Michael Fink: Wer wir sind - Gendersensibilität in der Kita
Rezensiert von Prof. Dr. Matilde Heredia, 26.10.2023
Michael Fink: Wer wir sind - Gendersensibilität in der Kita. 40 Kita-Projektideen zu 5 Bilderbüchern.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2021.
60 Seiten.
ISBN 978-3-407-72006-1.
D: 16,95 EUR,
A: 17,50 EUR.
Reihe: Beltz Nikolo.
Thema
Der Autor Michael Fink bietet anhand von 40 kreativen Projektideen, die sich an fünf Bilderbüchern verschiedener Autor:innen orientieren, einen qualitativ hochwertigen Zugang zu den Themen „Gender“ und „Gendersensibilität“ im pädagogischen Alltag. Sein Projektheft bietet die Möglichkeit, diesen Aspekt mit Kindern genderbewusster und -sensibler zu behandeln. Fünf Bilderbücher, die vielfältige Aspekte rund um die Identitätsbildung von Kindern thematisieren, bilden das Herzstück dieses Werkes. Erstere ermöglichen kreative und nützliche Projektangebote, die durchgängig verschiedene Bildungsbereiche wie Sprache, Literacy und Medien oder Ästhetische Bildung abdecken. Fink zeigt, wie man in Bezug auf Gender und Gendersensibilität kreativ an Themen aus der Lebenswelt der Kinder anknüpfen kann.
Autor:innen
Michael Fink ist ausgebildeter Kunstpädagoge und Autor zahlreicher pädagogischer Fachbücher. Er arbeitet als Berater und Dozent in der Weiterbildung von Erzieher:innen. Fink entwickelt außerdem Aktions- und Kunstausstellungen zu pädagogischen Themen für Kinder und Erwachsene.
Aufbau
Das Projektheft ist wie folgt in sieben Kapitel unterteilt: Das erste Kapitel bildet die Einführung, worin zentrale Aspekte von Gender und Gendersensibilität behandelt werden. Es folgen fünf Kapitel, in denen die fünf Kinderbücher vorgestellt werden, die als Grundlage für insgesamt 40 von Fink aufgezeigte kreative Projektideen dienen: In Kapitel 2 wird das Buch „Der beste Babysitter bin ich“ (Johanna von Horn 2021) und Kapitel 3 das Werk „Zogg und die Retter der Lüfte“ (Axel Scheffler und Julia Donaldson 2020) behandelt. In Kapitel 4 wird das Buch „Luzie Libero“ (Pija Lindenbaum 2020 Jahr) und in Kapitel 5 das Werk „Ein schräger Vogel“ (Helga Bansch 2019) thematisiert. In Kapitel 6 wird schließlich das Buch „Lotti und Otto“ (Collien Ulmen Fernandes 2018) vorgestellt. Abschließend folgen die FAQ, weitere nützliche Informationen und eine Tabelle, in welcher die 40 Projekte, weitere Angebote und die dabei erfassten Bildungsbereiche wie Bewegung, Körper und Gesundheit oder Natur und Umwelt dargestellt werden. Die Kapitel und die Bücher sind farbig gekennzeichnet und dies dient der thematischen Orientierung.
Inhalt
Im ersten Kapitel, „Auf der Suche nach dem eigenen Ich“, werden nach einer kurzen Einleitung in das Thema „Gendersensibilität“ zentrale Fragen rund um den Themenkomplex „Identität/Gender/​Gendersensibilität“ behandelt. Durch diese Herangehensweise wird die Identitätsentwicklung ausgehend von den verschiedenen Erzählungen in den hier vorgestellten Büchern beleuchtet. Durch Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wer bist du?“, „Sind wir anders als ihr?“, „Wer ist der Bestimmer?“, „Was sind ‚normale‘ Familien?“, „Wie wäre es, Luzie aus dem Bilderbuch zu sein?“ oder „Martin, warum magst du Rosa?“ bietet der Autor Kindern und Erwachsenen einen niedrigschwelligen Zugang zu potenziell bislang nicht bzw. weniger vertrauten Themen an. Die Antworten auf die hier formulierten Fragen erfassen und bestärken die Komplexität des Themas, gleichzeitig eröffnen sie den Leser:innen individuelle und identitätsstiftende Antworten dazu.
