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David Scholz (Hrsg.): Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld

Rezensiert von Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch, 05.01.2023

Cover David Scholz (Hrsg.): Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld ISBN 978-3-658-33863-3

David Scholz (Hrsg.): Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld. Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst. Springer (Berlin) 2022. 182 Seiten. ISBN 978-3-658-33863-3. D: 32,70 EUR, A: 35,97 EUR, CH: 39,00 sFr.

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Thema

Der Herausgeber präsentiert mit diesem Buch einen Praxisleitfaden für den Umgang mit Transidentität und geschlechtlichen Identitäten jenseits von männlich und weiblich (intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen und das sogenannte dritte Geschlecht) in der Arbeitswelt. Das Werk richtet sich an Personalverantwortliche in Unternehmen und im öffentlichen Dienst ebenso wie an Personen, die ein transidentes Coming-out und einen Wechsel der im Arbeitsumfeld gelebten Geschlechtsrolle vor sich haben. Das Buch bietet einen Überblick über den Stand der rechtlichen Rahmenbedingungen geschlechtlicher Transition in Deutschland sowie einen ganzheitlichen und pragmatischen Ansatz für die betriebliche und behördliche Praxis im Umgang mit vielfältigen Geschlechtsidentitäten.

Autor:innen

Der Herausgeber David Scholz ist Berater für Geschäftsentwicklung und Diversity für Kanzleien und Unternehmen. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften und des Wirtschaftsrechts in Trier und Köln (Diplom-Wirtschaftsjurist, FH) sowie einem betriebswirtschaftlichen Masterabschluss (MBA) in den Niederlanden arbeitete er über 20 Jahre als Marketingspezialist und Führungskraft in internationalen Wirtschaftskanzleien. Hier engagierte er sich seit 2012 ehrenamtlich in Diversity-Zusammenhängen, bevor er im Jahr 2016 seinen Geschlechtsrollenwechsel von Frau zu Mann vollzog. Seit 2020 hat er unter anderem Beratungen zu Diversity-Fragen mit einem besonderen Schwerpunkt auf Transidentität in der Arbeitswelt durchgeführt. Seit April 2022 ist er als Experte für strategisches Marketing in einer internationalen Anwaltskanzlei tätig.

Jessica Heun, Dr. iur., ist Rechtsanwältin und führt eine auf das Verwaltungsrecht (Öffentliches Dienstrecht/​Beamtenrecht) und die Rechte transidenter Menschen spezialisierte Kanzlei in Berlin. In diesem Zusammenhang hat sie mehrere gerichtliche Grundsatzentscheidungen u.a. im Hinblick auf das Offenbarungsverbot erwirkt. Seit 2004 hat sie zudem viele Jahre als Fraktionsreferentin im Bundestag und im Europäischen Parlament u.a. zu Themen wie Minderheitenrechte sowie Innere Sicherheit und Öffentliches Dienstrecht gearbeitet. Sie hat Rechtswissenschaften mit dem Begleitstudium anglo-amerikanisches Recht studiert und zum Minderheiten- und Diskriminierungsschutz der Roma in der Europäischen Union promoviert.

Anna Svea Fischer, Prof. Dr., lehrt an der Hochschule München im Bereich Wirtschaftsinformatik und ist selbstständige Unternehmensberaterin. Sie studierte und promovierte im Bereich Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen. Nach mehrjährigen Tätigkeiten als Controlling-Leiterin in einem internationalen Markenartikelunternehmen und als Management-Consultant bei einer großen IT-Beratung lehrt sie seit 2004 an der Hochschule München. Zudem berät sie Unternehmen bei Veränderungsprozessen, insbesondere der digitalen Transformation. Sie lebt seit 2020 offen als Frau und engagiert sich für Menschen im Kontext der Diversität sowohl im beruflichen als auch im studentischen Alltag.

