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Alexander Dietz: Plötzlich bei der Kirche

Rezensiert von Dr. Felix Blaser, 28.01.2022

Cover Alexander Dietz: Plötzlich bei der Kirche ISBN 978-3-374-07003-9

Alexander Dietz: Plötzlich bei der Kirche. Dialog über Glaubensfragen für Mitarbeitende der Diakonie. Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) 2021. 165 Seiten. ISBN 978-3-374-07003-9. D: 10,00 EUR, A: 10,30 EUR.

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Thema

Inwieweit sehen sich die rund 500.000 Mitarbeitenden der Diakonie als Mitarbeitende der Kirche? Welche theologischen Themen und Fragen sind für sie relevant? Und welche Schwierigkeiten stellen sich ihnen, wenn sie über ihre berufliche Praxis, den christlichen Glauben, die Kirche und die Diakonie nachdenken?

Was sich ergibt, wenn ein ebenso hörbereiter wie auskunftsfähiger Theologe mit Mitarbeitenden der Diakonie ins Gespräch kommt, zeigt Alexander Dietz in seinem Buch „Plötzlich bei der Kirche“. Er skizziert Denkwege zu Fragen des Glaubens, die nahe an der Praxis und am Leben sind, die Einzelne in ihrer persönlichen und beruflichen Lebenswelt betreffen und zudem hohe gesellschaftliche Relevanz haben. Dabei verschweigt der Autor weder Vorbehalte gegenüber dem Glauben oder der Institution Kirche, noch läuft er Gefahr, allzu einfache Antworten zu liefern und damit den Dialog zu beenden. Die als Gespräch aufbereitete Auseinandersetzung bietet klare Positionen und lädt zugleich zur eigenen Meinungs- und Urteilsbildung ein. Sie bietet in der Summe „so etwas wie eine Dogmatik … speziell für die Zielgruppe der halben Million Mitarbeitenden der Diakonie“ (S. 6), die vor allem mit ihren deutlichen theologischen Positionierungen und ihren vielfältigen Anregungen zum wechselseitigen Von- und Miteinander-Lernen überzeugt.

Autor

Alexander Dietz ist seit 2015 als Professor für Systematische Theologie und Diakoniewissenschaft an der Hochschule Hannover tätig. Nach dem Studium der Theologie, Philosophie und Betriebswirtschaftslehre promovierte er zum „homo oeconomicus“ in der Perspektive theologischer Wirtschaftsethik und verfasste eine Habilitationsschrift zur Ressourcenallokation im Gesundheitswesen. Daneben durchlief er verschiedene berufliche Stationen in Diakonie und Kirche. Weitere Informationen zu seiner Person, seiner Vita und seinen Forschungen gibt es hier: www.doktordietz.de

Entstehungshintergrund und Kontext

Mit seiner „theologischen Ethik für Mitarbeitende in der Diakonie“ legte Thomas Zippert im Jahr 2020 einen beachtlichen Entwurf für eine ethische Orientierung für Mitarbeitende in der Diakonie vor (Thomas Zippert: Diakonische Praxis. Theologische Ethik für Mitarbeitende in der Diakonie, Leipzig 2020). Neben der Fokussierung auf die Nutzer*innen diakonischer Angebote und einer sehr interessanten Entfaltung dessen, was unter gesellschaftlicher Teilhabe zu verstehen ist, griff er dabei auch theologische Themen auf, die von hoher dogmatischer und lebenspraktischer Relevanz sind (z.B. die Theodizee-Frage). So wichtig sein Beitrag „zur Formulierung einer spezifischen diakoniewissenschaftlich-theologischen Fachlichkeit“ ist, aus der „im Dialog mit anderen Fachdisziplinen moderne Diakonie entsteht“ (so Lars Eisert-Bagemihl in einer Rezension des Buches von Thomas Zippert), [1] so wenig wollte Zippert „so etwas wie eine Dogmatik“ vorlegen. Dieses Vorhaben unternimmt nun Alexander Dietz. Seine Erfahrungen und Expertise als „Grenzgänger und Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kirche und Diakonie sowie zwischen Systematischer Theologie und Diakoniewissenschaft“ (S. 162) markieren dabei die Kontexte, aus denen heraus das Buch entstanden ist – und in die es wieder hineinwirken möchte.

