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Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich

Rezensiert von Catharina Hammerschmidt, 17.08.2022

Cover Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich ISBN 978-3-7799-6252-6

Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 9., vollständig überarbeitete Auflage. 348 Seiten. ISBN 978-3-7799-6252-6. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 23,90 sFr.
Reihe: Basistexte Erziehungshilfen.

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Thema

In diesem Buch zeigt Wilma Weiß auf, welche Erfahrungen sie in der stationären Kinder- und Jugendhilfe im Umgang mit den dort lebenden jungen Menschen aus herausfordernden Lebensumständen durchlief. Sie kristallisiert heraus, wie wichtig die Integration des traumatischen Schmerzes im Lebensumfeld der Betroffenen ist und weist zusätzlich darauf hin, dass die Empathie und Akzeptanz der Gesellschaft bezüglich der erlebten Traumata bei der Heilung eine große Rolle spielen. Zusätzlich bietet Wilma Weiß in ihrem Buch passende Anregungen für die Praxis.

Autorin

Wilma Weiß (*1951), Diplompädagogin und Diplomsozialpädagogin, arbeitet seit 1974 mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zusammen. 2008 wurde die BAG Traumapädagogik von ihr und Martin Kühn errichtet, zusätzlich ist sie im Vorstand und im Expert*innenrat des Fachverbandes aktiv. Im Auftrag des Wunderkinderkinder Graz und dem Antonia Werr Zentrum ist sie als Referentin unterwegs.

Aufbau

Das Buch beginnt mit einer Danksagung, einem Vorwort und dem Vorwort der 6. Auflage, gefolgt von der Einleitung. Danach gliedert sich das Buch in drei Teile. Teil A „Das Trauma“ ist nochmals in fünf Unterpunkte aufgesplittet, in denen Definitionen, die unterschiedlichen Traumata, Bewältigungsfaktoren sowie ein Exkurs in die Geschichte des Traumas und eine Schlussfolgerung zu finden sind. Teil B „Traumainformierte Pädagogik“handelt von dem Aufgabengebiet des Fachpersonals der Einrichtungen bezüglich der Verarbeitung der traumatisch erlebten Ereignisse ihrer Schützlinge. Es werden Konzepte beschrieben, die Therapie und alltagsintegrierte Pädagogik vereinen. Insbesondere werden Schutzkonzepte vorgestellt, die bei sexuell erlebter Gewalt ausgeführt werden sollten. Teil C „Der gute Umgang der Profis“geht auf verschiedene Belastungsfaktoren, Grundkompetenzen, schützende Umstände, das Team und traumainformierte Netzwerke ein.

Inhalt

Zu Beginn des Kapitels A „Das Trauma“ schafft Weiß einen Überblick über das Wort Trauma. Sie definiert und beschreibt, was es bedeutet und woher es kommt. Somit entsteht ein Grundwissen, auf dessen Basis die folgenden Kapitel aufgebaut werden. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Traumata beschrieben, die Kindern widerfahren können. Weiß betont, dass Traumata individuell zu betrachten sind. Sie sind von den Faktoren der Umstände des entstandenen Traumas und den schützenden Faktoren wie Ressourcen und dem sozialen Umfeld, aber auch von den spezifischen Merkmalen von traumatischen Erfahrungen geprägt. Des Weiteren werden die entwicklungspsychologischen Auswirkungen traumatischer Belastungen im Kindesalter beschrieben mit Blick auf das Selbstverständnis und die Selbstwahrnehmung, die Bindungserfahrungen sowie das Verhalten auf Basis des Körpergedächtnisses und Flashbacks. Danach folgt ein Exkurs in die Geschichte des Traumas, in der die Akzeptanz und Verleugnung thematisiert wird. In der Schlussfolgerung des ersten Buchteils verdeutlicht Weiß erneut, dass das Fachwissen über die Auswirkungen der Traumata und ihren Herangehensweisen sowie Selbstreflexion den Betroffenen helfen können. Professionellen Institutionen sollten dieses Wissen nutzen.

