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Esser Hartmut: "Wie kaum in einem anderen Land..."?

Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Elkeles, 05.12.2022

Cover Esser Hartmut: "Wie kaum in einem anderen Land..."? ISBN 978-3-593-51322-5

Esser Hartmut: Die Differenzierung der Bildungswege und ihre Wirkung auf Bildungserfolg, -ungleichheit und -gerechtigkeit. Band 1: Theoretische Grundlagen. Campus Verlag (Frankfurt) 2021. 357 Seiten. ISBN 978-3-593-51322-5. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR.

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Thema

Es gibt kein Land der Welt ohne soziale Bildungsungleichheiten, hierbei jedoch beträchtliche Unterschiede. Für Deutschland gilt in Fachkreisen wie in Öffentlichkeit als so gut wie ausgemacht, dass hier „wie kaum in einem anderen Land …“ der Bildungserfolg sehr stark von der sozialen Herkunft der Eltern bestimmt sei, und zwar insbesondere wegen der frühen Differenzierung der Bildungswege beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe. Esser stellt diese „weithin unbezweifelte Standardposition“ (S. 8) in Frage und zugleich theoretisch und – in der Folge für Band 2 angekündigt – empirisch auf den Prüfstand. Hauptthese ist, dass eine wirkliche Differenzierung nach kognitiven Fähigkeiten, die richtig angewandt an sich zumindest ungleichheitsirrelevant sei, in bisher benutzten Daten nicht erfasst wurde, sodass deren mögliche Effekte bisher auch nicht wirklich hätten überprüft werden können. Mittels einer soliden Entwicklung der theoretischen Grundlagen, von kausalen Wirkungsmodellen und letztlich von mathematisch formalisierten Prüfhypothesen will Esser die „Standardposition“ versus der ursprünglich vom dänisch-amerikanischen Soziologen Aage B. Sørensen argumentierten Vorteile einer tatsächlichen Bildungsdifferenzierung auf den Prüfstand stellen. Dabei geht es ihm nicht um unmittelbare bildungspolitische Effekte, sondern „eher um so etwas wie eine wissenschaftstheoretische und -soziologische Fingerübung in der Form einer, wie man sagen könnte, korrigierenden Replikation“ (S. 16, [Hervorh. i. O.]).

Autor

Prof. Dr. Hartmut Esser lehrte an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim Soziologie und Wissenschaftslehre. Zu seinen Schriften gehören „Soziologie: Allgemeine Grundlagen“ und die sechsbändige „Soziologie: Spezielle Grundlagen“. Esser gilt als Vertreter eines rational choice-Ansatzes. Nach seiner Variante, der Theorie subjektiver Werterwartung (SEU-Theorie), wählen Akteure aus einem Repertoire alternativer Handlungen diejenige Entscheidung, die nach deren subjektivem Sinn, abhängig von den wahrgenommenen Restriktionen, am ehesten zur gewünschten Handlungskonsequenz führt (z.B. Statuserhalt durch elterliche Bildungsentscheidungen). Esser stellt somit diese Entscheidungs- und Handlungstheorie in den Rahmen eines Programms verstehend-erklärender Soziologie.

Nach früheren Arbeiten zu Migration(ssoziologie) und Bildungsungleichheit widmet sich Esser nun verstärkt auch der Bildungssoziologie, hier nun mit dieser zweibändig angelegten Monographie.

Entstehungshintergrund

Ausgangspunkt sei vor mehr als zehn Jahren das Vorhaben für eine State-of-the-art-Übersicht der Effekte von Bildungssystemen auf den Bildungserfolg von Migrantenkindern gewesen, bei der sich bereits gezeigt habe, dass es keineswegs, weder für noch gegen die Standardposition, eine klare Befundlage gebe. Dass daraus dieses Buch, noch dazu im Umfang von zwei Bänden, werden sollte, sei so nicht geplant gewesen. Eigentlicher „Anlass zu einem dann doch ernsthaften Überdenken der Standardperspektive“ (S. 11) habe dann ein zunächst höchst sonderbar erscheinendes Resultat in einer erst später zugänglich gewordenen (PhD-)Arbeit von Allison Dunne am European University Institute in Florenz gegeben, „einem der Zentren der empirischen Bildungssoziologie, und mit Gutachtern aus der ersten internationalen Klasse, denen man schon ein Urteil zutrauen konnte“ (S. 11): Innerhalb der Schulklassen drehte sich der Herkunftseffekt auf die Leistungen in der Sekundarstufe. Dunnes Doktorvater Jaap Dronkers habe dann versucht, die Einbeziehung der Schulklassen als dritte Ebene in die Debatte um Bildungssysteme zu etablieren. Die meisten hätten aber die Diskussion bis heute erst gar nicht wahrgenommen – „als ob es nichts ausmache, ob man die Schulklassen berücksichtigt oder nicht und sich die Differenzierung einmal verstärkend und einmal abschwächend auf den Herkunftseffekt auszuwirken scheint“ (S. 12), obwohl dies der Standardposition widerspricht.

