Gudrun Ehlert: Geschlechterperspektiven in der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Gabriele Fischer, 28.10.2022
Gudrun Ehlert: Geschlechterperspektiven in der Sozialen Arbeit. Basiswissen und Konzepte.
Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2022.
2. Auflage.
167 Seiten.
ISBN 978-3-7344-1416-9.
D: 9,90 EUR,
A: 10,20 EUR.
Reihe: Wochenschau Studium. Grundlagen Sozialer Arbeit.
Thema
Das Buch gibt einen vielseitigen Einblick in die Bedeutung von Geschlecht/​Gender für die Soziale Arbeit. Die Autorin geht dabei auf Theorien, Geschichte und politische Bewegungen ein und sie diskutiert die Relevanz von Geschlechterperspektiven für ausgewählte gesellschaftliche Bereiche und Handlungsfelder der Sozialen Arbeit.
Autorin
Prof. Dr. Gudrun Ehlert ist Professorin an der Hochschule Mittweida. Ihre Arbeitsschwerpunkte dort sind Geschlechterverhältnisse in der Sozialen Arbeit, soziale Ungleichheit und Professionalisierung Sozialer Arbeit.
Entstehungshintergrund
Bei der Publikation handelt es sich um eine Neuauflage des Bandes „Gender in der Sozialen Arbeit, Konzepte, Perspektiven, Basiswissen“ von Gudrun Ehlert, das 2012 im Wochenschau Verlag erschienen ist.
Aufbau und Inhalt
Die Autorin wird mit dem Aufbau und dem Inhalt des Buches dem Titel „Geschlechterperspektiven in der Sozialer Arbeit“ sehr gerecht.
Im ersten Kapitel „Frauen*- und Geschlechterbewegungen, Geschlechterforschung und -politik“ stellt Gudrun Ehlert in einem knappen Überblick die Wechselverhältnisse von sozialen Bewegungen, Forschung und Politik dar. Damit zeigt sie die Verwobenheiten zwischen den drei Bereichen auf, ohne vereindeutigende Kausalitäten herzustellen. Gerade für die Bearbeitung von Geschlechterperspektiven wird damit ein sehr wichtiger und grundlegender Ausgangspunkt gesetzt.
Auf die verschiedenen theoretischen Konzepte in der Frauen*- und Geschlechterforschung geht die Autorin in dem folgenden Kapitel „Dimensionen der Kategorie Geschlecht“ ein. Sie stellt diese mit kurzem Rückblick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihre Bedeutung für die Frauen*- und Geschlechterforschung ebenso wie für die Soziale Arbeit dar. Zunächst fokussieren die theoretischen Konzepte Geschlecht als Strukturkategorie Sozialer Ungleichheit, Männlichkeit und Intersektionalität gesellschaftstheoretische Perspektiven. Sie greift dann die Konstruktion von Geschlecht, die sich im praxeologischen Ansatz des doing gender ausdrückt, auf und geht auf die diskursive Herstellung der Geschlechterdifferenz ein. Sie endet mit Geschlecht als Konflikttheorie, die die geschlechtsbezogene Sozialisation als konfikthaften und andauernden Aneignungsprozess versteht.
Dem Kapitel gelingt es, in einer knappen Form die verschiedenen theoretischen Perspektiven auf Geschlecht aufzufächern, dabei die Bezüge herzustellen und gleichzeitig die Unterschiede stehen zu lassen. Es wird kein unzulässiges Gesamttheoriegebäude entwickelt, vielmehr werden die Ansätze mit ihren jeweiligen Erkenntnisperspektiven und Limitationen dargestellt. Es gelingt dem Text, die historischen Ursprünge der jeweiligen Theorien ebenso zu erklären wie die aktuellen Debatten und Weiterentwicklungen. Besonders gewinnbringend ist die Doppelperspektive auf die Soziale Arbeit, indem deutlich gemacht wird, wie die jeweiligen Theorien sowohl für die „Aufgaben“ der Sozialen Arbeit angewendet werden können als auch für die Analyse der Sozialen Arbeit selbst.
