Katharina Miller, Milena Valeva u.a. (Hrsg.): Verlässliche Wissenschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Gertrud Hardtmann, 03.04.2023

Katharina Miller, Milena Valeva, Julia Prieß-Buchheit (Hrsg.): Verlässliche Wissenschaft. Bedingungen, Analysen, Reflexionen. wbg Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) 2022. 230 Seiten. ISBN 978-3-534-40607-4. D: 40,00 EUR, A: 41,20 EUR.
Thema
Das Buch befasst sich mit dem Thema der wissenschaftlichen Integrität.
Herausgeberinnen
Katharina Miller ist Master of Laws, Rechtsanwältin und Ethikexpertin für die Europäische Kommission und Präsidentin der European Women Lawyers Association.
Julia Prieß-Buchheit ist Professorin für Erziehungswissenschaften und Didaktik in Coburg. Milena Valeva ist Professorin für NGO-Management und nachhaltige Regionalentwicklung an der Hochschule Trier.
Autoren
Martina Baravalle (Juristin (Organisationsrecht und Berufungsmanagement), Lex Bouter (Prof. für Methodik und Integrität in Amsterdam), Hjördis Czesnick (Leiterin der Geschäftsstelle ‚Ombudsman für die Wissenschaft‘), Birgit Enzmann (Professorin für Politikwissenschaft Universität Eichstätt-Ingolstadt), Nicole Föger (Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität), Johanna Gröpler (wissenschaftl. Mitarbeiterin TH Wildau), Alexander Hasgall (Leiter des EUA Council for Doctoral Education/​European University Association), Nicole Hermannsdörfer (wissenschaftl. Mitarbeiterin Arbeitsstelle Hochschuldidaktik Tübingen), Maura Hiney (Molekulardiagnostik und Epidemiologie; Leiterin Internationale Zusammenarbeit, Evaluierung und gezielte Programme Health Research Ireland), Kirsten Hüttemann (Dr. iur., Direktorin – Deutsche Forschungsgemeinschaft – Gruppe Chancengleichheit, Wissenschaftliche Integrität und Verfahrensgestaltung), Andrea Klein (Dozentin und Forscherin zum Thema Wissenschaftliches Arbeiten, Gründerin des Online-Kongresses Studienfeuer), Dirk Lanzerath (Prof. und Geschäftsführer Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften Universität Bonn), Jürgen Mittelstraß (Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Konstanz), Margret Mundorf (Schreib- und Kommunikationstrainerin, Lehrbeauftragte an Universitäten in Deutschland und Österreich), Simson Mwale (arbeitet für das Sekretariat des Symposiums der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar in Acca/Ghana), Tina Rotzal (Kollegiale Leiterin der „Kompetenzstelle Akademische Integrität“ an der Uni-Bibliothek Mainz), Julius Späte (akademischer Mitarbeiter für den Schwerpunkt Digitale Strukturen und Digitalisierungsforschung in der Sozialen Arbeit FH Potsdam), Valentina Vaselov (wissenschaftl. Mitarbeiterin am Science Support Center Universität Duisburg-Essen), Doris Weßels (Professorin für Wirtschaftsinformatik an der FH Kiel, Leiterin „KI und Academic Writing“), Nicolaus Wilder (wissenschaftl. Mitarbeiter am Institut für Pädagogik Universität Kiel).
Aufbau und Inhalt
Nach einer Einleitung von Julia Prieß-Buchheit folgen die einzelnen Beiträge.
In der Einleitung befasst sich Julia-Prieß-Buchheit mit der Verlässlichkeit von Wissenschaft und wissenschaftlicher Integrität, mit Forschenden als Handelnden und institutionellen Anreizen und Strukturen (10 Seiten).
Danach geht Dirk Lanzerath auf das Ethos der Wissenschaften und die moderne Lebenswelt, auf das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung, eine gute wissenschaftliche Praxis und ihre gesellschaftliche und ökologische Verantwortung ein (12 Seiten).
Jürgen Mittelstraß sieht kritisch die Verantwortung für Forschung und Lehre in unübersichtlichen Verhältnissen (8 Seiten).
Lex Bouster analysiert, was Forschungseinrichtungen zur Förderung von Forschungsintegrität tun können: Sorgfaltspflicht, richtige Anreize für eine Forschungsintegrität (9 Seiten).
Über den ‚Europäischen Verhaltenskodex für Integrität der Forschung‘ schreibt Maura Hiney, deren Grundsätze bezüglich Schutzvorrichtungen, Veröffentlichung und Weitergabe; die Probleme liegen allerdings in der Umsetzung (12 Seiten).
Mit ‚Forschungsintegrität im internationalen Kontext: Errungenschaften, Kämpfe und Debatten bei Nord-Süd-Zusammenarbeit in der Forschung‘ befasst sich Simson Mwale, offensichtlich eine turbulente Geschichte von Barrieren und Debatten (19 Seiten). Katharina Miller geht der Frage nach, ob wissenschaftliche Integrität geschlechtsneutral ist, wofür es Belege gibt. Interessant seien aber noch ausstehende Untersuchungen über Korrelationen von geschlechtsspezifischem Verhalten und wissenschaftlicher Integrität (21 Seiten).