Aufbau und Inhalt

Das 165 Seiten umfassende Buch ist in sieben etwa gleich lange Kapitel gegliedert. Diese folgen dem konstruierten Gesprächsverlauf zwischen dem Autor und seinem Gegenüber und sind mit Zitaten aus dem Gespräch überschrieben. Hinweise zum Aufbau und zur Methodik fehlen. Versucht man, den innerer Zusammenhang durch Rückgriff auf die herkömmlichen Ordnungsbegriffe traditioneller christlicher Glaubenslehren zu erhellen, ergibt sich folgendes Bild:

  1. Annäherung (Prolegomena): „Mit christlicher Ethik kann ich etwas anfangen, mit Glaubenssätzen nicht“
  2. Lehre vom Menschen (Anthropologie): „Wichtig ist mir die unbedingte Würde aller, wirklich aller Menschen“
  3. Erkenntnis Gottes (Christologie): „Jesus ist für mich geschichtlich weit entfernt, aber was in der Bibel über seinen Umgang mit Menschen steht, spricht mich an“
  4. Schöpfungslehre, die Bestimmung des Menschen & die Lehre von den letzten Dingen: „Ich habe einen Funken Resthoffnung, dass am Ende hinter allem doch mehr als nur der blinde Zufall steht.“
  5. Gotteslehre: „Manchmal bete ich, aber ich weiß nicht, ob es jemand hört“
  6. Lehre von der Erlösung, Gnade und Rechtfertigung (Soteriologie): „Gott möchte eine Gerechtigkeit, die alles und jeden umfasst? Das will ich auch.“
  7. Lehre von der Kirche (Ekklesiologie): „Die Kirche muss diakonischer werden, damit auch wirklich Kirche drin ist.“

Dieser Aufbau zeigt, dass das Buch die zentralen Kategorien der klassischen Entwürfe christlicher Dogmatik aufgreift, – allerdings mit einem spezifischen Anfang und einem nicht weniger charakteristischen Ende. Auffällig ist nämlich, dass die „Dogmatik“ mit einem Kapitel zur „Ethik“ beginnt und mit einem zur Kirche aufhört. Statt in erklärenden Vorworten Hinweise zu Methodik, Aufbau, spezifischen Schwerpunkten oder bedeutsamen Kontexten zu liefern, wird das Gespräch über Fragen des Glaubens aus der Praxis, den handlungsleitenden Werten und damit der Ethik heraus entwickelt. Statt am Ende die Lehre von den letzten Dingen zu behandeln, was viele traditionelle Dogmatiken zu tun pflegten, rücken mit der Bezugnahme auf die Kirche, ihre jetzige und zukünftige Gestalt sowie ihr Verhältnis zur Diakonie am Ende des Buches wieder praxisrelevante Bezüge in den Fokus der Aufmerksamkeit, die in anderer Form auch am Anfang der Veröffentlichung im Mittelpunkt des Interesses standen. In besonders dichter Weise kristallisieren sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Bestimmung des Menschen, dessen „woran er sein Herz“ hängt im vierten Kapitel des Buches. Da die einzelnen Abschnitte aufeinander aufbauen, empfiehlt sich eine zusammenhängende Lektüre.

Diskussion

Mit der Verschränkung von Praxis und Theorie, von Lebenswelt, diakonischer Berufserfahrung und zentralen Inhalten des christlichen Glaubens ist ein bezeichnendes Merkmal des Buches benannt, dass sich nicht nur in den beiden rahmenden Kapiteln wiederfindet, sondern sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk zieht – und insgesamt als große Stärke zu werten ist. Wenn – um nur ein besonders prägnantes Beispiel zu nennen, – die hochdifferenzierte Rede über Schöpfung und die Vieldimensionalität des Lebens kontrastiert, wird mit dem Artensterben und der Tatsache, „dass Kinder durch Schimmel an den Wänden krank werden, weil das Jobcenter keine bessere Wohnung finanziert“ (S. 84), dann wird deutlich, was Alexander Dietz meint, wenn er sich als „Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kirche und Diakonie sowie zwischen Systematischer Theologie und Diakoniewissenschaft“ (S. 162) bezeichnet. Denn diese Verschränkung von Praxis und christlichem Glauben kommt in traditionellen Dogmatiken kaum bis gar nicht vor.

