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Frank Schätzing: Was, wenn wir einfach die Welt retten?

Rezensiert von David Kreitz, 19.04.2022

Cover Frank Schätzing: Was, wenn wir einfach die Welt retten? ISBN 978-3-462-00201-0

Frank Schätzing: Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2021. 335 Seiten. ISBN 978-3-462-00201-0. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.

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Thema

Haben wir die Zukunft bereits verspielt? Nein, denn der menschengemachte Klimawandel muss nicht in die Katastrophe führen. Statt Ohnmacht und Ignoranz sollten wir uns unsere Gestaltungsmacht vor Augen führen. Kluges Handeln, richtige, massive Investitionen in grüne Technologien, politischer Mut, Bürgerbeteiligung und vor allem schnelle Umsetzung bereits bestehender Ideen können eine lebenswerte Zukunft ermöglichen.

 Autor und Entstehungshintergrund

Frank Schätzing ist als Thrillerautor mit Der Schwarm (2004) äußerst bekannt geworden. Dass er auch Sachbücher verfasst, zuvor „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“, ist möglicherweise weniger bekannt. 

Eigentlich hatte Schätzing vor, den nächsten Thriller zu schreiben, er war quasi schon dabei, hatte mit dem Schreiben angefangen und bereits mit Verlag und Lektor über vieles zum neuen Buch gesprochen.

Doch dann stellte er fest: der wahre Thriller, das ist das Leben und die Handelnden, das sind wir, nur: Da es sich bei unserem Leben nicht um ein Buch oder einen Film handelt, können wir nicht einfach zuklappen oder ausschalten. Und vor allem sollten wir nicht wegschauen, weil es zu erschreckend ist, denn noch können wir handeln.

Das ist die Botschaft des Buches: Wir haben eine Chance die Klimakatastrophe zu verhindern; dass wir sie nutzen, scheint unwahrscheinlich, darum wirft Schätzing seine Bekanntheit und sein Schreibvermögen in den Ring, um die Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen, die es benötigt.

Aufbau und Inhalt

Frank Schätzing gliedert das Buch in 8 Teile, von denen Teil 5 und 6 am meisten Raum einnehmen.

Teil 1: Eigentlich -

Hier begründet der Autor seine Entscheidung, ein Klima-Buch zu schreiben, stellt dar, warum es sich doch eigentlich auch um einen Thriller handelt, und lässt die Lesenden den Aufbau des Buches wissen.

Teil 2: Frankenstein und die Klimakatastrophe

Schätzing definiert verschiedene Arten von Katastrophen, erläutert dann den Begriff Klima und die Unterschiede zwischen natürlichem und menschengemachtem Klimawandel. Dabei werden Einwände von Skeptiker*innen aufgenommen und es wird gezeigt, wie v.a. die Ölbranche bereits frühzeitig Gefahren erkannte und gezielt verharmloste.

Teil 3: Thriller

Diesen Teil baut Schätzing anhand einer Serien-Metapher auf. Der Autor führt uns durch die Staffeln 1–7, wobei wir uns im Worst-Case-Szenario der Erderwärmung wiederfinden. Schätzing betont: Wir sind nicht nur Lesende, nein, wir sind die Akteure. Dabei erklärt der Autor die Bedeutung von Kipppunkten und zeigt drastisch realistisch, wie die Überschreitung dieser Points-of-no-Return aussehen würde. Dabei greift er auf die von der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), auch bekannt als Weltklimarat, entwickelten Szenarien zurück (RCP: representative concentration pathway). RCP 8.5, das derzeit wahrscheinlichste Szenario sähe für die nächsten 80 Jahre eine Zunahme von Bränden, Überflutungen, Versteppung, Düren, Wasserknappheit, Landknappheit, Hungersnöten, Bürgerkriegen, Kriegen vor.

Teil 4: Ursache Wirkung

In diesem Teil werden alle Kippelemente noch einmal vorgestellt sowie die Gründe für ein mögliches Erreichen bzw. Überschreiten von Kipppunkten und deren Folgen einzeln dargestellt: von den globalen Eismassen (u.a. Abschmelzen antarktischer Eismassen), über die Veränderungen in Meeren und Ozeanen (z.B. Versauerung der Meere), Atmosphäre und Wind (u.a. Verlangsamung des Jetstreams), Wäldern und Landflächen (z.B. Dezimierung nordischer Nadelwälder, Auftauen von Permafrostböden) sowie weitere Epidemien und Pandemien bis zum Artensterben.

