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Kerstin Jürgens: Mit Soziologie in den Beruf

Rezensiert von Prof. Kurt Witterstätter, 18.05.2022

Cover Kerstin Jürgens: Mit Soziologie in den Beruf ISBN 978-3-8252-5738-5

Kerstin Jürgens: Mit Soziologie in den Beruf. Eine Handreichung. UTB (Stuttgart) 2021. 153 Seiten. ISBN 978-3-8252-5738-5. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 24,50 sFr.
Reihe: UTB - 5738. Soziologie.

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Thema und Entstehungshintergrund

Das Zerrbild das als Taxifahrer endenden studierten Soziologen hat ausgedient. Und auch die unverbindliche Einlassung, Soziologen redeten über alles und konkretisierten nichts, greift nicht mehr, seit ein Großteil der Bevölkerung Wahlprognosen zur Kenntnis nimmt, von benachteiligten Lebenslagen erfährt, Inklusion erlebt und Beeinflussungen von Mitmenschen durch ihr Umfeld wahrnimmt. Studienberatung bei der Studiums-Fachwahl und Tutorien tun ein übriges, Soziologie-Interessierte fundiert zu informieren und zu motivieren. Auf solchen sicher-festen Pfaden der Abkehr vom Nebulösen um die Soziologie wandelt das neue 153-Seiten-Bändchen „Mit Soziologie in den Beruf“ von Soziologie-Professorin Kerstin Jürgens bei transkript-UTB. Der Metablick auf die Möglichkeiten der Lehre von der Gesellschaft schafft Klarheit.

Autorin

Dr. phil Kerstin Jürgens ist nach Promotion und Habilitation an der Leibniz Universität Hannover als Professorin für Mikrosoziologie an der Universität Kassel auf den Gebieten Wandel der Arbeitswelt, der digitalen Transformation, der nachhaltigen Lebensführung sowie den Tier-Mensch-Beziehungen tätig.

Grundlegende Inhalte

In acht leicht verdaulichen Kapiteln lüftet Kerstin Jürgens für viele sozialwissenschaftlich nicht Vorgebildete das Geheimnis der Soziologie. Dabei legt sie das Schwergewicht auf das konkrete Tun von soziologisch Ausgebildeten in Praktika und Berufseinmündung. Einen hohen Stellenwert räumt sie der Selbstinterpretation der AbsolventInnen gegenüber Soziologie-fremden Praktikums- und Stellen-Anbietern ein. Flexibel und sympathisch ist die thematische Offenheit, mit der die Autorin die möglichen Studieninhalte umreisst. Die Passung von AbsolventInnen und Stellen-Anforderung mag sich dann im einzelnen ergeben.

Inhalte im einzelnen

Die Entscheidung für das Studienfach Soziologie bringt zugleich die Aufgabe für die AbsolventInnen mit sich, seinem/​ihrem Umfeld klarzumachen, was Soziologie leisten kann. Die die Gesellschaft begreifende, analysierende und modifizierende Soziologie entscheidet von Fall zu Fall (theoretisch) selbst, wie weit sie in ihren Verwertungszusammenhängen geht. Bei aller Offenheit im Werturteilsstreit bleibt Soziologie dennoch eine eigenständige Profession mit eigener Verlaufsgeschichte, Wandel und damit mehr als nur ein sich im Schwanken der Gezeiten modifizierender Beruf. Der Berufseinstieg birgt noch immer die Gefahr nicht adäquater Gratifikation. Wichtig ist für die BerufsträgerInnen, ihr Wissen laufend zu aktualisieren und dies auch aufzuzeigen. Von großem Vorteil ist die gelungene Paarung aus erreichter professioneller Identität und persönlicher Individualität. Schwerpunkte mögen weniger durch Spezial-(Bindestrich-)Soziologien gesetzt werden als durch die herausgehobene Positionierung im Berufs- und Bildungssystem dank wahrnehmbarer Selbst-Deutung und durch die Fach-Reputation der Soziologie. An Einmündungsfeldern werden gesehen Verwaltung, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Politik, Medien, Kunstbetrieb und die Forschung. Vor Ort sind oftmals vielfältig und mehrseitig Aufgaben zu erfüllen, insoweit wird vor spezialisierenden Engführungen im Studium gewarnt.

Bei der Platzierung in konkreten Berufsfeldern bleibt zu sehen, dass das moderne Leben labil ist. Hier hilft die spezifisch soziologische Einübung in Beobachtung und Vorausblick auf soziale Prozesse. Zugänge zu spezifischen Aufgaben finden sich auch in Internet-Plattformen, die auch in Kapitel 9 nochmals gesondert aufgelistet sind. Die Arbeitsmarktlage ist für SoziologInnen nicht besorgniserregend, zumal sich neue Felder auftun wie Gesundheit, Alter, Klima, Migration/​Flucht und Digitalisierung. Auch an Organisations-Analyse und -Optimierung ist laufend zu arbeiten. Die AbsolventInnen haben mit ihrem Blick auf disparat Eintretendes die Akteure mit Augenmass und Sensibilität an die Hand zu nehmen.

An Praxisbezügen im Studium herrscht kein Mangel. Denn die staatlichen Finanzierer der soziologischen Studiengänge sind an der Verbesserung der Lebensverhältnisse ihrer Bürger interessiert. Die Bereitschaft der Praxis in Gestalt von Personen, Gruppen, Verbänden, Vereinigungen und Institutionen ist kooperativ. Der Austausch zwischen wissenschaftlicher Soziologie und Praxis ist durch Vorträge, Tagungen, Kolloquien, Projekte und Forschungsvorhaben mannigfaltig und intensiv. Studierende können sich dies bereits im Studium zunutze machen. Mit Erklären, Analysieren und Einschätzen des Kommenden stellen sich wichtige soziologische wissenschaftliche Aufgaben. Im Beruf selbst gewinnen gegenüber dem durchlaufenen Studium immer mehr die erbrachten und gemeisterten professionellen Aufgaben der BerufsträgerInnen an Bedeutsamkeit. Anstelle eines Fazits stellt die Autorin ihrer Leserschaft im achten Kapitel die Aufgabe, sich in eine mögliche Anstellungs-Branche hinein zu denken.

