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Tilo Pfeifer, Robert Schmitt (Hrsg.): Masing Handbuch Qualitätsmanagement

Rezensiert von Dr. Christian Geyer, 11.03.2022

Cover Tilo Pfeifer, Robert Schmitt (Hrsg.): Masing Handbuch Qualitätsmanagement ISBN 978-3-446-46230-4

Tilo Pfeifer, Robert Schmitt (Hrsg.): Masing Handbuch Qualitätsmanagement. Hanser Verlag (München) 2021. 7., überarbeitete Auflage. 1136 Seiten. ISBN 978-3-446-46230-4. D: 249,99 EUR, A: 257,00 EUR.

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Thema

Der „Masing“ liegt in der siebten und überarbeiteten Auflage vor. Vor über 40 Jahren erschien die erste Auflage des Handbuchs Qualitätsmanagement mit dem Anspruch, das Themenfeld multiperspektivisch auszuleuchten und zugleich den aktuellen Stand von Forschung, Konzeptionen und Methoden darzustellen.

In der Sozialen Arbeit/der Sozialwirtschaft spielt das Qualitätsthema seit Ende der 1990er Jahre eine Rolle (vgl. Merchel 2013) und gewinnt aktuell durch das novellierte SGB IX (BTHG) und den Diskurs um Wirkung und Wirksamkeit verstärkt Aufmerksamkeit. In der Sozialen Arbeit herrscht bis heute gegenüber Organisationstechnologien eine gehörige Skepsis vor. So wird das Qualitätsmanagement durch die Professionellen schnell dem Verdacht ausgesetzt, einem Managerialismus bzw. der Effizienzlogik sowie dem Bürokratismus zu dienen (vgl. Wöhrle 2021).

Allerdings erfolgt Soziale Arbeit in, mit und durch soziale personenbezogene Organisationen, die darauf angewiesen sind, ihre Strukturen und Prozesse transparent und leistungsstark zu gestalten, damit das Leistungsversprechen bestmöglich eingelöst werden kann. Insofern ist QM ein probates Mittel, um diesen Zweck zu erreichen. Eine Kritik des sozialwirtschaftlichen QM, im Sinne einer Prüfung und Weiterentwicklung, profitiert von einem Blick über die eigene Branche und die dort vorherrschende Sicht auf das QM hinaus. Mit dem „Masing“ wird der Blick für die vielfältigen Facetten, Verständnisse, Konzepte und Methoden des QM geweitet. Auch wenn die Sozialwirtschaft nicht explizit Gegenstand der 48 Beiträge ist, finden sich zahlreiche Anregungen für eine sozialwirtschaftliche Adaption.

Herausgeber und Autor:innen

Prof. Dr. Tilo Pfeifer ist emeritierter Hochschullehrer und war zuletzt am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen tätig. Er ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V.

Prof. Dr. Robert H. Schmitt ist Inhaber des Lehrstuhls Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement an der RWTH Aachen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V.

Neben den beiden Herausgebern haben 67 Autor:innen aus Wissenschaft, Unternehmen und Beratung mitgearbeitet.

Aufbau

Das Handbuch ist in sechs Teile und 48 Kapitel gegliedert und umfasst inkl. des Stichwortverzeichnisses 1091 Seiten. Die sechs Hauptteile sind:

  • I. Qualitätsmanagement als Basisaufgabe für den Unternehmenserfolg (S. 1 – 145)
  • II. Qualitätsmanagementsysteme (S. 147 – 364)
  • III. Qualitätsmanagement in der Entwicklung (S. 365 – 675)
  • IV. Qualitätsmanagement in der Produktion (S. 677 – 879)
  • V. Qualitätsmanagement in der Nutzungsphase (S. 881 – 988)
  • VI. Qualitätsmanagement und Unternehmensführung (S. 989 – 1078)

Diese Gliederung folgt der Idee, dass Produkte und Dienstleistungen im digitalen Zeitalter zunehmend nicht mehr trennscharf unterschieden werden können, sondern vielmehr Hybride entstehen. Infolgedessen soll die Gliederung den Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen abbilden. Nichtsdestotrotz bildet die industrielle Perspektive (Produktion) im Masing weiterhin den Schwerpunkt.

