Olivier David: Keine Aufstiegsgeschichte
Rezensiert von Anna-Lena Mädge, 23.05.2022
Olivier David: Keine Aufstiegsgeschichte. Warum Armut psychisch krank macht. Eden Books Ein Verlag der Edel Verlagsgruppe (Berlin) 2022. 240 Seiten. ISBN 978-3-95910-331-2. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR.
Thema
Oliver David stellt anhand seiner eigenen Biografie dar, wie sich das Aufwachsen und leben in Armut auswirken sowie den Lebensweg nachhaltig beeinflussen. Hierbei wird, basierend auf den Darstellungen persönlicher Erlebnisse und Eindrücke, auf strukturellen Hintergründe aufmerksam gemacht. Deutlich werden hierin sowohl Mechanismen unserer Klassengesellschaft wie auch die transgenerationale Weitergabe von Traumata.
Autor
Oliver David ist freiberuflicher Journalist. Seine Publikationen erscheinen in der Tageszeitung nd, Übermedien und dem Veto Magazin.
Entstehungshintergrund
Der Autor beschreibt als gesellschaftlichen Auftrag des Buchs zum kollektiven Wissen über die Auswirkungen von Armut beizutragen. Hierdurch kann eine (Wissens-)Grundlage entstehen, die zur Bekämpfung von Armut in unserer Gesellschaft beiträgt. Begleitet wird dieses Anliegen von dem persönlichen Motiv, den eigenen Lebensweg neu zu betrachten und zukünftig in der Lage zu sein sich neue Sozialräume zu erschließen.
Aufbau und Inhalt
Ein Prolog und Epilog rahmen die 19 Kapitel des Buchs in welchen Situationen und Begebenheiten, die besonderen Einfluss auf den Lebensweg nahmen oder die Auswirkungen fehlender finanzieller Ressourcen verdeutlichen, beschrieben werden. Dabei mischen sich in den Kapiteln die auf Erinnerungen basierenden Darstellungen und begleitende Notizen des Autors die er in dem entsprechenden Zeitraum verfasste.
Innerhalb der Kapitel wird die familiäre Situation, welche durch eine frühe Trennung der Eltern, psychische Erkrankungen in der Familie sowie geringe finanzielle Ressourcen gekennzeichnet ist, detailliert beschrieben. Situationen in denen die fehlenden Ressourcen zur Versorgung der Kinder, im Besonderen bei der Mutter, Verzweiflung auslösten und zu krisenhaften Situationen in der Familie führten werden nicht nur beschrieben, sondern ebenso der spätere Umgang mit ihnen wie auch die langfristigen Folgen. Oftmals wurden diese Situationen im weiteren Leben erneut thematisiert, manchmal aufgearbeitet, manchmal verdrängt, in anderen Fällen scheinen die damit verbundenen Emotionen und Erfahrungen lebenslang Einfluss auf den Autor zu nehmen.
Zugleich wird das Bestreben der Mutter, ihren Kindern den Weg in eine andere, bessere Zukunft zu ermöglichen, immer wieder deutlich. Doch die eigene psychische Erkrankung und damit verbundene Instabilität als Bezugsperson für ihre Kinder sowie die in langen Phasen existenzbedrohende Armut der Familie erschweren und verhindern eine Umsetzung.
Deutlich wird dies besonders in den Teilen des Buchs, die sich mit dem schulischen und beruflichen Lebensweg des Autors auseinandersetzen. Zwar gelang eine Einschulung an einer Privatschule aber Aufgrund von Kleidung, Habitus und fehlenden finanziellen Mitteln zur Teilnahme an Veranstaltungen wie Klassenreisen war die Integration in die Klassengemeinschaft erschwert bis verhindert. Es folgte ein Schulabbruch und erst durch familiäre Unterstützung gelang es einen Job zu finden. Über Jahre bewegte sich der Autor zwischen Gelegenheitsjobs und illegalen Tätigkeiten. Dabei begegnete er in diesen Settings immer wieder Menschen mit ähnlichen Biografien: Migrationshintergrund, geringe Bildung, geringe finanzielle Ressourcen. Die negativen körperlichen und seelischen Auswirkungen dieser prekären Tätigkeiten für den Autor aber auch die Menschen, denen er begegnete werden dabei eindrücklich beschrieben.
