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Wolf Rainer Wendt: Sorgen und wirtschaften

Rezensiert von Prof. Dr. Paul Brandl, 16.02.2022

Cover Wolf Rainer Wendt: Sorgen und wirtschaften ISBN 978-3-658-36132-7

Wolf Rainer Wendt: Sorgen und wirtschaften. Zur Ökologie sozialer und ökonomischer Daseinsgestaltung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2022. 174 Seiten. ISBN 978-3-658-36132-7. D: 51,39 EUR, A: 56,53 EUR, CH: 61,00 sFr.

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Der Autor

Wolf Rainer Wendt ist ein deutscher Sozialarbeiter, Sozialpädagoge und Sozialarbeitswissenschaftler. Er hat Philosophie, Psychologie und Soziologie in Tübingen und Berlin studiert und 1969 promoviert.

Er wirkte von 1969 bis 1977 in der Praxis der Sozialen Arbeit in der stationären und der ambulanten Jugendhilfe. 1978 wurde er Professor und Leiter des Studienbereiches Sozialwesen der Berufsakademie Stuttgart. In dieser Funktion war er bis 2004 tätig. Er lehrt weiterhin dort an der Dualen Hochschule BW und hat zudem eine Honorarprofessur an der Universität Tübingen inne. Er entwickelte u.a. das systemisch-ökosoziale Handlungsmodell und hat das Konzept des Case Managements im deutschsprachigen Raum eingeführt.

Thema und Zielsetzung

Nur zusammen sind nach Wolf Rainer Wendt die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Wirtschaft und Soziales – tragfähig. Die Sorge schließt ein Wirtschaften und das Sorgen für den dauernden Bestand gemeinsamen Daseins ein. Sorgen und Wirtschaften sind Bestimmungen menschlichen Daseins und ein Grunderfordernis ökologischen Handelns. Das Existenzial des Sorgens und des Wirtschaftens in einem ökologischen Bezugsrahmen ineinander überzuführen und ein Wirtschaften an das Sorgen von Personen und Gemeinschaften zu binden, ist das Anliegen dieses Buches.

Inhaltlicher Überblick

Einleitend (Kapitel 1) geht der Autor davon aus, dass in menschlicher Sorge mehr Vernunft ist als in den Geschäften, die getrieben werden. Die Sorge ist ihnen voraus und umgibt sie. Vor all dem, was unternommen wird, sorgen wir und alltäglich kümmern wir uns. In der Bewältigung eigenen und gemeinsamen Lebens, in sozialer Daseinsgestaltung und auch in privaten und öffentlichen Unternehmungen ist Anlass genug zur Sorge um unsere Welt. In der doppelten Perspektive des Lebens von Menschen einerseits und der Welt des Lebens andererseits treffen wir auf das Wirtschaften, dessen Geschehen das Leben in beiden Richtungen beansprucht und für das es in der ökosozialen Transformation von uns beansprucht werden kann. Der Autor geht in der Publikation von einer ökologisch orientierten Konzeption der vielseitigen und komplexen Verbindung des Sorgens und des Wirtschaftens aus.

Anschließend geht es im zweiten Kapitel um den Umfang des Sorgens (Sorgenden Handelns, Verteilung des Sorgens, Ökonomie des Sorgens). Die Sorge ist eine Bedingung des Menschseins und gilt dem Dasein in allen Aspekten. Die anthropologische Kategorie des Sorgens spannt den Bogen zwischen dem Selbstbezug eines Akteurs zum Weltbezug, den der einzelne Sorgende mit anderen Akteuren teilt. Der Begriff der Sorge, analog Care im Englischen, ist vieldeutig. Es gibt Fürsorge, Mitsorge, privates, öffentliches und berufliches Sorgen. Von der Besorgnis als emotionalem Zustand hebt sich das sorgende Handeln als Tätigkeit ab, dass bei zielgerichtetem Einsatz von Mitteln ein Wirtschaften nach sich zieht. Sorgen ist spezifisch in Bewältigungsaufgaben ausgelegt und als Sorgearbeit vorwiegend weiblich konnotiert. Ihre wirtschaftliche Bedeutung wird zunehmend erkannt. Jüngst hat die Pandemie erkennen lassen und deutlicher noch die Klimakrise, wie weit das Sorgen ausgreift, wie sehr es die Politik bestimmt und die Wirtschaft einbezieht.