Der zweite, sehr umfangreiche Teil des Buches „Traumainformierte Pädagogik“ handelt von vielen Themen der Betroffenen, beispielsweise die traumainformierte Bindungspädagogik. Weiß beschreibt, wie wichtig die Integration der Vergangenheit für die Kinder und Jugendlichen aus herausfordernden Lebensumständen ist. Nur durch das Verständnis der eigenen Geschichte und das gemeinsame Verstehen mit den Pädagogen ist es den Betroffenen möglich, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und alte Muster zu durchbrechen und Verhaltenskorrekturen zu erlangen. Hierfür beschreibt Weiß in ihrem Buch für die pädagogischen Fachkräfte hilfreiche Handlungspraktiken und fordert eine bessere Ausbildung für ebendiese. Nachdem die vielfältigen Bewältigungsstrategien der Kinder und Jugendlichen aufgezeichnet werden, werden passende Grundlagen für die pädagogische Arbeit dazu erörtert. Des Weiteren appelliert Weiß, dass die pädagogischen Fachkräfte Sexualität im pädagogischen Alltag mit den Jungen und Mädchen nicht tabuisieren dürfen. Insbesondere nicht bei denjenigen, die Opfer sexueller Gewalt wurden. Nur durch die eigene sexuelle Reflexion der Pädagogen und Aufklärung der Kinder und Jugendlichen können falsch gelernte Verhaltensstrategien ebendieser korrigiert werden, ohne dass Scham und Schuld sie überwältigen. So kann für sie eine neue Sexualitätsdefinition entstehen. Weiß bemerkt, dass die Therapie und die alltägliche Arbeit der Pädagogen miteinander in Verbindung stehen sollten, nur so würde eine hilfreiche Kombination für die Betroffenen aus beiden Feldern entstehen. Zum Schluss werden noch die Themen der noch nicht ausgereiften Elternarbeit insbesondere bei der Rückführung eines Kindes beleuchtet, sowie die Auseinandersetzung mit Missbrauchserfahrungen von in Obhut genommenen Kindern und Jugendlichen und ihren professionellen Bezugspersonen. Im Schlusskapitel appelliert Weiß erneut an die Haltung der pädagogischen Fachkräfte und erinnert, dass die Kinder und Jugendliche die Expert*innen ihrer Lebenslage und ihrer eigenen Geschichte sind und dass sie für ihr Handel einen guten Grund haben. Insofern sollten sie als Subjekt und nicht als Objekt in die Hilfe- und Erziehungsplanung integriert werden.

In Teil C stehen die Profis im Fokus. Hier wird genau beschrieben, mit welchen Belastungsfaktoren die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen aus herausfordernden Lebensumständen zu kämpfen haben. Um diesen entgegenzuwirken, zählt Weiß die vier Grundkompetenzen auf und führt diese genauer aus. Zudem gibt sie mit dem Kapitel „Schützende Umstände“ ein Grundgerüst, was Fachkräfte für die herausfordernde Arbeit mit ihren Schützlingen und für sich selbst brauchen, um diese umzusetzen. Abschließend bedauert die Autorin, dass in unserer Gesellschaft dieser hochsensiblen Arbeit zu wenig Anerkennung entgegengebracht wird. Als Schlussbemerkung geht Weiß auf die aktuellen weltlichen und politischen Probleme wie beispielsweise die Corona-Pandemie ein und schlägt hier die Brücke zur Traumapädagogik.

Diskussion

Weiß beschreibt in ihrem Buch sehr ausführlich, wie der pädagogische Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen in den Erziehungshilfen aussehen sollte. Hierzu werden wissenschaftliche Herleitungen und praktische Beispiele in Zusammenhang gesetzt. Somit ist ein direkter Bezug für den Leser möglich, welcher auch optisch durch die Veränderung der Schriftgröße und Absatzbildung hervorgehoben wird. Die Autorin weist auf die lückenhafte Ausbildung der Fachkräfte hin, und dass hier nicht nur ein Aufrüsten nötig sei, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken. Zudem war erschreckend zu lesen, wie schlecht die Kooperation zwischen Pädagogik im Alltag und Therapie funktioniert. Trotz unterschiedlicher Disziplinen sollte eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur Voraussetzung, sondern auch selbstverständlich sein. Um bessere Handlungskonzepte entwickeln zu können, ist die Haltung der Leitung gegenüber dem Personal von großer Bedeutung, damit sie in ihrer Arbeit wahrgenommen und unterstützt werden. Es wäre empfehlenswert, dieses Buch als Pflichtlektüre für pädagogisches Fachpersonal in Erziehungshilfen einzuführen, damit Strukturen und Muster der vorgegebenen Richtlinien zukünftig aufgebrochen werden. In ihren Schlussfolgerungen bekräftigt Weiß abermals, wie wichtig die Haltung der Fachkräfte sei sowie der Ausbau des Fachwissens in der Ausbildung.

Fazit

Dieses Buch von Wilma Weiß ist vom Thema her ein anspruchsvoller Leitfaden, der sprachlich gut zu verstehen ist und von der Struktur effektiv aufeinander aufbaut. Somit wird der Leser durch ein Thema geleitet, für das er keine Vorkenntnisse braucht, um es zu verstehen. Es bietet viele Impulse auf unterschiedlichen Ebenen und regt zur Diskussion und zum Umdenken an. Ich empfehle dieses Buch sowohl dem pädagogischen Fachpersonal, das in Erziehungshilfen arbeitet, als auch Pflege- oder Adoptiveltern. Selbst für Pädagogen aus anderen Bereichen ist es ein interessantes Werk, auch sie können viel über Kommunikation und Perspektivenwechsel für ihre Arbeit mitnehmen.

Rezension von
Catharina Hammerschmidt
staatlich geprüfte Erzieherin und Sozialpädagogin; BA in Pädagogik der Frühen Kindheit; zurzeit im Master of Arts Studium: Kindheits- und Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Management und Beratung; beruflich im Rahmen der Frühen Hilfen tätig
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Es gibt 1 Rezension von Catharina Hammerschmidt.

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Zitiervorschlag
Catharina Hammerschmidt. Rezension vom 17.08.2022 zu: Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 9., vollständig überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-7799-6252-6. Reihe: Basistexte Erziehungshilfen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29276.php, Datum des Zugriffs 05.10.2023.


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