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Norbert Pütter, Rudolf Bieker (Hrsg.): Soziale Arbeit und Polizei

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 09.02.2022

Cover Norbert Pütter, Rudolf Bieker (Hrsg.): Soziale Arbeit und Polizei ISBN 978-3-17-039230-4

Norbert Pütter, Rudolf Bieker (Hrsg.): Soziale Arbeit und Polizei. Zwischen Konflikt und Kooperation. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2021. 264 Seiten. ISBN 978-3-17-039230-4. 34,00 EUR.
Reihe: Grundwissen Soziale Arbeit - 39.

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Thema

Soziale Arbeit und Polizei treffen in modernen Gesellschaften wie unserer häufig aufeinander, da sie sich in Teilen der gleichen Zielgruppen annehmen. Die Auseinandersetzung mit beiden Professionen ist immer häufiger Bestandteil der Lebenswelt vor allem von Menschen, die Soziale Arbeit in Anspruch nehmen. Dem jeweiligen Wirken von Sozialer Arbeit und Polizei liegen allerdings gänzlich unterschiedliche Aufträge, Selbstverständnis und Rechte zugrunde. Das führt mitunter dazu, dass die Begegnung Professioneller der Sozialen Arbeit mit der Polizei nicht selten schwierig, teils gar offen konfliktbehaftet, ist. Dies nicht zuletzt auch, weil Polizist:innen und Sozialarbeitende so manche Vorurteilen gegenüber der jeweils anderen Profession hegen. Norbert Pütter nimmt sich dieses Themenkomplexes in Soziale Arbeit und Polizei an. Er beleuchtet den gesetzlichen und gesellschaftlichen Auftrag, die Ziele und die Arbeitsprinzipien Sozialer Arbeit wie auch jene der Polizei. Dabei schildert der Autor, warum die Arbeitsweise beider Professionen von divergenten Erfolgskriterien und Strategien geprägt ist. Trotz dieser Unterschiede gibt es allerdings auch Gemeinsamkeiten und Kooperationen von Sozialer Arbeit und Polizei. Abgrenzung und Nicht-Kooperation waren in den 1980er-Jahren stark ausgeprägt, mittlerweile aber haben sich verschiedene Formen der Zusammenarbeit und des Dialogs entwickelt. Im Buch wird dies aufgezeigt, indem die Verhältnisse zwischen Polizei und Sozialer Arbeit in unterschiedlichen Kriminalitätsformen nachgezeichnet wie auch Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation beider Professionen beschrieben werden.

Autor

Prof. Dr. Norbert Pütter lehrt politische Zusammenhänge Sozialer Arbeit am Institut für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Er ist zudem Redakteur der Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/​CILIP“.

Aufbau und Inhalt

Das 2022 in der 1. Auflage im Verlag Kohlhammer erschienene Fachbuch hat 264 Seiten und gliedert sich in 11 Kapitel, wobei die ersten beiden Kapitel die Grundlagen bilden, auf denen die Darlegungen in den nachfolgenden Kapiteln dann aufbauen. Im ersten mit Die Polizei betitelten Kapitel (S. 15 ff.) befasst sich der Autor zunächst mit der Polizei als staatlicher und gesellschaftlicher Institution. Er stellt deren primäre Aufgaben, die Gefahrenabwehr und die Verfolgung von Straftaten, heraus und definiert, was darunter genau zu verstehen sei. Zudem geht er auf den inneren Aufbau, also auf die Organisation der Institution Polizei, ein, wobei er zwischen der Polizein der jeweiligen Bundesländern und der Bundespolizei differenziert. Auch die Funktionen von Spezialpolizeien greift der Autor auf. Des Weiteren verweist er darauf, dass sich die rechtliche und organisationale Sicherheitsarchitektur der Polizeiarbeit im Wandel befände. Ein neues Verständnis von Polizei nähme Gestalt an. „War der Fokus polizeilicher Aufmerksamkeit im alten Modell durch den Bezug auf die konkrete Gefahr begrenzt, so wird er durch die »vorbeugende Verbrechensbekämpfung« […] entgrenzt“, schreibt Pütter (S. 35). Der präventive Auftrag, den die Polizei mittlerweile auch habe, erhöhe das „Interesse der Polizei an sozialen Sachverhalten“, die auch das Metier der Sozialen Arbeit tangieren.

