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Norbert Lippenmeier: Themenmuster in Supervision und Coaching

Rezensiert von Peter Schröder, 06.03.2023

Cover Norbert Lippenmeier: Themenmuster in Supervision und Coaching ISBN 978-3-7841-3374-4

Norbert Lippenmeier: Themenmuster in Supervision und Coaching. Ein kreativer Ideenpool für Aus- und Fortbildung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 228 Seiten. ISBN 978-3-7841-3374-4. 30,00 EUR.

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Thema

Supervision und Coaching sind benachbarte Beratungsformate, und nicht wenige Verbände bieten Weiterbildungen in beiden Formaten an. Bei allen nicht zu vernachlässigenden Unterschieden gibt es auch große Schnittmengen und eben: gemeinsame „Themenmuster“. „Muster“ kehren wieder, das macht sie aus. Wer lange genug im Supervisionsgeschäft ist, entdeckt solche Muster, die häufiger auftauchen und zusammengenommen so etwas wie einen Rahmen für die Themenspektren in Fort- und Weiterbildungen abgeben. Gleichzeitig aber ergibt eine Mustersammlung noch kein Lehrbuch, wohl aber Begriffsklärungen, die in solchen Bildungsprozessen hilfreich sein können.

Der Autor

Norbert Lippenmeier ist Diplompädagoge und Supervisor mit umfangreicher freiberuflicher Tätigkeit. Zugleich war er Koordinator des postgradualen Studiengangs für Supervision an der Universität Kassel und Lehrsupervisor für verschiedene Ausbildungsstätten. Er war Gründungsmitglied und zeitweiliges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Supervision (heute: Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching). In den 1990er Jahren hat er an dortigen Hochschulen die Supervision in Ungarn etabliert. Gemeinsam mit seiner Frau Dorothee Lippenmeier war er Eigentümer der Bildungsstätte „Forum Ahlberg“.

Aufbau und Inhalt

Das Vorwort führt in das Ziel und den zugrundeliegenden Gedanken des Buches ein. Lippenmeier hat sich ausführlich mit der Philosophie, vor allem mit der mäeutischen Gesprächsführung Sokrates‘ beschäftigt und weist darauf hin, dass man der Verwirrung durch die unterschiedliche Verwendung von Begriffen in einem Gespräch am besten dadurch entgeht, dass man sie definiert. Das allerdings ist, angesichts der unterschiedlichen Sprachspiele, in denen ein und derselbe Begriff verwendet wird, kein einfaches Unterfangen. Lippenmeier beschreibt die Bedeutung bestimmter Begriffe durch ihre Verwendung in supervisorischen Kontexten. Die Auswahl der Begriffe erfolgt, wie der Autor schreibt, durch spontane Assoziation.

Die 89 Begriffe ergeben auch den Aufbau des Buches: Zu jedem Begriff schreibt Lippenmeier kurze, meist zweiseitige Ausführungen. Viele Beiträge enthalten einen oder mehrere Kästen mit der Überschrift „Beispiel“, die Szenen aus Supervisionen und Fortbildungen, also aus der Praxis des Autors enthalten. Es ist im Rahmen einer Rezension nicht möglich, alle Abschnitte zu referieren und zu kommentieren, ich beschränke mich daher auf vier Beispiele, um das Vorgehen des Autors zu verdeutlichen.

Zumutung: Erlebte „Zumutungen“ sind ein häufiger Ausgangspunkt von Supervisions- und Coachinggesprächen. Lippenmeier beginnt den Abschnitt so: „Im menschlichen Zusammenleben entstehen leicht, und häufig nicht vermeidbar, als unangenehm empfundene Situationen, ausgelöst durch Missverständnisse, Erwartungen, Kommentare, Aussagen, Aufträge, Nachlässigkeit, Intoleranz, Provokation, Kränkung usw., die entrüsten und als Zumutung erlebt werden.“ (S. 16) Intuitiv wird das Wort „Zumutung“ negativ konnotiert. Ein Reframing kann darauf hinweisen, dass sich Sportler etwas zumuten, um ihre Leistung zu steigern und Zumutungen also eine Wachstumschance beinhalten. „Die negative Wortbedeutung verkehrt sich hier ins Gegenteil.“ (S. 17)

Versöhne dich mit dir selbst! Kognitive Dissonanzen aufgrund z.B. widersprüchlicher Wahrnehmungen, verinnerlichter Normen etc. oder auch verweigerte Selbstkritik oder, im Gegenteil, überzogene Ansprüche an einen selbst haben krankmachendes Potenzial, vor allem dann, wenn sie so nachhaltig integriert sind, dass sie Teil der eigenen Persönlichkeit geworden sind. Supervision und Coaching können helfen, eigene überhöhte Ansprüche zu reflektieren und die Überbewertung auf ein verträgliches Maß zu reduzieren und „Frieden mit sich selbst zu schließen“. (S. 44)

