Nina Kölsch-Bunzen, Sasha Katja Saumweber: Inklusion in Early-Excellence-Einrichtungen
Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 07.02.2023

Nina Kölsch-Bunzen, Sasha Katja Saumweber: Inklusion in Early-Excellence-Einrichtungen. Das Fortbildungshandbuch. Dohrmann Verlag (Berlin) 2021. 103 Seiten. ISBN 978-3-938620-55-7.
Thema
Der Early-Excellence-Ansatz klingt vom Namen her elitär, das ist er aber nicht. Für eine schnelle Übersicht gibt es auf socialnet.de bereits einen Lexikon-Artikel (https://www.socialnet.de/lexikon/​Early-Excellence) sowie (zum Stand dieser Rezension) 8 Rezensionen auf www.socialnet.de/rezensionen zu unterschiedlichen Büchern. Die Grundidee des Ansatzes ist die individuelle Förderung jeden Kindes nach seinen Stärken, eine intensive Elternarbeit (Einbezug der Eltern) und eine sozialräumliche Orientierung.
Autor:innen
Dr. phil. Nina Kölsch-Bunzen ist Professorin an der Hochschule Esslingen in den Bereichen der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik.
Sasha Katja Saumweber ist Mitarbeiter:in der Heinz und Heide Dürr Stiftung und Koordinator:in und Fachberater:in für Early Excellence in der Region Südwest
Entstehungshintergrund
Mit dem hier vorliegenden Fortbildungshandbuch werden die Inhalte einer Fortbildungsreihe in der Stadt Esslingen vorgelegt, die in 4 städtischen Kindertageseinrichtungen umgesetzt wurden. Der Zeitraum der Umsetzung umfasste 2 Jahre. Der Fokus dieser Reihe liegt auf dem Themengebiet Inklusion im Kontext des Early-Excellence-Ansatzes.
Aufbau und Inhalt
Die Fortbildungsreihe und damit auch das Buch gliedern sich in 7 Module bzw. Kapitel. Für die Durchführung dieser Fortbildungsreihe sollten 1,5-2 Jahre veranschlagt werden. Jedes Modul beinhaltet einen Fortbildungstag und eine Reihe praktischer Übungen. Dazu kommt die jeweilige Umsetzung in der Praxis, möglichst in Begleitung mit einer Early-Excellence-Fachberatung. Die Autor:innen empfehlen ein weiteres Modul (nicht im Buch enthalten) für Leitungskräfte, um sie in dem Umsetzungsprozess reflektiv zu begleiten.
Modul 1 legt die Grundlagen, in dem es um den Early Excellence-Ansatz an sich geht, aber auch um demokratische Bildung und Behinderung. Dazu gibt es 6 Theoriebausteine (Geschichte des Early Excellende-Ansatzes, Grundelemente des Ansatzes, Bildung für Menschen mit Behinderung, normal, ICF, komplexe Behinderung). Alle Theoriebausteine sind mit praktischen Übungen untersetzt, die die Teilnehmenden als Selbsterfahrung ausprobieren und durchführen können und sollen.
Modul 2 geht auf die thematische Ausrichtung dieser Reihe ein: Ethischer Code, UN-BRK und Inklusion. Diesem Modul umfasst 3 Theoriebausteine (Ethische Grundlagen Early Excellence-Ansatz, UN-Behindertenrechtskonvention, Blindheit und Sehbeeinträchtigung), ebenfalls verbunden mit Übungen zur Umsetzung.
Beispielhaft wird hier die praktische Umsetzung beschrieben: anhand der fünf Kriterien der pädagogischen Grundhaltung des Early Excellence-Ansatzes sollen die Teilnehmenden eine Grundhaltung ziehen und in Kleingruppen diskutieren, wie sie diesen Ansatz in ihrer Praxis umsetzen (können). Darauf aufbauend erfolgt der zweite Theoriebaustein UN-BRK, in dem die Artikel 1/3 und 24 herausgegriffen werden. Dem schließt sich eine Gegenüberstellung von Integration und Inklusion an. In der praktischen Übung sind auf Karten einzelne Sätze abgedruckt, die entweder dem Modell Integration oder Inklusion zugeordnet werden müssen, was auch eine gute Gelegenheit ist, unscharfe oder noch nicht verständliche Begriffe zu diskutieren. Der dritte Theoriebaustein greift Blindheit und Sehbehinderung auf. Nach einer Definition wird die (bekannte) Geschichte des sehbehinderten Jungen vorgelesen, der den Wind gerne fotografieren möchte, was erst einmal unmöglich erscheint. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, diese Geschichte weiterzuentwickeln. Mit Simulationsbrillen haben die Teilnehmenden eine weitere Möglichkeit, sich praktisch in das Erleben von sehbehinderten Menschen hineinzuversetzen. Abgeschlossen wird dieses Modul mit einer Einführung und praktischen Übung zur Sehenden Begleitung, also mit einem sehbeeinträchtigten Menschen eine Umgebung gemeinsam erkunden.