Der Bezug von Polizei und Sozialer Arbeit wird im zweiten Kapitel vertieft, das betitelt ist mit Kriminalität, Sicherheit und Soziale Arbeit (S. 36 ff.). Pütter nimmt sich hier zunächst den Begrifflichkeiten „Kriminalität“, „Sicherheit“ und „Kriminalisierung“ an. Er erläutert, was darunter zu verstehen ist und welche Implikationen dies für den Auftrag und das Selbstverständnis der Polizei in der Gesellschaft habe. Der Autor geht des Weiteren erneut auf die reaktive und präventive Zielsetzung der Polizei ein. Er schreibt, dass eine moderne Polizei ihren Blick „auf die sozialen Bedingungen richten [muss], unter denen sich kriminalisiertes Verhalten entwickelt“ (S. 45). Eine präventiv agierende Polizei müsse das „Vorgelagerte, das nicht kriminalisierte und das (noch) nicht gefährliche Vorfeld“ in den Blick nehmen (ebd.). Vor diesem Hintergrund ergäbe sich eine Verbindung zur Sozialen Arbeit. Pütter führt Gründe dafür aus, warum die Zusammenarbeit mit der Sozialen Arbeit für die Polizei wichtig sei (S. 47) und geht zudem auf die Konfliktgeschichte ein, die das Zusammentreffen der beiden Professionen in der Vergangenheit geprägt hat (S. 49 f.). Darüber hinaus beleuchtet der Autor den rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit von Sozialarbeitenden mit der Polizei. Er fokussiert diesbezüglich die Aspekte der Schweigepflicht, das Zeugnisverweigerungsrecht und die Anzeigepflicht. Im letzten Teil des Kapitels nimmt Pütter eine idealtypische Gegenüberstellung von Sozialer Arbeit und Polizei vor, in der er auflistet, durch welche Merkmale beide sich unterscheiden. Dass die Unterschiede beider Professionen eine punktuelle Zusammenarbeit keineswegs verunmöglichen, beschreibt Pütter im weiteren Verlauf des Buches, wo er deren Foren und Formen aufzeigt.

Im dritten Kapitel befasst sich der Autor zunächst mit Präventionsräten (S. 63 ff.). Er erläutert deren Funktion, nimmt sich der Bedeutung von Präventionsbegriffen an und legt dar, dass Kriminalprävention seit den 1990er-Jahren einen „Boom“ erfahren habe (S. 68). Der Autor unterscheidet lokale, landes- und bundesspezifische Ebenen der Prävention und stellt diese einander gegenüber. Wie und wo sich Polizei und Soziale Arbeit im Kontext der Kriminalprävention begegnen, wird ebenfalls beschrieben. In kriminalpräventiven Gremien sei die Polizei mit Abstand am häufigsten vertreten, auf der Arbeitsebene seien aber auch „in knapp der Hälfte der Gremien »Soziale Einrichtungen« beteiligt“, schildert er (S. 71). „Die Gremien stellen eine organisatorische Plattform dar, auf der sich Soziale Arbeit und Polizei begegnen (können)“, schildert Pütter (S. 72), der ebenfalls darlegt, welche Hoffnungen die Polizei mit dieser Begegnung und punktuellen Zusammenarbeit mit Akteur:innen der Sozialen Arbeit verknüpft. Die Zusammenarbeit in Gremien sei indes ambivalent, denn sie stelle die Soziale Arbeit auch vor Probleme. „Durch die Hinwendung zur Kriminalprävention wird die Soziale Arbeit näher in das sicherheitspolitische Feld eingebunden, dadurch aber auch „in ihrer Eigenständigkeit herausgefordert.“ Einerseits sei eine Aufwertung des Sozialen durch die „Indienstnahme für Sicherheitsbelange“ zu konstatieren (S. 75), andererseits könne das zu Problemen beim Vertrauensaufbau mit Klient:innen der Sozialen Arbeit führen und das Selbstverständnis der Professionellen negativ tangieren, die eben als Sozialarbeitende wirken und gesehen werden wollen – und nicht als verlängerter Arm der Polizei. Im weiteren Verlauf des Buches nimmt sich Pütter dann der konkreten Felder an, in denen sich Soziale Arbeit und Polizei begegnen.

