Ulrich Deinet, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit
Rezensiert von Larissa Fath, 06.09.2005
Ulrich Deinet, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2005. 3., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 668 Seiten. ISBN 978-3-8100-4077-0. 59,90 EUR.
Einführung
Offene Kinder- und Jugendarbeit - was ist das eigentlich? Welche Zielgruppen versteht man darunter? Welche Positionen werden hier vertreten? Welche theoretischen und praktischen Konzepte stecken dahinter? Wie ist die aktuelle Situation in diesem pädagogischen Feld? Wohin soll es in Zukunft gehen? Welche Probleme gibt es in diesem Bereich? Diesen und weiteren Fragen der offenen Kinder- und Jugendarbeit versucht das Handbuch einen aktuellen Diskursrahmen zu liefern. Dabei wird in dieser 3. Auflage des Buches der aktuelle fachliche Entwicklungsstand gezeigt, aber dabei auch die historische Entwicklung dieses komplexen pädagogischen Handlungsfeldes nicht vernachlässigt. Außerdem werden hier an Hand von aktuellen Situationen Wege aufgezeigt, wie mögliche Perspektiven für einen weiteren Veränderungs- und Qualifizierungsprozess in der offenen Kinder- und Jugendarbeit aussehen können, dem dieses pädagogische Handlungsfeld charakteristischer Weise unterworfen ist.
Es wird dabei gezeigt, dass sich im Laufe der Entwicklung der offenen Kinder- und Jugendarbeit vielfältigste Arbeitsweisen, institutionelle Formen, konzeptionelle Grundlagen sowie methodische Handlungsweisen ausgebildet haben. Die Differenziertheit und die Prozessförmigkeit dieses Feldes spielen dabei in den vielfältigen pädagogischen Debatten um die Konzepte und Praxis der offenen Kinder- und Jugendarbeit eine entscheidende Rolle. Das Handbuch möchte in dieser bestehenden Debatte keine Lösung geben, wohin es gehen soll, sondern durch verschiedene Argumente und Formen der offenen Kinder- und Jugendarbeit nur die vielfältigen Richtungen aufzeigen, wohin es gehen könnte.
Aufbau
Das Handbuch versteht sich als eine Aktualisierung der Ausgaben, die bereits 1998 erschienen sind. Dabei wurden in den aktuellen Ausgaben zahlreiche Texte neu geschrieben (32 von 77). Das Handbuch der offenen Kinder- und Jugendarbeit gliedert sich dabei in 10 verschiedene Kapitel. Jedes dieser Kapitel könnte dabei im Prinzip auch für sich alleine stehen, da sie nicht aufeinander aufbauen. Man kann sich somit also auch gezielt einzelne Kapitel herausnehmen und diese nach jeweiligem Interesse durcharbeiten.
Am Anfang der Thematik des Handbuches stehen, nach einem sehr informativen Vorwort mit einer Resolution zum Thema: "Jugendarbeit erhalten und verbessern", die Mitarbeiter und ihr pädagogisches Handeln. Danach folgen Kapitel über die Zielgruppen und Ziele, Konzeptionen und Methoden, Institutionelle Bedingungen, offene Kinder- und Jugendarbeit bei den Nachbarn, Geschichte, Politik, Kooperation und Vernetzung sowie Qualität, Konzept Entwicklung, Planung und Zukunft der Jugendarbeit.
Inhalt
Kapitel 1: MitarbeiterInnen und pädagogisches Handeln. In diesem Kapitel geht es um die Mitarbeiter und ihr pädagogisches Handeln in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Es wird u. a. darauf eingegangen, wie der "typische" Mitarbeiter in diesem Bereich aussieht, über welche Qualifikationen er meistens verfügt oder wie sich das Beschäftigungsverhältnis gestaltet. Außerdem wird darauf eingegangen, woher die Mitarbeiter noch Unterstützung bekommen (dem Team), was Teamarbeit bedeutet und sich gestalten kann. Den Abschluss dieses Kapitels liefert ein Aufsatz von Burkhard Müller, der sich mit dem professionellen Handeln im pädagogischen Alltag der offenen Kinder- und Jugendarbeit auseinander setzt. Dabei geht er neben den Bedingungen und Kriterien in der offenen Kinder- und Jugendarbeit u. a. auch auf die Herausforderungen in diesem Bereich ein.