Ein Teilanspruch der Grenzgängerschaft von Alexander Dietz besteht darin, voneinander zu lernen. Der Autor schreibt: „Ich bin davon überzeugt, dass Theologen und Theologinnen von den Mitarbeitenden der Diakonie mindestens so viel lernen können und sollten wie umgekehrt“ (S. 5). Auf diesem Hintergrund erscheint es konsequent, dass die Auseinandersetzung über Glaubensfragen in Form eines Gesprächs dargestellt wird. Bei der Lektüre taucht dann aber die Frage auf, inwieweit der Autor tatsächlich von seinem Gegenüber lernt. Es ist nämlich dem Theologen vorbehalten, Missverständnisse aufzuklären: Alleine im ersten Kapitel erfolgt dies häufiger, der Begriff Missverständnis taucht an fünf verschiedenen Stellen auf und ähnlich „aufklärende“ Wendungen finden sich auch im weiteren Verlauf des Buches wieder (etwa wenn es um das Verständnis von Schöpfung, Gericht, Hölle, Gott, den Tod Jesu am Kreuz oder die Sünde geht). Diese Erklärungshäufung lässt weniger den Theologen als Lernenden sichtbar werden als sein Gegenüber. Sicher: Auch die kritischen Einwände des Gesprächspartners – exemplarisch „Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich zu denken habe. Ich lasse mich nicht missionieren.“ (S. 11) –, die Darstellung seiner eigenen beruflichen Praxis in der Diakonie und seine deutlichen Zweifel, was bestimmte theologische Interpretationen angeht (besonders prägnant bei der These, eines „behinderten Gottes“, S. 62 f.), markieren Positionen, die einen Theologen zu weiteren Denkbewegungen und damit zu einem Lernen veranlassen können. Inwiefern das erfolgt, wird im Buch aber nicht an allen Stellen klar benannt. Deutlich – und auch das ist als große Stärke zu werten – wird aber eingestanden, dass auch der Theologe auf bestimmte Fragen, etwa woher das Leid in der Welt kommt oder weswegen einige Menschen glauben und andere nicht – an die Grenzen seiner Auskunftsfähigkeit kommt. Dass diese Offenheit so deutlich benannt wird und keine Scheinantworten gegeben werden, überzeugt – und lässt Raum für weitere Denk- und Lernbewegungen.

Diese können sich auch an den theologischen Positionen entlang bewegen, die Alexander Dietz in seinem Buch in bestechender Klarheit formuliert. Mit Bezugnahme vor allem auf Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, Wilfried Härle, Ulrich Bach, Henning Luther, Dorothee Sölle und lateinamerikanische Befreiungstheologen entfaltet Alexander Dietz die Kerngedanken des christlichen Glaubens – ohne dabei in traditionellen Sprachspielen zu versinken. Wie gut es ihm dabei gelingt, „Dogmatik“ und Diakonie in Verbindung zu bringen, sollen einige Zitate verdeutlichen, denn: „Die Diakonie kann Gott zwar nicht beweisen, aber erlebbar machen“ (S. 116). Dies geht, weil Gott Mensch geworden und mitten in die Welt gekommen ist. „Wer Gott sucht, muss ihn also mitten in der Welt suchen“ (S. 64). Es geht, weil Gott zum Kind geworden ist, „zum unvollkommenen und hilfebedürftigen Menschen. Wer Gott sucht, muss ihn also bei den Unvollkommenen und Hilfebedürftigen suchen“ (ebd.). Es geht, weil Gott sich in Jesus mit den Armen und Kranken identifiziert hat. „Wer Gott begegnen will, muss die Begegnung mit Armen und Kranken suchen.“ (ebd.). Kurzum: Wer Gott begegnen will, ist dann auf dem richtigen Weg, wenn er oder sie sich diakonisch engagiert.

In formaler Hinsicht wäre es schön gewesen, wenn der Autor auf eine durchgängig gendergerechte Sprache geachtet hätte. Auch hätte das Anliegen, von dem Gegenüber mehr über dessen „Theologie“ zu erfahren, mehr Raum einnehmen können. Das Zuhören scheint über weite Strecken eher der Gesprächspartnerin des Theologen zugeordnet zu sein. An welchen Stellen beide in ein weiteres Lernen kommen, wird nicht immer klar.