Der Wunsch nach Veränderung und das Entwickeln einer persönlichen Perspektive motivierten den Autor dazu, sich für ein Studium zu bewerben. Hier erlebt er erneut ein Gefühl des Andersseins, das ihn zum einen hemmt und sich zum anderen in einer Unkenntnis der Universitären Ansprüche für ein Vorsprechen verdeutlicht. Nach vielen Absagen staatlicher Einrichtungen gelingt der Beginn einer Ausbildung an einer privaten Einrichtung, die trotz immenser Herausforderungen erfolgreich abgeschlossen wird. Der anschließende Sprung in ein erfolgreiches Berufsleben hingegen misslingt und führt erneut zu prekären beruflichen Tätigkeiten. Der Ausstieg aus dieser Lebenswelt gelingt dem Autor durch einen erneuten beruflichen Umbruch, den Beginn eines Volontariats, und den begleitenden Beginn einer ambulanten Therapie. Deutlich wird die auf seiner Biografie basierende psychische Vulnerabilität, die dazu führt, dass der erfolgreiche Abschluss seines Volontariats immer wieder fraglich wird.
Das Buch endet mit einem Anfang. Aussprachen mit seinen Eltern ermöglichen es dem Autor versöhnlich mit seiner Geschichte umzugehen und loszulassen. Den darauffolgenden Umzug in eine neue Stadt und den damit verbunden Neuanfang bezeichnet der Autor als einen horizontalen Ausstieg aus seinem bisherigen sozialen Raum.
Diskussion
Das Buch von Oliver David ist eine relevante Darstellung der Lebensrealität von Menschen die in Armut leben und macht die fehlende Chancengleichheit in unserer Gesellschaft deutlich. Die Ausführungen in denen anhand des individuellen Erfahrens von Hemmnissen und fehlenden Ressourcen auf gesellschaftliche Strukturen aufmerksam gemacht wird sind besonders eindrücklich. Durch diese Art der Darstellung wird eine strukturell geförderte Chancenungleichheit verständlich und darauf basierende Lebenswege nachvollziehbar.
Dass die dargestellten Themen noch immer aktuell sind und beispielsweise fehlende finanzielle Ressourcen auch heute noch Schüler:innen die Teilnahme an Klassenreisen und damit verbundene Integration in die Klassengemeinschaft erschweren verdeutlicht unter anderen meine Arbeit (Mädge 2021) wie auch die Arbeit der Volkshilfe Niederösterreich (Einböck, Proyer, & Fenninger, 2015). Ebenso sind ein Migrationshintergrund, Trennung oder Scheidung der Eltern wie auch psychische Erkrankungen der Eltern belastende Faktoren für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Auch wenn das Buch von Oliver David einen Rückblick darstellt, sind die Themen mit denen er sich auseinandersetzt aktuell.
Der Verlauf eines Lebens voller Herausforderungen wurde hier in einer sehr mutigen, überaus persönlichen und manchmal erschreckend offenen Weise in einer klaren sowie mitreißenden Sprache formuliert um uns als Gesellschaft wachzurütteln.
Fazit
Oliver David stellt anhand seiner Biografie strukturelle Hintergründe von Armut und psychischen Erkrankungen dar. Hierdurch macht er sichtbar, dass ein Aufwachsen in prekären Verhältnissen keinen individuellen Schicksalsschlag darstellt, sondern unserer Klassengesellschaft geschuldet ist.
Literatur
Einböck, M., Proyer, M., & Fenninger, E. (2015). Lebensbedingungen und Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen in und über Armut.. Retrieved from https://www.volkshilfe.at/fileadmin/user_upload/Media_Library/PDFs/Positionspapiere_/Kurzstudie_Kinderarmut.pdf
Mädge, Anna-Lena/​Jesser, Andrea (2021). Bedarf niederschwelliger Angebote der Sozialen Arbeit in der Schultransition in Österreich. In: Soziale Arbeit in Österreich, 03/2021, S. 20–25 https://www.researchgate.net/publication/357252373_Bedarf_niederschwelliger_Angebote_der_Sozialen_Arbeit_in_der_Schultransition_in_Osterreich
Rezension von
Anna-Lena Mädge
M. A. Soz.Päd./Soz.Arb.
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Es gibt 22 Rezensionen von Anna-Lena Mädge.
Zitiervorschlag
Anna-Lena Mädge. Rezension vom 23.05.2022 zu:
Olivier David: Keine Aufstiegsgeschichte. Warum Armut psychisch krank macht. Eden Books Ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
(Berlin) 2022.
ISBN 978-3-95910-331-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29184.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
Urheberrecht
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