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Michael Zichy: Die Macht der Menschenbilder

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 20.10.2022

Cover Michael Zichy: Die Macht der Menschenbilder ISBN 978-3-15-014150-2

Michael Zichy: Die Macht der Menschenbilder. Wie wir andere wahrnehmen. Philipp Reclam jun. Verlag GmbH (Stuttgart) 2021. 125 Seiten. ISBN 978-3-15-014150-2. D: 6,00 EUR, A: 6,20 EUR.
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek - Nr. 14150. (Was bedeutet das alles?).

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Thema der Publikation

Der Autor geht von der Behauptung aus, dass Menschenbilder Macht über uns haben, dass unser Denken und Verhalten durch bestimmte Vorannahmen beeinflusst werden würden. Dies vor allem hinsichtlich dessen, wie und was ein Mensch zu sein habe.

Des weiteren macht der Autor seine Überlegungen daran fest, dass Menschenbilder uns Menschen nicht nur abbilden, sondern konstitutiv für die Art und Weise sind, wie wir tatsächlich sind.

Autor

Michael Zichy studierte in Salzburg Philosophie und Katholische Theologie. Nach Zwischenstationen bei der Europäischen Kommission in Brüssel, an der Ludwig-Maximilian-Universität München und an der New School für Social Research in New York, lehrt er seit 2018 an der Universität Salzburg Philosophie und wirkt seit 2021 als Dekan der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät.

Entstehungshintergrund

Zichy geht von der Häufigkeit der Verwendung des Begriffs 'Menschenbild' und der großen Beliebtheit in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft aus, dabei zugleich erkennend, dass sich damit eine gewisse Unschärfe in der Verwendung und daraus resultierende große Missverständnisse ergeben.

Daraus ist dem Autor das Bedürfnis erwachsen, über eine nähere Beleuchtung sowohl Unklarheiten, wie auch Missverständnisse auflösen zu wollen. Auch geht es ihm darum, eine als oberflächlich erkannte Menschenbild-Pluralität auf ein einziges fundamentales Menschenbild zurückführen zu können.

Aufbau

Auf eine Einleitung folgen sieben Kapitel, die sich mit einer definitorischen Klärung des Menschenbild-Begriffs, mit dessen Pluralitätsverständnis, der Bedeutung im Alltag, seiner Macht und Wirkung und schließlich mit der daraus resultierenden Aufgabenstellung hinsichtlich unseres Menschenbildes auseinandersetzen

Das Buch listet schließlich alle Anmerkungen auf und weist noch ein Literaturverzeichnis unter Angabe wichtiger und relevanter Quellen und Bücher auf.

Inhalt

Der Ausgangspunkt für die weitere Darlegung ist der Versuch des Autors, den Begriff des Menschenbildes so offen und neutral wie möglich zu definieren;

„Mit 'Menschenbild' bezeichnen wir die Vorstellung vom Menschen, die jemand – ein Individuum, eine Gruppe, eine Gesellschaft – hat. Menschenbilder setzen sich also zusammen aus Annahmen über den Menschen“ (S. 11). Anschließend geht Zichy auf die Vielzahl möglicher Annahmen ein, erkennt dabei, dass „Menschenbilder mehr oder weniger kohärente Bündel von Annahmen über den Menschen“ (ebd.) sind, differenziert und beschreibt Menschenbilder, um schließlich zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass Menschenbilder aus zwei Arten von Annahmen bestehen: zum einen sieht er eine Vielzahl wichtiger Annahmen über alle möglichen menschlichen Eigenschaften, zum anderen einige wenige wichtige Annahmen über als zentral angesehene menschliche Eigenschaften (vgl. S. 13).

Als Nächstes wendet sich der Autor den Inhalten von Menschenbildern zu und listet elf verschiedene in Menschenbildern enthaltene Annahmen auf. Es folgt eine weitere Tabelle, welche zum einen das 'Westliche Menschenbild' und zum anderen mit einem '(sehr) konservativen christlichen Menschenbild' anhand der elf Annahmen zu erklären unternimmt.

Das mit 'Pluralismus' überschriebene nächste Kapitel will mehr Klarheit in die gegebene Vielfalt bringen, geht auf individuelle Menschenbilder ebenso ein, wie auf gruppenspezifische Menschenbilder. Dabei wird starken individuellen Menschenbildern eine gewisse Seltenheit aufgrund einer gesellschaftlich kaum gegebenen Anschlussfähigkeit konstatiert. Gruppenspezifische Menschenbilder, die aus gebündelten Überzeugungen bestehen, finden laut Zichy ihre Klientel etwa in christlichen, islamischen, esoterischen, sozialistischen, konservativen oder darwinistischen Auffassungen, wenngleich auch hier ein gewisser Grad an Individualität vorhanden sei.

