Joachim Wagner: Rechte Richter
Rezensiert von Prof. Dr. jur. Susanne Benöhr-Laqueur, 14.06.2022

Joachim Wagner: Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? BWV • Berliner Wissenschaftsverlags GmbH (Berlin) 2021. 194 Seiten. ISBN 978-3-8305-5111-9. 29,00 EUR.
Thema
Am 24.3.2022 untersagte das Dienstgericht für Richter beim Landgericht in Leipzig dem ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und vormaligem Landgerichtsrichter Jens Maier die Führung der Amtsgeschäfte [1]. Diesem Beschluss war eine monatelange quälende öffentliche Diskussion vorausgegangen [2], ob ein Richter, der sich klar rechtsextremistisch positioniert hat, dem gesetzlichen Leitbild eines unabhängigen und objektiven Richters überhaupt entsprechen könne und welcher Weg zu beschreiten sei, um ihn (möglichst rechtssicher) aus dem Dienst zu entfernen. Handelt es sich bei Jens Maier nur einen Einzelfall? Diese Frage analysiert Joachim Wagner.
Autor
Joachim Wagner, Jahrgang 1943, war ein bekannter politischer Fernsehjournalist. Während seiner langjährigen Tätigkeit leitete er u.a. das ARD-Hauptstadtstudio in London und fungierte als Leiter des ARD-Politmagazins Panorama. Er ist promovierter Volljurist, besitzt damit die „Befähigung zum Richteramt“ und war zudem in den 1970er Jahren als Assistenzprofessor für Strafrecht an der FU Berlin tätig.
Entstehungshintergrund und Aufbau
„Die AfD ist die erste rechte Partei in der Geschichte der Bundesrepublik, die eine Position im Macht- und Verfassungsgefüge erklommen hat, die in die Justiz abstrahlt.“ (S. 10). Diese Wirkung entfaltet sich maßgeblich in zweierlei Hinsicht. Zum einen betrifft sie die Berufsjuristen und zum anderen die ehrenamtliche Richter. Folglich hat der Autor sein 194 Seiten umfassendes Werk in zwei Abschnitte (S. 15–192) aufgeteilt. Der erste Hauptabschnitt, welcher sich mit den studierten Richtern und Staatsanwälten befasst, beinhaltet 144 Seiten (S. 15–149). Er ist unterteilt in neun Passagen, der Seitenumfang beträgt zwischen 6 und 53 Seiten. Das zweite Hauptkapitel widmet sich auf 41 Seiten (S. 151–192) den ehrenamtlichen Richtern. Dieser Abschnitt ist in sechs Kapitel untergliedert, deren Seitenumfang zwischen 4 und 14 Seiten divergiert. Eine Einleitung von vier Seiten (S. 9–13) sowie ein Literaturverzeichnis von zwei Seiten (S. 193–194) vervollständigen das Bild.
Der Autor hat auf Kapitelnummerierungen verzichtet – sie werden lediglich durch Fettdruck hervorgehoben. Die 492 Fußnoten folgen der juristischen Zitierweise, d.h. es finden sich Gerichtsurteile, Bundestagsdrucksachen etc. pp. nur in der jeweiligen Fußnote.
Inhalt
1. Fragestellung
Der Inhalt des Buches besteht darin, zahlreiche sogenannte „Einzelfälle“ rechtspopulistischer und/oder rechtsextremer Auffälligkeiten im Bereich der Justiz aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang betont Joachim Wagner zunächst, dass die Personen erst dann entdeckt werden können, sobald sie deutlich erkennbar werden – sei es durch rechtslastige Amtsführung, außergerichtliche Aktivitäten im Internet oder als Wahlkämpfer bzw. als Bundes- oder Landesabgeordnete (S. 15). Bereits in der vier Seiten (S. 9 -13) umfassenden Einleitung lässt der Autor keinen Zweifel daran aufkommen, dass er ein rechtspolitisches Minenfeld betritt. Die Vorstellung, dass die „Dritte Gewalt“ über eine mangelnde Sensibilität oder Abwehrbereitschaft gegenüber rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Gedankengut verfüge, weist der Deutsche Richterbund – als die größte Standesvereinigungen – entschieden zurück (S. 11, 12). Die Neue Richtervereinigung ist wesentlich vorsichtiger in ihrem Urteil. Sie hat das Problem der „Rechten Schöffen“ bereits thematisiert (S. 13). Dieser diametralen Sichtweise auf rechtspopulistische und rechtsextreme Richter, Staatsanwälte und Laienrichter (S. 13) begegnet der Autor, indem er in der Einleitung sechs Fragen formuliert, die als Leitfaden dienen (S. 13):
- „- Besteht durch rechtspopulistische und rechtsextreme Richter, Staatsanwälte und Laienrichter eine Gefahr für die Justiz?
