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Friedrich Maus, Michael Beilmann (Hrsg.): Mythos Qualität

Rezensiert von Prof. Dr. Harro Kähler, 01.12.2000

Cover Friedrich Maus, Michael Beilmann (Hrsg.): Mythos Qualität ISBN 978-3-86135-095-8

Friedrich Maus, Michael Beilmann (Hrsg.): Mythos Qualität. Erfahrungsberichte aus der Sozialen Arbeit. Verlag Wissenschaft und Bildung VWB (Berlin) 2000. 209 Seiten. ISBN 978-3-86135-095-8. 15,00 EUR.
Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik (DBSH) Landesverband Baden-Württemberg.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Einführung in das Thema

Veröffentlichungen über die Qualität Sozialer Arbeit haben Konjunktur. Dabei fällt auf, dass es nach wie vor in erster Linie die der Sozialen Arbeit zuarbeitenden Fachvertreterinnen und -vertreter wissenschaftlichen Disziplinen sind, die zu diesem Thema publizieren. Die Adressaten der Qualitätsdiskussion selbst, also die Fachkräfte in den Institutionen, melden sich recht selten zu Wort – jedenfalls, soweit es geschrieben und veröffentlicht wird.

Hintergründe für die Entstehung des Buchs

Der Landesverband Baden-Württemberg des Berufsverbands für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, „der Praxis eine Stimme (zu) geben“: Aus der Praxis für die Praxis sollten Erfahrungen mit Qualitätsentwicklungen ausgewertet und dargestellt werden. Keine wissenschaftliche, sondern eine die Praxis anregende Funktion wurde angestrebt.

Aufbau und Inhalte des Buchs

Ein sechsköpfiger Redaktionsausschuß wählte unter dreißig eingereichten Beiträgen neun für diese Veröffentlichung aus. Ein Einführungskapitel und ein eher theoretische gehaltenes Abschlußkapitel umrahmen diese Beiträge. Das Einführungskapitel (von Hiltrud von Spiegel) stellt den Versuch dar, die nachfolgenden Kapitel des Buchs in ein von ihr entwickeltes Raster einzuordnen und damit eine Lesehilfe zu geben. Das Abschlußkapitel diskutiert Thesen zu einer Kritik am Mythos Qualität. Kern des Buchs ist aber die Sammlung von Darstellungen aus der Praxis, deren auffallendstes Merkmal die Unterschiedlichkeit der Themen, Ansätze und Darstellungen ist. Einige Aspekte dieser bunten Vielfalt sollen hier skizziert werden:

  1. Heterogenität der vertretenen Arbeitsfelder: Die Praxisbeiträge stammen aus unterschiedlichsten Arbeitsfeldern, u.a. Behindertenarbeit, Krankenhaussozialarbeit, Allgemeine Lebensberatung, Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankungen, klinische Sozialarbeit, Betreuung psychisch Kranker, AIDS-Hilfe.
  2. Bandbreite der Bereiche, für die Qualitätsüberlegungen angestellt wurden: Hier reichen die Darstellungen von Verbänden auf Landesebene (Caritas Schweiz) oder Überlegungen für ein ganzes Arbeitsfeld (Standards für klinische Sozialarbeit) bis zu einzelnen Einrichtungen (z.B. eine einzelne AIDS-Hilfe, ein einzelner Verein zur Betreuung psychisch kranker Menschen, ein einzelnes Team eines Krankenhaussozialdienstes)
  3. Unterschiede des betriebenen Aufwands: Besonders aufwändige, auf mehrere Jahre angelegte Ansätze wie die Ausrichtung auf ISO-Normen und deren Weiterentwicklung zu Total Quality Management (Caritas Schweiz) sind ebenso vertreten wie auf einzelne Maßnahmen einer einzelnen Einrichtung bezogene Qualitätsüberlegungen (z.B. Schulungsmodell für ehrenamtliche MitarbeiterInnen einer AIDS-Hilfe).
  4. Variationen der herangezogenen Qualitätsbegriffe und der Vorgehensweisen: Hier lassen sich besonders wenig Übereinstimmungen feststellen. Auch wird deutlich, dass einige Beiträge konkrete Ergebnisse der Qualitätsüberprüfung mitteilen, andere sich eher allgemein zu Vorgehensweisen ohne Ergebnisse (oder nur beispielhaft) äußern.

Trotz dieser (und weiterer möglicher Hinweise auf die vorgefundene) Heterogenität ist auch nicht zu übersehen, dass bestimmte Aspekte in mehr als einer Darstellung thematisiert werden. Auch dazu einige Beispiele:

