Andreas Ritzenhoff: Personzentrierte Trennungs- und Scheidungsberatung
Rezensiert von Prof. Dr. Klaudia Winkler, 26.04.2024
Andreas Ritzenhoff: Personzentrierte Trennungs- und Scheidungsberatung. Theorie und Intervention.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
189 Seiten.
ISBN 978-3-7799-6376-9.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR.
Mit Online-Materialien. Reihe: Basiswissen Beratung.
Thema
„Personzentrierte Trennungs- und Scheidungsberatung. Theorie und Intervention“ aus der Reihe Basiswissen Beratung, richtet sich an Fachkräfte der Erziehungs- und Familienberatung sowie Studierende der Human-, Sozial- und Erziehungswissenschaften, wird von einem renommierten Herausgeberboard fachlich begleitet und formuliert den Anspruch, den Stand der „modernen, theoretisch begründeten und erfahrungsbasierten Beratungspraxis“ widerzuspiegeln.
Autor:
Andreas Ritzenhoff ist Psychologischer Psychotherapeut und Erziehungs- und Familienberater. Er ist an der psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Stadt Oldenburg sowie in eigener psychotherapeutischer Praxis in Oldenburg tätig.
Entstehungshintergrund
Warum dieses Buch? Der Autor plädiert – basierend auf seiner langjährigen praktischen Erfahrung in der Beratung hochstrittiger Elternpaare – dafür, den personzentrierten Ansatz in der Beratung auf Mehrpersonensettings, also auch Trennungs- und Scheidungsberatung anzuwenden. Er will aufzeigen, wie die Übertragung von personzentrierter Theorie und personzentrierten Interventionsprinzipien auf die Trennungs- und Konfliktberatung gelingen kann.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in zwei Hauptabschnitte: „Theorien und Konzepte“ sowie „Praxis personzentrierter Trennungsberatung: Diagnostik und Intervention“. Arbeitsmaterialien (u.a. Fremd- und Selbsteinschätzungsbögen, Reflexionshilfen, Elterninformationen) stehen online zur Verfügung.
Teil 1Theorien und Konzepte.
Zunächst erfolgt eine Einführung in Kernkonzepte des personzentrierten Ansatzes der Beratung. Die personzentrierte Systemtheorie (nach Kriz, 2004, 2011, 2013) schafft die Verbindung von personzentrierten und systemischen Perspektiven und bietet somit den theoretischen Rahmen für die Beschreibung und Erklärung von personzentrierter Arbeit in Mehrpersonensettings.
Arbeiten zum Thema Trennung und Scheidung, die sich meist auf die Folgen von Trennungen für die beteiligten Kinder konzentrieren, greifen aus Sicht des Autors zu kurz. Für die weitere Entwicklung der Kinder ist nicht nur die Qualität der Beziehung zwischen ihnen und ihren Eltern bedeutsam, sondern auch die Beziehung zwischen ihren Eltern. Im Rahmen des personzentrierten Ansatzes wird daher der Fokus auf die Eltern und deren Interaktion als die hauptsächlichen Adressaten von Trennungsberatung gerichtet (S. 34 f).
Aus bindungstheoretischer Perspektive (nach Bowlby 1983) geht im Rahmen einer Trennungsphase eine wichtige oder sogar die wichtigste Quelle von (psychischer) Sicherheit, die in intakten Paarbeziehungen der Partner/die Partnerin innehat, verloren. Dieser Verlust einer wichtigen Bindungsperson aktiviert Bindungsverhalten. Entsprechend der bisherigen Bindungserfahrungen der Beteiligten resultiert dies in unterschiedlichen Bewältigungsversuchen: z.B. verstärkte Bindungssuche bei anderen Personen, vermeidendes Rückzugsverhalten, dysfunktionale Emotionsregulation oder aber verstärkte Aktivierung des Bindungssystems (z.B. anklammerndes Verhalten) (S. 41).
Eltern, die Trennungsberatung in Anspruch nehmen, haben häufig den Zusammenbruch des gemeinsamen Teils ihrer „Paarkonzeption“ (S. 46) erlebt. Sie sind in ihrem Selbstbild, ihrem Selbstwert, ihrem Selbstwirksamkeits- und Selbstkompetenzerleben verunsichert. Die Regulation ihrer Emotionen fordert oder überfordert sie (S. 46 f.).
Die personzentrierte Konzeption von Trennungsberatung (S. 64) stellt auch an Beratungspersonen hohe Anforderungen. Diese müssen mit beiden Elternteilen gleichermaßen guten Kontakt aufbauen und auf beide emotional resonant eingehen. Sie müssen sich ihr eigenes Erleben in Bezug auf beide Elternteile bewusst machen, sich gegenüber beiden Eltern kongruent verhalten. Damit Elternpaare in der Trennungsphase aufhören können, sich und ihr Konfliktverhalten fortgesetzt zu verteidigen, stellt die unbedingte Wertschätzung, die Berater:innen ihnen entgegenbringen, eine unabdingbare Voraussetzung für die Beratungsarbeit dar. Handelt es sich um Trennungsberatung aufgrund familiengerichtlicher Verweisung oder im Rahmen eines Schutzplanverfahrens zur Abwendung von Kindeswohlgefährdung, erweist sich die geforderte Haltung unbedingter Wertschätzung als besonders herausfordernd.
Teil 2 Praxis personzentrierter Trennungsberatung: Diagnostik und Intervention.