Inhalt

Im Folgenden können nicht alle 48 Beiträge skizziert werden. Vielmehr wähle ich einige wenige für eine kurze Vorstellung aus. Bei der Auswahl habe ich mich von zwei Kriterien leiten lassen: (a) Relevanz für den fachwissenschaftlichen Diskurs sowie (b) Impulse für die QM-Praxis in der Sozialwirtschaft.

Benedikt Sommerhoff führt im zweiten Kapitel kurzweilig und tiefgründig in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Qualitätsmanagements ein. Die Entwicklungslinie „von der Kontrolle der Produktqualität über die Steuerung der Prozessqualität hin zum Management der Systemqualität“ (S. 20) entfaltet er vor einem sozio-technischen Organisations- und systemisch-agilen Managementverständnis sowie den Herausforderungen des digitalen Zeitalters.

Ein „moderner Qualitätsbegriff“ (S. 33) umfasst nach Sommerhoff folgende Aspekte: (a) Minimum Viable Product, (b) Qualität der Perzeption und (c) emotionale Qualität. Und in der Tat: Die Vorläufigkeit eines Produkts/einer Dienstleistung, die subjektive Wahrnehmung von Qualität durch die Kundin und die Bedeutung von Image und Status des Produkts/der Dienstleistung werden im klassischen Qualitätsbegriff nicht abgebildet. Die Erörterung mündet in eine abstrakte Definition dessen was Qualität ist. Dabei geht Sommerhoff von der Definition aus der ISO 9000-Familie aus und schlägt folgende erweiterte Definition vor:

„Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt sowie eine günstige Gesamtbilanz für die Gesellschaft erzeugt“ (S. 36).

Ebenso instruktiv ist das dritte Kapitel zum Thema „Qualitätsgerechte Organisationsstrukturen“ des Autorenteams Heine, Hellebrandt, Pfeifer und Schmitt. Zunächst ist hervorzuheben, dass dem Zusammenhang und den Interdependenzen von QM und Organisationsstruktur (Strategie, Kultur, Managementsystem) Bedeutung beigemessen wird. Ausgehend von einem unternehmerischen Qualitätsverständnis geht es dem Autorenteam darum, QM als „Führungskonzept“ (S. 44) zu etablieren, um es so als integrale und dezentrale Aufgabe „auf alle Mitarbeitende“ (S. 49) der Organisation zu verteilen. Das „Aachener Qualitätsmanagement-Modell“ (S. 50 ff.) dient den Autor:innen als Konkretion dieser These. Es handelt sich um ein konsequent prozessorientiertes Modell, das aus drei Perspektiven (Kunde, Führung, Betrieb) entwickelt und gestaltet wird. Zugleich ist dieser Ansatz, Qualität durch Prozesse zu gestalten, anschlussfähig an agile Organisationsstrukturen und Managementmodelle.

Franz Schreiber und Regina Schreiber setzen sich im zehnten Kapitel mit integrierten Managementsystemen auseinander. Es werden zunächst Qualitätsmanagementsysteme als Basiskonzepte von fachspezifischen Managementsystemen unterschieden, um deutlich zu machen, dass durch die High Level Structure eine Grundlage geschaffen wurde, um diese Systeme zu integrieren. Die Integration führt zu mehr Transparenz, Effizienz und Effektivität und dient so der Organisationssteuerung. Angesichts der Herausforderungen und den Anforderungen der Organisationsumwelten werden Umwelt-, Energie- und Arbeitsschutzmanagement ebenso relevant wie Datenschutz-, IT- und Wissensmanagement. Eine integrierte Lenkung der Systeme nutzt die Synergien, ohne (aus sozialwirtschaftlicher Perspektive) zwingend alle Systeme einer Zertifizierung unterziehen zu müssen.