  1. Es gibt an verschiedenen Stellen deutliche Kritik an der Verwendung des „Kunden“-Begriffs. Hier fühlen sich einige Autoren besonders schlecht in ihrem Fachverständnis von Sozialer Arbeit verstanden: die Leistungsempfänger seien fast nie diejenigen, die auch als zahlende Käufer dieser empfangenen Leistungen auftreten (können), womit die wesentliche Voraussetzung für die Verwendung des Begriffs „Kunde“ fehle (S. 51; ähnlich S. 91). In diesem Beispiel kristallisiert sich eine Kritik an den Voraussetzungen der Qualitätsdiskussion, die in den gesamtgesellschaftlichen und globalen Veränderungen gesehen werden, deren Folgen nicht einfach hingenommen werden dürfen, sondern denen eine eigenständige fachliche Position entgegen gestellt werden müsse. Diese Position wird besonders in einem „Grundraster zur Beurteilung der Qualität in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit“ vertreten, das als Diskussionspapier des DBSH im Anhang des Buchs vorgestellt wird (dazu mehr unten).
  2. In mehreren Beiträgen wird deutlich, dass der „Prozessnutzen“ der Auseinandersetzung mit der Qualität Sozialer Arbeit als großer Gewinn eingeschätzt wird. Manchmal entsteht beim Lesen der Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit den Qualitätsmerkmalen Sozialer Arbeit für sich genommen, unabhängig von konkret vorweisbaren Ergebnissen, als wichtige Anregung wahrgenommen wird. Dies entspricht einer Position, die der amerikanische Evalutationsexperte Michael Quinn Patton vertritt (vgl. seinen Aufsatz in M.Heiner (Hrsg.): Experimentierende Evaluation. 1998. Juventa Verlag)

Tauglichkeit für potentielle LeserInnen

Wer sich mit Qualitätsfragen beschäftigt, wird in diesem Buch Anregungen finden, wenn es Beiträge gibt, die in irgendeinem der oben aufgeführten Punkte Parallelen zur eigenen Situation bieten, also z.B. gleiches Arbeitsfeld, gleiche Reichweite der Qualitätssicherung o.Ä. Insofern bietet sich das Buch als Steinbruch an und kann dann vielfach anregend und förderlich sein. Andere Beiträge ohne Bezug zur eigenen Situation werden wahrscheinlich selten anregen können, da sie sich zu sehr auf anderem Terrain bewegen. Insofern teile ich nicht die im Buch geäußerte Einschätzung, dass die „Essenzen für die Soziale Arbeit“ aus einem Beitrag ohne weiteres „modifiziert übertragbar auf jedes Feld“ sein können (S. 15). Hier liegt meines Erachtens eine Schwäche dieses Buchs: die einzelnen Beiträge sind so wenig aufeinander beziehbar, dass sie weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Die (nützliche) Einleitung von H.v.Spiegel vermag dieses Manko nur unzureichend ausgleichen.

Interessant ist nun, dass im Anhang dieses Buchs das schon erwähnte „Grundraster zur Beurteilung der Qualität in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit“ als Diskussionspapier des DBSH abgedruckt ist. Hier wird der Anspruch erkennbar, ein Handlungsfelder übergreifendes Verständnis von Qualität zu entwickeln, der arbeitsfeld- und handlungsfeldspezifischen Sicht also doch eine übergreifende Sicht gegenüberzustellen. Die Autoren dieses Entwurfs formulieren explizit, dass Qualitätsentwicklungen ohne Arbeitsfeld-übergreifende Standards nicht erwünscht sind: „Eine Qualitätsentwicklung allein auf der Grundlage der jeweiligen Arbeits- bzw. Tätigkeitsfelder schadet der Sozialen Arbeit, wenn nicht zugleich verbindende Maßstäbe formuliert werden. Die Aufsplitterung in Arbeits- und neue Berufsfelder und die damit verbundene tätigkeitsspezifische Definition von Sozialer Arbeit sieht der BBSH als Gefahr für die Profession.“ (S. 200). Diesem selbstgesetzten Anspruch können die Beiträge des Buchs nicht entsprechen. Es wäre wünschenswert, wenn in einem Nachfolgeband die veröffentlichten und/oder neue Beiträge aus der Praxis auf den Prüfstand des Grundrasters gestellt und auf die dort formulierten Gesichtspunkte als gemeinsame Orientierungsleitlinie bezogen werden.

Fazit

FachvertreterInnen Sozialer Arbeit, die an Qualitätsentwicklung direkt beteiligt sind, haben gute Chancen, in einzelnen Beiträgen dieses Sammelbandes mit Berichten über Qualitätssicherungsprojekte von KollegInnen aus der Praxis Anregungen zu finden, sofern ihr eigenes Tätigkeitsfeld oder der gewählte Ansatz oder andere Parallelen zur eigenen Arbeitsplatzsituation gefunden werden. Die Beiträge insgesamt sind verwirrend unterschiedlich und dokumentieren, wie verschieden die Qualitätsdiskussion in der Praxis Sozialer Arbeit aufgenommen wird. Zugleich enthält der Band im Anhang einen bemerkenswerten Diskussionsvorschlag der DBSH für ein Tätigkeitsfeld-übergreifendes Grundraster zur Beurteilung der Qualität Sozialer Arbeit. Es erscheint lohnend, dieses Grundraster ernsthaft zu erproben, um der drohenden Zersplitterung der Qualitätsdiskussion in zu unterschiedliche, nicht-kompatible Einzelansätze entgegenzuwirken.

Rezension von
Prof. Dr. Harro Kähler
Bis zur Emiritierung Fachhochschullehrer an den Hochschulen Hagen, Dortmund und Düsseldorf. Bis 2019 Redakteur der socialnet Rezensionen, Mitarbeiter in der Redaktion des socialnet Lexikons.
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Es gibt 14 Rezensionen von Harro Kähler.

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ISSN 2190-9245