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Gabriele Schmid, Peter Sinapius u.a. (Hrsg.): Teilnehmende Beobachtung in Kunst und Therapie. Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Ruth Hampe, 11.01.2022

Cover Gabriele Schmid, Peter Sinapius u.a. (Hrsg.): Teilnehmende Beobachtung in Kunst und Therapie. Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien ISBN 978-3-7502-8257-5

Gabriele Schmid, Peter Sinapius, Rosemarie Tüpker, Harald Gruber (Hrsg.): Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien. epubli (Berlin) 2020. 372 Seiten. ISBN 978-3-7502-8257-5. D: 40,00 EUR, A: 40,00 EUR.
Reihe: Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien - 8.

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Thema

Dieser Band reiht sich in die Reihe zu wissenschaftlichen Grundlagen der Künstlerischen Therapie als mittlerweile achter Band ein. Mit der Hardcover-Veröffentlichung dieser Reihe – nach Zahlen geordnet – werden unterschiedliche wissenschaftliche Zugänge zu den Künstlerischen Therapien als Grundlagen der Forschung und Ausbildung behandelt.

Gliederung

Gegliedert ist der Themenband in vier Kapitel, d.h.:

  1. Teilnehmende Beobachtung als künstlerisch-therapeutische Haltung
  2. Teilnehmende Beobachtung als Dokumentationsformat und Forschungsinstrument
  3. Teilnehmende Beobachtung in der künstlerisch-therapeutischen Beziehung
  4. Teilnehmende Beobachtung als künstlerisch-therapeutische Reflexion

Autor:innen

Beteiligt an dieser Publikation sind 12 Autor*innen, die aus ihren Praxisfeldern Erfahrungen zu den jeweiligen Thematiken beisteuern. In diesem Zusammenhang werden zum Aspekt der Teilnehmenden Beobachtung aus unterschiedlichen therapeutischen Sichtweisen – wie zur Kunsttherapie, Musiktherapie, Tanz-, Ausdrucks- und Bewegungstherapie, Performancekunst, Poesie- und Bibliotherapie, Theatertherapie, aber auch Ästhetischen Bildung allgemein – wissenschaftliche Zugänge einhergehend mit Praxisbeispielen vorgestellt. Das Themengebiet der Teilnehmenden Beobachtung stellt im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung einen wichtigen Ansatz dar, insbesondere für die Künstlerischen Therapien mit der Involviertheit in gestalterische Prozessverläufe.

Aufbau

Im Aufbau des Themenbandes wird nach der Einleitung ergänzend auf die einzelnen Beiträge Bezug genommen. Ein gemeinsames Literatur- und Abbildungsverzeichnis sowie ein Verzeichnis der Autor*innen bestimmt die Rahmensetzung. Alle Autor*innen sind zumeist in der Lehre in Hochschulbereichen tätig und verfügen über ein breites Praxiswissen. Eingeleitet werden ihre Beiträge jeweils durch eine englischsprachige Zusammenfassung.

Inhalt

Allgemein ist die Teilnehmende Beobachtung der qualitativen Sozialforschung zuzuordnen, hat wissenschaftlich unterschiedliche Theorieansätze und kann auch im Sinne eines Mixed-Media-Forschungsdesign benutzt werden. Für die Künstlerischen Therapien bildet sie einen wesentlichen Zugang in der Verknüpfung von Klient*in, Therapeut*in und Forscher*in im Kontext von verwendeten Materialien, Gestaltungsprozessen, therapeutischen Interventionen und Resonanzverhältnissen. Das Spannungsverhältnis zwischen Therapie und Forschung ist in der Hinsicht vielschichtig und auch abhängig von der jeweiligen Besonderheit der einzelnen Künstlerischen Therapien. Dieses breite Spektrum wird in einigen Facetten in der Einleitung vorgestellt und reflektiert. In den folgenden Beiträgen, untergliedert nach den vier Kapiteln, werden Ausführungen dazu exemplarisch ausgeführt und inhaltlich belegt.

Zu 1.