Managementsysteme, darauf macht Carsten Behrens aufmerksam, sollten nicht nur integriert, sondern auch interaktiv sein, um Akzeptanz bei den Mitarbeitenden zu finden und Nutzen für die Organisation zu stiften. Im elften Kapitel widmet er sich dieser Thematik und erörtert die Verknüpfung von prozessorientierten Integrierten Managementsystemen mit Social Media-Technologie. Die grundlegende Idee lautet: Die Gestaltung der Dokumentation erfolgt dezentral, kollaborativ und synchron. Es gibt weder eine hierarchische noch eine zeitliche Kluft zwischen Erarbeitung, Entscheidung und Dokumentation. Behrens konstatiert: „In der Praxis resultiert daraus eine prozessorientierte Managementsystem-Dokumentation, die gleichzeitig als prozessorientiertes Wissensmanagement fungiert. Damit werden Parallelwelten zwischen realer Formalstruktur und dokumentierter Formalstruktur aufgelöst und Widersprüche … minimiert“ (S. 254). Das zum Schluss skizzierte Reifegradmodell kann ein Prüfstein für den Entwicklungsstand einer Organisation sein, wenngleich strittig bleibt, ob Audits im höchsten Reifegrad tatsächlich eine so geringe Bedeutung zukommen sollte (vgl. S. 260).

Der sechste Teil „Qualitätsmanagement in der Nutzungsphase“ wird mit einem Beitrag zur Erbringung von Dienstleistungen eröffnet. Sait Baskaya, Tobais Adam und Robert H. Schmitt erörtern die Messung und Analyse der Dienstleistungsqualität. Dabei unterscheiden sie kundenorientierte und unternehmensorientierte Messungen der Dienstleistungsqualität. Zusätzlich werden bei den kundenorientierten Messverfahren objektive und subjektive Ansätze differenziert. Von besonderer Bedeutung sind nach Auffassung des Autorenteams die subjektiven Verfahren, die merkmalsorientiert, ereignisorientiert oder problemorientiert ausgestaltet werden können. Problemorientierte Verfahren knüpfen z.B. an die Konnektivität im Social Web an und manifestieren sich sowohl in der Kunde-Kunde-Kommunikation als auch auf Bewertungsportalen (vgl. S. 893). Für die Analyse der Dienstleistungsqualität schlagen die Autoren das GAP-Modell der Dienstleistungsqualität vor (S. 896 ff.). Der Beitrag schließt mit drei Hypothesen, die darauf abzielen, die dynamischen Interessen der Kund:innen durch das QM einzubeziehen und Geschäftsmodelle agil weiter- oder neu zu entwickeln. Ein solcher Ansatz kann den Diskurs um Personenzentrierung und Wirksamkeit Sozialer Arbeit von ganz anderer Seite inspirieren, um pragmatische Lösungsversuche auszuprobieren.

Diskussion

Handlich ist dieses Handbuch wahrlich nicht und doch lädt es dazu ein, immer wieder zur Hand und in die Hand genommen zu werden. Dieses Handbuch sammelt die zahlreichen Aspekte des QM ein und bündelt diese, um sie in systematischer Form als ein Nachschlagewerk zur Verfügung zu stellen. Dabei ist das umfängliche Stichwortregister sehr nützlich. Im Unterschied zur Monographie ist keine konsistente Darstellung einer komplexen Thematik beabsichtigt. Der Vorzug eines Handbuches ist es vielmehr, dass die einzelnen Beiträge interessegeleitet gelesen werden können. Insofern sind die zahlreichen Redundanzen zu Begriffen, Normen und Methoden nicht nur erklärlich, sondern auch hilfreich. Eine intensivere Verweisstruktur zwischen den Beiträgen, die in Ansätzen bereits vorhanden ist, bleibt ein Verbesserungspotential.

Die Struktur der Beiträge folgt einem Standard der von allen Autor:innen eingehalten wird, sodass die Rezipienten überall gut orientiert einsteigen können. Die Zusammenfassungen zu Beginn der Beiträge ermöglichen meistens einen Schnelleinstieg in das jeweilige Thema und erleichtern so die Beschäftigung mit dem Handbuch ebenso wie die zahlreichen Grafiken und Infokästen.