In den beiden folgenden Kapiteln „Die erste Frauen*bewegung und die Entwicklung von Sozialer Arbeit als Frauen*beruf“ und „Frauen*- und LGBTIQ*-Bewegungen und Soziale Arbeit“ greift Gudrun Ehlert den Gedanken aus der Einleitung auf, die Wechselwirkungen von sozialen Geschlechterbewegungen und der Entwicklung der Sozialen Arbeit aufzuzeigen. Sie macht deutlich, dass nicht nur die erste Frauenbewegung für die Entstehung der Sozialen Arbeit als Beruf konstitutiv war, sondern auch die Bewegungen der späteren Jahre prägten die Soziale Arbeit. Dies gilt für theoretische Konzepte für sozialarbeiterisches Handeln wie beispielsweise die parteiliche Mädchenarbeit ebenso wie für die Entwicklung von Handlungsfeldern und Organisationen der Sozialen Arbeit, wie die Beratung von queeren Personen und die Entwicklung der Aids-Hilfe. Mit den Ausführungen wird deutlich, wie eng die Soziale Arbeit an die Bewegungen zu Geschlechterthemen angebunden und zum Teil aus ihr hervorgegangen ist. Und es zeigt, dass gesellschaftliche Veränderungen immer wieder auch die Soziale Arbeit in ihrem Handeln und in ihrer Entwicklung beeinflussen.
Die nächsten Kapitel widmen sich den zentralen gesellschaftlichen Bereichen und Dimensionen sozialer Ungleichheit Arbeit, Bildung und Migration, die jeweils mit der Perspektive auf Geschlecht analysiert werden. Auf der Basis von theoretischen und empirischen Forschungsständen macht die Autorin in den Kapiteln „Geschlecht, (Soziale) Arbeit: Geschlechterdifferenzierungen und -hierarchien“, „Bildung und Geschlecht“ sowie „Migration, Geschlecht und Soziale Arbeit“ jeweils die Bedeutung von Geschlecht nachvollziehbar. Auch hier gelingt es hier, an den geeigneten Stellen die Doppelperspektive einzunehmen, in dem nicht auf das Thema geblickt wird, sondern das Thema selbst auch für die Soziale Arbeit relevant gemacht wird. So betreffen die Geschlechterhierarchien im Erwerbsleben über die Trennung von Produktion und Reproduktion auch die Soziale Arbeit als weiblich konnotierter Beruf. Und auch die Auseinandersetzung mit Rassismuskritik und fehlender Diversität betrifft die Soziale Arbeit selbst.
In dem anschließenden Kapitel „Gewalt und Geschlecht“ beleuchtet Gudrun Ehlert noch ein Themengebiet, das für die Soziale Arbeit von großer Bedeutung ist und bei dem es unumgänglich ist, Geschlechterperspektiven einzunehmen. Sie geht in dem Kapitel auf häusliche Gewalt und auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ein, greift aber auch grundlegende Perspektiven zu Gewalt- und Geschlechterverhältnissen als analytischen Rahmen auf. Sie stellt dabei die Komplexität der Zusammenhänge dar, indem sie beispielsweise nicht nur die Perspektive der Betroffenen beleuchtet, sondern sich auch auf das komplexe Verhältnis von Gewalt und Männlichkeit bezieht.
Die Autorin schließt die Ausführungen mit den Diskussionen um „Geschlechter- und diversitätsbewusste Soziale Arbeit“, die sich auf eine intersektionale Perspektive beziehen. Diese Ansätze setzen auf eine bewusste Wahrnehmung und Reflexion von Differenzen und Differenzierungen zwischen den Geschlechtern. Hier wird eine Vorstellung von Sozialer Arbeit entworfen, die die binäre Geschlechterdifferenzierung überwindet und mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit in Verbindung bringt.
Diskussion
Gudrun Ehlert ist es in beeindruckender Art und Weise gelungen, auf 146 Seiten einen sehr differenzierten und vielschichtigen Einblick in die Geschlechterperspektiven in der Sozialen Arbeit zu geben. Sie nimmt dabei historische, theoretische und politische Perspektiven ein. Es gelingt ihr in hervorragender Weise einen Überblick über die verschiedenen Facetten der Geschlechterperspektiven zu geben und diesen so zu schreiben, dass er trotz der Kürze verständlich bleibt und zum weiteren Denken und Suchen anregt.
Fazit
Mit dem Buch ist Gudrun Ehlert ein kompakter Überblick gelungen, der für Studierende und andere Interessierte an den Geschlechterperspektiven in der Sozialen Arbeit eine hervorragende Grundlage für den Einstieg ins Thema bietet.
Rezension von
Prof. Gabriele Fischer
Professur für Gender, Migration und Diversity
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Es gibt 1 Rezension von Gabriele Fischer.
Zitiervorschlag
Gabriele Fischer. Rezension vom 28.10.2022 zu:
Gudrun Ehlert: Geschlechterperspektiven in der Sozialen Arbeit. Basiswissen und Konzepte. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2022. 2. Auflage.
ISBN 978-3-7344-1416-9.
Reihe: Wochenschau Studium. Grundlagen Sozialer Arbeit.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29330.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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