Kapitel 2: Zielgruppen und Ziele der offenen Kinder- und Jugendarbeit. In diesem Kapitel stehen die Zielgruppen und Ziele der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Vordergrund. Exemplarisch werden hier einige Zielgruppen, wie zum Beispiel Mädchen, Jungen, Jungen und Mädchen bis 12 Jahre und Jugendkulturen dargestellt. Es wird dabei in den Texten u. a. beschrieben, wie sich die einzelnen Zielgruppen charakterisieren lassen und welches die Kernaufgaben in der pädagogischen Arbeit mit ihnen sind. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden die Themen, mit denen sich Kinder und Jugendliche beschäftigen sowie ihre persönlichen Ziele dargestellt. Neben Grundfragen, wie zum Beispiel was die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Freizeit anfangen, wird hier auch aufgezeigt, was die Freizeit für diese Gruppen, u. a. für ihre Entwicklung, bedeutet und wie auch gerade pädagogisches Handeln diesen Prozess weiter förderlich unterstützen kann.
Kapitel 3: Konzeption und Methoden. Hier werden die konzeptionellen Grundmuster offener Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt, die in den vergangenen Jahren diskutiert wurden und wichtige Einflüsse auf die Praxis hatten. Themen sind hier u. a. Kultur- und Medienarbeit oder multikulturelle Muster mit Migranten. Im zweiten Teil dieses Kapitels geht es um die Methoden der offenen Kinder- und Jugendarbeit, wie zum Beispiel Projektarbeit oder Abendteuer und Erlebnis. Es wird dabei dargestellt, was für eine Bedeutung die Methoden für die pädagogische Arbeit haben, was für sie charakteristisch ist und was für Möglichkeiten sie bieten.
Kapitel 4: Institutionelle Bedingungen. Diese Kapitel handelt von den institutionellen Bedingungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Im Blick stehen dabei rechtliche Grundlagen und rechtliche Themen aus dem Alltag, Strukturen und Daten, die verschiedenen Einrichtungstypen, sozial-räumliche Dimensionen, sowie die Träger und Finanzierungsmöglichkeiten in diesem Bereich.
Kapitel 5: offene Kinder- und Jugendarbeit bei den Nachbarn. Hier wird exemplarisch dargestellt, wie offene Kinder- und Jugendarbeit in anderen Ländern Europas (Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien, Italien) aussieht und sich gestaltet und was für Möglichkeiten sich hier für das praktische pädagogische Handeln bieten.
Kapitel 6: Geschichte. Natürlich darf in einem Handbuch über die offene Kinder- und Jugendarbeit auch ein geschichtlicher Überblick nicht fehlen. Ausgangspunkt hierfür ist das erste pädagogische Engagement für Jugendliche um 1900. Weiterverfolgt wird die Geschichte in einem Kapitel über die offenen Kinder- und Jugendarbeit seit 1945 und endet mit einem Text von Silke Schröder und Titus Simon, der die Entwicklung und den Wandel offener Jugendarbeit in den neuen Bundesländern skizziert.
Kapitel 7: Politik. In diesem relativ kurzen Kapitel geht es u. a. um die Themen offene Jugendarbeit und Sozialstaat, Kommunalpolitik und offene Kinder- und Jugendarbeit und um politische Durchsetzungsstrategien in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Außerdem wird hier sehr anschaulich der Jugendhilfeausschuss mit seinen Funktionen und Aufgaben dargestellt.
Kapitel 8: Kooperation und Vernetzung. Kooperation und Vernetzung ist auch in der offenen Kinder- und Jugendarbeit ein Thema. In diesem Kapitel werden von den Autoren verschiedene Kooperationspartner- und Institutionen, wie beispielsweise der ASD oder die Jugendberufshilfe, der Jugendeinrichtungen vorgestellt. Es wird dabei dargestellt, wie die Kooperationen im einzelnen aussehen können und was für Ziele die jeweiligen Kooperationspartner mit ihren Konzepten verfolgen.
