James L. Furrow, Gail Palmer et al.: Emotionsfokussierte Familientherapie
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen, 20.06.2022
James L. Furrow, Gail Palmer, George Faller, Lisa Palmer-Olsen, Susan M. Johnson: Emotionsfokussierte Familientherapie. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2022. 400 Seiten. ISBN 978-3-7495-0340-7. D: 45,00 EUR, A: 46,80 EUR.
Thema
Die Emotionsfokussierte Familientherapie (EFFT) bezieht sich auf die neuesten Ergebnisse der Bindungsforschung, um das Wachstum der Kinder zu fördern und Beziehungsblockaden abzubauen. Sie nutzt systemische Prinzipien, fokussiert auf die Bindungsbedürfnisse der Kinder und das Fürsorgesystem der Eltern. Erläutert wird, wie das Wachstum innerhalb der Familie unterstützt werden kann, wie die emotionale Verfügbarkeit der Eltern sichergestellt werden kann und womit der emotionalen Verletzlichkeit von Kindern empathisch begegnet werden kann.
Autoren
- James L. Furrow ist zertifizierter EFT-Therapeut, er hat das Los Angeles Center for Emotionally Focused Therapy mitbegründet und arbeitet als Supervisor und Trainer.
- Gail Palmer ist Trainerin und Supervisorin, sie praktiziert in eigener Praxis in Ottawa und Victoria (Kanada).
- George Faller ist Präsident des New York Center for Emotionally Focused Therapy.
- Lisa Palmer-Olsen ist zertifizierte EFT-Trainerin sowie Mitbegründerin und Mitleiterin des Emotionally Focused Couples Training and Research Institute an der Alliant International University, San Diego.
- Susan M. Johnson ist die Begründerin der Emotionsfokussierten Therapie (EFT). Sie ist emeritierte Professorin für Psychologie an der Ottawa University und Leiterin des Ottawa Couple and Family Institute. Sue Johnson ist international anerkannte Expertin für Paartherapie sowie für Bindung bei Erwachsenen.
Aufbau
Das 2019 in den USA erschienene Buch gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil beschreiben die Autor*innen die Anwendung der EFFT-Theorie und die Praxis der Familientherapie. Thematisiert werden Bezüge zur systemischen Familientherapie u.a. bindungs-orientierten familientherapeutischen Modellen und die Relevanz der Studien über Bindung und Emotionsregulation für die Familientherapie und ihre Anwendung. Anschließend wird der EFFT-Prozess beschreiben. Der zweite Teil fokussiert den EFFT-Prozess in Anlehnung an die neun Schritte des EFFT-Modells. Jedes dieser Kapitel bezieht sich auf den Prozess und den mit den spezifischen Schritten der Emotionsfokussierten Familientherapie verbundenen Interventionen. Zudem werden die jeweiligen Ziele, sowie die Zugangspunkte, an denen die Therapeut*innen ihre klinischen Interventionen Schritt für Schritt orientieren, erörtert. Die Anwendung wird jeweils anhand von Fallbeispielen illustriert.
Inhalt
In der Einführung geben die Autor*innen einen kurzen Überblick über das vorgestellte Verfahren und den Aufbau des Buches.
Im ersten Kapitel des ersten Teils wird ein Überblick über die Emotionsfokussierte Familientherapie gegeben und vermittelt, dass die Emotionsfokussierte Familientherapie (EFFT) sich insbesondere den Beziehungsressourcen widmet. Die EFFT-Methoden sollen die emotionale Verfügbarkeit der Familienmitglieder verbessern und die Effektivität der Bindungen. Korrigierende emotionale Erfahrungen sollen den Familien eine höhere gefühlte Sicherheit vermitteln, um das Vertrauen der Eltern und ihrer Kinder in die Verfügbarkeit von Unterstützung und in die Stärke der Liebesbande, die das Verbundenheitsgefühl fördern (S. 23). Für die Autor*innen sind die Bindungsbeziehungen in Familien eine maßgebliche Ressource der Familienresilienz. Die meisten Verhaltensweisen innerhalb der Familien würden auf die Wiederherstellung einer Verbindung oder auf die Korrektur des Verhaltens einer anderen Person zielen (S. 42).