- Wie verbreitet sind rechtspopulistische und rechtsextreme Richter, Staatsanwälte und Laienrichter in der Justiz?
- Wie soll die Justiz auf Staatsanwälte und Richter reagieren, bei denen der Verdacht rechtslastiger Ermittlungen und Entscheidungen entstanden ist?
- Wie ist mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Staatsanwälten, Richtern und Laienrichtern umzugehen, die im Internet oder im Wahlkampf gegen das Mäßigungsgebot verstoßen?
- Wie groß ist die Wirkung von Einzelfällen für das Ansehen der Justiz und das Vertrauen in sie?
- Muss der Schutz der Justiz vor rechtspopulistischen und rechtsextremen Richtern, Staatsanwälten und Laienrichtern verstärkt werden?“
2. BerufsrichterInnen
Unbekannt ist, wie viele der 26.240 bundesdeutschen Berufsrichter der AfD angehören (S. 15, 16). Wer seine AfD-Mitgliedschaft verschweige und unauffällig agiere, biete keinen Grund zur Intervention. Gleichwohl scheinen Gerichtspräsidenten „froh, wenn sie keinen AfD-Problemfall in ihrem Haus haben“ (S. 17), denn es gelte bei etwaigen Disziplinarverfahren juristisches Neuland zu betreten (S. 17). Angesichts dessen sei das Reaktions- und Sanktionsspektrum der Justiz weitgefächert (S. 17). Im Hinblick auf Richter umfasse es bloße Untätigkeit, Verweisung bis hin zur Versetzung (S. 17). Zumeist begnüge sich die Justizverwaltung mit einem Verweis, da die Richter im allgemeinen nicht vorbelastet seien und dies zudem die Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen würde (S. 17).
Welche Ausmaße diese Indifferenz annehmen kann, macht der Autor anhand diverser Beispiele deutlich. In diesem Kontext referiert er auch den vorab erwähnten Fall Jens Maier (S. 127). Nachdem der Landgerichtspräsident zu der Erkenntnis gelangte, dass Maier in Verfahren mit AfD- oder NPD-Bezug nicht mehr „unbefangen richten“ (S. 127) könne, wurde im gegenseitigen Einvernehmen ein Zuständigkeitswechsel vollzogen. Maier urteilte fortan in Verkehrsunfall- und allgemeinen Zivilsachen (S. 127). Eine Disziplinarstrafe wurde nicht verhängt (S. 127). Maiers „rechten Furor“ (S. 127) stoppte dies nicht. Vielmehr trat er nun als Vorredner von Björn Höcke auf und warnte im Januar 2017 vor der „Herstellung von Mischvölkern“ (S. 127). Für diese und andere Äußerungen, u.a. auf Facebook, erhielt er lediglich einen „Verweis“ (S. 128). Den Fall Jens Maier verortet Joachim Wagner unter dem Stichwort: „Untätige Dienstaufsicht“ (S. 133).
Eine andere „Störquelle“ seien „politische Bewertungen in Urteilen“ (S. 133). Hierfür stünde exemplarisch der Fall von Richter Christian Dettmar aus Weimar. Amtsrichter Dettmar hatte in einer Einstweiligen Anordnung am 8.4.2021 verfügt, dass es an zwei Schulen in Weimar es den Schulleitungen und Lehrern untersagt sei, eine Maskenpflicht für die Schüler durchzusetzen, Mindestabstände vorzugeben und Schnelltest durchzuführen (S. 71). Ferner wurden die beiden Schulen aufgefordert zum Präsenzunterricht zurückzukehren. Damit hatte er die Corona-Schutzmaßnahmen für zwei Schulen in Thüringen kurzerhand außer Kraft gesetzt (S. 71). Ganz davon einmal abgesehen, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob ein Familiengericht (!) überhaupt zuständig ist (S. 71, 72), fragt Joachim Wagner: „Qui bono“? und legt ein politisch umtriebiges Netzwerk von „Anti-Corona-Maßnahmen-Gegnern“ offen (S. 74–76). Zwar hob das OLG Thüringen am 14.4.2021 den Beschluss des Familiengerichts Weimar auf, aber der Ansehensverlust war bereits entstanden (S. 81) und gegen Amtsrichter Dettmar wird seitdem wegen Rechtsbeugung ermittelt (S. 90).