Teil 5: Die Guten – Und die Bösen

Die Verursacher

Schätzing stellt voran, dass er zwar über die Politik, die Wirtschaft, die Allgemeinheit schreiben wird, dass ihm aber natürlich bewusst ist und es seinen Leser*innen auch sein sollte, dass es keine Generalverurteilungen aller Menschen in bestimmten Branchen oder Gesellschaftszweigen geben kann und soll. Als Autor bemühe er sich um größtmögliche Differenziertheit und Klarheit, wobei das eine manchmal zugunsten des anderen zurückstehen müsse. Dann folgen einzelne Unterkapitel zu den Verursachern von Treibhausgasen: Kohle, Öl und Gas, Automobil und Verkehr (mit einem Schlenker zu Elektromobilität und Wasserstoff), Land- und Forstwirtschaft und schließlich ein „Sie und ich“ betitelter Abschnitt, in dem Schätzing klarstellt, dass es nicht um ständiges sich-schlecht-und-schuldig-Fühlen geht, man sich nicht für jede Autofahrt oder Scheibe Wurst mit der Klimasünderpeitsche geißeln muss. Persönliches Verantwortungsgefühl ist gut, aber die Individualisierung des Problems kann zu einer Entpolitisierung führen. 

Die Aktivisten

Fridays for Future stellt für Schätzing ein Phänomen hin zu einem positiven sozialen Kipppunkt dar: plötzlicher gesellschaftlicher Wandel. Dabei müsse FfF aufpassen, nicht einen Generationenkampf heraufzubeschwören, sondern alle Altersgruppen zu integrieren und die „Klimarevolution“ mit möglichst vielfältigen Akteur*innen voranzutreiben. Dabei störten übermäßige Besserwisserei und Belehrungen, denn schließlich müssten Mehrheiten gewonnen werden, will man RCP 8.5 verhindern.

Die Politik

…hat bisher versagt. Kann aber immer noch das Richtige tun, nämlich eine Technologiewende beschleunigen, statt immer wieder zu bremsen. „Wir müssen aufhören, schädliches Zeug in die Luft zu pusten, und das schon Hineingelangte wieder rausfischen“ (S. 151). Schätzing zeigt dann, welche Länder bereits welche Maßnahmen ergreifen. Seine Hoffnung setzt er im Bereich der Politik in junge Wähler*innen, die ihre Zukunft im Blick haben, auf beschleunigten Technologiewandel der neue Arbeitsplätze entstehen lässt und den Schutz bestehender Arbeitsplätze in „schmutzigen“ Industrien obsolet werden lässt.

Die Gegenspieler

Klimaskeptiker*innen, Klimaleugner*innen, die organisierten Truppen der Lobbys, Verschwörungstheoretiker*innen, sind die Opposition, die Schätzing ausmacht. Klimaskeptiker*innen gilt es dabei zu überzeugen, die Leugner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen lohnen den Aufwand nicht und den organisierten Truppen, muss vor allem auf dem Feld der politischen Meinungsbildung die Stirn geboten werden, wobei es dabei durchaus um die dickere Brieftasche geht, denn sowohl Klimaschützer als auch Leugner stecken viel Geld in Information und Wahlkämpfe. Oft geht es dabei um kurzfristige Profitinteressen. Das langfristige Ziel menschlichen Überlebens muss dagegengesetzt werden.

Teil 6: Handeln

In diesem Kapitel greift Schätzing diverse Bereiche auf, in denen wir alle klimaschutzorientiert handeln können. Die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks wird u.a. an den Themen: Bio, fairer Handel, Fleisch, Reisen, Plastik, Kleidung, Haushalt, aber auch Geldanlage, Digitalisierung, politisches Engagement aufgezeigt, es geht Schätzing um handfeste Handlungsempfehlungen. Schlussendlich endet das Kapitel bei einem Forderungskatalog an Politik und Wirtschaft: Verschärfte Klimaziele, Kohleausstieg und Vollversorgung durch erneuerbare Energien bis 2030, erhöhte CO2-Preise, Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen und massive Förderung grüner Technologien, um die Wirtschaft auf nachhaltige Produktion umzustellen und Deutschland und Europa die „grüne“ Marktführerschaft zu sichern, was andere Regionen zum Nachmachen animieren wird.

Teil 7: Wie wir wachsen – oder auch nicht

Turbowachstum mit maximalem Ressourcenverbrauch ist nicht das Wachstum der Zukunft. Aber ohne Wachstum wird es nicht funktionieren, meint Schätzing, und setzt vor allem auf Ideenwachstum, erhöhte Energieeffizienz und auf die Möglichkeiten, mit KI Ressourcen und Energie noch besser einsetzen zu können.