Im dritten Kapitel macht sozial und wirtschaftlich die Besorgung des Lebensunterhalts. Wie und womit fängt das Wirtschaften an? Es hat seinen Grund in existenzieller Sorge um den Unterhalt des Lebens. In der Überführung der Logik des Sorgens (caring) in die Ratio des Wirtschaftens (doing economy) wird vom alten Verständnis häuslicher Gewinnung des Lebensunterhalts ausgegangen. Zu besorgen ist stets ein Grundbedarf an materiellen Mitteln sowie an immaterieller Regelung und Kultivierung gemeinsamen Daseins. Bezogen auf Ort und Zeit kann ein Wirt oder eine Wirtin haushaltend mit den vorhandenen Mitteln und Möglichkeiten sorgend disponieren. Das geschieht auch in Teilnahme am größeren Wirtschaftsgeschehen, in den Personen und Lebensgemeinschaften als Konsumenten und Produzenten auftreten und sich unternehmerisch bewegen können.

Kapitel 4 steht unter der Überschrift: Wirtschaften „von Haus aus“. Von der Antike bis in neuere Zeiten konstituierte das Sorgen in häuslicher Gemeinschaft die Wirtschaft. Ihr stand ein „Ökonom“ vor. In der Moderne löste sich die Einheit von Haushalt und Wirtschaft auf. Das Sorgen hat auf den Märkten keinen Platz. Bestimmend sind dort die Geschäftsinteressen. Das Wirtschaftsgeschehen wird von Haushalten (Personenhaushalten, Gemeinschaftshaushalten, öffentlichen Haushalten) umrahmt. Für diese Haushalte wird in der Wirtschaft als globaler Haushalt agiert. Für ein rücksichtsvolles Haushalten sind WirtInnen gefragt und mit ihnen kommt die Sorge in allem Wirtschaften wieder zum Zuge.

Der sorgende und wirtschaftende Staat ist die nächste Denkkategorie in Kapitel 5. Der moderne Staat entstand, um gegen Willkür selbstmächtiger Individuen aufzutreten, die ihre Geschäfte eigenständig und rücksichtslos betrieben. Die staatliche Sicherungsfunktion schließt die Förderung des allgemeinen Wohls ein. Der Staat ist zum Sorgenden im Hinblick auf die soziale Wohlfahrt geworden und im ökologischen Rahmen ist er auch als “Wirt“ gefragt. Der Staat setzt dem Wirtschaftsgeschehen nicht nur Regeln und Grenzen, sondern er wirtschaftet selber in seinem Haushalt sowie auf Märkten in einem Wechselverhältnis zu seinen Angehörigen.

In Kapitel 6 wird das „Geschäft“ und das Sorgen von Unternehmen ausgefaltet. Sorgende treten aus ihren Haushalten heraus in den offenen Raum des Wirtschaftsgeschehens und betreiben in ihm Unternehmen. Deren Geschäfte sind vielfältig im freien Markt und begrenzt nur durch öffentliche Regelungen. Die Standardökonomie beschreibt die auf Gewinn ausgerichtete, kapitalgestützte Erwerbswirtschaft; Unternehmen schaffen aber auch das Vermögen zu weiterer und nachhaltiger Entwicklung und bringen sie innovativ voran. Diskutiert wird die Rolle und Funktion von Wirtschaftsunternehmen im Verhältnis zu Haushalten im persönlichen, lokalen und globalen Rahmen.

Versorgung in ihren Strukturen und Prozessen ist das Thema von Kapitel 7. Die Daseinsvorsorge des Staates begegnet den Sorgen der Menschen um soziale Sicherheit, Gesundheit und die Bewältigung von Notlagen mit einem zunehmend ausgebauten Versorgungssystem. Seine Strukturen und Prozesse sind ständig der Reform bedürftig. Die organisierte Versorgung kann ihren Zweck nur erfüllen in Relation zum Situiert Sein, zur Selbstsorge und Mitsorge ihrer Adressaten und zur individuellen Wohlfahrt. In der Covid-Pandemie zeigte sich die Verhaltensabhängigkeit des Systems. Formeller und informeller Einsatz in der personenbezogenen Versorgung hängen zusammen und Sorgestrukturen wandeln sich. Zu diskutieren sind der Haushalt der Versorgung und die Bewirtschaftung der Beiträge.

