Serge K.D. Sulz (Hrsg.): Heilung und Wachstum der verletzten Seele
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 12.05.2022

Serge K.D. Sulz (Hrsg.): Heilung und Wachstum der verletzten Seele. Praxisleitfaden Mentalisierungsfördernde Verhaltenstherapie.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2022.
260 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3141-9.
D: 32,90 EUR,
A: 33,90 EUR.
Reihe: CIP-Medien.
Thema
Das Buch will einen praktischen Zugang und konkrete Hilfestellung zur Umsetzung der anspruchsvollen Therapiekonzepte der Mentalisierungsfördernden Verhaltenstherapie (MTV) vermitteln. Die MTV besteht aus sieben Therapiemodulen und insgesamt fast hundert Übungen, die das Therapiespektrum vollständig abdecken. Die Module und die Übungen bilden einen Leitfaden für das therapeutische Handeln und sie geben Orientierung hinsichtlich des Therapieprozesses und der Störungs- und Therapietheorie.
AutorIn
Serge K.D. Sulz ist Psychiater (Verhaltenstherapie) Psychosomatiker (Psychoanalyse) und Honorarprofessor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Schwerpunkte sind Entwicklungspsychologie und Emotionsregulierung. Er beforscht das Emotion Tracking als ersten Schritt der Mentalisierungsförderung.
Erscheinungshintergrund
Seit Mitte 2019 erscheint die Buchreihe CIP-Medien im Psychosozial-Verlag, sie ist aus dem Verlagsprogramm des Verlags CIP-Medien hervorgegangen. Herausgegeben werden überwiegend Bücher und Arbeitsmaterialien, die sich am konkreten Bedarf praktizierender Psychotherapeut:innen unterschiedlicher Verfahren orientieren. Bestimmendes Wesensmerkmal ist, von einem tiefen Fallverständnis aus das praktische Vorgehen in der Therapiesitzung zum Thema werden zu lassen.
Aufbau und Inhalt
Das vollständige Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Homepage der Deutschen Nationalbibliothek.
Das Buch ist im Softcover-Format erschienen und hat einen Umfang von 260 Seiten, die sich neben der Einleitung in sieben Module untergliedern. Jedes Modul erklärt die Thematik und zeigt zahlreiche Übungen auf. Am linken oberen Seitenrand befindet sich die Überschrift des Moduls und am rechten oberen Rand die Überschrift des jeweiligen Abschnitts. Zahlreiche Abbildungen und Tabellen fassen Inhalte zusammen, einzelne Übungen und Übungsblätter heben sich durch Markierungen vom Fließtext ab. Kursiv gedruckte Passagen wenden sich direkt an Klient:innen.
In der Einleitung werden Grundlagen der Mentalisierungsfördernden Verhaltenstherapie (MVT) vorgestellt. Behandelt werden die Themen Bindung, Mentalisierung und Empathie (I und II). Das Kapitel endet mit der Beschreibung der Praxis der MVT.
Modul 1 „Beziehungsgestaltung, Bindungssicherheit herstellen“ stellt den Aufbau der therapeutischen Beziehung sowie die Vorbereitung auf die ersten Therapiegespräche in den Mittelpunkt. Enthalten sind Übungen z.B. zum sicheren Platz und zur sicheren Bindungsperson, eine Übung zu nicht befriedigten Bedürfnisse der Kindheit, eine Übung zum Bindungsinterview und ein Fragebogen zum Bindungstyp sowie eine Übung zur Herstellung von Bindungssicherheit in der therapeutischen Beziehung.