Teil 8: Science Faction

Diesen Teil widmet Schätzing dann ganz den im Entstehen begriffenen Zukunftstechnologien, für die er absolut ein Faible hat. Verpackt ist deren Vorstellung in eine Paralleluniversen-Story. Hier die Liste des Denkbaren und oft schon (fast) Möglichen: Schiffe, die mit Segeln und wie Farbe aufbringbaren Solarzellen funktionieren; selbstfahrende emissionsfreie Taxis, Fahrradhighways, Wasserstoffflugzeuge; Windparks mit Flugwindkraftwerken und Turbinenmasten mit vier Rotoren statt einem, Atomenergie als Übergangstechnologie und Fusionskraftwerke; Biosolar-Algen-Bäume und Bioreaktoren nehmen CO2 auf und geben Sauerstoff ab; Vertical Gardening macht Städte grün; Laborfleisch hat Massentierhaltung abgeschafft und auch Insekten werden vielfältig verarbeitet; alle Datenströme werden durch KI überwacht und ausgewertet, um effizient und zeitnah reagieren zu können und maximale Ressourceneffizienz zu gewährleisten.

Diskussion

Standing Ovations im Bundestag, ein Tempolimit und früher Kohleausstieg sind beschlossen und es gibt Geld, viel Geld, 100 Mrd. Euro für den Ausbau erneuerbarer Energien und Wasserstofftechnologie. Ach nein, es gibt 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr, für Aufrüstung. Dabei benötigen wir vor allen massive Investitionen in den Klimaschutz, wie nicht nur Schätzing, sondern auch der aktuelle ICCP-Bericht feststellt (Auswertung in: Die Zeit).

Wir leben in einem Thriller, damit hat Schätzing Recht, aber die gefühlt langfristigen Bedrohungsszenarien können gegen die kurzfristigen, direkteren wie Pandemie und Ukraine-Krieg nicht „anstinken“ – es sind viele Thriller und je hautnäher wir sie erleben, desto eher wird gehandelt.

Versagt die Politik im Angesicht dieser Krisenvielfalt? Diese Frage muss gestellt werden und dass Schätzing immer wieder die Verantwortung der Politik betont und die Verschleppung notwendiger Investitionen und überfälliger Veränderungen herausstreicht, ist extrem wichtig. Er entlastet zwar nicht den Einzelnen von klimaschutzorientiertem Handeln, er verweist aber darauf, dass die Individualisierung der Klimakrise nicht zielführend ist.

Frank Schätzing erläutert die Klimakrise, stellt die Verursacher vor und macht Mut für die Zukunft. Dazu zieht Schätzing in seinem Buch alle Register des populärwissenschaftlichen Schreibens: veranschaulichende Metaphern, Alltagsbezüge, Dialoge zwischen Personen, treffende Vergleiche. Die komplexe Materie wird dadurch verständlich, was wiederum die Überzeugungsarbeit unterstützt. Ob dabei Yoda, Game of Thrones und weitere popkulturelle Bezüge dringend nötig sind, ist Geschmackssache. Bezüge zu Quellen hätte ich allerdings gerne gesehen, ein Literatur-/​Quellenverzeichnis wäre m.E. angebracht gewesen.

Fazit

Für Frank Schätzing liegen die Lösungen auf dem Tisch; das beherzte schnelle Handeln gerade der Politik einzufordern, das ist die Aufgabe jedes Einzelnen in der Klimakrise und wichtiger als die individuelle Entscheidung gegen eine Autofahrt, eine Flugreise oder ein Fleischgericht, doch auch für jede Einzelne bietet Schätzing Handlungsempfehlungen. Schätzing geht davon aus, dass viel Geld für die richtigen Technologien eine lebenswerte Zukunft sichern wird. Dass es an diesem Geld nicht mangelt, zeigen andere politische Entscheidungen. Schätzings zukunftstechnologischer Optimismus macht Mut und lässt darauf hoffen, dass wir einfach die Welt retten.

Rezension von
David Kreitz
M.A., Mitarbeiter der Zentralen Einrichtung für Qualitätsentwicklung in Studium und Lehre an der Universität Hannover. Freiberuflicher Schreibberater und Schreibtrainer, Mitherausgeber der Zeitschrift JoSch – Journal der Schreibberatung und der Reihe „Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft“.
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Es gibt 23 Rezensionen von David Kreitz.

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Zitiervorschlag
David Kreitz. Rezension vom 19.04.2022 zu: Frank Schätzing: Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2021. ISBN 978-3-462-00201-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28989.php, Datum des Zugriffs 07.06.2023.


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