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Judith Kohlenberger, Sophia Heyne et al.: Soziale Inklusion geflüchteter Frauen

Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 22.06.2023

Cover Judith Kohlenberger, Sophia Heyne et al.: Soziale Inklusion geflüchteter Frauen ISBN 978-3-8487-8734-0

Judith Kohlenberger, Sophia Heyne, Bernhard Rengs, Isabella Buber-Ennser: Soziale Inklusion geflüchteter Frauen. Zur Rolle der Familie und Familienarbeit. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2022. 135 Seiten. ISBN 978-3-8487-8734-0. 34,00 EUR.
Reihe: Migration & Integration - Band 10.

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Thema

Ausschlaggebend für die diskutierten Daten war ein Forschungsprojekt im Auftrag des Arbeitsmarktservices Österreich. Mit den Einblicken in die Lebenswelt geflüchteter syrischer und afghanischer Frauen rücken eine oft vergessene Gruppe in den Blick der Wissenschaft und somit in den Blick des öffentlichen Diskurses.

Aufbau

Nach einer Danksagung, dem Abkürzungsverzeichnis, der Einleitung und der Wiedergabe des Forschungsstandes gehen die Autor*innen auf die Schwerpunkte des Forschungsprojektes ein. Die Zusammenfassung und das Fazit sowie das Literaturverzeichnis runden den Inhalt des Bandes ab.

Inhalt

In der vorausgehenden Danksagung würdigen die Autor*innen das Projektteam sowie die –teilnehmer*innen. Nachfolgend wird in der Einleitung auf die steigende Anzahl weiblicher Geflüchteter seit 2016 in Österreich verwiesen. Neben der Schlüsselrolle für die Integration der Familie, bilden diese Frauen auch eine relevante Größe für den Arbeitsmarkt. Aufbauend auf den vom Arbeitsmarktservice Österreichs in Auftrag gegebenen „Women’s Integration Survey“ (WIN) gibt das Buch datenbasierte Einblicke in die Lebenswelt geflüchteter Frauen aus Syrien und Afghanistan. Laut aktuellem Forschungsstand ist die sozioökonomische Integration von geflüchteter Frauen kaum erforscht. Deutlich werden die multiplen Hürden, mit denen diese Frauen konfrontiert sind. (S. 20)

In Kapitel 3 wird der Women’s Integration Survey (WIN), insbesondere die inhaltlichen Schwerpunkte sowie das methodische Vorgehen vorgestellt.

Im Kapitel zur Soziodemographie wird zunächst die Zusammensetzung der befragten Personen nach Geschlecht, Herkunftsland, Aufenthaltsstatus sowie Ankunftsjahr in Österreich dargestellt. Hervorzuheben sind Ergebnisse u.a. zum Wohnortes, wonach mehr als die Hälfte der Interviewten in der Bundeshauptstadt lebten. Ebenso interessant ist Ergebnis der Wunsch nach permanentem Aufenthalt von 92 % der befragten Afghan*innen dar. Beim Blick auf die Familienstruktur und Kinderbetreuung werden wiederum Besonderheiten geflüchteter Frauen zwischen Syrerinnen und Afghaninnen bzgl. Flucht, Haushaltszusammensetzung sowie erlebter Belastungen innerhalb der Familien herausgearbeitet. Die hohe Kinderzahl, insbesondere von Kleinkindern, wirken sich additiv auf das Gefühl der Überlastung der befragten Frauen aus. Bzgl. der Bildungsteilhabe weist die WIN Studie einen Zusammenhang zwischen Bildungserfolg der syrischen und afghanischen Kinder/ Jugendlichen und dem Bildungsniveau der Eltern nach. Wie sich zeigte, nutzen geflüchtete Jugendliche seltener frei wählbare inner- und außerschulische Aktivitäten, mit Ausnahme von Angeboten, die sich auf Jugendliche mit Fluchterfahrungen spezialisierten. Eine wesentliche Rolle für die soziale Inklusion geflüchteter Frauen spielen Sprachkenntnisse, formale Bildung und Arbeitsmarktteilnahme. Obwohl die Mehrsprachigkeit sehr nützlich ist, wird die Priorisierung der Deutschkenntnisse als Integrationsindikator für integrationspolitische Maßnahmen in Frage gestellt. Dieser Zweifel gewinnt an Bedeutung, betrachtet man die geringere Teilnahme an Deutschkursen von Frauen. Diesbezüglich unterstreichen Studienergebnisse die Bedeutung von Sozialen Netzwerken beim Spracherwerb. Obwohl wiederum deutliche Unterschiede zwischen den Herkunftsländern sichtbar werden, verfügen die Frauen über ein insgesamt höheres Bildungsniveau als geflüchtete Männer, waren jedoch seltener berufstätig. Zum Zeitpunkt der Studie waren die befragten Frauen mehrheitlich in der Familienarbeit und Kinderbetreuung verpflichtet. Dies steht in Diskrepanz zu den Erwerbsabsichten dieser Frauen. Einen wesentlichen Bereich der WIN Studie bilden die Auswirkungen von Gesundheit und Wohlergehen auf den Spracherwerb, die Arbeitsmarktpartizipation sowie die Lebenserwartungen. Mentale Probleme, mit hohem Behandlungsbedarf fallen besonders ins Gewicht, wobei das Verhältnis zwischen geflüchteten Frauen und Männern diesbezüglich annähernd gleich ist. Auch nehmen die Geflüchteten eine Verschlechterung der Lebenssituation gegenüber der Situation vor Ausbruch der Krise in ihrem Heimatland wahr, wobei davon besonders syrische Geflüchtete betroffen sind. Frauen hingegen sehen in der neuen Lebenssituation vergleichsweise häufig einen Zugewinn in der neuen Lebenssituation. Die Soziale[n] Kontakte bilden eine bedeutende Quelle zur Inklusion. Aufgrund der (Klein)Kinderbetreuung können geflüchtete Frauen seltener auf bestehende Netzwerke zurückgreifen. Gleichzeitig stellt die Studie diese Kinder als Ressource heraus, weil dadurch die Mütter mit einheimischen Eltern, Ärzt*innen etc. in Kontakt kommen. Auch äußerten Geflüchtete, dass sie lieber sich ehrenamtlich engagieren als nichts zu tun, was mitunter auch für unbezahlte Praktika ausgenutzt wird. Unter dem Aspekt der Gesellschaftliche[n] Erfahrungen ergab die Studie, dass sich Benachteiligungen „entlang einer Vielzahl von zugeschriebenen Merkmalen…“ (S. 103) abzeichnen. Insbesondere die Zuschreibung der muslimischen Frau führt zur Diskriminierung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Wobei der medialen Darstellung des Islam eine entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang zugeschrieben wird. Des Weiteren werden in der WIN Studie Daten zum gesellschaftlichen Klima erhoben und Zukunftsperspektiven der Geflüchteten dargelegt. Von Diskriminierungserfahrungen in der Öffentlichkeit berichteten ein Viertel der Befragten. Diese erfahrenen Diskriminierungen als (muslimische) Frau bzw. dem Status als geflüchtete Person stellen ein aktives Hindernis zur Integration und insbesondere bei der Arbeitssuche dar. Als letzter Bereich stellt die WIN Studie Werte und Einstellungen in den Mittelpunkt der Betrachtungen. So stellte sich heraus, dass Geflüchtete seltener als Einheimische der Meinung sind, dass Familienleben leide unter der Berufstätigkeit der Frau. Allerdings äußerten auch die Befragten, dass die Veränderungen zum Alltagsleben im Vergleich zum Herkunftsland zum verstärkten Gefühl der Überlastung führen. Gerade die stärkere Einbindung der geflüchteten Frauen in die Familienarbeit verstärken die strukturelle Benachteiligung dieser.