Modul 2 „Inneres Arbeitsmodell“ beschreibt die dysfunktionale Überlebensregel und kommt dann zur neuen Erlaubnis gebenden Lebensregel. Unter den Überschriften „Überlebensregel/​inneres Arbeitsmodell“, „Erlaubnis gebende Lebensregel“ und „Symptombildung durch die Überlebensregel“ werden Mechanismen erläutert. Auch in diesem Modul finden sich 19 Übungen wie z.B. zum inneren Arbeitsmodell, das dem eigenen Bindungstyp entspricht, eine Übung für die neue Erlaubnis gebende Lebensregel oder eine Übung dazu, welchen Einfluss die Überlebensregel hat. Es gibt Übungen zum neuen Umgang mit dysfunktionalen Persönlichkeitszügen, mit einem neuen funktionalen Umgang mit Zugehörigkeitsbedürfnissen, Autonomiebedürfnissen und Homöostasebedürfnissen. Ebenso gibt es Übungen zum neuen Umgang mit zentraler Angst und Wut, ein Entspannungstraining (PMR) und auch Übungen, bei denen kognitiv die Situation als bewältig bar eingeschätzt wird, Mensch sich ihre eigenen Fähigkeiten bewusst macht oder eine Übung, in der gelernt wird, mit dem Symptom umzugehen, die Reaktionskette zum Symptom zu entdecken und die Konsequenzen des Symptoms, die dieses aufrechterhalten, zu behandeln.
Modul 3 „Achtsamkeit und Akzeptanz als wirkungsvolle Stressbewältigung“ enthält tägliche Body-Scan-Übungen im eigenen Körper oder Körperregionen, Achtsamkeitsübungen zu Körperregionen oder im Alltag. Sechs Übung betreffen sog. WAS Fertigkeit wie 1: Wahrnehmen, 2: Beschreiben, 3: Teilnehmen und WlE-Fertigkeit 1: nichtwertend, 2: konzentriert und 3: wirkungsvoll sowie ein tägliches Achtsamkeitstraining im Alltag mit Übungen im Ruheraum.
Modul 4 „Emotion Tracking“ kommt den Gefühlen auf der Spur und zeigt den Weg zur tiefen emotionalen Erfahrung. Das Emotion Tracking umfasst sechs Schritte, bei denen Affekt und Motiv herausgearbeitet werden. Vor den Übungen wird der konzeptionelle Hintergrund einer gelingenden Problemaktualisierung erklärt. Anhand der Fallvignette von Frau N. in Form eines Beispielgesprächs für das Vorgehen beim Emotion Tracking bekommt die Leserschaft Einblicke z.B. beim Erkennen von Gefühlen. Besprochen werden auch emotionalen Themen wie Unglück und Glück und eine Übung zu den wichtigsten Gefühlen. Vorgestellt werden Wissens- und Kompetenzziele mit Übungen zur Emotionswahrnehmung im Zweiergespräch, zu Entbehrungen und Verletzungen in der Kindheit oder Imaginationsübungen zum verletzten Kind oder idealen Eltern. Anschließend rückt die praktische Anwendung des Emotion Tracking am Fallbeispiel Herr C. in den Blick. Weitere Erläuterungen beziehen sich auf eine transgenerationale Betrachtung. Das vierte Modul endet mit einem vergleichenden Ausblick auf das nächste Modul.
Modul 5 „Metakognitions- und Mentalisierungsförderung“ führt auf zwei Wege: 1.der Weg zu Theory of Mind und Empathie und 2. der Weg zu einer elaborierten Theory of Mind und Empathie. Die erste Übung ist eine Vorbereitung auf das Prinzip der mentalisierungsfördernden Gesprächsführung, die zweite Übung ist ein Beispielgespräch für die mentalisierungsfördernde Gesprächsführung. Fünf von acht Übungen richten sich auf die mentale Analyse sozialer Interaktionen (mentale Analyse des Problems, der Situation, der Reaktion, der Konsequenz des Verhaltens und der metakognitiven Reflexion).
Der Schritt von natürlicher Vitalität zur Selbstwirksamkeit sowie die affektiv-kognitive Entwicklungstheorie des Erlebens und Verhaltens, die Störungen der Entwicklung, die Behebung der Entwicklungsstörung und die Praxis der Entwicklungstherapie sind Gegenstand des Modul 6 „Entwicklung von der AFFEKT- auf die DENKEN-Stufe“. Die ersten drei Übungen handeln von Stufen wie 1. der AFFEKT-Stufe, 2.der DENKEN-Stufe und 3. der EMPATHIE-Stufe, es folgen Übungen zu primären und sekundären Gefühlen sowie zum primären und sekundären Selbstmodus. Das Modul schließt mit einer Übung zur neuen Lebensregel, einer Übung zur Wutexposition und zur Selbstbehauptung und Selbstwirksamkeit. Die letzte Übung bezieht sich auf die sog. Theory of Mind, also der Theorie des Mentalen.