Jugendliche als Adressat:innen beider Professionen stehen im Fokus des vierten Kapitels (S. 76 ff.). Der Autor geht auf „Jugenddelinquenz als weitverbreitetes Phänomen“ ein (S. 77) und beschreibt, wie sich diese in der Praxis zeige und welche Arten der Delinquenz zu unterscheiden seien. Wie und warum Polizist:innen in der Arbeit mit Jugendlichen bzw. beim Verfolgen von Straftaten von Jugendlichen anders vorgehen als beim Verfolgen von Straftaten älterer Personen, wird bezugnehmend auf die Polizeidienstvorschriften, die im Jugendbereich die Prävention von der Repression vorsähen, ebenfalls dargelegt (S. 81 f.). Der Autor schildert, wie polizeiliche Jugendsachbearbeitung aussieht und wie Polizist:innen Zugang zu Jugendlichen suchen und schaffen. Spezielle Jugendarbeit der Polizei fände etwa im Bereich Streetwork und an Schulen statt. Pütter benennt konkrete Kooperation mit der Sozialen Arbeit in Projekten und beleuchtet Institutionen sowie Verfahren der Zusammenarbeit (S. 97 f.). Als zentrale Beispiele für Kooperation benennt er Fallkonferenzen und Häuser des Jugendrechts. Zudem geht er vertieft auf die Jugendhilfe in Strafverfahren ein. Seine Darlegungen zu dieser Thematik zusammenfassend erklärt Pütter, das die Beziehungen zwischen Polizei und Sozialer Arbeit im Hinblick auf Jugendliche umfangreich und vielfältig seien, da beide Institutionen die Überzeugung teilten, „dass delinquentes Verhalten Jugendlicher nachhaltig nur verhindert werden kann, wenn auf deren soziale und individuelle Lage Einfluss genommen wird“ (S. 118). Für die Soziale Arbeit ergäbe sich aus der Kooperation aber eine Hypothek, da die Thematisierung Jugendlicher in der Kooperation mit der Polizei nur aus der Perspektive von Kriminalität oder Sicherheitsgefährdung betrachtet werde. Kooperation bzgl. der Arbeit mit Jugendlichen sei, so führt der Autor bezugnehmend auf polizeiliche Präsenz an Schulen aus, „ein prekäres Unterfangen für die Soziale Arbeit“ (S. 119). Die Ziele von Interventionen seien immer schon vorgegeben und wirkliche partizipative Prozesse, bei denen Jugendliche nicht in der Rolle der Problem-Verursacher gesehen werden, seien kaum ersichtlich.

