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Thomas Duning, Christopher Göpel et al.: Delirmanagement im Krankenhaus

Rezensiert von Mandy Kretzschmar, 09.08.2022

Cover Thomas Duning, Christopher Göpel et al.: Delirmanagement im Krankenhaus ISBN 978-3-8426-0846-7

Thomas Duning, Christopher Göpel, Janina Santos Cid: Delirmanagement im Krankenhaus. Risiken erkennen und präventiv handeln : das demenzsensible Konzept des Universitätsklinikums Münster. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2021. 248 Seiten. ISBN 978-3-8426-0846-7. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 56,90 sFr.
Reihe: Pflege Management.

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Thema

Es ist nicht selten, dass gerade Menschen mit einer neurokognitiven Erkrankung, wie Demenz sehr häufig ein Delir erleiden. Das Syndrom verstärkt den Leidensdruck, Symptome und führt zu einer längeren Verweildauer im Krankenhaus. Mit dem längeren Aufenthalt der betroffenen Menschen steigt die Kostenbelastung der Kliniken enorm. In diesem Buch wird ein sehr praxisnahes Konzept zum Delirmanagement vorgestellt, welches sich auf viele Berufsgruppen innerhalb des Krankenhauses bezieht, sodass es kein reines Fachbuch der Krankenpflege ist.

Autoren

Professor Dr. med. Thomas Duning ist seit 2009 Facharzt für Neurologie und trägt zudem die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin und Geriatrie. 2010 habilitierte Prof. Duning über innovative MRT-Bildgebung und deren klinische Bedeutung bei neurodegenerativen Erkrankungen. Sein wissenschaftlicher und klinischer Schwerpunkt liegt neben der Delirprävention und -therapie in der Behandlung und Diagnostik neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere Demenzerkrankungen. Professor Dr. med. Thomas Duning gründete und leitete den Bereich „Demensensibles Krankenhaus“ des Universitätsklinikums Münster. Seit 2021 ist er Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Ost.

Christopher Robin Göpel hat 2003 die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger und danach das Studium zum Pflegediplomwirt absolviert. Im Studium fokussierte Christopher Göpel sich auf die Beratung und Integration von Angehörigen in der Demenzversorgung. Seit 2015 arbeitet er im Team des „Demenzsensiblen Krankenhauses“ und hat sich an der Entwicklung der Weiterbildung zum Pflegexperten Demenz und Delir beteiligt.

Janina Santos Cid hat 2009 die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert und konnte seitdem Erfahrung in der stationären pflegerischen Versorgung von älteren Patienten sammeln und seit 2018 ihre Kenntnisse im Case Management auf organisatorischer und administrativer Ebene erweitern. Zudem studierte Janina Cid berufsbegleitend Berufspädagogik im Gesundheitswesen und fungiert im „Demenzsensiblen Krankenhaus“ als verantwortliche Teamleitung der Pflegespezialisten.

Weitere Autoren dieses Buches sind Neurologen, Pflegekräfte, Gesundheitsökonomen, klinische Pharmazeuten und Sozialpädagogen am Universitätsklinikum Münster. Sie arbeiten alle im Bereich „Demenzsensibles Krankenhaus“.

Entstehungshintergrund

Die kognitive Störung des Delirs macht es der aktuellen Krankenhauslandschaft anhand der wenig einheitlichen Symptomen schwer. Aus multifaktoriellen pathophysiologischen Gründen ist eine klare Zuordenbarkeit zu einzelnen Fachgebieten oder Professionen nicht möglich. Das Universitätsklinikum Münster hat daher ein Konzept entwickelt, das sich auf den Sachverstand aus ärztlicher, pflegerischer klinisch-pharmazeutischer und auch sozialmedizinischer Expertise bezieht.

„Blicken Sie über den Tellerrand der einzelnen Professionen im Gesundheitswesen hinaus. Denn erst dann wird ein Delirmanagement wirklich effektiv gelingen.“ (Prof. Dr. med. Thomas Duning, S. 3)

Aufbau

Nach einem kurzen Vorwort der Herausgeber*innen ist das Buch in zehn Kapitel unterteilt:

  1. Relevanz des Themas
  2. Kognitive Störungen und Demenzerkrankung
  3. Multiprofessionelles Delirmanagement
  4. Pharmakotherapie: Prävention und Behandlung des Delirs
  5. Das Konzept zum Delirmanagement am Universitätsklinikum Münster
  6. Personenzentrierte Grundhaltung im Umgang mit Demenz und Delir im Krankenhaus
  7. Das Konzept der Angehörigenberatung im Krankenhaus
  8. Der Besuchsdienst als Delirprävention
  9. Sozioökonomische Relevanz: Was kostet ein Delir?
  10. Blick in die Zukunft: Was erwartet uns im Gesundheitssektor?