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen die theoretischen Hintergründe des Veränderungsprozesses in der EFFT. Die Bindungstheorie wird als Ressource des menschlichen Funktionierens und des Beziehungsgeschehens beschrieben und die individuelle Entwicklung und das individuelle Funktionieren im Familiengeschehen betrachtet. Die zentralen bindungsrelevanten Grundsätze werden unter Betonung der Anwendung in der EFFT untersucht, hierbei wird die Emotionsregulation als eine der Kernprozesse betrachtet, die durch den EFFT-Therapieprozess neue Erfahrungen ermöglicht.
Der Veränderungsprozess steht im dritten Kapitel im Mittelpunkt, Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autor*innen den spezifischen Rollen der Eltern und der komplementären Dynamik der Bindung und dem Fürsorgesysteme der Familien. Statt auf ein bestimmtes Problem zu fokussieren, wird die Aufmerksamkeit auf die zugrunde liegenden Emotionen, die Beziehungsblockaden, die effektive Bindungs- und Fürsorgereaktionen untergraben, gerichtet. Des Weiteren werden in diesem Kapitel die drei Phasen der Veränderung in der EFFT zusammengefasst.
Im zweiten Teil, hier im vierten Kapitel wird das therapeutische Bündnis und das Assessment mit dem Familienmuster thematisiert. Einzelne Techniken, wie zum Beispiel das Spiegeln und Umdeuten werden beschrieben. Damit Familien ihre Schwierigkeiten erforschen können, werden seitens der Therapeut*innen Bündnisse mit den Angehörigen gebildet, die ihnen als Sicherheitsquelle dienen. Ziel ist ein stärkeres Bündnis mit jedem Einzelnen zu schließen und die Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Rollen und Verantwortlichkeiten in der Familie ergeben, zu verstehen. Das Assessment berücksichtigt zudem das Fürsorgebündnis der Eltern und die Art und Weise, wie die problematischen Verhaltensweisen die verschiedenen Beziehungen und das Familienklima prägen.
Beziehungsblockaden durcharbeiten lautet der Titel des fünften Kapitels. Beschrieben werden die Schritte zur Stabilisierung der Familien und zur Deeskalation. Thematisiert werden Beziehungsblockaden, die den Bindungs- und Fürsorgeprozess der Familie beeinträchtigen. Erneut illustrieren Fallbeispiele typische Beziehungsblockaden und ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung negativer Interaktionsmuster.
Die Arbeit mit der Verletzlichkeit der Familien wird im sechsten Kapitel erörtert. Hierbei dient das Bündnis mit der Therapeutin als sichere Basis, von der aus die Familienmitglieder neue emotionale Erfahrungen machen können. Hierbei vertieft die Therapeutin das Erleben des Kindes und unterstützt es dabei, die bindungsrelevanten Emotionen zu erforschen und der Bezugsperson mitzuteilen. In weiteren Schritten lenkt die Therapeutin die Aufmerksamkeit der Eltern auf diese bindungsrelevanten Signale und regt sie an, das auftauchende Erleben des Kindes anzuerkennen und zu unterstützen.
Der Titel des siebten Kapitels lautet: Umstrukturieren der Bindungs- und Fürsorgereaktionen. In dieser Phase leitet die Therapeutin die Familie zur Umstrukturierung reaktiver Positionen an, die den Beziehungsblockaden zugrunde liegen. Die Therapeutin nutzt diese korrigierenden emotionalen Erfahrungen, um die Verbesserungen der Sicherheit in einer spezifischen Beziehung auf das breitere Netzwerk der Familienbeziehungen zu erweitern. Die Erörterung der positiven Auswirkungen der Sicherheit fördert u.U. weitere Beziehungsblockaden zutage, die dann weiter durchgearbeitet werden können.