Kapitel 9: Qualität, Konzeptentwicklung, Planung. Dieses Kapitel fasst die unterschiedlichen Ansätze und Praxiskonzepte zur Qualität, Konzeptentwicklung und Planung in der offenen Kinder- und Jugendarbeit zusammen. Es geht dabei u. a. konkret darum, wie sich Standards und Konzepte für die offene Kinder- und Jugendarbeit in der Praxis entwickeln, gestalten und sichern lassen können oder auch, was die Jugendhilfeplanung für die offene Kinder- und Jugendarbeit bedeutet.
Kapitel 10: Zukunft der Jugendarbeit. Hier zeigt Richard Münchmeier auf, welche Bedeutung die offene Kinder- und Jugendarbeit für ihre Zielgruppen in ihrer jeweiligen aktuellen Lebenssituation hat. Er entwirft dabei Zukunftsperspektiven, wie sie auch weiterhin für ihre Zielgruppen von nutzen sein kann.
Aufbereitung der Themen
Die Texte in dem vorliegenden Handbuch sind alle gut, kurz und prägnant geschrieben. Als Leser merkt man sehr schnell, dass die Autoren sich mit den behandelten Themen auseinander setzten und zum Teil auch selbst aus der Praxis kommen, was eine Übertragung auf die eigene Arbeit relativ einfach macht. Hilfreich ist am Ende vieler Texte das Literaturverzeichnis, so dass derjenige Leser, der sich mit den einzelnen Themen doch noch selbst intensiver auseinander setzen möchte, schnell für sich das Passende finden kann.
Zielgruppen
Die Herausgeber selbst sehen als primäre Adressaten dieses Handbuches vor allem die Praktiker der offenen Kinder- und Jugendarbeit selbst. Meines Erachtens lässt sich der Kreis der Adressaten für dieses Buch jedoch noch auf Studierende und Dozenten der pädagogischen Fachrichtungen, Kinder- und Jugendpfleger und Bildungsreferenten erweitern. Generell bietet das Handbuch sehr anschaulich einen Rundumblick für all diejenigen, die einen Einstieg in das Thema offene Kinder- und Jugendarbeit suchen.
Fazit
Die Neuauflage des Handbuches offene Kinder- und Jugendarbeit erscheint in einer für die offene Kinder- und Jugendarbeit außerordentlich schwierigen Zeit. Das Aufeinandertreffen von fiskalischer Finanzknappheit mit der gleichzeitigen Not, die Schule zu reformieren, führt dazu, dass offene Kinder- und Jugendarbeit einerseits bis zur Unkenntlichkeit zusammengekürzt wird und andererseits verbleibende Ressourcen an die Schulen verlagert werden. Damit besteht das ernste Risiko, die bestehende Infrastruktur der offenen Kinder- und Jugendarbeit nachhaltig zu zerstören. Diesem Trend versucht sich das Handbuch "in den Weg zu stellen" und den Diskurs innerhalb der offene Kinder- und Jugendarbeit zu stützen. Dem Leser soll dabei geholfen werden, sich selbst zu orientieren und einen eigenen Standpunkt und eine eigenständige Praxis für die eigenen Zielgruppen unter den eigenen Handlungsbedingungen zu entwickeln und zu verbessern, um so den bestehenden Trend aufzuhalten. Dabei gibt das Handbuch jedoch keine fertige Lösung, wohin es in der offene Kinder- und Jugendarbeit gehen soll, sondern die Autoren stellen unterschiedlichste Argumente und Positionen vor, was den Leser dazu anregen soll, sich selbst eine eigene Meinung zu den einzelnen Themen zu bilden. Somit wird der Leser selbst dazu aufgefordert, sich mit an dem Diskurs in der offene Kinder- und Jugendarbeit zu beteiligen und für sein Arbeitsfeld neue Wege in der offene Kinder- und Jugendarbeit zu finden.
Ein sehr gelungenes Handbuch!
Rezension von
Larissa Fath
Es gibt 4 Rezensionen von Larissa Fath.
Zitiervorschlag
Larissa Fath. Rezension vom 06.09.2005 zu:
Ulrich Deinet, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2005. 3., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-8100-4077-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2912.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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