Die Autor*innen Rosemarie Tüpker zu „Teilnehmende Beobachtung in der Morphologischen Psychologie und Musiktherapie“, Marianne Eberhard-Kaechele & Sandra Adiarte zu „Von außen nach innen oder mehr von innen nach außen. Zwei Ansätze Teilnehmender Beobachtung in der Tanz- und Bewegungstherapie“ und Johannes Junker zu „Teilnehmende Beobachtung in der Theatertherapie“ tragen mit ihren Beiträgen zum Thema der therapeutischen Haltung bei. Ausgehend von Teilnahme und Beobachtung als grundlegendes menschliches Verhalten des In-der-Welt-Seins und zugleich als zwei unterschiedliche Positionen, Haltungen, Zuständen und Befindlichkeiten bezieht sich Rosemarie Tübker auf den Sozialanthropologen Bronislaw Malinowski. Bezogen auf die Feldforschung mit der Methode der Teilnehmenden Beobachtung hebt sie die interkulturelle Forschung, d.h. auch im Kontext künstlerisch-therapeutischer Prozesse hervor. In dem Zusammenhang werden Formen der Selbst- und Fremdbeobachtung angesprochen wie unmittelbare und mediale Aufzeichnungen, Protokollbögen, innere Leitfäden zur Beobachtung, Fokussierung oder Offenheit, Einbeziehung von Selbstbeobachtung, Perspektivwechsel u.a. benannt. Für sie ist die differenzierte Darstellung der Beobachtungsmethodik – auch bezogen auf Intersubjektivität und Triangulierung – bedeutsam. In der Hinsicht stellt sie ein morphologisch-methodisches Vorgehen in Anlehnung an Wilhelm Salber zu seinem Verständnis einer Morphologischen Psychologie vor, wobei Teilnehmende Beobachtung für sie immer auch der Mitbewegung in Anlehnung an Wolfgang von Goethe unterliegt. Für die Musiktherapie thematisiert sie die szenische Evidenz und das szenische Verstehen und verdeutlicht dies anschaulich anhand eines musiktherapeutischen Praxisbeispiels. Marianne Eberhard-Kaechele und Sandra Adiarte gehen mit ihrem Beitrag auf zwei Hauptansätze der teilnehmenden Beobachtung in der Tanz- und Bewegungstherapie (TBT) ein. Dies betrifft zum einen die Bewegungsanalyse von Rudolf von Laban, d.h. Laban Movement Analysis (LMA) mit den Grundbetrachtungen zum Körper, Raum, Form und Antrieb und den zwei Hauptkategorien Beziehung und Phrasierung. Differenziert erläutert und kritisch reflektiert wird es auch mit Hilfe einer Grafik. Zum anderen wird Bezug genommen auf Marian Chac und ihre Konzeption der Teilnehmenden Beobachtung, wobei beobachten auch die Einfühlung in die kognitive, affektive, sinnliche und motorische Situation des Patienten/der Patientin durch körperliches Engagement bedeutet. Es geht dabei gleichfalls um die Wahrnehmung von Resonanzphänomenen im Körper des Therapeuten als kinästhetische Empathie. Angesichts neuerer Erkenntnisse zu den Spiegelneuronen und zur Rezeption entwicklungspsychologischer Säuglingsforschung wird auch dieser Ansatz kritisch reflektiert, und zwar bezogen auf Nähe in der Teilnahme und Distanz in der Beobachtung als Wechselwirkung. Dabei geht es um ein Verständnis des zirkulären Prozesses der Teilnehmenden Beobachtung und des vielseitig gestalteten interaktiven Resonanzfeldes zwischen Therapeut*in und Patient*in. In dem Beitrag von Johannes Junker aus theatertherapeutischer Sichtweise werden fünf wesentliche funktionale Aspekte herausgestellt. Dies beinhaltet die dem Theatermachen innewohnende Struktur als die Funktion des Autors, des Regisseurs, des Schauspielers, des Bühnenbildners und des Zuschauers, aber auch die des Produzenten. Weiterhin können interpersonale Aspekte aufgeführt werden, und zwar als interne und externe Beobachtung. Für Johannes Junker ist Theatertherapie anhand von funktionalen Aspekte zu verstehen, aus denen sich Beobachtungskriterien ableiten lassen. Hinsichtlich der fünf funktionalen Aspekte ist der Therapeut/die Therapeutin immer auch teilnehmende*r Beobachter*in. Bezogen auf die Beobachterperspektive sind intra- und interpersonellen Aspekten in ihrer dynamischen Struktur von Bedeutung. In der theoretischen Ableitung bezieht er sich einerseits auf die Phänomenologie von Maurice Merleau-Ponty sowie auf theoriegeleitete Interaktionsmodelle von Alexander Lowen, Wilhelm Reich und Timothy Leary, was die Charakteranalyse und das Interaktionsmodell betrifft. Die sogenannte Rose of Leary wird von ihm vorgestellt und durch ein schematisches Kreisdiagramm zur Charakteranalyse in der Übertragung auf die theatertherapeutische Praxis ergänzt. Als Praxisbeispiel wird eine Fallstudie eines Theaterprojektes in einer kinder- und jugendpsychotherapeutischen Abteilung von 2000 vorgestellt.