Die Konsolidierung der Sicherheit in den Familien wird dezidiert im achten Kapitel diskutiert. Diese Phase gibt den Familien Gelegenheit, sich auf die erreichte Stärkung ihrer gemeinsamen Verbundenheit zu konzentrieren. Die Familie wird unterstützt anzuerkennen, was sie gemeinsam erreicht hat und was künftig zu tun bleibt.
Im dritten Teil des Buches werden verschiedene Fallbeispiele vorgestellt. Begonnen wird im neunten Kapitel mit einem Fallbeispiel einer internalisierten Störung, worunter die Autor*innen Probleme der Emotion oder der Stimmung, die durch Schwierigkeiten mit der Regulation negativer Emotionen hervorgerufen werden, fassen (S. 273). Typischerweise seien dies beispielsweise Ängste oder Depressionen, die zu negativen inneren Selbstbildern führen.
Im zehnten Kapitel wird ein Fallbeispiel mit einer externalisierten Störung vorgestellt, hierbei handelt es sich für die Autor*innen um Verhaltensstörungen wie Regelverstöße, Lügen, Mobben, körperliche Aggression, stehlen und zerstören von Gegenständen. Im elften Kapitel wird ein Fallbeispiel aus der Arbeit mit Patchworkfamilien erörtert und im zwölften Kapitel eines mit einem traumatischen Verlust.
Das Buch schließt mit einem kurzen zusammenfassenden Epilog und einem Anhang, in dem nochmals die EFFT--Phasen und -Schritte zusammengefasst werden. Das Buch schließt mit einem Index und Angaben über die Autor*innen.
Diskussion
Die vorliegende Publikation versteht sich als Lehrbuch. Die Autor*innen geben einen fundierten Überblick über diese Form der Familientherapie. Vorgestellt wird eine Methode, in der die Therapeut*innen nach vorgegebenen Phasen und Schritten vorgehen sollen.
Gleichwohl sind einige Aspekte kritisch anzumerken: Mir wird in diesem Werk bei den vorgestellten Fällen der soziale Kontext zu wenig erfasst und berücksichtigt. Im Wesentlichen werden der Umgang mit den Emotionen und der Bindungsaspekt fokussiert. Nicht erläutert wird, inwieweit andere Methoden und Techniken, z.B. eine mehrgenerationale Perspektive, hilfreich sein könnten, bzw. wie diese zu verknüpfen wären. Wenn beispielsweise die Autor*innen den strategischen Zugang der Familientherapie in den neunziger Jahren als einseitig bezeichnen, trifft dieses m.E. auch auf diesen Ansatz zu.
Zweifel habe ich auch daran, ob diese stringente vorgegebene Form der Behandlung bei komplexen Aufträgen und Situationen angemessen ist. Ebenfalls nicht thematisiert werden mögliche Risiken und Nebenwirkungen.
Gleichwohl ist ein Emotionsfokussierter Ansatz in der Familientherapie eine wichtige Perspektive innerhalb der systemischen Ansätze.
Fazit
Die Autor*innen stellen eine ergänzende und bedeutsame Perspektive der Familientherapie vor. Den Leser*innen wird eine umfassende Darstellung geboten. Hilfreich zum Verständnis sind die vorgestellten Fallbeispiele. Einsteiger*innen finden hier eine systematische und tiefgehende Grundlage für die eigene Praxis.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen
studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaft und absolvierte Ausbildungen als Familientherapeut und Traumatherapeut und arbeitet ab 2021 als Studiendekan im Masterstudiengang „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“ an der DIPLOMA Hochschule
Website
Mailformular
Es gibt 71 Rezensionen von Jürgen Beushausen.
Zitiervorschlag
Jürgen Beushausen. Rezension vom 20.06.2022 zu:
James L. Furrow, Gail Palmer, George Faller, Lisa Palmer-Olsen, Susan M. Johnson: Emotionsfokussierte Familientherapie. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2022.
ISBN 978-3-7495-0340-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29433.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.