So wurde dann mit einer theoretischen Modellierung der Systemeffekte von Bildungssystemen allgemein begonnen. Mit der Entwicklung des inzwischen „Model of Ability Tracking (MoAbiT)“ genannten Modells „und seinen Implikationen für die möglichen Fehlinterpretationen der verschiedenen Befunde wurde nun endgültig auch theoretisch klar, dass man weder auf den Einbezug der kognitiven Fähigkeiten noch auf die Schuleffekte und die kognitive Zusammensetzung der Schulklassen nach Niveau und Homogenität verzichten kann“ (S. 14). Damit aber sei immer stärker die Frage in den Vordergrund gerückt, mit welchen Daten und Analysen man dieses Modell auch empirisch testen könne. Inzwischen lägen die Befunde (mittels Daten der „National Education Panel Study“ für die 16 deutschen Bundesländer, NEPS) zu den beiden zentralen Aspekten von Bildungserfolg, Bildungsgleichheit und Bildungsgerechtigkeit, auch in publizierter Form vor (Beiträge in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie und der Zeitschrift für Soziologie). Dieses werde nun ausgearbeitet und nach Möglichkeit weitergeführt.

Das Buch habe dann länger gedauert als zunächst avisiert und sei auch im Umfang mehr geworden als gedacht, habe sich jedoch gelohnt. Esser dankt dafür den Beteiligungen und Anregungen aus dem, was er inzwischen als das Bamberger Milieu bezeichne. Genannt sind insbesondere Hans-Peter Blossfeld, Sandra Buchholz und das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LifBi).

Aufbau

Nach einer Einleitung („Vorbemerkungen“) behandelt dieser Band 1 in Teil I („Allgemeine Konzepte und theoretische Grundlagen“) in den Kapiteln 1 – 3: „Der Streit um die Leistungsdifferenzierung“, „Der gesellschaftliche und institutionelle Rahmen“ sowie „Lernen und Handeln“. Teil II („Das Interaktionssystem der Bildung“) gliedert sich in die Kapitel 4 – 6: „Kognitive Fähigkeiten, kognitive Entwicklung, Differenzierung und Stratifikation“, „Familie und soziale Herkunft“ sowie „Schule und Schuleffekte“. Teil III („Das theoretische Modell“) dient der näheren Herleitung, Vorstellung und Spezifikation der dann auch empirisch-statistisch zu überprüfenden Kausalmodelle, gegliedert in die Kapitel 7 – 9 „Bildungssysteme und Systemeffekte“, „Das Modell der Leistungsdifferenzierung“ sowie „Hypothesen, Kausalmodelle und Caveats“.

Am Anfang der einzelnen Kapitel wird jeweils kurz deren Aufbau und Inhalt beschrieben.

Band 2 ist vom Verlag damit angekündigt, er betrachte die empirischen Befunde und liefere eine empirische Untersuchung am Beispiel der deutschen Bundesländer. Nach ursprünglicher Ankündigung sollte Band 2 im Dezember 2022, ein Jahr nach Band 1, erscheinen, was sich jedoch nach persönlicher Mitteilung des Verlags voraussichtlich auf Frühjahr 2023 verschiebe.

