Holger Nauheimer: Praxisbuch Hybride Teams
Rezensiert von Dr. Günther Vedder, 15.02.2023
Holger Nauheimer: Praxisbuch Hybride Teams. Wie die Zukunft der Zusammenarbeit auf den Weg gebracht wird. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2022. 203 Seiten. ISBN 978-3-407-36814-0. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
Zentrales Thema des Buches ist die hybride Zusammenarbeit in beruflichen Kontexten. Immer mehr Menschen sind in einer Arbeitswoche teils im Büro, aber auch im Homeoffice anzutreffen. Voneinander abweichende Anwesenheiten an unterschiedlichen Orten erfordern eine besondere Koordination der Teamarbeit. Die hybride Arbeitsweise steckt voller Herausforderungen, die zum Beispiel den Umgang mit Technologie, die Gestaltung von Meetings oder auch das Kommunikationsverhalten der Beteiligten betreffen können. Das Praxisbuch spricht alle relevanten Aspekte der Arbeit in hybriden Teams an und bietet Lösungsmöglichkeiten für unterschiedliche Problemstellungen an.
Autor
Holger Nauheimer arbeitet seit 30 Jahren als Organisationsberater. Er beschäftigt sich vor allem mit Themen aus den Bereichen Zusammenarbeit, Leadership und New Work. Seine Ansichten hat er in diversen Blogartikeln, Podcasts und Videocasts geteilt. Er verfügt über umfangreiche internationale Kontakte, auf die er bei den Berlin Change Days gerne zurückgreift.
Aufbau und Inhalt
Das insgesamt 202 Seiten umfassende Buch besteht aus fünf großen inhaltlichen Kapiteln (150 Seiten) und diversen Ergänzungen, Praxishinweisen sowie Arbeitsblättern. Der Autor hat sich große Mühe gegeben, das Thema didaktisch und visuell gut aufzubereiten. Es gibt diverse Überblicke, Abbildungen, hervorgehobene Kernaussagen, Hinweise auf Literatur und Links sowie methodische Anregungen. Zwischenüberschriften werden als Fragen formuliert, deren Beantwortung danach systematisch erfolgt. Am Ende eines größeren Kapitels finden sich Anregungen für die Beraterpraxis (Herausforderungen, Interventionen, Dialogfragen). Das Buch wird mit guten Online-Materialien im Netz unterstützt.
Teil 1 – Räume einrichten und bevölkern
In diesem Teil des Buches geht es um analoge Räume, digitale Räume und Räume für die hybride Zusammenarbeit. Analoge Räume in den Organisationen werden nach wie vor für die individuelle Einzelarbeit, als Besprechungsorte, Kreativräume sowie für digitale Konferenzen benötigt. In Zukunft muss es Spaß machen, ins Büro zu gehen, damit die Mitarbeitenden das Angebot annehmen. Daher kommen auch Entspannungs- oder Gesundheitsräume als Investition in die Mitarbeitermotivation und -bindung in Frage. Das Homeoffice wird neben dem Büro zum gleichwertigen Arbeitsplatz und muss dementsprechend ausgestattet werden (Schreibtisch, guter Arbeitsstuhl, Computer, Drucker…). Wer in der Privatwohnung keinen ruhigen Ort findet, kann bei Bedarf auf Coworking-Spaces ausweichen. Dort bucht der Arbeitgeber zum Beispiel ein Kontingent an Arbeitsstunden und macht es den Mitarbeitenden verfügbar. In digitalen Räumen kann synchron oder asynchron zusammengearbeitet werden. Dort gibt es Plattformen, auf denen die Meetings stattfinden (Konferenzzimmer). In digitalen Projekträumen werden Ergebnisse festgehalten und geteilte Dokumente bzw. Präsentationen hinterlegt. Der analogen Kaffeeküche entspricht eine Chatfunktion für spontane Treffen kleiner Gruppen. Unternehmensweite Informationsräume können in Form von Blogs, Video- und Podcasts organisiert werden und für die externe Kommunikation stehen Kundenportale zur Verfügung. In vielen hybriden Teams spielt die Email eine immer geringere Rolle, da neue digitale Plattformen eine effizientere Kommunikation ermöglichen.