Im zweiten Kapitel, „Der beste Babysitter bin ich“, dient das gleichnamige Buch der Autorin Johanna von Horn (2021) als Ausgangspunkt, um Familien, Familienkonstellationen, Geschlechterrollen und insbesondere die Geburt eines Kindes zu behandeln. In diesem Werk wird der Alltag von Familien dargestellt, ohne das Geschlecht von Elternteilen oder Babys näher zu spezifizieren. Beim Lesen wird schnell klar, dass sich beim Umgang mit einem Baby unabhängig vom Geschlecht wenig ändert, sondern der Alltag vielmehr ähnlich bleibt. Dieses Buch lädt dazu ein, sozusagen über den Tellerrand der eigenen Familie hinaus zu schauen sowie dadurch andere Familien und Familienkonstellationen kennenzulernen. Dabei kann festgestellt werden, dass es bei anderen Familien zwar manchmal anders ist aber letztlich genauso normal wie zuhause.
Auf die kurze Vorstellung des Buches folgen acht kreative Projektideen, die wenig Vorbereitungszeit erfordern und zu einem Perspektivenwechsel einladen. Bei den Projekten „Vieles unter einem Dach“, „Wir sind schwanger!“, „Ich füttere dich!“, „Puppenwagen-Rallye“, „Hausarbeit-Weltmeisterschaft!“, „Als ich Baby war“ und „Ein vertauschter Tag“ werden Aspekte aus dem Buch „Der beste Babysitter bin ich“ kreativ eingebunden. Durch Basteln, Spielen und Dialoge werden verschiedene Erfahrungen für Kinder greifbar gemacht und dadurch wird eine Reflexion über die eigene Identität ermöglicht. Einige dieser Erfahrungen sind die folgenden: wie es ist, jemanden zu umsorgen oder von jemandem umsorgt zu werden, zu verstehen, dass Mädchen und Jungen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben, oder die eigene Identität zu reflektieren.
Im dritten Kapitel, „Zogg und die Retter der Lüfte“, lädt das Buch von Julia Donaldson (2016) dazu ein, über Rollen und Geschlechterstereotype zu sprechen. Die Protagonist:innen aus dem Buch, Prinzessin Perle, Ritter Schlagedrein und der Drache Zogg, haben anders, als dies bei Rittergeschichten traditionell zu erwarten wäre, einen Beruf, nämlich beim Rettungsdienst. In Donaldsons Geschichte wird die Frage gestellt, warum mächtige Männer wie ein König entscheiden dürfen, wer welchen Weg einschlägt. Dadurch ist hinreichend Anlass dazu gegeben, um sich über Machtfragen auszutauschen.
Die acht kreativen Projektideen „Flugrettung mit Drachen“, „Krankenbruder pflegt Krankenschwester“, „Die härteste aller Prinzessinnen“, „Lauter gekrönte Häupter“, „Wenn ich König wär …“, „Ich würde dem König sagen …“, „Die Medizinmacher“ und „Ärztin im Einsatz“, laden zu einer Reflexion über Berufe, Berufswahl und Geschlechter sowie Geschlechterstereotype ein. Musikalisch, bastelnd und mit Rollenspielen werden Kindern konkrete Themen, wie „Rollenerwartungen vs. Charaktereigenschaften“ oder „Glanz und Macht“, spielerisch und interaktiv zugänglich gemacht. Diese Projekte laden zum Dialog und zur Interaktion zwischen Gleichaltrigen ein und ermöglichen eine Reflexion über die eigene Identität innerhalb dieses Themenbereiches.