Inhalt

Kapitel 1 führt den Ausgangspunkt und die Notwendigkeit einer Korrektur der Standardposition nebst sechs Vorbedingungen bzw. auch Einschränkungen aus. Am Ende wird der Hauptbefund vorabgestellt: „Die stringente Differenzierung nach Leistungen verstärkt die soziale Bildungsungleichheit nicht, erhöht aber das Niveau der Leistungen, und zwar auch über die kognitive Homogenisierung der Schulen und Schulklassen, die besonders den Kindern in den Schulen und Schulklassen der unteren Leistungsbereiche zugute kommt. Integration und Heterogenität sind dagegen eher etwas für die oberen Leistungsbereiche und Bildungswege, also dort, wo es eigentlich keine sonderlichen Probleme gibt“ (S. 38).

Kapitel 2 entwickelt ein Interaktionsmodell der zentral beteiligten Akteure mit ihren Beziehungen und (Re)Aktionen in den Handlungskontexten von Familie und Schule. Es bildet die Grundlage für die daran anschließenden Kapitel zu den Kernaspekten der Erklärung von Unterschieden in Bildungsverläufen und Bildungserfolg. Zusammengefasst wird das in einem Grundmodell der allgemeinen Bedingungen und Vorgänge des Bildungsverlaufs als heuristische Grundlage des später daraus fortentwickelten Modells der Leistungsdifferenzierung (Abbildung 2.8, S. 66). Es verbindet die Vorgänge bei Sortierung und Bildungsbeteiligung mit den Vorgängen bei der Leistung, in beiden ist die kognitive Fähigkeit zwischen der sozialen Herkunft und der Leistung in der Grundschule angesiedelt.

Hinsichtlich der Bildungsbeteiligung (Sortierung/Übergang) greift Esser auf die Typologie von primären, sekundären und tertiären Effekten von Raymond Boudon zurück. Als primäre Effekte bezeichnet Boudon die schichtspezifischen Unterschiede der schulischen Leistungen und Kompetenzen (Lernvoraussetzungen und -gelegenheiten seitens des Elternhauses), als sekundäre Effekte die schichtabhängigen Unterschiede in der subjektiven Bewertung von Nutzen und Kosten von alternativen Bildungswegen, als tertiäre Effekte diejenigen der Schule.

Eingebaut in Kapitel 3 und bezogen auf Lernen und Handeln ist die Wert-Erwartungstheorie zur vergleichenden Selektion einer bestimmten Option des Lernens und seiner Exposition mit Anregungen und des Handelns mit seinen Opportunitäten.

Kognitive Fähigkeiten (Kapitel 4) seien allein schon theoretisch unentbehrlich, allein ihre Erwähnung sei allerdings in weiten Bereichen „besonders der Erziehungswissenschaften und weiten Teilen der (Bildungs)Soziologie (…) tabuisiert“ (S. 101). Die Regeln von Bildungssystemen seien dahingehend zu prüfen, „welche geeignet seien, die Entwicklung und die Effekte der kognitiven Fähigkeiten und damit der Leistungen der Kinder und die Effizienz eines Bildungssystems so zu unterstützen, dass die Potenziale der Kinder möglichst ganz zum Tragen kommen, ohne dass unnötige und leistungsfremde Stratifikationen entstehen“ (S. 138).

Für eine spätere Sortierung werde von anderer Seite vorgebracht, zu einem frühen Zeitpunkt sei die kognitive Entwicklung nicht abgeschlossen, eine spätere Sortierung oder der Verzicht auf diese sei ein wirksames Mittel zur Vermeidung von Fehlplatzierungen, „gerade auch der besonders oft irrtümlich falsch nach unten platzierten talentierten Kinder aus den unteren Schichten“ (S. 312 f.); eher das Gegenteil legten Befunde nahe, bis etwa zum 10. Lebensjahr sei die kognitive Entwicklung weitgehend abgeschlossen, danach flache die Lerneffizienz ab und „es gäbe Möglichkeiten den jeweiligen Stand auch verlässlich festzustellen“ (S. 313). Das allerdings ist eine absolut unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung des Modells der Leistungsdifferenzierung, über die mit lediglich einem Querverweis informiert wird, was besonders bedauerlich ist, da die Zuverlässigkeit von Intelligenzmessungen im Allgemeinen und deren Unabhängigkeit von sozialen Einflüssen im Besonderen doch einigermaßen fraglich erscheinen.

Kapitel 5 behandelt das Konzept der sozialen Bildungsungleichheit allgemein und wie dies im Rahmen von Modellen kausaler Beziehungen erfasst und interpretiert werden kann.