Entstehungshintergrund

Die Autor:innen haben sich des Themas „Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld“ angenommen, da es dazu bisher „kein ganzheitliches und interdisziplinäres Praxiswerk“ gibt, „welches die wichtigsten Rechtsfragen und Herausforderungen im Arbeitsalltag aufgreift und pragmatisch beantwortet. Diese Lücke wollen wir mit diesem Buch schließen. Wir haben insbesondere einen Fokus auf den sozialen und rechtlichen Veränderungsprozess gelegt, da in der Übergangsphase in ein anderes gelebtes Geschlecht die meisten Herausforderungen und auch rechtliche Fragestellungen auftreten“ (S. V). Das Autor:innenteam hat sich entschieden, das „vollständige Honorar der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu spenden, welche sich unter anderem für geflüchtete Personen aus dem LSBTI-Spektrum einsetzt“ (S. VII).

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst 8 Kapitel, ein Glossar mit den wichtigsten im Buch verwendeten Begriffen und ein 10. Kapitel „Anregung und Dank“.

Jedem der acht thematischen Kapitel ist eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten in diesem Kapitel behandelten Inhalte vorangestellt. Besonders relevante Inhalte werden im Text mit dem Hinweis „Wichtig“ hervorgehoben. Den Abschluss jedes Kapitels bildet eine Zusammenstellung der zitierten Literatur.

Im 1. Kapitel „Transidentität und drittes Geschlecht im rechtlichen Überblick“ klären David Scholz und Jessica Heun die in ihrem Werk verwendeten Begriffe Transidentität, Intergeschlechtlichkeit und das sogenannte dritte Geschlecht und geben einen Überblick über die aktuelle Rechtsstellung von Transidentität und dem sogenannten dritten Geschlecht.

Das 2. Kapitel „Der Weg zum richtigen Geschlecht“, verfasst von Anna Svea Fisch, Jessica Heun und David Scholz, behandelt die Zeit der Veränderung der gelebten Geschlechtsrolle, der Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags und des amtlichen Vornamens sowie der medizinischen Angleichungsmaßnahmen. Dabei unterscheiden die Autor:innen zwischen der sozialen, der rechtlichen und der medizinischen Transition.

Einen ersten allgemeinen Überblick über das Thema „Transidentität und drittes Geschlecht in der Arbeitswelt“ geben die drei Autor:innen im 3. Kapitel, in dem es um grundlegende Aspekte aus betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Perspektive geht. Die Antwort auf die Frage, warum Unternehmen eine Kultur der Diversität fördern sollten, die offen für transidente Menschen und geschlechtliche Vielfalt ist, lautet aus betriebswirtschaftlicher Sicht: „Mitarbeiter:innen sollen sich entfalten können, Unternehmen sollten nicht auf hoch qualifizierte und -motivierte Arbeitskräfte verzichten, die Kund:innen fordern es“ (S. 41).

Im Kapitel 4 „Handreichungen für die betriebliche Praxis“ stellen die drei Autor:innen Situationen und Fallbeispiele aus der anwaltlichen und Beratungspraxis vor, „in denen im Arbeitskontext häufig Unsicherheiten zutage treten und es aufgrund von Unwissenheit über rechtliche Möglichkeiten zu Benachteiligungen und Missverständnissen bis hin zu Konflikten kommen kann“ (S. 56). Inhaltlich geht es um Namen und Anrede, den Bewerbungsprozess, Arbeitsverträge und Kündigung, Personalverwaltung, Dienstkleidung und Namensschilder, Toiletten und Umkleiden, Schul-, Ausbildungs- und Arbeitszeugnisse, um Fehlzeiten aufgrund von Angleichungsmaßnahmen, Prokura, Tätigkeiten mit außerbetrieblichem Kontakt, Kontakt zu transidenten Personen außerhalb des Unternehmens sowie um Konfliktvermeidung und Konfliktlösung.

