Uwe Uhlendorff: Methoden Sozialpädagogischen Fallverstehens
Rezensiert von Mandy Kretzschmar, 24.05.2022

Uwe Uhlendorff: Methoden Sozialpädagogischen Fallverstehens in der Sozialen Arbeit. Ein Grundkurs. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 182 Seiten. ISBN 978-3-7799-6766-8. D: 12,95 EUR, A: 13,40 EUR.
Thema
In diesem Grundkurs erlangen Fachkräfte der Sozialen Arbeit wegweisende Anregungen zur Aneignung der nötigen Handlungsansätze des Sozialpädagogischen Fallverstehens. Dieses Buch bietet das notwendige Basiswissen im Umgang mit komplexen Situationen, in denen zum Teil unterschiedliche Erwartungen und Handlungskonzepte aufeinandertreffen. Anhand von Fallbeispielen und Aufgaben können Fachkräfte den Umgang mit dem Handlungsansatz einüben. Dabei soll gemeinsam mit den Beteiligten geklärt werden, was der „Fall“ ist: Wer hat welche Probleme – und mit wem?
Autor
Uwe Uhlendorff studierte Pädagogik, Soziologie und Kommunikationswissenschaften an der Universität Göttingen. Er hat mehrere Jahre Erfahrung in der Heimerziehung gesammelt und promovierte zum Thema Sozialpädagogische Diagnosen. Seit 2004 ist er Professor für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Fachdidaktik der Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dortmund. Die von ihm gemeinsam mit anderen Forschern entwickelte Sozialpädagogische Familiendiagnose wird mittlerweile in vielen Jugendhilfeeinrichtungen angewendet. Neben Grundlagenforschung hat Uwe Uhlendorff zahlreiche Praxisentwicklungsprojekte und Fortbildungen zum Sozialpädagogischen Fallverstehen geleitet.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist eine erweiterte Fassung des Studienheftes „Sozialpädagogisches Fallverstehen und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit“ aus der Europäischen Fernhochschule Hamburg. Es beschäftigt sich mit den zentralen Fragestellungen:
- Was heißt Sozialpädagogisches Fallverstehen?
- Wodurch unterscheidet es sich von „nichtprofessionellen Verstehens- Prozeduren“ und von denen anderer Professionen?
- Welche Methoden gibt es dafür?
Erfolgreiche Soziale Arbeit bedarf professionelles Handeln sozialpädagogischer Fachkräfte. Zugrundeliegend ist das Fallverstehen im Sinne einer genauen Deutung der Lebenssituation der Klient*innen als Grundlage für die Entwicklung von Zielen, Handlungs- und Hilfeplänen.
Aufbau
Nach einer kurzen Einleitung gibt Uwe Uhlendorff Verwendungshinweise, die in Form von Piktogrammen im Buch schnell und eindeutig zu finden sind. Sie behandeln folgende Schwerpunkte:
- „Definitionen“, die für das Verständnis der behandelten Themen essentiell sind
- „Hinweise“, welche wertvolle Anregungen und Hinweise für die praktische Umsetzung geben
- „Können“, bietet einen Überblick über die wesentlichen (Lern-)Ziele der Themenschwerpunkte
- „Regel“, unter denen wichtige Grundregeln für die Methoden des Sozialpädagogischen Fallverstehens zusammengefasst sind.
Insgesamt ist das Buch in folgende drei Kapitel untergliedert:
- Sozialpädagogisches Fallverstehen im Allgemeinen, das fragend- erörternde sozialpädagogische Gespräch im Besonderen und das leidige Thema „Dokumentation“
- Sozialpädagogische Diagnosen
- Visualisierende Methoden des Sozialpädagogischen Fallverstehens
Nach der Schlussbetrachtung von Uwe Uhlendorff ist ein umfangreicher Anhang mit Materialien angefügt:
- Interviewleitfaden
- Bearbeitungshinweise zu den Übungen
- Lösungen der Aufgaben zur Selbstüberprüfung
- Prüfungsaufgaben
- Lösungen der Prüfungsaufgaben
Inhalt
Jedes Kapitel ist mit Fallbeispielen, Übungen und Aufgaben zur Selbstüberprüfung ausgestattet.
Im ersten Kapitel wird die Bedeutung des Sozialpädagogischen Fallverstehens vermittelt. Dabei werden Grundregeln des Erstgesprächs mit Adressat*innen der Sozialen Arbeit vorgestellt. Uwe Uhlendorff geht in diesem Kapitel auf die ersten Handlungsansätze des fragend-erörternden sozialpädagogischen Gespräches ein. Dabei zielt das Gespräch darauf ab, die Adressat*innen zu aktivieren, ihre Probleme zu reflektieren und eigenständig Lösungsansätze zu erarbeiten.