Inhalt

Im ersten Kapitel wird die Relevanz des Themas dargestellt. Die Grundlage des Buches bildet der demografische Wandel, sprich jede fünfte Person in Deutschland ist älter als 65 Jahre. Mit dem Alterungsprozess geht der Abbau kognitiver, physischer Leistungsfähigkeit einher und der Wegfall sozialer Kontakte. Neben dem kleineren Netzwerk leiden ältere Menschen häufig an mehreren Erkrankungen gleichzeitig und durch das höhere Alter besteht ein Risiko, an Demenz zu erkranken. Weiter sind Krankenhäuser in der Regel für akute Behandlung von Krankheiten ausgelegt, aber nicht auf Demenzkranke.

Ein demenzerkrankter Patient verweilt länger im Krankenhaus und verursacht dadurch höhere Kosten. Die ungewohnte Umgebung, der Wechsel der Orte und des Personals, Operationen, Infektionen sowie Medikamente sind für Demenzpatienten eine enorme Belastung verstörend und verursachen häufiger Delirien bei Demenzpatienten als bei Patienten ohne Demenz. Im Universitätskrankenhaus Münster bestand ein großer Behandlungsbedarf aufgrund steigender Anzahl älterer Patienten auf chirurgischen und konservativen Stationen, Konzepte zur Delirprävention und -management zu etablieren. Daraus entwickelte sich ein individuelles und pragmatisches Konzept zur Behandlung dieser Patientengruppe. Vordergründig wurden im multiprofessionellen Team die Betreuung und medizinische Versorgung der Risikopatienten angepasst.

Innerhalb des zweiten Kapitels werden Diagnostikverfahren kognitiver Störungen und Demenzerkrankungen (Symptomkomplex kognitiver Einschränkungen) erläutert. Es wird Bezug zum Alter genommen und die Demenzformen ausführlich beschrieben. Danach wird das Delir dargestellt, praxisnahe Fälle beschrieben und die Differenzialdiagnosen sowie Unterschiede zwischen Demenz und Delir erläutert.

Janina Cid führt im dritten Kapitel, multiprofessionellen Delirmanagement, in das pflegerische Delirprävention- und Delirmanagement ein und listet nach den altersbedingten Einschränkungen und Folgen eine Reihe spezifischer Maßnahmen auf:

  • Vermeidung von unnötigen Umgebungswechseln und auch Hospitalisierungen,
  • Begleitung und Schaffen von Bezugspersonen,
  • Kognitive Aktivierung,
  • Schaffen von Orientierung,
  • Bedürfnisse erfassen

und schließt mit einem Exkurs zu Maßnahmen der Umgebungsgestaltung im Rahmen der Delirprävention (Bilderstrecken, Demenzkoffer, Nesteldecken, Ruheplätze).

Weiter werden Screening-Instrumente im Delirmanagement vorgestellt, mit deren Durchführung das klinische Personal nützliche Informationen, die für die Prävention und Diagnostik relevant sein können. Es ist gegliedert in Assessmentinstrumente zur Abschätzung eines Delirrisikos und zur Diagnostik eines Delirs.

Prof. Duning geht intensiver auf das medizinische Delirmanagement ein und beschreibt das strukturierte Vorgehen beim Vorliegen neuer kognitiver Defizite und der Möglichkeit des Vorliegens eines Delirs:

  1. Unterscheiden: Verschlechterung Demenz vs. Delir
  2. Diagnostik zur Ätiologieklärung
  3. Nicht-medikamentöse Intervention prüfen
  4. Spezifische medikamentöse Therapie einleiten
  5. Kontinuierliches klinisches Monitoring

Es bedarf neben einer standardisierten Delirprävention das Konzept des strukturierten Vorgehens einer Delirbehandlung, da nicht jedes Delir verhindert werden kann. Im Anschluss des Kapitels wird das postoperative Delirmanagement, als Spezialfall, geschildert. Da das Delir mit über 50 % die häufigste Komplikation bei über 70-Jährigen in der stationären Behandlung ist.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der pharmakotherapeutischen Prävention und Behandlung des Delirs und unterteilt sich in:

  • pathophysiologische Hypothesen
  • Inadäquate Medikation bei älteren Patienten – und Alternativen
  • Pharmakokinetik und Pharmakodynamik des geriatrischen Patienten
  • Behandlung deliranter Symptome bei Patienten mit einem Parkinson-Syndrom

Detaillierte Ausführungen des Konzeptes zum Delirmanagement am Universitätsklinikum Münster mit Projektphase der internen UKM-Studie und ihrer praktischen Umsetzung werden im fünften Kapitel dargestellt.