Die „Entwicklung von der DENKEN- auf die EMPATHIE-Stufe“ ist Gegenstand des siebten Moduls, in dem es vom Schritt eines gesunden Egoismus zur Beziehungsfähigkeit und zur Empathiefähigkeit geht. Es sind 14 Übungen z.B. zu Gefühlen und Mitgefühl oder zur Wahrnehmung der Bezugsperson oder des Gegenübers allgemein. Es gibt Übungen zum achtsamen Zuhören oder zum Zurücktreten bei verbalen Angriffen. Negative Folgen des Verhaltens können visualisiert werden, es wird auch geübt, über die eigenen Gedanken zu sprechen und Bedürfnisse ausdrücken. Die letzten Übungen beziehen die Partnerschaft mit ein z.B. wird geübt, wie es gelingt, zu bemerken, was der Partner denkt, fühlt, möchte und tut, wie klärende Fragen gestellt werden können oder Enttäuschung des Partners/der Partnerin bestimmt werden können, falls es nicht möglich ist, den Bitten zu entsprechen.
Diskussion
MVT ist vom Autor als Brückenglied zwischen psychodynamischen und kognitiv-behavioralen Therapien entwickelt worden: die Entwicklungspsychologie mit Bindungstheorie nach Bowlby, der Neurobiologie nach Damasio und die kognitive Verhaltenstherapie nach Linehan. Der Autor hat seinen Ansatz der strategisch-behavioralen Therapie, kurz SBT weiterentwickelt (Tabelle S. 50). Er stellt mit diesem Buch eine Fülle von Schaubildern und Gegenüberstellungen zum Einordnen und Verstehen sowie Übungen für die praktische Anwendung zur Verfügung. Kursiv gedruckte Texte richten sich direkt an die Zielgruppe, diese Art der Ansprache hat einen hohen Aufforderungscharakter. Anliegen des Autors mit der Bereitstellung der Übungen ist, Interventionen für Patient:innen zur Verfügung zu stellen, Therapeut:innen zeitgleich Möglichkeiten des Trainings an die Hand geben. Diese eignen sich für Einzel- und Gruppensettings.
Das Emotion Tracking ist der wichtigste neue Baustein der MVT. Therapie ist effektiv, wenn es gelingt, Gefühle im Hier und Jetzt der Therapiesitzung ins Bewusstsein zu rücken. Emotion Tracking ist eine Form von therapeutischen Dialog, entstanden aus neurobiologischen und emotionspsychologischen Ansätzen, fokussiert auf Emotionen, Sichtbarmachen von Gefühlen, ihr Zustandekommen verstehbar zu machen, Bedürfnisfrustration bewusst zu machen und glücklich machende Befriedigung erlebbar werden lassen. Das führt im Effekt zu einer kognitiven Umstrukturierung (S. 111). Neben den Ausführungen im Buch gibt es auch eine gut verständliche Einführung bei youtube, zu finden unter „Serge Sulz MVT“.
Der Autor verwendet sehr viele Abkürzungen, wünschenswert wäre ein Abkürzungsverzeichnis zum schnellen Nachschlagen.
Fazit
Das Buch gibt einen praktischen Zugang und konkrete Hilfestellung zur Umsetzung der anspruchsvollen Therapiekonzepte der Mentalisierungsfördernden Verhaltenstherapie (MTV). Die MTV besteht aus sieben Therapiemodulen und insgesamt fast hundert Übungen, die das Therapiespektrum vollständig abdecken. Die Module und die Übungen bilden einen Leitfaden für das therapeutische Handeln und geben Orientierung hinsichtlich des Therapieprozesses und der Störungs- und Therapietheorie.
Ein Praxisleitfaden prall gefüllt mit Erklärungen und praxiserprobten Übungen, der hält, was er verspricht!
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
Website
Mailformular
Es gibt 315 Rezensionen von Petra Steinborn.