Fußballfans und die Frage, wie Soziale Arbeit und Polizei im Umgang mit diesen interagieren, stehen im Mittelpunkt des fünften Kapitels (S. 121 ff.). Der Autor schildert zunächst allgemein, durch was sich Fans und Fankulturen auszeichnen, bevor er speziell auf Fußballfans (Ultras und Hooligans) als gefährliche Gruppen eingeht. Pütter geht zudem ein auf das Nationale Konzept Sport und Sicherheit, das aktuell 45 Seiten umfasse und zuletzt 2012 aktualisiert worden sei. Besagtes Konzept stelle „einen umfassenden Rahmen dar, in dem alle sicherheitsrelevanten Dimensionen berücksichtigt werden sollen.“ Es etabliere „ein dauerhaftes Netzwerk zwischen den wichtigsten Akteuren“, worunter sich auch Sozialarbeitende fänden (S. 125). Der Autor beleuchtet die Bedeutung der zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) für die polizeiliche Arbeit und erklärt, welche Instrumente Polizist:innen im Umgang mit gewalttätigen Fußballfans nutzen (können). Des Weiteren geht Pütter auf die professionelle Fanarbeit der Vereine und auf die von Fans selbst initiierten Fanprojekte ein. Die sozialarbeiterische Fanarbeit habe „in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Aufwertung erfahren“, schreibt er (S. 140). Sozialarbeitende seien heute umfassend in Sicherheitskonzepte eingebunden und begegneten der Polizei in diesem Kontext. Im sechsten Kapitel wird Häusliche Gewalt als weiteres Feld der Überschneidung von Polizeiarbeit und sozialarbeiterischem Wirken thematisiert (S. 142 ff.). Bezugnehmend auf die polizeiliche Kriminalstatistik beschreibt der Autor zunächst den Umfang und das Ausmaß häuslicher Gewalt. Zudem legt er dar, dass diese auch ein politisches Thema sei. Im Kontext häuslicher Gewalt sei das Strafrecht mehrfach ausgeweitet worden, erklärt Pütter anhand dreier Beispiele, bevor er auf das konkrete Hilfesystem, also auf Einrichtungen für die Opfer dieser Gewalt, eingeht. Der Autor befasst sich mit Frauenhäusern und Schutzwohnungen ebenso wie mit Beratungs- und Interventionsstellen, die von Akteuer:innen der Sozialen Arbeit betrieben werden. Er konstatiert, dass die Kooperation von Polizei und Sozialer Arbeit im Kontext häuslicher Gewalt im Gegensatz zu manchen anderen Begegnungsfeldern nur „selten problematisiert“ werde. Vielmehr gelte die Polizei als eine Art „Bündnispartnerin“ der Sozialen Arbeit im Kampf gegen häusliche Gewalt“ (S. 159).

Kinder und Jugendliche als Opfer/Gefährdete nimmt Pütter im siebten Kapitel in den Blick (S. 161 ff.). Er geht auf die Bedeutung des Kinder- und Jugendschutz ebenso ein wie auf die spezifische Rolle, die der Polizei im Jugendschutz zukomme. Konkret wird die Zusammenarbeit von Jugendamt und Polizei in Fällen der Kindeswohlgefährdung fokussiert. Der Autor konstatiert dazu: „Der familien- oder personenbezogene Informationsaustausch erfolgt nur in eine Richtung: Die Polizei meldet dem Jugendamt, aber das Jugendamt meldet nicht der Polizei zurück, welche Maßnahmen eingeleitet oder nicht eingeleitet wurden“ (S. 178). Wenn personenbezogene Daten weitergegeben würden, (was manchmal inoffiziell geschieht), erlaubte das „verbesserte polizeiliche Lagebilder und gezieltere polizeiliche Maßnahmen“, schreibt Pütter (ebd.). Die Drogen(-Szenen) ist ein weiterer Bereich, in dem Soziale Arbeit und Polizei regelmäßig aufeinanderstoßen. Dieses Themenkomplexes nimmt sich Pütter im achten Kapitel an (S. 179 ff.). Er setzt sich zunächst mit den rechtlichen Rahmenbedingungen (BtMG) auseinander. Dann schildert er, warum Drogen gesellschaftlich als Problem angesehen werden und wie die polizeilichen Strategien im Umgang mit Drogenhandel und -konsum aussieht. Ferner beschreibt der Autor lokale Arrangements (S. 185) der Zusammenarbeit und Überschneidung von polizeilicher Drogenbekämpfung und sozialarbeiterischen Aktionen im Umgang mit Drogen-konsumierenden Menschen. Er greift beides bezugnehmend auf Konsumräume sowie auf die offene Drogenszenen auf. Als zwei Beispiele der polizeilich-sozialarbeiterischen Kooperation benennt Pütter den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg und das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main.