Teil 2 – Ins Tun kommen und vorangehen
Die Meetings hybrider Teams können in Zukunft rein analog, rein digital oder als hybride Besprechungen stattfinden. Gemeinsame analoge Meetings sind wichtig für den sozialen Kitt der Arbeitsgruppe. Sie bieten sich zum Beispiel an, wenn Körperarbeit, Aufgaben mit Kreativmaterialien oder Teambuilding-Aktivitäten im Mittelpunkt des Interesses stehen. Eine gute digitale Vorarbeit kann sicherstellen, dass analoge Meetings inhaltlich nicht überfrachtet werden. In virtuellen Besprechungen ist es besonders wichtig, die Rollen vorab zu klären (Moderatorin, Protokollant, Timekeeper) und die Beteiligung aller Anwesenden sicherzustellen (Aufrufen von Personen, Begrenzung der Redezeit, Nutzung der Chat-Funktion). Der Check-In und Check-Out sollte durch kleine Rituale so gestaltet werden, dass sich die Teammitglieder wahrgenommen fühlen. Bei hybriden Meetings muss sichergestellt werden, dass die Technik funktioniert und sowohl die digitalen als auch die Vor-Ort-Teilnehmer das gleiche Rederecht haben.
Durch die verstärkte Arbeit im Homeoffice hat während der Corona-Pandemie vor allem die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg gelitten. Dem kann zum Beispiel eine Enterprise Social Media Plattform entgegenwirken, die regelmäßig zum Netzwerken einlädt. Informelle Kontakte sind wichtig und können auch durch organisationsweite Schulungen und Workshops (z.B. zu neuen Kommunikationstechniken) gefördert werden. In internationalen Unternehmen sind dabei unterschiedliche Zeitzonen und Muttersprachen zu berücksichtigen. Es wird in Zukunft immer mehr Organisationen geben, die ihren Angestellten völlige Wahlfreiheit anbieten und somit die Präsenzpflicht gänzlich abschaffen werden. Bis es allerdings soweit ist, muss die Frage, wie oft und wann die Mitarbeitenden am Standort präsent sein sollen, immer wieder neu verhandelt und geklärt werden.
Teil 3 – Neues lernen und Ballast abwerfen
In diesem Teil geht es um grundlegende Kompetenzen, die für die Zusammenarbeit in hybriden Teams von Bedeutung sind. Folgende Themen und zentrale Fragen spielen dabei eine besondere Rolle: Technologiebeherrschung – Wie bringt man alle Teammitglieder auf den gleichen Stand? Kommunikation – Was ist intentionales Zuhören und wie kann das Team schwache Signale wahrnehmen? Selbstreflexion – Warum ist sie so wichtig und wie lässt sie sich trainieren? Konfliktmanagement – Wie kann das Team lernen, produktiv und effektiv mit Konflikten umzugehen? Feedback – Warum ist Feedback für hybride Teams wichtig? Facilitation – Was sind die zentralen Kompetenzen des Facilitators und wie erwirbt man sie? Kreativität – Worauf müssen hybride Teams achten, um Kreativität zu fördern?
In einigen Organisationen arbeiten hybride Teams auch zunehmend agil. Sie nutzen spezielle Plattformen wie zum Beispiel Monday, Asana, Jira, Wrike. Sie organisieren hochstrukturierte Meetings (Daily-Stand-ups, monatliche Retrospektiven), die nach einem strengen Zeitplan ablaufen. Sie sind sehr geübt darin, sich selbst zu organisieren sowie Feedback zu geben. Transparenz und gegenseitige Unterstützung werden von allen Mitarbeitenden wertgeschätzt. Agile Arbeitsweisen helfen den hybriden Teams, flexibel auf Veränderungen bei den Arbeitsaufträgen zu reagieren.
Teil 4 – Den Wandel begrüßen und feiern
Aus Sicht des Autors sind es fundamentale Annahmen und Haltungen, die dazu führen, dass der Wandel zu einem hybriden Team entweder gefördert oder behindert wird. Er formuliert insgesamt sieben Glaubenssätze, die sich in den letzten Jahren teils verfestigt, teils aber auch in Luft aufgelöst haben: (1) Virtuelle Arbeit ist ineffektiv – davon sind nach der Corona-Pandemie weniger Beschäftigte überzeugt als noch 2019. (2) Mitarbeitende müssen kontrolliert werden – seit den 1950er Jahren haben sich renommierte Autoren (Maslow, McGregor…) bemüht, mit diesem Mythos aufzuräumen. (3) Die Technik macht uns immer einen Strich durch die Rechnung – zu einer schlechten Grundausstattung gibt es inzwischen in vielen Fällen gut funktionierende Alternativen. (4) Im Homeoffice gibt es zu viele Ablenkungen – das ist möglich, lässt sich aber nur im Einzelfall einschätzen und verändern. (5) Die Verbindung zwischen Menschen geht im Homeoffice verloren – das kann zutreffen und deshalb ist das hybride Arbeiten dem rein virtuellen Arbeiten vorzuziehen. (6) Virtuelle Meetings sind Zeitfresser – wenn dies der Fall ist, sollte die Vorbereitung und Moderation der Treffen verändert werden. (7) Hybride Teamarbeit stellt uns vor ungeahnte Herausforderungen – das stimmt, daran lässt sich allerdings arbeiten.