Personzentrierte Trennungsberatung hat zum Ziel, Eltern bei der Klärung und Gestaltung ihrer Elternbeziehung zu unterstützen (S. 75). Um dies leisten zu können, wird zunächst die elterliche Funktionalität (d.h. die Art und Weise des elterlichen Miteinanders, die Fähigkeit der Eltern, die Bedürfnisse ihrer Kinder während der Trennungsphase wahrzunehmen) eingeschätzt (S. 76f). Die aktuellen Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Eltern mit und in der Elternrolle, ihre Verletzungen und Bedürfnisse, sowie die Möglichkeiten und Grenzen eines Beratungsangebotes zum aktuellen Zeitpunkt, müssen abgeklärt werden. Da strittige Eltern in Trennungssituationen meist mit unterschiedlichen Akteur:innen im Hilfe- und Betreuungssystem in Kontakt stehen, ist es wichtig, mit deren Arbeitsweise und deren Unterstützungsangeboten für Eltern und Kinder vertraut zu sein. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen Vertraulichkeit der Beratung einerseits und der zur Abwendung von Entwicklungsgefährdungen notwendigen Kooperation der unterschiedlichen professionellen Akteur:innen andererseits, zu finden. Der gesetzliche Auftrag von Beratung (S. 104) muss transparent gemacht werden – steht er doch einer völlig vertrauensvollen Behandlung des Beratungsprozesses gelegentlich entgegen. So benötigen Kooperationspartner:innen ggf. Informationen über den Stand der Beratung: befinden sich die Eltern noch im Beratungsprozess? Wurde die Beratung abgebrochen? Gibt es Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung, die sich auch durch entsprechende Maßnahmen nicht abwenden lässt, müssen Informationen bzgl. problematischer elterlicher Verhaltensweisen, bisher eingesetzter Interventionen etc. weitergegeben werden. Auch wenn die Beratung nach familiengerichtlicher Verweisung erfolgt, ist formale Rückmeldung über den Stand der Beratung erforderlich. Diese Vorgehensweisen müssen bereits zu Beginn der Beratung angekündigt werden. Auch wenn ein:e Berater:in im Laufe des diagnostischen Prozesses zum Ergebnis kommt, dass Beratung aktuell kein adäquates Mittel zur Bewältigung von konflikthaften Themen darstellt, muss dies deutlich benannt werden.
Trennungs- und Scheidungsberatung birgt für Beratende das Risiko, in typische (Beziehungs)Fallen (S. 172 f) zu geraten. So können Eltern versuchen Berater:innen als Schiedsrichter:innen einzusetzen, sie dazu bringen, Stellung zu beziehen, Sympathie oder Mitleid für ein Elternteil auszudrücken oder auch in die Hilflosigkeit, in der sich das Paar befindet, mit einzutauchen. Kann dies im Rahmen von Teamsitzungen oder Supervisionen reflektiert werden, können daraus wertvolle Impulse für die weitere Entwicklung der Beziehungsgestaltungskompetenz erwachsen.
Aus Sicht des Autors eignet sich die beschriebene Vorgehensweise eines personzentrierten Ansatzes aufgrund der geforderten klaren und wertschätzenden Begegnungshaltung besonders, um starre Erlebens- und Reaktionsmuster strittiger Eltern aufzuweichen, feindselige Einstellungen zugunsten freundlicher zu entwickeln und funktionalere Erlebens- und Verhaltensweisen zu entwickeln.
Diskussion
Andreas Ritzenhof zeigt auf, wie zentrale Postulate des personzentrierten Ansatzes (Kongruenz, Empathie, Wertschätzung nach Rogers, 1972) auf die Trennungsberatung strittiger Elternpaare übertragen werden können. Entsprechend dem Ausmaß der aktuellen Konflikthaftigkeit und emotionaler Involviertheit benötigen Eltern ein wertschätzendes Beziehungsangebot im Rahmen eines klar strukturierten Beratungssettings. Personzentrierte Beratung trägt somit dazu bei, starre Erlebens- und Reaktionsmuster strittiger Eltern aufzuweichen, feindselige Einstellungen aufzugeben und funktionalere Verhaltensweisen zu entwickeln. Von diesen Veränderungen profitieren insbesondere die betroffenen Kinder – für sie ist neben der Qualität ihrer Beziehung zu den Eltern, das Ausmaß an elterlicher Funktionalität von besonderer Relevanz. Der Autor zeigt interessierten, in der Trennungs- und Scheidungsberatung tätigen Praktiker:innen, anschaulich wie der personzentrierte Ansatz umgesetzt werden kann. Neben den betroffenen Eltern und deren Kindern profitieren auch die in der Beratung tätigen Kollegen:innen, die auf Basis der personzentrierten Haltung Leitplanken für den Beratungsprozess mit einer oftmals als schwierig empfundenen Zielgruppe zur Verfügung gestellt bekommen. Die Stärke des Buches liegt in der Praxisrelevanz. Die anschauliche Darstellung, die Praxisbeispiele sowie das online verfügbare Arbeitsmaterial machen das Buch für Praktiker:innen empfehlenswert.
Fazit
Im vorliegenden Buch wird theoretisch erörtert und praktisch aufgezeigt, wie der personzentrierte Ansatz für die Trennungsberatung mit strittigen Eltern zum Vorteil von Eltern, deren Kindern und auch Berater:innen genutzt werden kann. Diese gut leserliche Anregung kann sehr gut zur Weiterentwicklung der eigenen Beratungsexpertise herangezogen werden.
Rezension von
Prof. Dr. Klaudia Winkler
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften, Lehrgebiete Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie
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Zitiervorschlag
Klaudia Winkler. Rezension vom 26.04.2024 zu:
Andreas Ritzenhoff: Personzentrierte Trennungs- und Scheidungsberatung. Theorie und Intervention. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-6376-9.
Mit Online-Materialien. Reihe: Basiswissen Beratung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29242.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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