Der Umgang mit MigrantInnen durch Akteur:innen der Sozialen Arbeit und Polizei steht im Zentrum des neunten Kapitels (S. 197 ff.). Pütter befasst sich hier zunächst mit den institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Auch setzt er sich eingehend auf das politisch vieldiskutierte Thema der Ausländerkriminalität damit auseinander, dass Migrant:innen aus polizeilicher Sicht sowohl als gefährdete Menschen wie auch teils als Gefährder in Erscheinung treten (S. 198). Er beleuchtet deren Kriminalisierungsrisiken ebenso wie den rechtliche Status, die mitunter schwierige soziale Lage und die kulturellen Milieus von Migrant:innen. Gerade im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrecht gäbe es diverse Schnittstellen, an denen sich Soziale Arbeit und Polizei träfen. Zu konstatieren sei, dass für die „Positionierung der Sozialen Arbeit im Kontext von Migration und Polizei […] von vordergründiger Bedeutung die Orientierung gegenüber MigrantInnen [ist], die in den Identitätskontrollen sichtbar wird“ (S. 213). Aufgrund der vielfach generalisierten Verdachtszuschreiben (racial profiling), mit der sich viele Migrant:innen konfrontiert sehen, welche sich „aus den Aufgaben und Befugnissen der Institution Polizei“ ergäben, blieben „die Sphären von Polizei und Sozialarbeit im Umgang mit MigrantInnen weitgehend getrennt“, meint Pütter (ebd). Eine Forderung nach Kooperation von Sozialarbeit und Polizei sei im Migrationsbereich kaum vorhanden. Es ergäbe sich aus naheliegenden Gründen, die der Autor im Text aufzeigt, „zwischen der Migrationssozialarbeit mit Geflüchteten und der Polizei keinerlei positive Überschneidungen (S. 215). (Aus eigener Erfahrung in der Integrationsberatung wie auch in der Jugendarbeit mit migrantischen Jugendlichen mit befristetem Aufenthaltstitel kann der Rezensent ergänzen, dass es wohl kaum ein anderes Tätigkeitsfeld gibt, wo es teils zu einer so ausgeprägten „Gegnerschaft“ von Polizei und Sozialer Arbeit kommt). Das zehnte Kapitel ist betitelt mit Weitere Felder der »Überschneidung« (S. 216 ff.). Hier benennt der Autor allgemein den öffentlichen Raum als Überschneidungsfeld, wo beide Professionen sich auf ihrer je eigene Art und mit unterschiedlichem Auftrag mit Obdachlosigkeit, Betteln, Prostitution und zur Schau gestellten Extremismen befassen. Wie sich die polizeilich-sozialarbeiterische Beziehung in den genannten Feldern konstituiere, wird dargelegt. Einen Unterpunkt bildet dabei die Deradikalisierung und der Ausstieg Jugendlicher aus extremistischen Szenen. Auch diesbezüglich wird die Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Polizei vom Autor beleuchtet.

Im letzten Kapitel (S. 229 ff.) nimmt sich Pütter des aktuellen Zustands der Zusammenarbeit (oder des Nebeneinander-Arbeitens) von Sozialer Arbeit und Polizei an. Er konstatiert, dass die Debatte um die Beziehung beider Professionen „zu häufig auf der Ebene von Bekenntnissen und unterstellten Behauptungen“ abliefe (S. 230). Sie leide daran, „dass Soziale Arbeit in unterschiedlichen Spielarten praktiziert“ (ebd.) werden, die sich eben hinsichtlich Zielsetzung und Klientel deutlich unterschieden, sodass verallgemeinerbare Kooperationsaussagen ob der Vielfalt im Feld schwer zu tätigen seien. Die Art und Qualität der Begegnungen beider Professionen sei sehr unterschiedlich und ließe sich „auf einem Kontinuum verorten, das von »arbeitsteiliger Zusammenarbeit« bis zu »bewusster Distanz« reicht“ (S. 230 f.). Pütters Fazit ist, dass die Beteiligung der Sozialen Arbeit an der Bewältigung von Kriminalität „als Geschichte ihrer Aufwertung gelesen werden“ könne, dass diese aber ihren Preis habe. „Je etablierter die Soziale Arbeit in einem Feld ist, desto mehr muss sie sich auf dessen Grundprinzipien einlassen“ (S. 232), erklärt der Autor. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die Soziale Arbeit nicht auf Augenhöhe mit der Polizei agiere und auf die Verwaltung von Delinquenz beschränkt bleibe. Hinzu komme, dass, je enger die Beziehungen von Sozialer Arbeit und Polizei seien, dies desto eher das Potenzial haben, „das Verhältnis zwischen SozialarbeiterInnen und KlientInnen negativ zu beeinflussen,“ weil der Vertrauensaufbau so gefährdet sei. „Indem die Soziale Arbeit der Kriminalisierungsperspektive folgt, setzt sie einen Mechanismus in Gang, den weder sie noch die KlientInnen in der Hand haben. Sobald sie in diesem Kontext agiert, wird sie als eine schwache und sich selbst schwächende Profession sichtbar“, meint Pütter (S. 233). Sozialarbeitende sollten sich daher gut überlegen, wann und wo Kooperationen mit der Polizei Sinn machten und wann davon eher Abstand genommen werden sollte. Summa summarum ergäben sich einige Vorteile der Kooperation, aber – gerade für die Soziale Arbeit – auch manche nachteiligen Effekte, die Sozialarbeitende bedenken müssten.