In Modul 3 geht es um die Entwicklungsbeobachtung und -dokumentation und um Wahrnehmungsstörungen sowie um pädagogische Strategien im Early Excellence-Ansatz. Auch hier gibt es praktische Übungen als (Selbst-) Erfahrung.
Dem Fokus dieser Reihe folgend ist der Inhalt von Modul 4 ein Index für Inklusion sowie Spielförderung bzw. die Entwicklung von Ideen zur Spielförderung der Kinder mit Theoriebausteinen (Index für Inklusion, Geistige Behinderung/​Lernbehinderung, Bildung).
Dem Selbstverständnis des Early Excellence-Ansatzes in seinen Grundsätzen entsprechend ist das Modul 5 an dem Leitgedanken ‚Vielfalt inklusiv gestalten’ ausgerichtet. In den Theoriebausteinen geht es um wesentliche Grundsätze des Early Excellence-Ansatzes, um kulturelle und inklusive Vielfalt und um Mobilitätseinschränkungen.Wie alle anderen Module auch beginnt dieses Modul mit einem Theoriebaustein, in diesem Fall die drei wesentlichen Säulen des Early Excellence-Ansatzes (jedes Kind ist exzellent/​Eltern als Experten ihres Kindes/Kita öffnet sich im Stadtteil). Auch ist die Eltern(zusammen-)arbeit ein Thema. Im zweiten Theoriebaustein geht es um kulturelle Vielfalt, was als Bildungsaufgabe angesehen wird. Dabei wird jeder Lebenswelt relevante Bedeutung zugeschrieben, gleichwohl aber auch Dimensionen der Ungleichheit aufgegriffen. Anhand von unterschiedlichen Puppen, die verschiedene Ethnien und Kulturen symbolisieren, sollen sich die Teilnehmenden individuelle Lebensgeschichten ausdenken, allerdings mit der Vorgabe, dass hier der Rollstuhl das Fortbewegungsmittel ist. Dieser soll anschließend erkundet und ausprobiert werden. In einer ‚Landkarte der Bedeutung‘ sollen wesentliche Merkmale der konstruierten Lebensgeschichte festgehalten und den anderen Gruppen quasi wie eine Ausstellung präsentiert werden.
Ein wesentlicher Gedanke des Early Excellence-Ansatzes ist die regionale Verankerung der Institution als Familienzentrum, was Inhalt von Modul 6 ist. Die theoretischen Inhalte behandeln die Ausrichtung der Institution in der Orientierung auf die (sehr verschiedenen) Familien und die Kooperation mit anderen Einrichtungen, aber auch Hörbehinderungen werden thematisiert.
Das letzte Modul 7 hat den Schwerpunkt ‚herausforderndes Verhalten’, was auch in den theoretischen Inhalten aufgegriffen wird mit zusätzlichen Übungen (für die Mitarbeitenden im Umgang damit).
In einem Anhang gibt es noch Materialien und Hinweise für fortbildende Personen inklusive methodische Vorschläge.
Diskussion
Wer sich mit dem Early-Excellence-Ansatz in seinen Grundzügen befassen möchte und umfangreichere Bücher scheut, findet hier einen schnellen Überblick, natürlich mit dem Nachteil, dass es nur grobe Skizzierungen sind. Die hier vorgeschlagenen Inhalte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention haben sicher viele Mitarbeitenden von Kitas auch schon anders akzentuiert gehört. Das Besondere hier ist die Verankerung in dem Early Excellence-Ansatz, sodass es nicht eine Fortbildung zur Umsetzung ist, sondern eine logische Fortführung des Early Excellence-Ansatzes. Die Inhalte sind -entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention- wertebasiert, allerdings noch mit einzelnen Schwerpunkten von Formen von Behinderungen untersetzt. Erstaunlich ist die zeitliche Komprimierung der Themen, also das Aufgreifen von verschiedenen Theorieinhalten an einem Fortbildungstag in Kombination mit Übungen dazu. Das erscheint einerseits oberflächlich, aber man kann es andererseits auch als pragmatisch beschreiben, denn für Fortbildungen ist häufig keine Zeit. Wer die Wertebasierung und -orientierung des Early Excellence-Ansatzes in seinen Grundzügen verstanden hat, wird mit der Umsetzung des inklusiven Ansatzes auch keine Probleme haben.
Fazit
Das Buch eignet sich für Fortbildner:innen wie auch für Leitungen, die sich mit dem inklusiven Gedanken befassen möchten und eine gedanklich-pragmatische Orientierung der Mitarbeitenden zu diesem Thema vorhaben. Viele Mitarbeitende werden einen Wiedererkennungswert haben, denn die Inhalte sind ihnen im Prinzip bekannt, dennoch ist es keine Wiederholung. Auf jeden Fall bietet es eine sehr gute Grundlage, um die Werteorientierung in der Kita wieder einmal mehr in das Bewusstsein zu rufen – auch für Einrichtungen, die nicht explizit nach dem Early Excellence-Ansatz arbeiten.
Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
Website
Mailformular
Es gibt 97 Rezensionen von Stefan Müller-Teusler.