Zu 2.

Mit den beiden Beiträgen von Simone Klees zu „Teilnehmende Beobachtung in der Theatertherapie“ und Katharina Nowak zu „Die Methode der Teilnehmenden Beobachtung zur Untersuchung von Atmosphäre und auditiven Milieu in Einrichtungen für Menschen mit Demenz“ werden zwei unterschiedliche Künstlerische Therapien im Rahmen des Forschungssettings vorgestellt. So bezieht sich Simone Klees auf das theatertherapeutische Setting, wobei sie insbesondere auf eine theoretische Fundierung der Herangehensweise eingeht. Ausgehend von der Ableitung der Teilnehmenden Beobachtung aus der empirischen Sozialforschung in Ethnologie und Soziologie differenziert sie unterschiedliche Methoden, wie die kontrollierte, standardisierte teilnehmende Beobachtung, die systematische, unstandardisierte Teilnahme und Beobachtung sowie die unstrukturierte teilnehmende Beobachtung. Während die erste auf Quantifizierung ausgerichtet ist, sind die beiden letzten einer qualitativen Methodologie zuzuordnen. Dabei wird von ihr auch das subjektive Erleben des/der Forschenden mit der eigenen Wahrnehmung und Bewertung einer Situation problematisiert. In Abgrenzung zur Evidenzbasierten Medizin (EBM) sieht sie in der Teilnehmenden Beobachtung für die Theatertherapie eine wichtige Forschungsmethode zur Erfassung sozialer Interaktionen, und zwar auch in der Doppelung von Forscher*in und Teilnehmer*in. Ausgehend davon leitet sie Kriterien zur Beobachtung in der theatertherapeutischen Praxis ab. Auch Katharina Nowack geht von einem Forschungsprojekt bezogen auf ihre Promotionsarbeit aus, und zwar zum auditiven Milieu in drei verschiedenen Wohnbereichen für Menschen mit Demenz. Sie untersucht das auditive Milieu anhand von vier Komponenten, d.h. Raumakkustik, Geräusche, Sprechstimmen und Musik. In dem Zusammenhang ist das Atmosphärische – auch bezogen auf die Musiktherapie – von Bedeutung. Dahingehend legt sie die einzelnen Forschungsphasen dar und reflektiert diese hinsichtlich der Wahrnehmung der Atmosphäre. Auch das Sich-Berühren-Lassens der Forschenden wird von ihr angesprochen und über Protokollmitschriften verdeutlicht. Die Veränderung der Atmosphäre durch die Anwesenheit des Forschenden wird weiterhin von ihr ausführlich angesprochen. Es geht ihr auch um die Rolle des Musiktherapeuten bzw. der Musiktherapeutin bezogen auf die Rolle des Teilnehmenden Beobachtenden, gerade auch im Zusammenhang mit dem Erleben der Demenz bzw. mit perspektivischen Wahrnehmungen bezogen auf die Atmosphäre in den Institutionen.