Diskussion

Was lässt sich zum Buch Soziale Arbeit und Polizei nun festhalten? Für wen ist es geschrieben, wie ist es im Fachdiskurs zu verorten und inwieweit kann das Werk empfohlen werden? Dazu kann der Rezensent folgendes festhalten:

Formalia, Verständlichkeit & Zielgruppe: Das Werk ist fachbuchtypisch gestaltet und strukturiert. Die serife Schrift ist hinreichend groß. Gleiches gilt für den Zeilenabstand, sodass das Buch gut zu lesen ist. Als suboptimal empfindet der Rezensent lediglich, dass das Werk auf leicht glänzendem Papier gedruckt ist. Je nach Lichteinfall kann das vor allem dann, wenn man bei Kunstlicht liest, etwas blendend wirken. Was das inhaltliche Verständnis anbelangt, ist positiv hervorzuheben, dass jedes Kapitel mit einer Zusammenfassung dessen beginnt, was Leser:innen dort erwartet. Für das Textverständnis relevante Begriffserklärung werden durch Einschübe regelmäßig erläutert. Auch finden sich im Anhang ein Abkürzungsverzeichnis und ein Stichwortregister. Zudem wartet der Autor am Ende jedes Kapitels mit Literaturhinweisen für Leser:innen auf, die sich noch tiefergehender mit der im Text angesprochenen Materie befassen möchten. Was die Zielgruppe anbelangt, richtet sich das Buch vor allem an Studierende der Sozialen Arbeit. Studierende der Kriminologie und Soziologie können von der Lektüre aber ebenfalls profitieren. Auch für Lehrende an Hochschulen, die Seminare zur Kooperation von Sozialer Arbeit und Polizei geben oder diesen Themenkomplex sonst wie in der Lehre aufgreifen wollen, ist das Buch eine gute Informationsgrundlage. Zu guter Letzt können berufserfahrene, Sozialarbeiter:innen und Polizist:innen von der Lektüre profitieren, die mehr über die Handlungsweisen und Selbstverständnisse der je anderen Profession erfahren wollen.

Verortung im Fachdiskurs und Wertung: Zur Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Polizei sind seit den 1970er-Jahren diverse Artikel und Aufsätze in Fachzeitschriften, von Sozialen Institutionen herausgegebene Publikationen (graue Literatur) wie auch einige Monografien erschienen. Zu nennen sind z.B. Kriminologie und Soziale Arbeit. Ein Lehrbuch (2014;2022) des Arbeitskreises HochschullehrerInnen Kriminologie, Strafrecht und Kriminologie für die Soziale Arbeit (2013) von DagmarOberlies, der (derzeit vergriffene) Sammelband Dasselbe in grün? Aktuelle Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit (2010) von Kurt Möller (Hrsg.) oder das Handbuch der polizeilichen Jugendarbeit. Prävention und kriminalpädagogische Intervention (2005) von Wilfried Dietsch & Werner Gloss. Auch einige Bachelor- und Diplomarbeiten wie z.B. Kooperationsmöglichkeiten von Polizei und Sozialer Arbeit zur Prävention von Jugendkriminalität (2017) von Julius Kohlhage oder – schon älter – Soziale Arbeit und Polizei (2003) von Christian Eder finden sich im Internet. Norbert Pütter selbst hat im Juni 2015 für die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/​CILIP eine 81-seitige Bibliografie existierender Fachveröffentlichungen erarbeitet. Es lässt sich also festhalten, dass der Themenkomplex Soziale Arbeit und Polizei regelmäßig beforscht wird. Der Autor ist einer der führenden Experten in diesem Metier. Pütter zeigt im hier rezensierten Werk auf, dass und warum die Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Polizei nicht immer leicht ist. Während die Polizei die staatliche Autorität vertritt, Gesetze durchzusetzen hat und deren Verstöße ahnden muss, also nach klaren Regel agiert, ist Soziale Arbeit oft eher durch Informalität bestimmt. Nicht das staatliche Gewaltmonopol, sondern Vertrauen, Freiwilligkeit und die Absicht des Helfen-Wollens sind die Basis sozialarbeiterischer Interventionen.