2. StaatsanwältInnen
Joachim Wagner widmet sich auch „Rechten Staatsanwälten“. Hier verortet er eine fatale „Entpolitisierung der Strafverfolgung“ (S. 133). Das Plakat der Partei „Die Rechte“ während des Europawahlkampfes 2019: „Israel ist unser Unglück! Zionismus stoppen. Schluss damit!“ wahlweise gepaart mit dem Schild „Wir hängen nicht nur Plakate. Wir kleben auch Aufkleber“ ( S. 22) wurden von einem halben dutzend Staatsanwaltschaften und vier Generalstaatsanwaltschaften im Hinblick auf eine mögliche Volksverhetzung geprüft um dann einen israelbezogenen Antisemitismus unisono zu verneinen (S. 111) während die Verwaltungsrechtler ihn wiederum bejahten (S. 30, 31). Joachim Wagner befragte in diesem Zusammenhang Vertreter jüdischer Institutionen und der Deutsch-Israelischen Gesellschaftchaft Hannover sowie deren Rechtsanwälte nach den Ursachen für derartige Entscheidungen. Die Antworten lauteten im Kern wie folgt: Desinteresse, Gleichgültigkeit, Unverständnis für jüdische Mitbürger sowie Unkenntnis der historische Verantwortung (S. 33, 36, 37, 112).
3. Juristenausbildung
Mangelhafte Kenntnisse in neuerer deutscher Rechtsgeschichte sind ein Ausfluss der Juristenausbildung, deren Qualität seit Jahrzehnten einen permanenten Streitfall darstellt. Der Autor konstatiert: Die Reformbemühungen der siebziger Jahre seien in der Tat schon lange ad acta gelegt (S. 45), eine Einbeziehung der Sozialwissenschaften sowie eine Stärkung des Praxisbezuges in die rechtswissenschaftliche Ausbildung fände nicht statt und das Aufarbeiten des Versagens der Justiz während der NS-Zeit (S. 45) entfalle mittlerweile offenbar völlig. Joachim Wagner zitiert in diesem Zusammenhang den ehemaligen Amtsrichter und Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe Zwi Rappoport (S. 33). Er sieht die Ursache für die verweigerten Ermittlungen bezüglich der Wahlplakate „in der juristischen Sozialisation und in mangelnden Geschichtsbewusstsein“ (S. 45). Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Staatsanwaltschaft Braunschweig Äußerungen eines Mitgliedes der Partei Die Rechte auf einer Demonstration am Volkstrauertag 2020 gegenüber anwesenden Journalisten als „Judenpresse“ und „Judenpack“ wegen hinreichenden Tatverdachts zunächst ablehnte. Erst als die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig intervenierte wurden die Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung wie Beleidigung erneut aufgenommen (S. 46).
4. LaienrichterInnen
Joachim Wagner gelangt zu der Erkenntnis, dass es fast unmöglich sei zu erkunden, wie verbreitet das Phänomen rechtspopulistischer und rechtsextremer Schöffen und ehrenamtlicher Richter in der Bundesrepublik verbreitet ist (S. 173). Indizien für eine rechte Unterwanderung scheine es nicht zu geben, jedoch werde von Einzelfällen berichtet (S. 173). Das ist nicht weiter überraschend, weil die Nominierung von ehrenamtlichen Richtern sehr häufig durch die Kreistage und Stadträte durchgeführt wird. In den Kreistagen ist jedoch auch die AfD vertreten und dann ist – wie der Autor darlegt – juristische Kreativität gefragt. Im Jahre 2018 erschienen vier Anhänger der rechtsextremen Bewegung „Pro Deutschland“ auf der Wahlliste der Stadt Remscheid für das Landgericht Wuppertal. Der Rechtsausschuss des Landtages diskutierte zweimal über diesen Fall und löste in Abstimmung mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und dem Remscheider Stadtrat das Problem wie folgt: Die vier Personen wurden zwar nicht von der Liste gestrichen aber keinem Gericht zugewiesen (S. 153).