Das sechste Kapitel ist sehr umfangreich und handelt von der personenzentrierten Grundhaltung im Umgang mit Demenz und Delir im Krankenhaus. Die Autoren beziehen sich auf den personenzentrierte Gesprächsführung von Carl Rogers, die Validationstherapie von Naomi Feil und Tom Kitwood, die sich beide in ihrer Arbeit auf Carl Rogers beziehen. Im Vordergrund des Ansatzes steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen zur Selbstverwirklichung. Es meint, dass personenzentrierte Pflege mit ihrer Gesprächsatmosphäre Grundlage für Kommunikation schafft, indem der Hilfesuchende mit seiner Welt stets im Vordergrund steht.

Darauf aufbauend wird das Haltungs- und Selbstpflegekonzept respectare® von Anja Nieländer vorgestellt. Das Konzept arbeitet mit ritualisierenden Berührungen und fördert den Respekt, Achtsamkeit, Beziehung und die Interaktion beim pflegebedürftigen Menschen. Im Umgang mit kognitiv eingeschränkten Menschen stellen Berührungen oft die einzig verbliebene Möglichkeit dar, mit der Außenwelt zu kommunizieren. In stressigen, vielschichtigen und von zeitlicher Knappheit geprägten Stationsalltag bedarf es manchmal nur kleiner, hilfreicher Gesten und Berührung als Kommunikationsmittel, die wie eine Brücke zum pflegebedürftigen Menschen fungieren. Im Kapitel wird eine Vielzahl an Berührungseinheiten bei respectare® bildhaft dargestellt und beschrieben.

Eine weitere wichtige Säule wird im siebten Kapitel beschrieben: Das Konzept der Angehörigenberatung im Krankenhaus. Anhand eines Fallbeispiels werden die wichtigsten Komponenten und Verfahren erläutert.

Im achten Kapitel wird die Etablierung des ehrenamtlichen Besuchsdienstes als Delirprävention beschrieben. Dazu wurde eine groß angelegte Akquise zur Erstellung eines Netzwerkes von Ehrenamtlichen über Presse, in enger Zusammenarbeit mit der Unternehmenskommunikation durchgeführt. Zur besseren Vernetzung und fachlichen Unterweisung des Ehrenamtes wurde eine Koordinationsstelle in das „Demenzsensible Krankenhaus“ ausgegliedert. Im Kapitel wird geschildert wie die Konzeption und Interkation im multiprofessionellen Team funktioniert und wie gut sich die der Besuchsdienst in den Klinikalltag integriert.

Das neunte Kapitel beleuchtet die sozioökonomische Relevanz für ein Krankenhaus mit den Grundlagen des DRG-Systems sowie den Möglichkeiten zur Ermittlung der Delirkosten für das eigene Krankenhaus.

Im zehnten Kapitel wird ein Blick in die Zukunft gewagt und Projekte wie „Kompass D2“, nationale Initiativen oder Qualitätsgemeinschaft Demenz-/​Delir-sensibler Gesundheitsversorger vorgestellt.

Diskussion

Die Informationen des Buches und die Arbeit im „Demenzsensiblen Krankenhaus“ sind grundsätzlich keine Neuerfindung, aber gut fokussiert und multiprofessionell dargestellt. Die Schwierigkeiten der Arbeit innerhalb der einzelnen Professionen scheinen in Münster aufgebrochen zu sein. Zum erfolgreichen Miteinander ist eine Kommunikation auf Augenhöhe wichtig, die innerhalb des Teams und zum delirgefährdeten Menschen. Das Konzept wurde auf mehrere Säulen gestellt und Ressourcen geschaffen, die im Nachhinein die Kosten, welche durch ein Delir entstehen, senken. Dies ist eine vorbildliche Herangehensweise und sollte in andere Krankenhäuser adaptiert werden. Alles in allem haben Prof. Duning und seine Kolleg*innen ein wunderbares Buch hervorgebracht, das vor allem durch aktuelle und zukunftsorientierte Inhalte sowie den hohen Praxisbezug glänzt und wichtige Aspekte der Relevanz und Verantwortung geriatrischer Patienten im Krankenhaus in den Vordergrund bringt. Die didaktische Aufarbeitung ist hervorragend und sehr gut nachvollziehbar.

Fazit

Die dargestellten Inhalte sind aktuell, empirisch fundiert und lassen sich gut lesen. Das Buch ist für jede Provision im medizinischen, therapeutischen, sozialen und pflegerischen Sektor uneingeschränkt zu empfehlen. Ganz besonders wichtig ist der Diskurs des Buches in der multiprofessionellen Arbeit innerhalb des Krankenhauses, um durch die Erkenntnisse der Autoren die Wichtigkeit der Interaktion zu vermitteln.

Rezension von
Mandy Kretzschmar
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Es gibt 18 Rezensionen von Mandy Kretzschmar.

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ISSN 2190-9245