Zu 3.

Die Beiträge von Anne Wirth zu „Zur dialogischen Beziehungsgestaltung in Mover-Witness-Konstruktionen“, Karin Dannecker zu „Mit dem Unsichtbaren arbeiten. Einige Hypothesen zur Wirksamkeit der Kunsttherapie“ und Kerstin Hof zu „Poesie und Poiesis. Positionen zu den Möglichleiten bzw. Grenzen gestalteter Sprache, das Ephemere in relationalen Konstellationen“ sind auf Praxisbeispiele bezogen. So stellt Anne Wirth die Arbeit mit Studierenden zur Authentic-Movement-Methode vor. Diese geht zum einen zurück auf Mary Starks Whitehouse mit „Movement in Depth“ und in der Weiterentwicklung auf ihre Schülerin Janet Adler zu „Authentic-Movement“, das sich im Einzelsetting als Dyade von Beweger*in und Beweger*in zusammen mit festgelegten Zeiteinheiten von Bewegungsimpulsen mit geschlossenen Augen und ohne Musik zeigt. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Fragestellung nach der Art der Generierung von Bewegungsgestaltung in den Mover-Wittness-Konstruktionen. Sie stellt zwei Übungssetting im dyadischen Bewegungsansatz vor, d.h. zum einen Bewegung und Berührung zu zweit und zum anderen Gruppenimprovisation mit Beweger*innen, Beobachter*innen und Berührer*in mit mindestens vier Teilnehmer*innen. Sie verfolgt mit dieser Methode einer somatisch-basierten Herangehensweise an Bewegungsforschung. Zu Warm-up, Impuls und Aufmerksamkeit, Spüren im Sehen und Sprechen sowie von Nichtwissen, Durchlässigkeit und Neuem stellt sie im Text die Aussagen der Teilnehmenden exemplarisch zusammen und kommentiert diese forschungsorientiert. Das leibliche Verstehen als Moment und Prozess wie eine kinästhetische Bewusstheit als Schlüssel zur Entstehung von Neuem in der Improvisation von Bewegung bestimmt die Herangehensweise. Die Selbstreflexion als retrospektive Versprachlichung von Mover-Wittness-Konstruktionen kommt Bedeutung zu, d.h. keine Bewegung ohne Wahrnehmung und keine Wahrnehmung ohne Bewegung sowie das Teilen von innerem Erleben und Fremdwahrnehmung. Dies gilt es für sie bezogen auf die Generierung einer dialogischen Beziehungsgestaltung weiter zu erforschen. Anders geht Karin Dannecker vom Bildnerischen bzw. dem ästhetischen Gestalten und dem anscheinend Unsichtbaren in diesem Prozess aus. Sie bezieht sich dabei auf das neuere Konzept zum Unbewussten, d.h. in der Differenzierung nach der vertikalen und horizontalen Dimension. Während in der vertikalen Ausrichtung die Dynamik der Verdrängung und Abwehr als repressives Modell enthalten ist, bezieht sich die horizontale Ausrichtung auf einen sozialen Resonanzraum, auf die Begegnung. Damit wird ein repressives und resonantes Modell des Unbewussten gekennzeichnet. Dies überträgt sie auf den kunsttherapeutischen Prozess als intuitives und implizites Erfassen der in der Therapie wirkenden Faktoren. Mit dem Eisbergmodell in Anlehnung an die anschauliche Grafik des Wissenschaftsjournalisten Norretranders versucht sie das Instanzenmodel nach Freud zu verdeutlichen. Um der Fragestellung nachzugehen, wo die Kunst im Verhältnis von Bewusstem und Unbewusstem angesiedelt ist, stellt sie Fallbeispiele aus einer psychosomatischen Abteilung mit bildnerischen Belegen vor und problematisiert die unbewusste Referenz als nicht voll erschließbar. Mit einer schematischen Darstellung zur Triangulierung von Patient*in, von Kunsttherapeut*in und von Kunst mit den Bezügen zu Inhalt, Form und Material veranschaulicht sie mittels der jeweiligen Pfeilrichtung entsprechende Resonanzen. Es geht dabei um ein Verstehen der horizontalen Ebene der Kommunikation in der Kunsttherapie. Darin schlagen sich unbewusste Prozesse des/der Patient*in im entstehenden Werk als auch in der Beziehung nieder. Die Aufgabe des/der Kunsttherapeut*in ist es, sich auf den/die Patient*in als auch sich auf das entstehende Werk einzustellen, um entsprechende Botschaften wahrzunehmen. Im Hinblick auf eindrückliche fallspezifische Darstellungen einhergehend mit Bildbelegen wird dies nachvollziehbar. Im Vergleich dazu hat Kerstin Hof das Poetische im Fokus, und zwar im Sinne einer Entwickelung von Schlüsselkompetenzen, von Erweitern des kunsttherapeutischen Repertoires und dem Einsatz des Schreibens als Kunst. Sie sieht im Schreiben einen poietisch-performativen Akt in der simultanen Realisation leiblicher, mentaler und emotionaler Anforderungen, auch bezogen auf die Handschrift, die der Bewegung der Hand folgt. Diese Erfahrung beim Schreibenlernen als Zusammenspiel von Händen und Augen auf dem Papier beinhaltet für sie auch eine Freisetzung von Teilhabe-, Beobachtungs- und Wirksamkeitserfahrungen. Zugleich kann dies als künstlerisches Wort-Bild-Verfahren in die Kunst einfließen – wie z.B. bei der Künstlerin Verónica Gerber Bicessi. Von daher fordert sie für eine intermedial-künstlerische Ausbildung eine Einbeziehung der gestaltenden und gestalteten Sprache hinzu bzw. „Therapy-Literacy“. Es kann zudem in der Teilnehmenden Beobachtung eingesetzt werden und damit einen Beitrag in der Ausbildung dieser Kompetenzen erlangen. Im Hinblick darauf geht es ihr auch um die poietische Wirkkraft der Poesie. Leider fehlen ihre Literaturangaben in der zusammenfassenden Literaturliste. 