Anhand von Beispielen erfolgt eine nähere Erläuterung, so zum Beispiel, wenn der Autor als Paradebeispiel anführt, „dass der Mensch eine eigene, unveräußerliche Würde hat“ (S. 31). Hier handle es sich um eine Sichtweise, die in vielen Gesellschaften verankert sei – auch wenn festgehalten werden müsse, dass es sich dabei hinsichtlich des 'Würde'-Begriffs um ein Abstraktum handle, das weder Bedeutung noch Folgerung konkretisieren könne (vgl. S. 31/32).

Unterm Strich hält der Autor das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Menschenbildern für eine spannungsreiche Beziehung, aus welcher sich letztlich ein gesellschaftliches Menschenbild entwickelt, das als fundamental angesehen werden muss. Das bedeutet für ihn, dass auch in pluralistischen Gesellschaften ein gemeinsames, gesellschaftlich geteiltes Menschenbild existiert, das trotz seiner Abstraktheit in der Kultur einer Gesellschaft Verwurzelung findet.

In den weiteren Kapiteln geht der Autor beispielhaft auf die Rolle von Menschenbildern im alltäglichen Leben einer (pluralistischen) Gesellschaft näher ein. Er stellt sich der Frage nach den Funktionen von Menschenbildern hinsichtlich deren Aussagen über den Menschen, über dessen Identifikation, Individualität und Komplexität, über die Interpretationsmöglichkeiten menschlichen Verhaltens, über Überzeugungen und Moralität etc. Schließlich weist er Menschenbildern eine Orientierungsfunktion zu, welche letztlich ein Realbild des Menschen zu vermitteln vermag.

Aus der Erkenntnis heraus, dass Menschenbilder den Menschen nicht nur abbilden, sondern ihn zugleich auch bilden, geht Zichy im Kapitel 'Macht und Wirkung' auf die Wirkungen auf die Intentionalität ein, dass also unser Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln von Menschenbildern beeinflusst werde (vgl. S. 81). Das Gleiche gelte für die Wirkungen von Menschenbildern auf Institutionen, verstanden als gemeinsam geteilte Regelungssysteme, wie etwa das Rechtssystem oder das Erziehungssystem etc.. Zudem werden die Wirkungen von Menschenbildern auf die Konstitution des Menschen aufgezeigt.

In einem weiteren Kapitel zu 'Macht und Wirkung' werden die Wirkungen von Menschenbildern auf physisch-körperliche Aspekte, auf die Persönlichkeit und auf die Subjektivität des Menschen analysiert. So wirkt nach Zichy das jeweilige Menschenbild auf die Selbstgefühle ebenso ein, wie auf die Beeinflussung – indem die Deutung eines Gefühls bereits das Gefühl selbst verändert, was sich beispielsweise anhand der persönlichen Einstufung von Sex erklären lasse, indem man zum einen Sündhaftigkeit, moralische Verwerflichkeit oder Schädlichkeit, zum anderen aber sexuelle Empfindungen als gut und gesund, richtig und schön erkennt. Dass den Menschenbildern auch Grenzen gesetzt sind, wird deshalb angenommen, weil der Mensch nur begrenzt formbar, bzw. bestimmten Menschenbildern angepasst werden könne.

Abschließend sieht sich der Autor mit der Aufgabe konfrontiert, „die unterschiedlichen Menschenbilder zu identifizieren, sie zu beschreiben, zu analysieren, zu diskutieren und zu kritisieren“ (S. 116 ff.). Dabei kommt er zu dem Schluss, dass „Menschenbilder […] das Fundament unseres Weltzugangs, unserer sozialen und politischen Ordnungen, und unseres Menschseins [bilden]“ (S. 120).

Diskussion

Das Buch von Michael Zichy greift ein Thema auf, das im Prinzip in jeder Gesellschaft, im gesellschaftlichen Miteinander, aber auch im Gegeneinander allgegenwärtig ist. Es geht ihm eigentlich n u r darum die Begrifflichkeit 'Menschenbild' aus ihrer Inkonkretheit, aber auch aus ihrer Abstraktheit im Verständnis und ihrer relativen Wahllosigkeit herauszuholen, deutlich zu definieren und schließlich in ihrer Pluralität zu analysieren.

Dabei vermag der Leser zunächst nicht klar erkennen, wohin das Ganze geht und worauf der Autor abzielt – wenn man selbst manchmal den Eindruck nicht zu verdrängen vermag, dass die Thematik selbst einer gewissen Abstraktion unterliegt, die sich dem Leser aber spätestens durch verdeutlichende praktische Beispiel aus den gesellschaftlichen Lebensbereichen erschließt.

Fazit

Zichy hatein Thema aufgegriffen, das wohl so in relativer Kürze und durchaus auf den Punkt gebracht durchaus ihres Gleichen sucht. Die Darlegungen sind zum einen philosophisch erfasst und durchdrungen, zum anderen aber auch der theologischen Profession des Autors unterworfen.

Jeder, der in unserer höchst unruhigen, politisch, wie gesellschaftlich verunsicherten Zeit nach Gründen für das menschliche, gesellschaftliche und politische (Fehl-)Verhalten sucht, wird hier Antworten, wenn auch nicht umfassender Art, finden.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.

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ISSN 2190-9245