Das Buch ist in der Summe keine ganz leichte Lektüre. Der Autor richtet sich eher an einer Leserschaft, die über ein gewisses Maß an Vorbildung und eine Freude am intellektuellen Diskurs verfügt. Abgrenzungen von Talkshows (S. 31), „irgendwelchen Boulevard-Zeitschriften“ (S. 55), oder „oberflächlichen Medienbeiträgen“ (S. 79) machen deutlich, für welche Leserschaft das Buch nicht geschrieben ist. Wie beispielsweise ein türkischer Schulsozialarbeiter, der in der Diakonie tätig ist, die differenzierten Denkbewegungen nachvollziehen und verstehen können soll, bleibt fraglich. Beachtlich hingegen ist, dass bei allen kritischen Wendungen gegenüber bestimmten Medien der Autor ein Blick hat für die „sieben Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland“ (S. 69). Für diese – und vermutlich auch für andere Mitarbeitende in der Diakonie – braucht es andere Formate des Nachdenkens über Fragen des Glaubens. Das schmälert nicht den Wert des Buches, macht aber deutlich, dass „die Kommunikation des Evangeliums“ auf vielerlei Weise erfolgen kann. Die anspruchsvolle Gesprächsführung, die in dem besprochenen Buch skizziert ist, ist eine davon.

Fazit

Das überaus lesenswerte Buch von Alexander Dietz ist eine Fundgrube für den Austausch zu Glaubensfragen für alle jene, die in der Diakonie Mitarbeiten oder sich als (noch) nicht in der Diakonie Mitarbeitende mit Fragen des Glaubens beschäftigen wollen. Es weist sowohl in existentiellen Fragen Antwortmöglichkeiten bzw. Denkwege auf (Bestimmung des Menschen, Umgang mit den Unvollkommenheiten der Welt, mit Leiden, Tod, u.a.), ohne dabei strikt „dogmatisch“ im Sinne der Darstellung von normativ zu übernehmenden Glaubensinhalten zu werden. Neben der Bezugnahme auf existentielle und eine*n jede*n angehende Fragen rekurriert das Buch auf institutionelle Themen, wie z.B. die jetzige und zukünftige Gestalt von Kirche und die Frage, woran diese sich klugerweise auszurichten hat (Kapitel 7). Schließlich – was eine echte Stärke des Buches ist – werden immer wieder Perspektiven auf die gerechte Gestaltung von Gesellschaft skizziert (so in breiterer Form in den Kapiteln 1, 4, 5, 6 und 7). Damit spannt das Buch einen Horizont auf, der nicht immer bruchlos und abschließend beschrieben wird, sondern der es auch wagt, differente Sichtweisen zu benennen und als solche stehen zu lassen – und der immer wieder zur eigenen Urteilsbildung einlädt. Als Fazit bleibt daher festzuhalten, dass dem am Ende des Buches beschriebenen Wunsch eine große und möglichst baldige Erfüllung zu wünschen ist: „Dass viele Mitarbeitende in der Diakonie Lust auf Gespräche über ihre theologischen Fragen bekommen. Dass sie sich trauen, ihre eigenen Gedanken zu formulieren. Und dass die Theologen und Theologinnen in der Diakonie, in der Kirche und in der Wissenschaft ihnen zuhören, von ihnen lernen. Und an den vielen Stellen weiterdenken, an denen in diesem Buch interessante Fragen nur angedeutet werden konnten“ (S. 162).


[1] Eisert-Bagemihl, Lars: Buchbesprechung; in: Leitungsrat der Brüder- und Schwesternschaft Johannes Falk (Hg.): Einblicke und Ausblicke. Nachrichten der Brüder- und Schwesternschaft Johannes Falk, Frühjahr 2020, Eisenach 2020, S. 19 f.

Rezension von
Dr. Felix Blaser
Theologe und Wirtschaftsjurist, Doktor der Philosophie, Bereichsleitung Diakonie Hessen, Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie an der Evangelischen Hochschule Darmstadt
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Es gibt 1 Rezension von Felix Blaser.

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Zitiervorschlag
Felix Blaser. Rezension vom 28.01.2022 zu: Alexander Dietz: Plötzlich bei der Kirche. Dialog über Glaubensfragen für Mitarbeitende der Diakonie. Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) 2021. ISBN 978-3-374-07003-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29085.php, Datum des Zugriffs 20.03.2023.


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