestellt werden, um es den Lesenden zu ermöglichen, aus der verstehenden in die handelnde Krisenbewältigung zu gelangen.
Rezension von
Lea Dohm
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Zitiervorschlag
Lea Dohm. Rezension vom 05.01.2022 zu:
Martin Scherer, Josef Berghold, Helmwart Hierdeis (Hrsg.): Klimakrise und Gesundheit. Zu den Risiken einer menschengemachten Dynamik für Leib und Seele. Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2021.
ISBN 978-3-525-40771-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28965.php, Datum des Zugriffs 04.10.2024.
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