Zu 4.

Dieses Kapitel umfasst die Beiträge von Per de Smit zu „Im Handumdrehen. Formen performativen Wissens. Echo Performance als Dokumentationsformat“, von Lucia Rainer zu „Beobachten mit dem Stift in der Hand. Zeichnen als reflexiv-ästhetische Dokumentationsform“ sowie von Gabriele Schmid zu „After Images. Participatory Observation as Artistic Autoethnography“ als einzigen englischsprachigen Beitrag. Alle Beiträge haben das Selbsterleben im ästhetischen Gestaltungsprozess aus künstlerisch-reflektierender Sicht im Fokus und verweisen z.T. auf Forschungsprojekte mit Studierenden der HKS Ottersberg. Per de Smit bezieht sich in seiner detaillierten Darlegungen auf das Gestische bezogen auf die Wahrnehmung am Körper des Gegenübers bzw. auf die Bewegung und die Begegnung des Handumdrehens. Zugleich geht er auf Projekte zur Gestischen Forschung und Resonanzphänomene als handlungs- und körperorientierte Forschungspraxis ein. In dem Zusammenhang problematisiert er Dokumentationsformen und stellt als reflexive Praxis ein Projekt zur performativen Dokumentation in einzelnen Phasen vor. Es geht um die Modellierung eines körperorientierten Konzeptes zur Untersuchung der Wissensgenerierung durch gestische Handlungen, wie er es bezeichnet, bzw. um den Körper als Wahrnehmungs- und Darstellungsinstrument. Dieses intermedial strukturierte Forschungsprojekt fand am psychiatrischen Klinikum in Bremen statt. Zudem stellt er das Konzept Echo-Performance als Dokumentationsformat vor und beschreibt es anhand von 31 nacheinander folgenden Sequenzen. Ein Grundverständnis bildet die Annahme von Wahrnehmung von Bewegung als Bewegung. Anders legt Lucia Rainer ihre persönlich gefärbten Erfahrungen aus einer ‚Graphic Anthropology‘ im vielfältigen Zeichnen ihres fremden Gegenübers dar, und zwar im Sinne einer Forschungsstrategie der Triangulation. Dies beinhaltet das Zeichnen als reflexive Praxis, bzw. es geht um die Performativität in der Beobachtung. Im In-Beziehung-Setzen folgt das zeichnerische Beobachten einem Transformationsprozess und entspricht einer Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung als tatsächliches Sehen in der teilnehmenden Beobachtung. Ergänzend bezieht sich Gabriele Schmid in ihrem Text auf die Bedeutung von Nachbildern als empathisches Nacherleben, wenn sie sich exemplarisch auf ein Forschungsprojekt „Spieglein Spieglein – teilhabende Portraits“ am Alexianer Krankenhaus bei Münster bezieht. Zugleich verweist sie auf ihre eigene künstlerische Praxis mit entsprechenden Gestaltungen und auf Künstlerarbeiten wie von Paul Cezanne und Mark Rothko, d.h. bezogen auf die Beziehung zwischen Maler und dem gemalten Sujet sowie auf die Beziehung zwischen Maler-Betrachter und das Gemalte. Es beinhaltet z.T. eine sehr persönliche Darstellung, indem sie ihre künstlerischen Gestaltungsprozesse – auch bezogen auf theoretische Fundierungen – reflektiert.