Im ersten Teil des Handbuches findet in den Beiträgen eine angemessene Auseinandersetzung mit der aktuellen Managementforschung statt. Vielfach wird Bezug auf das systemisch-konstruktivistisch ausgerichtete St. Galler Management-Modell nach Johannes Rüegg-Stürm genommen. Allerdings wurde bei der Überarbeitung des Handbuchs übersehen, dass dieses Modell unterdessen in der 4. Generation (vgl. Rüegg-Stürm/Grand 2015 und 2020) vorliegt. Demgegenüber fehlt im sechsten Teil „Qualitätsmanagement und Unternehmensführung“ eine Auseinandersetzung mit aktueller Managementtheorie. Die Ausführungen bleiben unterkomplex, wenn behauptet wird, dass „kein konsistentes theoretisches Konzept“ vorliege, „das geeignet wäre, eindeutige Handlungsempfehlungen für Führungskräfte zu geben, die vor der Aufgabe stehen, für Qualität zu sorgen“ (S. 1005). An dieser Behauptung ist einerseits problematisch, dass Führung hier ausschließlich als personalisierte Führung verstanden wird und die Autoren Führung als Managementsystem in Organisationen nicht in den Blick nehmen. Andererseits findet keine Auseinandersetzung z.B. mit agilen oder systemischen Managementkonzepten statt.

Die fünf vom Rezensenten ausgewählten Beiträge aus dem Handbuch sollen exemplarisch verdeutlichen, dass der sozialwirtschaftliche Qualitäts- und Qualitätsmanagementdiskurs durch eine Anbindung an die allgemeine Entwicklung profitieren kann. So kommen u.a. die Themen agiler und nachhaltiger Qualitätsbegriff, QM als spezifische und prozessorientierte Organisationstechnologie sozialer personenbezogener Dienstleistungsorganisationen, die Chancen Integrierter Managementsysteme als interaktive Systeme und die Möglichkeiten der Messung und Analyse sozialer personenbezogener Dienstleistungsqualität in den Blick. Die aktuelle sozialwirtschaftliche Literatur zum Thema QM spiegelt diese Themen, wenn überhaupt, nur ansatzweise (vgl. Wöhrle et al. 2021, DGQ 2016, Merchel 2013, Faiß/Kreidenweis 2016).

Fazit

Mit dem überarbeiteten „Masing“ steht erneut ein Standardwerk des Qualitätsmanagements zur Verfügung, das profundes Überblickswissen angesichts aktueller Herausforderungen zur Verfügung stellt und Weiterentwicklungen skizziert. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem allgemeinen QM-Diskurs lohnt für die Sozialwirtschaft, wenngleich Welten aufeinandertreffen.

Literatur

Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. (DGQ) (2016): Qualitätsmanagement in der sozialen Dienstleistung. Nützlich – lebendig – unterstützend, Grundlagentexte Soziale Berufe, Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Faiß, Peter/Kreidenweis, Helmut (2016): Geschäftsprozessmanagement in sozialen Organisationen. Leitfaden für die Praxis, Baden-Baden: Nomos.

Merchel, Joachim (2013): Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, 4. aktualisierte Auflage, Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Rüegg-Stürm, Johannes/Grand, Simon (2015): Das St. Galler Management-Modell, 2. überarbeitete und weiterentwickelte Auflage, Bern: Haupt.

Rüegg-Stürm, Johannes/Grand, Simon (2020): Das St. Galler Management-Modell. Management in einer komplexen Welt, 2. überarbeitete Auflage, Bern: Haupt/UTB.

Wöhrle, Armin (2021): Einführung oder Anforderungen änder(te)n sich. In: Wöhrle, Armin et al. (Hrsg.): Qualitätsmanagement – Qualitätsentwicklung, Studienkurs Sozialwirtschaft, Baden-Baden: Nomos, 11 – 24.

Wöhrle, Armin et al. (Hrsg.) (2021): Qualitätsmanagement – Qualitätsentwicklung, Studienkurs Sozialwirtschaft, Baden-Baden: Nomos.

Rezension von
Dr. Christian Geyer
Fachlicher Vorstand Bathildisheim e.V., Bad Arolsen und Lehrbeauftragter der Hochschule Fulda
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Es gibt 12 Rezensionen von Christian Geyer.

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ISSN 2190-9245