Wesentliche Forschungsergebnisse werden in der Zusammenfassung und Ausblick zusammengetragen. Dazu gehören die Differenzen zwischen geflüchteten Frauen und Männern. Dazu zählt ebenfalls der Zusammenhang zwischen Familienarbeit und geringeren Sozialkontakten. Herausgestellt wird der positive Einfluss der Kinder auf die Sozialkontakte der Mütter. Obwohl die neue Situation zu Überlastungsgefühlen bei den Frauen führt, erleben diese in Österreich eine Erweiterung ihrer Handlungsoptionen. Und obwohl die Frauen häufiger über höhere Bildungsabschlüsse als die geflüchteten Männer verfügen, erleben sie geschlechtsspezifische Diskriminierung beim Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt. Insgesamt konnte eine Verbindung zwischen den persönlichen sozioökonomischen Umständen sowie der gesellschaftlichen Teilhabe herausgearbeitet werden. Und: die Studienteilnehmerinnen aus Syrien und Afghanistan zeichnen sich durch enorme Integrationsbemühungen aus, so das Fazit die WIN Studie.

Diskussion

Der Women’s Integration Survey (WIN), der die Lebenssituation in den Jahren 2015/2016 geflüchteter Frauen sowie deren Familien aus Syrien und Afghanistan erfasst, liefert die Datenbasis des vorliegenden Bandes. Ergänzt werden die Daten mit anschaulichen Erfahrungsberichten und bieten dadurch der Leserschaft ein differenziertes und sensibilisierendes Bild der Lebensrealität der genannten Zielgruppe. Der wohldurchdachte Mix aus theoretischen Anteilen, visuell aufbereiteten Daten sowie Einzelberichten führt zur „Lebendigkeit“ sowie Nachvollziehbarkeit der Inhalte. Deutlich herausgearbeitet werden die Ressourcen dieser Frauen, für die Familie, für eine gelingende Integration. Deutlich werden ebenfalls die Unterschiede der Frauen aus Syrien bzw. Afghanistan. Noch bedeutsamer für den Alltag im Zielland der Flucht sind die Aussagen der Frauen zur Bildung, zu Werten und zur Familie sowie Arbeitserfahrungen. Diese räumen indirekt mit gängigen Zuschreibungen für Menschen aus Syrien und Afghanistan auf. Dank des umfänglichen Materials bieten die Autor*innen ausreichend Argumente für die Umsetzung des inklusiven Gedankens in diversen Lebensbereichen. Obwohl Kohlenberger/ Heyne/ Regs/ Buber-Ennser die Ergebnisse einer umfangreichen Studie gezielt aufbereiten, liefern sie gleichzeitig Argumente für ein Miteinander auf Augenhöhe, machen sie Mut über bürokratische Barrieren zu springen und zeigen gelebte Werte (z.Bsp. der Zusammenhalt der Familie), wie sie in der hochindustrialisierten Gesellschaft (wie in Österreich) oft nur Worte sind. Geflüchtete Frauen bereichern die Gesellschaft – so das Fazit.

Fazit

Diese Studie ist eine absolute Bereicherung des Blicks auf geflüchtete Frauen aus Syrien und Afghanistan. Leser*innen erhalten dank der Erfahrungsberichte Einsichten in das Leben der Frauen und auch deren Familien. Auf diese Weise werden Meinungen und vermeintliches Wissen über die Geflüchteten und deren Kultur revidiert und korrigiert. Studien wie diese und deren Ergebnisse sind für das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft enorm wichtig und fordern indirekt eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Integrationspolitik, nicht nur in Österreich.

Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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Es gibt 82 Rezensionen von Barbara Wedler.

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ISSN 2190-9245