Diskussion

Allgemein handelt es sich um einen zu empfehlenden wissenschaftlichen Sammelband zu unterschiedlichen Ansätzen der Teilnehmenden Beobachtung aus künstlerisch-therapeutischer Sicht. Anzumerken ist, dass im Rahmen der Quantenphysik festgestellt wurde, dass sich bezogen auf die Beobachtung die physikalische Reaktion verändert, d.h. als Beobachtungseffekt. Abhängig von der jeweiligen Versuchsanordnung kann in der Quantenphysik Licht entweder als Teilchen oder Welle wahrgenommen werden bzw. eine Wirklichkeit durch die Beobachtung beeinflusst werden. Unter Beobachtung verhalten sich Elektronen z.B. wie Teilchen und nicht wie Wellen, wodurch das Experiment allein durch die Intensität der Beobachtung beeinflusst wird, und zwar als Interferenzmuster der durch die Öffnungen in der Schranke passierenden Elektronenwellen, d.h. auch bei Benutzung eines hochkomplizierten Elektronendetektors – eines sogenannten ‚Quantenguckers‘ – zur Elektronenerkennung. Von daher ist im übertragenen Sinn eine Teilnehmende Beobachtung auch immer von einer Art unbewusster oder bewusster Beeinflussung des zu beobachtbaren Feldes geprägt. Dies wird auch bereits durch die Begrifflichkeit der Teilnahme deutlich. Dennoch beinhaltet es eine wichtige Methode, um sich der multi-ästhetischen Vielschichtigkeit des künstlerisch-therapeutischen Mediums anzunähern.

Fazit

Die vielschichtigen Ansätze zu den Künstlerischen Therapien in diesem Sammelband problematisieren dies auf unterschiedlicher Ebene und eröffnen für weitere Forschungsarbeiten spannende Zugänge und mögliche Weiterentwicklungen. Dahingehend ist der Sammelband für eine breite Leserschaft zu empfehlen, d.h. sowohl für Lehrende und Studierende in Bereichen der Künstlerischen Therapien als auch für Wissenschaftler*innen der qualitativen Sozialforschung als erweiterten Zugang zum Forschungsgebiet.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Ruth Hampe
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Es gibt 15 Rezensionen von Ruth Hampe.

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Zitiervorschlag
Ruth Hampe. Rezension vom 11.01.2022 zu: Gabriele Schmid, Peter Sinapius, Rosemarie Tüpker, Harald Gruber (Hrsg.): Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien. epubli (Berlin) 2020. ISBN 978-3-7502-8257-5. Reihe: Wissenschaftliche Grundlagen der Künstlerischen Therapien - 8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29004.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.


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