Die Frage nach der Herangehensweise wie auch die nach der Interventionsdauer und nach dem Zweck des Eingreifens wird von Professionellen der Sozialen Arbeit anders beantwortet als von Polizist:innen. Beide Professionen bearbeiten Problemen – und beide changieren in einer Doppelrolle, die durch Hilfe und Kontrolle geprägt ist. Eine zentrale Unterscheidung ist dabei, dass die Polizei meist eingreift, wenn Menschen Probleme „machen“, die Soziale Arbeit hingegen auf den Plan tritt, wenn Menschen Probleme „haben“. Da Menschen, die Probleme „haben“, anderen mitunter auch welche „machen“ (jedenfalls in der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft), begegnen sich Sozialarbeitende und Polizist:innen in beruflichen Kontexten des Öfteren. Ihr Handeln (oder auch bewusste Nicht-Handeln) steht in einem konfliktträchtigen Verhältnis, das teils zu sehr unterschiedlichen Überzeugungen und Interpretationen dessen führt, wie das Verhältnis von Probleme-„machen“ und Probleme-„haben“ ist, wie diese Probleme gelöst oder gelindert werden können und wann das erfolgreich ist. Pütter beleuchtet dieses Thematik. Er legt mit seinem Werk keine Studie vor, fördert also keine neuen Erkenntnisse zutage, sondern fast den aktuellen Stand der Wissenschaft und Praxis zusammen. Er tut das gut verständlich und nachvollziehbar. Angenehm ist auch, dass der Autor sich mit simplifizierenden Bewertungen der Kooperation als „richtig“ oder „falsch“ zurückhält. Er listet neutral-sachlich Chancen und Gefahren auf, wobei er diese nicht nur auf Adressat:innen von Polizei- und Sozialarbeit bezieht, sondern auch auf die Sozialarbeitenden selbst. Wer sich dafür interessiert, kommt in Norbert Pütters Buch auf seine/ihre Kosten. Die Lektüre dürfte zwar kaum dazu führen, dass Sozialarbeiter:innen und Polizist:innen ihr Verhalten im Umgang mit der jeweils anderen Profession grundlegend ändern (was schon aus rechtlichen Gründen kaum denkbar ist), sie kann Leser:innen aber dafür sensibilisieren, wie der/die anders Professionelle so „tickt“. Das nachvollziehbar zu machen, gelingt dem Autor gut.

Fazit

Norbert Pütter legt mit Soziale Arbeit und Polizei ein ansprechend gestaltetes Werk vor, in dem Foren und Formen des Zusammentreffens von Sozialarbeitenden und Polizist:innen dargestellt sowie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen kontextualisiert werden. Der Autor beleuchtet Konflikte und deren Gründe, zeigt aber auch Kooperationspotenziale auf. Deren mögliche Vor- und Nachteile für die Professionellen und deren Adressat:innen werde herausgestellt. Studierenden der Sozialen Arbeit, Soziologie und Kriminologie kann das Werk ebenso empfohlen werden wie Sozialarbeitenden und Polizist:innen, die sich über die Handlungsmodi und Selbstverständnisse der jeweils anderen Profession informieren wollen, auf die sie in ihrer Berufspraxis regelmäßig treffen.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit und Integrationsmanagement an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.
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Zitiervorschlag
Christian Philipp Nixdorf. Rezension vom 09.02.2022 zu: Norbert Pütter, Rudolf Bieker (Hrsg.): Soziale Arbeit und Polizei. Zwischen Konflikt und Kooperation. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2021. ISBN 978-3-17-039230-4. Reihe: Grundwissen Soziale Arbeit - 39. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29094.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.


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