Diskussion
Joachim Wagner hat ein äußerst facettenreiches Werk vorgelegt. In formeller Hinsicht ist der Titel zwar „unscharf“, weil er die Staatsanwälte (und damit die Exekutive) miteinbezieht, aber das mindert nicht den Aussagewert. In materieller Hinsicht ist die Bestandsaufnahme erschreckend und offenbart, dass in den letzten Jahren massiv versäumt wurde, die institutionellen Strukturen zu hinterfragen und zu erneuern. Im Übrigen ist das Werk hochaktuell: Im Frühjahr 2022 wurde publik, dass Christian Heck, Richter am OLG Celle, ein langjähriger politischer Zögling des niedersächsischen NPD-Vorsitzenden Hans-Michael Fiedler war [3], um schließlich – offenbar unter Verschweigung seiner politischen Vergangenheit – in den niedersächsischen Justizdienst einzutreten [4]. Eine heikle Situation. Daran änderte auch die Aussage des Gerichtssprechers nichts, der sich bemühte zu erklären, dass der Richter nicht mit einschlägigen Äußerungen aufgefallen sei. Ferner wolle Heck seit seinem Eintritt in den Staatsdienst auch nicht mehr politisch aktiv gewesen sein. Dennoch deutete der Gerichtssprecher an, dass man sich seine Urteile nun genauer anschauen würde… [5]
Fazit
Joachim Wagners Werk ist ein unverzichtbarer Seismograph für die aktuellen rechtspolitischen Erschütterungen im Bereich der Rechtsprechung, Strafverfolgung und Juristenausbildung.
[1] Landgericht Leipzig, Beschluss vom 24.03.2022, Az. 66 DG 1/22, file:///C:/Users/​drben/​Downloads/​Medieninformation2_22.pdf (letzter Zugriff am 3.6.2022).
[2] LTO-Redaktion: Jens Maier darf vorerst kein Richter sein, 25.3.2022, https://www.lto.de/recht/​nachrichten/n/jens-maier-vorerst-kein-richter-dienstgericht-lg-leipzig/ (letzter Zugriff am 3.6.2022).
[3] Trittel, Katharina/​Isele, Sören/Finkbeiner, Florian/​Bruns, Hauke: Vom „Wächter am Tor“ zum „einsamen Wolf“. Der Multifunktionär Hans-Michael Fiedler und die Transformation der radikalen Rechten in Südniedersachsen. FoDEx-Studie, Göttingen 2022, S. 36, 37, 58, 59, 60, 61 (FN. 330), https://www.fodex-online.de/fodex-data/​akten/pdf/2022/Fodex-Studie-9-Fiedler-2022.pdf (letzter Zugriff am 3.6.2022). RiOLG Heck ist im aktuellen Geschäftsverteilungsplan des X. Zivilsenats nach wie vor gelistet, https://oberlandesgericht-celle.niedersachsen.de/startseite/​wir_uber_uns/​geschaftsverteilung/​geschaeftsverteilung-201410.html#10._Zivilsenat (letzter Zugriff am 3.6.2022).
[4] RND: Richter aus Niedersachsen soll Neonazivergangenheit verheimlicht haben, 2.5.2022, https://www.rnd.de/politik/​niedersachsen-richter-soll-neonazi-vergangenheit-verheimlicht-haben-E77AW2YW3JCMFB6ZC7N6CCFWZI.html (letzter Zugriff am 3.6.2022).
[5] Speit, Andreas: Eine Robe macht keine weiße Weste, in: taz, 4.5.2022, https://taz.de/Richter-mit-rechtsextremer-Vergangenheit/!5847770/ (letzter Zugriff am 3.6.2022).
Rezension von
Prof. Dr. jur. Susanne Benöhr-Laqueur
Ass. jur., Hochschullehrerin, Professorin für Staatsrecht und Eingriffsrecht an der HSPV NRW (Stand-ort Münster)
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