Johannes Michalak, Thomas Heidenreich et al.: Achtsamkeit
Rezensiert von Dipl.-Psych. Marianne Tatschner, 16.08.2022
Johannes Michalak, Thomas Heidenreich, J. Mark G. Williams: Achtsamkeit.
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2021.
2., überarbeitete Auflage.
100 Seiten.
ISBN 978-3-8017-3040-6.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 28,20 sFr.
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie - 48.
Thema
Dieses Buch führt in die Achtsamkeit als therapeutisches Prinzip ein und stellt damit in der Fülle der Achtsamkeitsliteratur ein kompaktes Überblickswerk dar, das sich speziell an Psychotherapeut*innen und klinische Psycholog*innen richtet. Der Schwerpunkt liegt somit darauf, wie Achtsamkeit als Behandlungsmethode bei psychischen Störungen bzw. bei störungsübergreifenden dysfunktionalen gedanklichen Abläufen wie Grübeln und Sorgenketten therapeutisch nutzbar gemacht werden kann.
Aufbau und Inhalt
Der Hauptteil des Buches gliedert sich in fünf Kapitel, wobei Kapitel vier sowohl quantitativ als auch inhaltlich am meisten Gewicht zukommt.
Kapitel eins – „Beschreibung der Methode bzw. des Behandlungsprinzips“ – definiert den Begriff der Achtsamkeit und gibt einen Überblick über die achtsamkeitsbasierten und achtsamkeitsinformierten Verfahren, also die Verfahren, die die Achtsamkeit „als zentrales Therapieprinzip“ integrieren (S. 9), sowie diejenigen, bei denen die Achtsamkeit eines von mehreren Therapieprinzipien darstellt.
Kapitel zwei – „Theoretischer Hintergrund des Verfahrens“ – beschreibt die zentrale Wirkweise von Achtsamkeit in psychologischen Begrifflichkeiten und soll Praktiker*innen auch Hilfestellungen für die Psychoedukation liefern.
Kapitel drei – „Indikation und Diagnostik“ – beschreibt die Indikation und Diagnosestellung, zunächst für Menschen mit einer rezidivierenden depressiven Störung, die aktuell keine depressive Episode erleben. Dies ist der ursprüngliche Anwendungsbereich für die Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT), das von Beginn an als therapeutisches Programm konzipierte achtsamkeitsbasierte Verfahren. Im weiteren Verlauf diskutieren die Autoren die Anwendung von Achtsamkeit bei akuten Depressionen und anderen Störungsbildern sowie Kontraindikationen für die therapeutische Nutzung von Achtsamkeit.
Kapitel vier – „Behandlung“ – bietet Anwender*innen einen praxisorientierten Zugang zur Integration von Achtsamkeit in die Behandlung. Einzelne Achtsamkeitsübungen werden vorgestellt und so präsentiert, dass die Leser*innen sie mit Hilfe der abgedruckten Texte in ihren Kontexten anwenden können. Gleichzeitig weisen die Autoren wiederholt darauf hin, dass eine eigene Achtsamkeitspraxis und fundierte Erfahrung mit den Übungen erforderlich sind, um sie Patient*innen sinnvoll zu vermitteln. Weiterhin enthält das Kapitel die ergänzenden kognitiv-verhaltenstherapeutischen Elemente der MBCT und beschreibt Wirksamkeit und Anwendungsvarianten in verschiedenen Settings sowie den Umgang mit Schwierigkeiten, die in den Übungen auftreten können, z.B. Langeweile oder „Gedankenwandern“ (S. 83).
Kapitel fünf – „Kritische Aspekte im Zusammenhang mit achtsamkeitsbasierten Verfahren“ – widmet sich u.a. den Nebenwirkungen von Achtsamkeit und „McMindfulness“, der „zunehmenden Kommerzialisierung von Achtsamkeit gerade im Wirtschaftsbereich“ (S. 89).
Ein Literaturverzeichnis sowie einige Kompetenzziele und Lernkontrollfragen runden das Buch ab.
Diskussion
Mit ihrem Beitrag zur unter Therapeut*innen gut bekannten „blauen Reihe“ legen die Autoren eine ebenso informative wie kompakte Einführung in der Thema „Achtsamkeit“ im psychotherapeutischen Kontext vor. Es ermöglicht Praktiker*innen aus dem klinischen Bereich, die Sinnhaftigkeit von Achtsamkeit als Therapieprinzip für ihre Patient*innen zu beurteilen und Achtsamkeitsübungen bei gegebener Indikation in ihren Kontexten anzuwenden.
Dass dies auch Gefahren birgt, etwa im Sinne eines psychotherapeutischen McMindfulness, scheint den Autoren durchaus bewusst zu sein, so dass sie dem Stellenwert der eigenen Praxis der professionellen Anwender*innen ein eigenes Unterkapitel widmen (S. 33-34: „4.1 Achtsamkeitserfahrung des Behandlers“) und auch bereits in ihrem Vorwort darauf hinweisen (S. 3). Ob damit eine adäquate Positionierung im „Spannung[sfeld] zwischen den Polen wissenschaftlicher Forschung und Achtsamkeitsdisziplin“ (S. 2) im Sinne der Patient*innen gelingt, wird wohl von dem oder der jeweiligen Behandler*in abhängen. In jedem Fall ist das Problembewusstsein der Autoren in diesem Zusammenhang erfreulich.
Besonders positiv hervorzuheben ist an diesem Band der übersichtliche Aufbau und die Themenauswahl, die theoretische und praktische Elemente gleichermaßen berücksichtigt, den Nutzen für Anwender*innen stets im Blick hat und die zentralen Punkte ohne Verlust an Tiefe kurz und klar beschreibt.
Fazit
Zusammenfassend ein sehr empfehlenswertes Buch für klinische Praktiker*innen, die sich für die Integration von Achtsamkeit in ihre Behandlungen interessieren, insbesondere – aufgrund der kompakten Länge von 100 Seiten – ein schneller und doch äußerst fundierter Einstieg. Wenn die Leser*innen dann die Mahnung der Autoren ernst nehmen und ihrer Arbeit mit Achtsamkeit im klinischen Setting eine eigene Achtsamkeitspraxis an die Seite stellen, wird dieses Buch sicher ihre klinische Arbeit und wahrscheinlich auch ihr persönliches Leben bereichern.
Rezension von
Dipl.-Psych. Marianne Tatschner
systemische Therapeutin und MBSR-Lehrerin
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Es gibt 8 Rezensionen von Marianne Tatschner.
Zitiervorschlag
Marianne Tatschner. Rezension vom 16.08.2022 zu:
Johannes Michalak, Thomas Heidenreich, J. Mark G. Williams: Achtsamkeit. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2021. 2., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-8017-3040-6.
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie - 48.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29042.php, Datum des Zugriffs 12.11.2024.
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