Diskussion

In der Hinführung „Mit Soziologie in den Beruf“ werden gut durchdachte Fingerzeige für die Verzahnung von Soziologie-Studium und studienbegleitender wie anschließender professioneller soziologischer Berufspraxis gegeben. Es ist, als würde das Soziologie-Examen keine Zäsur bedeuten, als würden die AbsolventInnnen vielmehr aus dem Studium mit seinen Praxisbezügen direkt ins Berufsleben gleiten. 

Sympathisch spricht die Autorin ihre geneigte Leserschaft in der zweiten Person Plural mit „Sie“ an, als würden ihr ihre LeserInnen in der Studienberatung oder in der Praktikumsbetreuung gegenüber sitzen. Das öffnet die Aufnahmebereitschaft der betroffenen Lesenden.

Insgesamt erscheint die Soziologie als Konflikt- und Krisen-Wissenschaft in Kerstin Jürgens Einführungsbuch aber doch in einem vergleichsweise milden Licht. Sie geht im Ganzen gesehen das Verändern, Verstören und Umwälzen bestehender Gegebenheiten doch etwas „mit angezogener Handbremse“ an. Hält sich gern beim Abschätzen möglicher, kommender Entwicklungen auf. Nicht so sehr beim Einhalt-Gebieten oder bei beabsichtigten Friktionen. Es fehlen auch Hinweise zur erforderlichen günstigen Verhaltens-Typologie angehender SoziologInnen, wie Offenheit, Neugier, Mut, Ehrlichkeit und Kontaktfreudigkeit. Auch ein Hinweis auf mathematische Kompetenzen für Verständnis und Anwendung der Empirik wäre angebracht.

Jürgens rückt ihre Empfehlungen recht stark in die Nähe des Staates. Das wird deutlich bei der Mutmaßung der beruflichen Einmündung großer Teile der Soziologie-AbsolventInnen ins Bildungssystem (Seiten 17 und 55) und bei den aus der öffentlichen Finanzierung der Soziologie-Studiengänge folgenden Praxisbezügen (Seite 82). Wie verträgt sich dies aber mit Freiheit von Forschung und Lehre? Werkeln SoziologInnen dann letztlich nur im Beständigen herum?

Im Ganzen gesehen tritt daneben eine Vorliebe von Jürgens für soziales Handeln und die Mikrosoziologie zutage. Das wird an der gelungenen Einwebung soziologischer Klassiker in ihre Empfehlungen für das Studier-Verhalten deutlich (Max Webers Werturteilszurückhaltung, George Herbert Meads Identitätserwerb, Marie Jahodas Arbeitslosentypologie, Pierre Bourdieus Habitusdistinktion). Die systemischen Betrachtungen im Sinne von Talcott Parsons und Niklas Luhmann bleiben im Vergleich dazu jedoch eher im Hintergrund. So plädiert dieser Berufs-Ausblick dank der geschilderten Kompetenzen der AbsolventInnen für Organisations-Durchdringung und soziale Zusammenhänge eher für Einsätze im Mikro- und Meso-Bereich denn für Strategien auf der Ebene der Umgestaltung von Gesamtgesellschaften oder im internationalen Kontext.

Gleichwohl ist die berufliche Perspektive in „Mit Soziologie in den Beruf“ anregend und optimistisch. Die Handreichung ist auf jeden Fall brauchbar und von einer Lehrenden verfasst, der das weitere Wohlergehen ihrer Studierenden auch nach Verlassen des Campus noch am Herzen liegt.

Für Folge-Auflagen möge in zwei Fällen der „das“-Rückbezug bei Relativsätzen mit nur einem „s“ geschrieben werden: Auf Seite 41 Zeile 11 und Seite 100 Zeile 25.

Fazit

Mit ihrem Band „Mit Soziologie in den Beruf“ legt Kerstin Jürgens enge Verbindungslinien und dichte Verzahnungen zwischen Soziologie-Studium und professionellem Tätigwerden von SoziologInnen vor. Punktuelle Projekte, Praktika, Wissens-Aktualisierung und Identitäts-Genese stehen im Fokus. Dass dabei theorielastige makrosoziale Umgestaltungs-Konzeptionen eher im Hintergrund bleiben, kann man angesichts der mit Optimismus vorgetragenen Passung zwischen soziologischer Lehre und gesellschaftlicher Praxis verschmerzen.

Rezension von
Prof. Kurt Witterstätter
Dipl.-Sozialwirt, lehrte bis zur Emeritierung 2004 Soziologie, Sozialpolitik und Gerontologie an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen - Hochschule für Sozial- und Gesundheitswesen; er betreute zwischenzeitlich den Master-Weiterbildungsstudiengang Sozialgerontologie der EFH Ludwigshafen
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Zitiervorschlag
Kurt Witterstätter. Rezension vom 18.05.2022 zu: Kerstin Jürgens: Mit Soziologie in den Beruf. Eine Handreichung. UTB (Stuttgart) 2021. ISBN 978-3-8252-5738-5. Reihe: UTB - 5738. Soziologie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29271.php, Datum des Zugriffs 07.06.2023.


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