Da nach der Erfahrung der Autor:innen „nirgendwo anders das Thema Transidentität/geschlechtliche Vielfalt, die Wahrung etwaiger Rechte in diesem Zusammenhang und ein vorbildlicher Umgang damit so relevant ist wie im öffentlichen Dienst“ widmet sich Jessica Heun diesen Fragen ausführlich im Kapitel 5 „Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes“. Es geht einleitend um den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber und um Grundsätze und Besonderheiten des Beamtenrechts sowie um Besonderheiten des Beamtenverhältnisses im Zusammenhang mit Transidentität/geschlechtlicher Vielfalt. Weitere Unterkapitel beschäftigen sich mit Besonderheiten im Bewerbungsverfahren, mit der Änderung von Urkunden und Personalakten, mit der allgemeinen Aktenführung in Behörden und Schutz vor Offenbarung, mit der Abwesenheit aufgrund geschlechtsangleichender Maßnahmen (medizinische Maßnahmen/​TSG-Verfahren) und mit Hochschulen als Arbeitsplatz.

Im Kapitel 6 „Persönliche Erfahrungen im Arbeitsumfeld“ lässt David Scholz „Menschen persönlich zu Wort (kommen), die ein transidentes Comingout und ihre Transition im Berufsleben vollzogen haben. Diese Menschen stehen in verschiedenen Lebensabschnitten, sind in unterschiedlichen Branchen tätig und waren auf dem Weg ihrer geschlechtlichen Transition mit individuellen Herausforderungen konfrontiert“ (S. 113). Einige zeichnen ihren Beitrag mit vollem Namen, andere mit ihrem z.T. redaktionell geänderten Vornamen und mit einer Umschreibung des Unternehmens, in dem sie ihre Transition angetreten oder vollzogen haben. Die Berufsbereiche sind Rechtsberatung, Kommunikationsbranche, Verlagswesen, Sicherheitsdienst, Finanzdienstleistung, Selbstständigkeit, evangelische Kirche, Lehramt und Automobilindustrie. In der Zusammenfassung dieser persönlichen Erfahrungen kommt David Scholz zum Schluss: „Das situationsübergreifende Merkmal für ‚erfolgreiche’ Transition ist hier ganz offensichtlich die Unterstützung des gesamten beruflichen und privaten Umfelds, aber auch die Informiertheit und Unvoreingenommenheit von Führungsgremien und anderen Verantwortlichen aus dem Umfeld der transitionierenden Person“ (S. 134).

Anhand ihrer Erfahrungen schildern verschiedene Arbeitgeber in Kapitel 7 „Fallbeispiele und gute Praxis in Unternehmen und Behörden“, die David Scholz zusammengestellt und kommentiert hat. Dabei ist „sehr deutlich geworden, wie wenig Erfahrung mit Transidentität, Intergeschlechtlichkeit und nichtbinären Identitäten noch oft auf der Managementseite besteht – und daraus eine Zurückhaltung hinsichtlich der Beisteuerung eines hier öffentlichen Erfahrungsbeitrags folgt“ (S. 138). Die Analyse dieser Berichte führt den Autor zu folgenden Konsequenzen: „Im Unternehmen oder der Behörde sollte grundsätzliches Wissen um Transidentität, Intergeschlechtlichkeit und andere Geschlechtervarianzen vorhanden sein; es sollte Regeln für gleichbehandelnden Umgang mit Geschlechtsvarianzen im ganzheitlichen Compliance-Rahmen der Organisation geben; und es sollte informierte und/oder wissensaufgeschlossene Ansprechpartner:innen in der Organisation geben. Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit diesen Personen sollten transparent kommuniziert sein“ (S. 153).

Die „Geschlechtergerechte Sprache“ stellt das ebenfalls von David Scholz verfasste 8. Kapitel dar. Dem Autor ist die Diskussion dieses Themas wichtig, da bezüglich des sprachlichen Umgangs große Unsicherheit besteht und die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit und -inklusion in der Sprache zum Teil sehr emotional und ideologisch geführt wird. David Scholz versteht sich nicht als „Sprachpolizei“ und versucht nicht, verbindliche Vorgaben zu machen oder einen einzig erstrebenswerten Weg aufzuzeigen. Er möchte mit seinen Ausführungen vielmehr dazu „ermutigen, Sprache sensibel einzusetzen, kreativ zu sein und einen respektvollen Kommunikationsstil zu finden, der zur eigenen Persönlichkeit und zur Organisation passt“ (S. 159).