Im vierten Kapitel steht das Buch „Luzie Libero“ der Autorin Pija Lindenbaum (2020) im Mittelpunkt. Luzie, ein cooles, rotzfreches und fußballverrücktes Mädchen, hat einen tollen Onkel, mit dem es verrückte Sachen unternimmt. Tommy, Luzies Onkel, liebt seine Nichte – und Männer. In diesem Buch wird zweierlei behandelt: Homosexuelle sind genauso unterschiedlich wie alle anderen Menschen und die Frage, wie Kinder mit Eifersucht und Verlustangst umgehen, wenn sich deren Bezugspersonen verlieben.
Die acht kreativen Projektideen, die hierzu vorgeschlagen werden, laden Kinder dazu ein, sich sowohl mit äußerlichen Aspekten wie den Haaren als auch Emotionen auseinanderzusetzen. Die Projektideen „Fußballtricks mit Luzie“, „Schöne Haare!“, „Die Galerie der Coolen“, „Öde Onkel!“, „Drei sind einer zu viel?“, „Frech wie Luzie!“, „Sind wir (wieder) Freunde?“ und „Schöne Paare!“ bieten anhand von Angeboten, die wenig Vorbereitungszeit erfordern, einen sportlichen, spielerischen und kreativen Zugang zu Erfahrungen rund um Emotionen und Bindungen. Unter anderem werden durch diese Projekte Erfahrungen ermöglicht, wie sich gegenseitig einfühlsam zu behandeln, sich über Gefühle auszutauschen, Eifersucht zu verstehen, Strategien für Konflikte zu entwickeln oder eigene Erfahrungen mit Wut zu reflektieren.
Im fünften Kapitel wird das Buch „Ein schräger Vogel“ von Helga Bansch (2007) als Ausgangspunkt gewählt, um die Aspekte „anders zu sein“ sowie „sich anders zu fühlen“ und die Erfahrung von Ausgrenzung zu behandeln. Der Rabe Robert liebt es knallbunt und, anders als die anderen Raben zu sein. Robert pfeift auf das, was angeblich richtig ist, singt schrill und erzählt gern Witze. Aus der engstirnigen Rabenwelt wird er deswegen irgendwann ausgegrenzt und verjagt. Die verbliebenen Raben stellen dann aber schnell fest, dass es ohne Robert „irgendwie öde“ ist. Nach Roberts Rückkehr merken sie, was ihnen ohne ihn zuvor gefehlt hat. Das Werk von Bansch lädt zur Reflexion und Auseinandersetzung mit Homosexualität, Diversität und Ausgrenzung ein. Im Mittelpunkt steht dabei die Idee, dass niemand etwas davon hat, wenn alle gleich sind, sondern dass die Welt mit Vielfalt viel interessanter ist, vor allem ist Vielfalt demnach ganz normal.
Ausgehend von der Geschichte des Raben Robert aus dem Buch „Ein schräger Vogel“ werden acht Projekte vorgeschlagen, um Vielfalt und Diversität kreativ zu behandeln. Verschiedene Aktionen mit Farben, Spielen, Erzählsituationen, Dialogen oder Drucktechnik bieten vielfältige Zugänge zu diesen Themen und ermöglichen Erfahrungen, wie über Regeln nachzudenken, Empathie für andere zu entwickeln oder ein Gruppengefühl zu erfahren. Die hierzu angebotenen Projekte sind die folgenden: „Meine Lieblingsfarbe ist Gurkenrosa“, „Jetzt nicht lachen!“, „Ganz gut benehmen!“, „Im Land der Blaukarierten“, „Ein schräger Song-Contest“, „Schlaue Raben lieben alle Farben“, „Echte Raben sind anders!“ und „Party auf dem Rabenplatz“.
Im sechsten Kapitel lädt das Buch „Lotti und Otto“ von Collien Ulmen-Fernandes (2018) dazu ein, sich mit Geschlechteridentität und -klischees auseinanderzusetzen. Es ist die Geschichte der zwei Otterkinder Lotti und Otto, die sich im Ferienlager begegnen und, obwohl sie äußerlich gleich aussehen, darüber staunen, wie unterschiedlich sie und ihre Interessen sind: Der Junge Otto backt und näht gern und das Mädchen Lotti ist am liebsten draußen und fängt Fische. Lotti und Otto können durch einen Trick mit Stereotypen aufräumen: Weil sie völlig gleich aussehen, tauschen sie die Rollen, um damit traditionellen Erwartungen an Mädchen und Jungen gerecht zu werden, und später wird die Wahrheit offenbart. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Reflexion über Geschlechterklischees und die folgenden Fragen rund um die Identitätsentwicklung: „Wer bin ich?“, „Wie bin ich?“ und „Was zeichnet mich aus?“.