Macht: Auch „Macht“ ist ein häufig negativ empfundener Begriff, weil er mit Machtmissbrauch und Ohnmacht verbunden wird. Dabei wird die neutrale Grundbedeutung, dass Macht ein Mittel zur Durchsetzung von Zielen ist, zurückgedrängt. Die negative Konnotation von Macht induziert nicht selten ein Opfererleben, dass in die Resignation führt. Das eigene Ohnmachtserleben wird in der Supervision oder im Coaching einem Realitätsabgleich unterzogen, und zudem kann in der Beratung auch der kreative Aspekt von Macht, nämlich „Macht zur Gestaltung“ ins Bewusstsein gebracht werden.

Mach dein Gegenüber zum Experten: In „Zwangskontexten“ wie z.B. geschlossenen Einrichtungen, erleben Beratungsklientinnen und -klienten häufig Ohnmachtsgefühle und den Verlust eigener Ressourcen. Dazu liefert der Autor drei Beispiele, eines aus dem Strafvollzug, ein weiteres aus einer Wohngruppe und ein drittes ebenfalls aus einem Heimkontext. Gezeigt werden jeweils die Problemlage und die gefundene Lösung, in der die Expertise des Gegenübers genutzt wird.

Ein Literaturverzeichnis und Notizen über den Autor beenden das Buch.

Diskussion

Wer selbst lange als Supervisor und Coach arbeitet, dem werden viele der beschriebenen Szenen und Themen sehr vertraut vorkommen. Jede und jeder könnte die Überschriften mit eigenen Gedanken und Geschichten füllen – und gefüllt werden müsste jeder einzelne Abschnitt, nicht zuletzt auch mit wissenschaftlichen oder besser „praxistheoretischen“ Aspekten. Aber Lippenmeier will bewusst kein „klassisches Lehrbuch“ schreiben: „Stattdessen werden spontan Begriffe assoziiert, die exemplarisch für wiederkehrende Themen in der Supervision stehen.“ (S. 11) Das mag als eine Art Erfahrungsbericht eines sehr erfahrenen Supervisors eine passende Struktur abgeben (und als solcher auch sehr nützlich zu lesen sein), lässt aber Fragezeichen entstehen, wen sich der Autor als mögliche Adressaten des Buches denkt. Es werden kaum dieselben sein, die auch zu einem Lehrbuch greifen würden. Für sie werden die unverbunden stehenden Assoziationen nicht zu einem brauchbaren Konzept beitragen. Ich kann mir auch kaum die erfahrenen Beraterinnen und Berater sein. Die werden zwar bei den meisten Abschnitten zustimmend nicken und sie zusätzlich mit Eigenem ergänzen, aber auch das wäre ein übersichtlicher Gewinn.

„Ein kreativer Ideenpool für Aus- und Fortbildung“ heißt das Buch im Untertitel, und es ist durchaus möglich, dass jeder einzelne Begriff „ein eigenständiges Seminarthema sein könnte“ (S. 11). Das ist sicher richtig, aber dazu bräuchte es mehr als die Verortung der Themen in der beruflichen Praxis des Autors. Das aber wird dem Leser, der Leserin überlassen: die Verbindung zu grundlegenden Beratungskonzepten, in die wissenschaftliche Debatte, zu den didaktischen Konzepten etc. So könnte man von dem großen Erfahrungsschatz Lippenmeiers mehr profitieren. Vielleicht ist das Buch für die „Stöberer“ spannend, also für die, ebenso assoziativ lesen wie der Autor schreibt. Dann sind es so etwas wie „Lehrgeschichten“, die man als Praktiker/​Praktikerin allemal mit Gewinn liest.

Fazit

Vielleicht kann ein Fazit gut an dem anschließen, was Lippenmeier unter dem Stichwort „Konzept“ (S. 190) notiert: Da erinnert er an den ehemaligen Chef des Kanzleramtes, Helge Braun, von dem erzählt wird, er habe jede in Ausschüssen geäußerte Idee und jeden Beitrag zu einem Thema in seinem Laptop notiert, um dann daraus die Entwürfe zu verfassen, die dann die Grundlage eines Konzeptes werden konnten. Vielleicht kann man mit dem vorliegenden Buch ähnlich verfahren: es als Notizen nutzen, aus denen Entwürfe werden können, die die Grundlage eines Konzeptes bilden können.

Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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Es gibt 136 Rezensionen von Peter Schröder.

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ISSN 2190-9245