Im „Glossar“, Kapitel 9, definiert David Scholz die wichtigsten im Buch verwendeten Begriffe.

Im abschließenden Kapitel 10 „Anregung und Dank“ ermuntert David Scholz die Leser:innen: „Seien Sie kreativ und mutig im Finden von Lösungen für Herausforderungen im Umgang mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten. Bewahren Sie sich dabei aber auch Gelassenheit, Aufgeschlossenheit, Charme und Humor, egal ob als Außenstehende oder ‚Betroffene’“ (S. 181).

Diskussion

Es ist ein großes Verdienst des Autor:innenteams, mit diesem Buch eine seit langem bestehende Lücke gefüllt zu haben. Sowohl diejenigen, die sich in Transition befinden oder ihre Transition abgeschlossen haben, als auch die Leitungspersonen und Mitarbeitenden in Unternehmen und Behörden sehen sich vielfältigen Herausforderungen gegenüber, wenn es um Transidentität, Intergeschlechtlichkeit und verschiedene Identitäten im Arbeitsumfeld geht. Bisher gab es kein Werk, das die damit zusammenhängenden Fragen und Probleme in dieser Art behandelt hat. Es ist den Autor:innen gelungen, die zum Teil komplexen Themen in verständlicher und zugleich differenzierter Weise darzustellen und zu diskutieren. Durch den Einbezug zahlreicher Beispiele aus den verschiedensten Berufsbranchen ist daraus im besten Sinne ein „Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst“ geworden, wie es im Untertitel dieses Werkes heißt. Die gute Gliederung der Kapitel und die Hervorhebung besonders wichtiger Sachverhalte erleichtern die Lektüre. Dieses Buch ist gerade deshalb so wichtig, weil nach der über 50-jährigen Erfahrung des Rezensenten in Begleitungen transidenter und intergeschlechtlicher Personen die Bedeutung der beruflichen Integration mitunter erheblich unterschätzt wird. Er stimmt den Autor:innen vollumfänglich zu, wenn sie darauf hinweisen, dass „die Unterstützung des gesamten beruflichen und privaten Umfelds, aber auch die Informiertheit und Unvoreingenommenheit von Führungsgremien und anderen Verantwortlichen aus dem Umfeld der transitionierenden Person“ (S. 134) von ausschlaggebender Bedeutung sind. Aus diesem Grund sollte dieses Buch Pflichtlektüre für alle diejenigen sein, die sich mit dem beruflichem Umfeld von Transidenten und von Personen mit verschiedenen geschlechtlichen Identitäten auseinandersetzen.

Fazit

Ein hervorragendes, fachlich fundiertes Buch, das, wie kein anderes Werk bisher, eine Fülle von Informationen liefert, die für den Umgang mit Transidentität und geschlechtlichen Identitäten im Hinblick auf die wichtigsten Rechtsfragen und Herausforderungen im Arbeitsalltag von großer Bedeutung sind.

Rezension von
Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch
Dipl.-Psych., Psychoanalytiker (DPG, DGPT). Ehem. Leitender Psychologe Psychiatrische Universitätspoliklinik Basel. In privater psychotherapeutischer Praxis.
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Es gibt 17 Rezensionen von Udo Rauchfleisch.

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Zitiervorschlag
Udo Rauchfleisch. Rezension vom 05.01.2023 zu: David Scholz (Hrsg.): Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld. Ein Praxisbuch für Unternehmen und den öffentlichen Dienst. Springer (Berlin) 2022. ISBN 978-3-658-33863-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29419.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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