Die acht kreativen Projektideen „Die Kita von Herrn Amsel“, „An der Angel“, „Wer ist hier stärker?“, „Tierjungen und Tiermädchen“, „Mal mich um!“, „Lustiger Namensquatsch“, „Bauklötzchen-Statistik“ und „Der Kita-Check“ bieten eine breite Grundlage, um Geschlechterklischees sowie Rollenstereotype zu reflektieren und zu hinterfragen. Dabei werden anhand von Gesprächen, Spielen und kreativen Aktionen die eigenen Erfahrungen durch Fantasie reflektiert und dabei wird über die Vorlieben von Mädchen und Jungen oder deren Spielbedürfnisse nachgedacht.
Das Buch wird mit praxisbezogenen FAQ dazu, warum Genderprojekte die Kita bereichern, sowie nützlichen Bilder-, Kinderbücher-und Link-Empfehlungen zum Thema „Gender“ in der Kita abgerundet. Abschließend bietet eine Auflistung der Projekte und Angebote zu den Bildungsbereichen einen Gesamtüberblick.
Diskussion
Michael Fink hat durch sein Projektheft eine qualitativ hochwertige sowie nützliche Grundlage geschaffen, um Gender und Gendersensibilität im pädagogischen und/oder privaten Kontext zu behandeln. Die fünf Kinderbücher von anderen Autor:innen, die ihm dabei als Ideengeber für die 40 Projektideen dienen, sprechen vielfältige, komplexe Themen hinreichend sensibel, kreativ und kindgerecht an. Fink hat dadurch eine Brücke zwischen Theorie und Praxis geschlagen und damit zugleich eine praxisbezogene Basis geschaffen, um Gender und Genderthemen niedrigschwellig in pädagogischen Einrichtungen zu verankern.
Obwohl sich das Buch mit Diversität und Vielfalt beschäftigt, ist dies bei den darin abgebildeten Kinderbildern bedauerlicherweise kaum wiederzuerkennen. Trotz dieses kleinen Defizits überzeugt das Projektheft generell durch die qualitativ hochwertige und vielfältige Behandlung von Themen rund um Gender und Identität und insbesondere die didaktisch breit aufgestellten Projekte, die Durchlässigkeit zwischen Bildungsbereichen wie Sprache, Literacy und Medien und Gesellschaft und Kultur ermöglichen.
Fazit
Dieses Buch ist eine sehr gelungene Grundlage, um im pädagogischen Alltag genderbewusst und -sensibel zu arbeiten. Sowohl die thematische Einleitung als auch die insgesamt 40 kreativen Projektideen bieten einen nützlichen und leicht umsetzbaren Zugang zu Gender und Identität für die Arbeit mit Kindern im pädagogischen und/oder privaten Kontext.
Durch die Einladung an Kinder und Erwachsene bzw. Begleitpersonen, sich durch Projekte anhand der fünf Bilderbücher mit Fragen rund um Identität und Gender zu befassen, ermöglicht der Autor Michael Fink einen niedrigschwelligen Zugang zu einem gleichermaßen sensiblen, aktuellen und relevanten Thema.
Rezension von
Prof. Dr. Matilde Heredia
Professur für Kindheitspädagogik
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Zitiervorschlag
Matilde Heredia. Rezension vom 26.10.2023 zu:
Michael Fink: Wer wir sind - Gendersensibilität in der Kita. 40 Kita-Projektideen zu 5 Bilderbüchern. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2021.
ISBN 978-3-407-72006-1.
Reihe: Beltz Nikolo.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29249.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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