Teil 5 – Das Selbstverständnis entwickeln und festigen
In diesem Kapitel geht es um so grundlegende Dinge wie das Leitbild, die Strukturen, den Sinn und die Werte der hybriden Teams. Es müssen neue Rollen definiert und deren Aufgaben transparent gemacht werden. Empfohlen wird der Einsatz der sogenannten RACI-Matrix. Das R kommt von Responsibility und beschreibt die Zuständigkeit jener Personen, die den Arbeitsauftrag bearbeiten. Das A steht für Accountability und legt fest, wer für die Arbeit letztendlich verantwortlich ist, wer die Hut aufhat und den Kopf dafür hinhält. Das C kommt von Consulted und steht für jene Personen, die vor einer Entscheidung beratend hinzugezogen werden müssen. Das I stammt von Informed und betrifft jene Beschäftigten, die über das Produkt oder die Dienstleistung in Kenntnis gesetzt werden müssen.
Danach geht der Autor kurz auf den Change-Prozess für den Aufbau hybrider Teams ein. Welche Dynamik ist bei dieser Veränderung zu erwarten? Wie kann man den Prozess gut strukturieren? Und wie kann man die Betroffenen angemessen beteiligen? Mit der Beantwortung dieser Fragen endet der inhaltliche Teil des Buchs.
Diskussion
Das Praxisbuch Hybride Teams enthält wertvolle Ideen für die Neugestaltung der Zusammenarbeit in Unternehmen. Es unterstützt die Reorganisation der Teamarbeit durch eine Fülle von inhaltlichen Anregungen, die Schritt für Schritt vorgestellt werden. Man erhält sowohl einen Überblick über den Gesamtprozess der Umstellung auf hybride Teams, als auch vielfältige Hinweise auf relevante Nebenaspekte. Besonders gut gelungen sind die vielen Fragestellungen in dem Band, die von den Organisationen beantwortet werden müssen. Sie sind oft in dem Unterpunkt Beraterpraxis enthalten, der jedes große Kapitel abschließt. Diverse Themen (Feedback, Resilienz, Führung, Vertrauen…) werden in dem Buch nur kurz angesprochen. Es wird der Bezug zu den hybriden Teams hergestellt, ohne inhaltlich allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Das ist völlig in Ordnung, da es sich nicht um einen wissenschaftlichen Band, sondern um ein Praxisbuch handelt. Es wendet sich an Personen, die sich in begrenzter Zeit einen Überblick zu einem relativ neuen Thema verschaffen möchten. Dabei helfen die Arbeitsblätter und Fragensammlungen sehr gut weiter.
Fazit
Für Personen, die beruflich mit der Umstellung auf eine hybride Zusammenarbeit in Organisationen beschäftigt sind, ist das Praxisbuch Hybride Teams sehr zu empfehlen. Es richtet sich vor allem an Führungskräfte, Mitarbeitende und Beratende in diesem Themenfeld. Das Buch ist inhaltlich auf dem neuesten Stand, regt notwendige Veränderungen an und inspiriert zum Weiterdenken. Es ist spannend zu beobachten, wie sich das Coworking in den kommenden Jahren entwickeln wird. Hybride Teams schienen noch vor kurzer Zeit in einigen Organisationen völlig ausgeschlossen. Nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie haben sich die Grundannahmen allerdings wesentlich verändert. Die Prognose, dass es in den kommenden Jahren viel mehr hybride Teams geben wird, die teilweise weit voneinander entfernt arbeiten, ist nicht allzu gewagt. Das vorliegende Praxisbuch ist dazu geeignet, diese Entwicklung mittelfristig zu begleiten.
Rezension von
Dr. Günther Vedder
Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover
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Es gibt 15 Rezensionen von Günther Vedder.
Zitiervorschlag
Günther Vedder. Rezension vom 15.02.2023 zu:
Holger Nauheimer: Praxisbuch Hybride Teams. Wie die Zukunft der Zusammenarbeit auf den Weg gebracht wird. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2022.
ISBN 978-3-407-36814-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29257.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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