Das zweite Kapitel beinhaltet das Wissen über die sozialpädagogische Diagnose, ein Handlungsansatz des Sozialpädagogischen Fallverstehens, deren Ablauf in neun Arbeitsschritte unterteilt ist:
- Diagnoseeinleitung
- Vorgespräch
- Interviewe mit den Eltern, Jugendlichen und Kindern
- Teamauswertung der Interviews
- Einzelrückmeldungen
- Gegenseitige Vorstellung der Diagnoseergebnisse
- Reflexionsgespräch
- Hilfeeinleitung
- Selbstevaluation
Dieser Handlungsansatz wird insbesondere angewandt, wenn Gespräche zur Klärung der Problemlagen zwischen Fachkräften, Eltern und Jugendlichen nicht ausreichen. Die Sozialpädagogische Diagnose verbindet die subjektive Sichtweise der Adressat*innen mit der fachlichen Einschätzung der Fachkräfte und benötigte die Kooperation einiger Familienmitglieder. Das leitfadengestützte Interview enthält standardisierte Fragen zu den Zielpersonen, welche thematisch nach Zielalter aufgebaut sind. Unterstützende wird in diesem Kapitel das Genogramm vorgestellt und die Erarbeitung eines Zielplakates.
Im dritten Kapitel werden die Grundregeln und Anwendungsprinzipien von drei visualisierenden Methoden der Sozialen Arbeit vorgestellt:
- Das Familienszenario
- Arbeit mit Netzwerkkarten
- Arbeit mit einem Lebensstrahl
Sie ermöglichen den Adressat*innen eine bildhaft- symbolische Darstellung ihrer Lebenssituation.
„Visualisierende Handlungsansätze haben den Vorteil, dass sie Eltern, Jugendliche und Kinder noch stärker als bei Gesprächen in einen Zustand der Dezentrierung führen, das heißt in einem Modus, in dem sie sich in einem spielerisch-gestalterischen Prozess gegenwärtige, vergangene und zukünftige Lebensszenen vor Augen führen können.“ (S. 81)
Diskussion
Uwe Uhlendorff verfasste einen sehr praktischen Handlungsleitfaden für die Praxis, der die Fachkräfte befähigt, Gespräche innerhalb der Lebenswelt und Lebenslagen mit den Adressat*innen zu führen. Kern dieses Grundkurses von Uwe Uhlendorff ist die Sozialpädagogische Diagnoseform, die er im Rahmen zweier Praxisforschungsprojekte 1995 mit Stephan Cinkl selbst entwickelte und 2011 evaluierte. Unter dem Aspekt eines praxisnahen Handlungsleitfaden ist das Buch von Uwe Uhlendorff in keinem Fall zu kritisieren, da es Grundlagenwissen und vor allem auch visualisierende Methoden vorstellt und alle Beteiligten in eine Reflexion befähigt. Ziele, Folgen, Zwangskontexte, Macht und Verantwortung, Normativität und Konstruktivismus und die aktive Beteiligung der Fachkräfte in der Befähigung der Adressat*innen stellen Herausforderung und Spannungsfelder in der Anwendung dar, die in diesem Buch wenig beleuchtet werden. Lediglich der Kontext Macht (S. 75 ff.) wird in einem Exkurs angeschnitten.
Fazit
„Methoden Sozialpädagogischen Fallverstehens in der sozialen Arbeit – Ein Grundkurs“ von Uwe Uhlendorff nimmt die Arbeit Sozialpädagogischer Fachkräfte mit komplexen Problemsituationen von Familien in den Blick. Das Studienheft basiert auf evaluierter Studientätigkeit und standardisierten Leitfäden, die gerade Berufsanfängern der Sozialen Arbeit eine Lösungsperspektive aufzeigt. Innerhalb des Studiums bietet dieser Grundkurs notwendiges Basiswissen und zeigt verschiedene Methoden und Anregungen zu Handlungsansätzen des Sozialpädagogischen Fallverstehens. Durch die Vielzahl von Abbildungen, prägnanten Beschreibungen, Übungen und Piktogrammen können die Handlungsansätze verständlich eingeübt werden. Für den Preis von 12,95 € ist es vor allem als Nachschlagewerk uneingeschränkt zu empfehlen.
Rezension von
Mandy Kretzschmar
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