Die Schuleffekte als tertiäre Effekte (Kapitel 6) ergänzen die Vorgänge in Kapitel 4 und 5. Hier geht es um die Eigenschaften und Aktivitäten des Lehrpersonals in ihrem institutionellen Kontext. Neben den Aktivitäten des Lehrpersonals besonders bei deren Bewertungen der Schülerleistungen, geleitet über bestimmte, ggf. auch Stereotype verzerrte Erwartungen und Einstellungen, gesteuert durch die Schulleitungen, gehören zu den Schuleffekten die Strukturen der Schulklassen und die peer-Kontakte. Auch in diesem Kapitel werden verschiedenste Kausaleffekte und Interaktionen modelliert und mathematisch ausgedrückt, um letztendlich dann beurteilen zu können, ob die Begründung der Differenzierung nach Sørensen oder die heutige Standardposition zutreffe.

Teil III führt, nach Kapitel 7 „Bildungssysteme und Systemeffekte“, im Kapitel 8 nun das Modell der Leistungsdifferenzierung als Heuristik näher aus. Dieses Modell soll die Unterschiede in den Leistungen in der Sekundarstufe nach dem ersten Übergang mit den angenommenen Kausalbeziehungen erklären, bei einer gegebenen Exposition nach Curriculum und Unterricht über die Vorgänge des Lernens direkt über die Leistungen in der Grundschule, indirekt über die kognitiven Fähigkeiten und die soziale Herkunft (Abb. 8.3, S. 300). Kapitel 9 präsentiert untersuchbare Hypothesen, Kausalmodelle und Caveats (Fallstricke, die nicht immer gesehen worden seien) für eine empirische Überprüfung in verschiedensten wieder auch graphisch präsentierten Varianten für eine analytisch-formale Prüfung in unterschiedlichen Konstellationen des Verhältnisses von kognitiver Differenzierung.

Grundannahme ist die Gleichverteilung der kognitiven Fähigkeiten nach der sozialen Herkunft; „die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und den kognitiven Fähigkeiten als Potenzial bzw. in den Startchancen sei gleich null“ (S. 293). Das kognitive Potenzial sei – im Gegensatz zum „‘Nobility‘-Tracking“ (S. 294 ff.) – „das, was einmal den Bildungsdrang der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie im 19. und frühen 20. Jahrhundert so beflügelt hat: Den Talenten gehört die Welt, und das ist das Kapital, das uns niemand nehmen kann! Es ist der Weg in eine offene, leistungsstarke und sozial gerechte Gesellschaft (…)“ (S. 296). Mit einer möglichst weitgehenden Differenzierung nach kognitiven Fähigkeiten „sollten also die Leistungen steigen – und gleichzeitig auch die soziale Durchlässigkeit zunehmen, also das Gegenteil von dem, was die Integrationsposition annimmt und was sich in den Studien nach dem Standardansatz meist zu zeigen scheint“ (S. 297). Explanandum des Unterfangens ist der Bildungserfolg in Abhängigkeit von der schulischen Differenzierung, also den Effekten von Differenzierung und Integration.

Kapitel 9 und damit Band 1 insgesamt endet mit: „Zunächst muss das genügen, was wir haben. Theoretisch. Im zweiten Band geht es dann weiter. Empirisch!“ (S. 341).

Diskussion

Man kann sich der logischen Stringenz der Argumentationslinien schwer entziehen, wenn man sich erst einmal der Irritation entledigt hat, dass bisherige (vermeintliche?) Gewissheiten über den Zustand und die Ausprägung sozialer Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem von Esser, zumal derart massiv, in Frage gestellt werden. Esser scheint dies, bei allem ansonsten wissenschaftlich höchst strikt-nüchternen Argumentationsmodus, allein schon durch die Voranstellung des Zitats „Wie kaum in einem anderen Land …“ auch mit einer gewissen Freude an der Provokation der scientific community und der publizistischen Öffentlichkeit zu tun. Letztere hatte das Thema im Zuge der medialen Aufbereitung der (vermeintlichen) deutschen PISA-Ergebnisse ihrerseits als Skandal stilisiert.

