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Gudrun Perko: Social Justice und Radical Diversity

Rezensiert von Dr. Franziska Baumbach, 04.10.2022

Cover Gudrun Perko: Social Justice und Radical Diversity ISBN 978-3-7799-5645-7

Gudrun Perko: Social Justice und Radical Diversity. Veränderungs- und Handlungsstrategien. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020. 103 Seiten. ISBN 978-3-7799-5645-7.

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Thema

Das Buch gestaltet das u.a. von der Autorin entwickelte Konzept von „Social Justice and Radical Diversity“ entlang der Diskussion grundlegender Begrifflichkeiten als konkrete Utopie.

Autorin

Gudrun Perko ist Professorin für Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Gender, Diversity und Mediation an der Fachhochschule Potsdam. Sie ist Mitbegründerin des Instituts „Social Justice und Diversity“.

Entstehungshintergrund

Gudrun Perko bespricht in ihrem Buch einige Veränderungs- und Handlungsstrategien des Konzepts der Radical Diversity auf philosphisch-essayistische und gesellschaftskritische Weise (11). Das Konzept selbst hat sie im „Praxishandbuch Social Justice und Diversity“ gemeinsam mit Leah Carola Czollek, Corinne Kaszner und Max Czollek dargelegt (in einer vollständig überarbeiteten Neuauflage 2019 veröffentlicht).

Aufbau und Inhalt

Jeder Essay des Bändchens widmet sich einem zu Beginn des Kapitels zitierten Konzept aus dem Praxishandbuch. Zwischen den Kapiteln befinden sich Gedichte von Leah Czollek. Im Vorwort stellt die Autorin das Konzept der Radical Diversity als „konkrete Utopie, in der Social Justice (als Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit) gesellschaftlich realisiert wäre“ und „kritische Praxis“, die die Veränderung hin zum „Mainstream der radikalen Verschiedenheit und Vielfalt von Menschen“ (11) zum Ziel hat, vor.

Der erste Essay „Wir reisen gerne“ erläutert das „Verbündet-Sein“ als „politische Freundschaft“ (17) mit Menschen, die Diskriminierung erleben und die „Positionierung in der Nicht-Positionierung“ als bewusste Verweigerung, sich nur entlang der eigenen identitätslogischen Zuordnung gegen Diskriminierung zu wenden. Darüber hinaus schlägt die Autorin die bewusste Irritation als politische Strategie vor – Menschen mit Privilegien ordnen sich marginalisierten Identitäten zu, um politisch zu provozieren.

In Kapitel zwei beklagt Perko die „Sagbarkeitserweiterung“ und die „Verrohung der Sprache“ (27) der letzten Jahre, und wirbt im Anschluss dafür, dem nicht-diskriminierende Sprache als Veränderungsstrategie (25) entgegenzusetzen, weil „Schönheit und Vielfalt der Sprache gerade darin bestünden, dass wir sie gestalten und dass Sprache Ausdruck menschlichen Denkens ist“ (31).

Ausgehend vom Begriff der Desintegration spricht der dritte Essay über die öffentliche Verarbeitung von Antisemitismus, die auf der unpolitischen Ebene der Empörung (44f) verbleibt, die „im Stillstand verharrt: Ich empöre mich, ich handle nicht“ (45).

Das vierte Kapitel bezieht die Veränderungsstrategie Pluralisierung (die „(Selbst-)Entwürfe in ihrer Vielfalt zeigt“ (49)) auf den Diskurs zur Heimat: „Wir pluralisieren gegen jedes identitätslogische und identitätspolitsiche „Wir“ und blicken auf eine längst schon plurale Gesellschaft, für die mit anderen Konnotationen der Heimatbegriff verwendet oder auch nicht verwendet werden kann“ (59).

In „5. Zeit zum kollektiven Handlen. Bündnisse“ wird nach den „Bedingungen und möglichen Verhinderungen von Bündnissen“ (64) gefragt. An Hand des Beispiels Antisemitismus in sozialen Bewegungen wird vor Augen geführt, wo Bündnisse verunmöglicht werden: Wenn ihnen ein identitätslogisches „Wir“ zu Grunde liegt, das „andere diskriminierende Praxen […] in Kauf nimmt“ und „inspiriert vom Kampf gegen andere“ ist (67). Ohne „Öffnung über die je eigene Betroffenheitsperspektive hinaus“ (71) gibt es keine Bündnisse. Dies illustriert die Autorin durch die Vorstellung vieler Bündnisse, die über die Grenzen identitätslogischer Zuschreibungen reichten. Im sechsten Beitrag des Buches belegt Gudrun Perko ihre Forderung, das „identitätslogische und identitätspolitische >Wir< […] mit Argwohn zu betrachten und durch pluralisierende Strategien zu stören“ (79): Die Identitätslogik wird als Ausgrenzungslogik dargestellt, die in „identitätspolitischer Ausgrenzungspolitik“ mündet (79). Die Autorin stellt der Indentitätslogik in aristotelischer Tradition die Magmalogik von Cornelius Castoriadis entgegen, die sich identitätslogischen Vereinfachungen widersetzt (84). Dieser Bruch mit Denktraditionen ermöglicht erst, gesellschaftliche Veränderungen vorstellbar zu machen: „Wir können etwas in etwas sehen, das darin nicht ist, und etwas setzen/​gestalten, was (noch) nicht ist“ (86f).

Im letzten Kapitel des Buches – das gemeinsam mit Leah Carola Czollek geschrieben wurde – wird aus „den vorangestellten Veränderungs- und Handlungsstrategien eine Vorstellung“ entworfen, wie „gemeinsame Räume und Bündnisse gestaltet sein könnten“ (92). Diese Bündnisse müssen ein „Ort der radikalen Verschiedenheit und gesellschaftlichen Pluralität werden“ (95), der entsteht durch eine „Streitkultur der Radikal Verschiedenen“ (94).

Diskussion

Gudrun Perko lädt uns ein, die wichtigsten Grundlagen ihres Konzeptes von Social Justice und Radical Diversity mit ihr zu durchdenken und aus ihnen auch praktisch-politische Konsequenzen zu ziehen. Der lockere Schreibstil regt zum Nachdenken an und rüttelt die Leserin, die regelmäßig direkt angesprochen wird (z.B.: „Sie sollten es sich nochmals überlegen.“ (36) „Sind Sie dabei?“ (50) „Schreibt ihn also weiter.“ (92)) auf, nicht nur passiv den Inhalt zu „konsumieren“, sondern ihn direkt auf sich und die eigene Positionierung bzw. gesellschaftliche Praxis zu beziehen.

Fazit

Am Anfang des Buches steht das „Verbündet-Sein, in dem die Anliegen der Anderen zu meinem Anliegen werden“ (63); am Ende des Buches entsteht auf dieser Grundlage ein Bündnis der Radikal Verschiedenen, die Seite an Seite für eine Welt arbeiten, in der „keine Gruppe eine andere Gruppe diskriminiert“ (91). Das Buch ist für Alle interessant, die die grundlegenden Konzepte und Gedanken der Radical Diversity von unterschiedlichen Seiten reflektieren und durchdringen wollen.

Rezension von
Dr. Franziska Baumbach
Lehrbeauftragte an der KHSB Berlin und Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe in Berlin
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Es gibt 14 Rezensionen von Franziska Baumbach.

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ISSN 2190-9245