Solidarisch sorgen und sozial wirtschaften sind die Fragestellungen von Kapitel 8. Gemeinsames Sorgen geht in gemeinsames Wirtschaften über. Dazu lädt die ökosoziale Transformation ein und um die eigene Versorgung zu sichern, wird in Selbstorganisation sozial gewirtschaftet. Historisch bildeten sich verschiedene Genossenschafts- und Kooperationsformate aus, die sich in der neoliberalen Ära als Sozialunternehmen darstellen. Sozialwirtschaft schließt neben den ihre Mitglieder dienenden Organisationen auch die in öffentlicher Dienstbarkeit organisierte Wohlfahrtspflege ein. Hinzu kommen solidarwirtschaftliche Projekte weltweit. Auch Erwerbsunternehmen suchen ein soziales Geschäft einzubinden und es mit einer ökologischen Ausrichtung ihres Handelns zu verknüpfen. Diese Entwicklungen sind Gegenstand des sozialwirtschaftlichen Diskurses. So wird die Breite des sozialwirtschaftlichen und wohlfahrtsdienlichen Wirtschaftens abgesteckt.

Im neunten und letzten Kapitel wird die gedeihliche Entwicklung unter ökologischen Vorgaben diskutiert. In globalen Krisen gilt die ökologisch ausgeweitete Sorge einer zukunftsfähigen und gedeihlichen Entwicklung des Zusammenlebens auf unserem Planeten. Hier wirkt man zusammen: mit zivilem Engagement, öffentlicher Meinungsbildung, Unternehmensverantwortung, wissenschaftliche Forschung und politischen Maßnahmen. Zur sozialen Frage ist nunmehr auch die ökologische Frage gekommen. Einer auf wirtliche Verhältnisse gerichteten Daseinsgestaltung widmen sich verschiedene Denkmodelle und Praxisprojekte. Sie haben die Gemeingüter (commons) im Fokus, das tätige Leben mit und in ihnen (commoning) sowie die Bindung von Wohlfahrt an gemeinsam zu schaffendes und zu wahrendes Wohl (common wealth). In dieser Verbindung kommen sorgendes Handeln und wirtschaftendes Wirken überein. Selbstsorge bewahrt sich in Weltsorge.

Diskussion

Abgesehen von einer manchmal etwas umständlichen Ausdrucksweise werden die Gedankengänge klar formuliert. Hervorzuheben sind die drei Säulen der Nachhaltigkeit Ökologie, Wirtschaft und Soziales – nur dieses Zusammenspiel bringt tragfähige Lösungen hervor. Da das Thema Pflege und Care – gerade in Zeiten von Corona thematisiert wird – ist es wert, die Frage nach dem Übergang vom Sorgen ins Wirtschaften zu stellen und umgekehrt auch die Frage, was das Sorgen „wert“ ist. Die Publikation zielt auf ein ausgewogenes Miteinander aller drei Säulen ab und liefert damit ein tragfähiges Fundament. Der Aufbau der Publikation aus der Historie des Sorgens und Wirtschaftens heraus führt den Leser zu einem vertiefteren Verständnis der Sozialwirtschaft und der Wohlfahrt.

Fazit

Noch etwa weiter gedacht würde sich die Frage zu stellen inwieweit nicht die Sozialwirtschaft neben der Urproduktion, der Produktion und der Dienstleistung zu einem vierten Sektor im Bereich der Volkswirtschaft avanciert. Man müsste sich nun mal genauer, also auch quantitativ damit auseinandersetzen, was denn da im Verlauf der Jahre alles nun zur mittlerweile relativ umfangreichen Sozialwirtschaft zählt und so das Sorgen des Wirtes in der Sozialwirtschaft einen neuen Stellenwert bekommen kann. In Summe ein Buch für fortgeschrittene Einsteiger.

Rezension von
Prof. Dr. Paul Brandl
war Professor für Organisationsentwicklung und Prozessmanagement, Berater für die Optimierung von Prozessen bei sozialen Dienstleistungen und Neugestaltung von sozialen Dienstleistungen insbesondere aus Sicht der KlientInnen und der Digitalisierung sowie dem prozessbasierten Qualitätsmanagement (pQMS extended®)
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Es gibt 104 Rezensionen von Paul Brandl.

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Zitiervorschlag
Paul Brandl. Rezension vom 16.02.2022 zu: Wolf Rainer Wendt: Sorgen und wirtschaften. Zur Ökologie sozialer und ökonomischer Daseinsgestaltung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2022. ISBN 978-3-658-36132-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29104.php, Datum des Zugriffs 21.03.2023.


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