Unmittelbare bildungspolitische Konsequenzen erwartet Esser dabei nicht: „Die theoretischen Argumente und empirischen Befunde passen, dem kann man sich nicht verschließen, gewiss auch so gar nicht in die Zeit, und ob sich aufgrund der Ergebnisse etwas ändern wird, ist mehr als fraglich“ (S. 16). Darauf käme es aber auch nicht an, und der Beitrag sei auch, wie die Wissenschaft allgemein, „nicht so gedacht, dass daraus gleich wieder diese oder jene 'Reform' folgen müsste (…)“. Wohl aber sei zu fragen, was „vor allem aus den PISA-Studien und dann gerade auch für Deutschland, herausgekommen wäre, wenn man gleich ein korrekt spezifiziertes theoretisches Modell und die erforderlichen Daten gehabt hätte (…)“ (S. 16).

Der von Esser angeregte Hypothesentest für die vielen Einzelbeziehungen und den Gesamtzusammenhang von Sortierung und Strukturierung der Schulen und Schulklassen beim Übergang in die Sekundarstufe und der Leistungen in der Sekundarstufe steht und fällt allerdings mit den hierfür erforderlichen Daten und auch einem hierfür geeigneten Studiendesign. Es ist daher für Rezensent wie Leserschaft gleichermaßen bedauerlich, dass die beiden Bände nicht zum gleichen Zeitpunkt verfügbar sind, um dies im Zusammenhang rezipieren und damit letztlich überhaupt beurteilen zu können. Erst dann könnte sich zeigen, ob über die Kritik hinaus, andere hätten unzureichende Daten und inkonsistente oder unzureichende bzw. gar fehlende Modelle, nun ein spezifiziertes Modell vorgelegt werden kann, für das es auch geeignete und den eigenen Ansprüchen genügende Daten gibt.

Wenngleich Esser betont, es gehe ihm hier nicht unmittelbar um bildungspolitische Konsequenzen, könnten zumindest andere solche daraus ableiten. Jedenfalls wurde schon bei so mancher deutschen Landtagswahl das Thema leistungsdifferenziertes Lernen nicht nur auf die Agenda gesetzt, sondern hierzu auch ein ausgesprochener Kulturkampf inszeniert. Esser selbst hält die weitere Öffnung des Bildungssystems nicht dafür geeignet, dessen Effizienz zu steigern. Jedoch nicht die althergebrachte Bildungs-„Nobility“ will er mit einer strikteren Anwendung des Leistungsprinzips fördern, sondern eher Kinder aus sozial schwierigeren Verhältnissen, z.B. durch verbindlichere Schulempfehlungen und begleitende differentielle Maßnahmen der Kompensation struktureller Nachteile von Schulen und Familien in bestimmten, besonders schwierigen städtischen Bereichen über Ganztagsschulen, Zusatzbetreuungen etc. Ob man beides – sowohl strikte Differenzierung als auch Ausgleichsmaßnahmen – wolle und durchsetzen könne, sei eine andere Frage,

Fazit

Die „Standardposition“, in Deutschland sei die soziale Bildungsungleichheit wegen der früh vorgenommenen Differenzierung der Bildungswege im internationalen Maßstab besonders auffällig, ist in Fachkreisen praktisch Konsens und auch in der breiten Öffentlichkeit gut bekannt. Hartmut Esser stellt dies „Standardposition“ grundlegend auf den Prüfstand und entwickelt analytisch-theoretische Zusammenhänge, Wirkmechanismen und Kausalmodelle. Der hier vorgelegte grundsätzliche Widerspruch zur „Standardposition“ wird in der Ausführlichkeit der Herleitungen Fachkreise sowie Leserinnen und Leser, die sich, neben den vorhandenden Lehrbüchern, in die empirische Bildungssoziologie einarbeiten möchten, ansprechen.

Rezension von
Prof. Dr. Thomas Elkeles
bis 2018 Hochschule Neubrandenburg, FB Gesundheit, Pflege, Management
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Zitiervorschlag
Thomas Elkeles. Rezension vom 05.12.2022 zu: Esser Hartmut: Die Differenzierung der Bildungswege und ihre Wirkung auf Bildungserfolg, -ungleichheit und -gerechtigkeit. Band 1: Theoretische Grundlagen. Campus Verlag (Frankfurt) 2021. ISBN 978-3-593-51322-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29373.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.


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