Kritisch befasst sich Kirstin Hüttemann mit den ‚Standards wissenschaftlicher
Forschung – Formulierung und (Selbst) Kontrolle durch die Wissenschaft‘ (10 Seiten). ‚Forschungsintegrität und Fehlverhalten‘ ist das Thema von Nicole Föger: Plagiate und Ideendiebstahl, Datenfälschung und Datenerfindung, Autor:innenschaftskonflikte, Forschungsbehinderung und Sabotage, Nicht-Offenlegung von Interessenkonflikten, Mitwirkung an wissenschaftlichem Fehlverhalten. Das Fehlverhalten kann individuelle und systemische Ursachen haben (7 Seiten).
‚Die Professionalisierung des Ombudswesens zur Stärkung einer Kultur wissenschaftlicher Integrität‘ ist das Thema von Hjördis Czesnick: Die Entwicklung eines Ombudssystems in Deutschland, die Wahl geeigneter Personen und deren Unterstützung in Vermittlungs- und Fehlverhaltensverfahren, auch durch die Leitungsebene (16 Seiten).
Alexander Hasgall befasst sich mit der ’Wissenschaftlichen Integrität in der (Aus)-Bildung von Doktorand:innnen: eine europäische Perspektive‘, mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Europa (Überblick), strukturierten Graduiertenkollegs, Bildungsangeboten zur Förderung und der Gefahr falscher Anreize (13 Seiten).
‚Die Gesellschaftliche Bedeutung von Wissenschaft und deren Implikationen für das Lernen von Forschungsintegrität‘ ist das Thema von Milena Valeva. Die Interdependenzen von künstlicher Intelligenz, Fake News, Demokratisierung und wirtschaftliche Prosperität zeigen die gesellschaftliche Bedeutung von Wissenschaft. Es folgen Fallstudien zur Forschungsintegrität am Beispiel COVID-19 und Lerndesignvorschläge für eine verlässliche Wissenschaft (8 Seiten).
Gemeinsam weisen Martina Baravelle,Tina Rotzal, Valentina Vasilov darauf hin, dass Austausch und Netzwerke eine Professionalisierung und Vermittlung eine gute wissenschaftliche Praxis unterstützen (14 Seiten).
‚WISAR: Referenzrahmen für wissenschaftliches Arbeiten‘ stellen Andrea Klein Johanna Gröpler,Birgit Enzmann, Nicole Hermannsdörfer vor, dessen Nutzen und Ziele für Lehrende und (Lernende?). Planungen und bereits bestehende Ansätze werden vorgestellt (Dokument) und die Prozessdimensionen und die vorgesehene praktische Erprobung SS 2021 (16 Seiten).
Speziell auf die Soziale Arbeit bezieht sich der Beitrag von Julius Späte ‚Mehr als nur Zitiertechniken – wie wissenschaftliches Arbeiten die Bildung reflexiver Professionalität in der Sozialen Arbeit unterstützen kann‘. Er geht auf die Kongruenz von sozialarbeiterischer Wissenschaft und fundierter Praxis ein, die Doppelrolle von Forschung und Praxis (15 Seiten).
Nicolaus Wilder, Doris Weßels, Johanna Gröpler, Andrea Klein, Margret Mundorf beschäftigen sich mit ‚Forschungsintegrität und Künstliche Intelligenz mit Fokus auf den wissenschaftlichen Schreibprozess – Traditionelle Werte auf dem Prüfstand für eine neue Ära‘. Nach einer Vorstellung der Grundwerte zur Forschungsintegrität beschreiben sie die gegenwärtigen Möglichkeiten KI-gestützter wissenschaftlicher Textgenerierung bei gleichzeitiger Anwendbarkeit der Grundwerte wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Respekt, Rechenschaftspflicht; ein Perspektivwechsel sei notwendig (21 Seiten).
Das Werk schließt mit einem Autorenverzeichnis ab (3 Seiten).
Diskussion
Ein Buch ist für Lernende, vor allem aber für Lehrende zu empfehlen, da diese auch eine besondere Verantwortung für Forschende und Doktoranden im Prozess ihrer wissenschaftlichen Entwicklung haben. Die zahlreichen Autoren können zum Teil die Themen nur relativ kurz anreißen, doch geben die ausführlichen Literaturangaben weitere Hinweise.
Die Bedeutung von Forschung wird vor allem von Julius Späte betont: Gute Forschung unterstützt professionelle Praxis, was nicht nur für die Sozialarbeit stimmt.
Das Buch kommt – nach zahlreichen Plagiatsvorwürfen – zum richtigen Zeitpunkt, spricht allerdings fachspezifische wissenschaftliche Fallstricke nicht an, die vielleicht auch zu speziell sind und nicht nur ethische Fallstricke (diese sind angesprochen) als auch methodische (!) beinhalten. Irrwege sind vielleicht unvermeidbar, aber sie sollten mit einer gesunden Skepsis jede wissenschaftliche Arbeit begleiten und können durch interdisziplinäre Forschung und Kooperation zunehmend und frühzeitig vermieden werden.
Fazit
Empfehlenswert für Lehrende und Lernende insbesondere durch die Hinweise auf praktisches Fehlverhalten: Weniger wichtig erscheinen mir – weil bewusst geplant – Plagiate, Datenfälschung und Datenerfindungen. Schwierig zu erkennen ist mitunter – auch bei verantwortungsbewussten Autoren – ein Ideendiebstahl, der auch unbewusst erfolgen kann. Der Hinweis auf Netzwerke und Graduiertenkollegs scheint mir die wichtigste Anregung dieses Buches zu sein, um nicht in der Sackgasse von fehlendem Mut und Antrieb zu landen und den Fallstricken von unkritischem, Zweifel ausschließenden und die Reichweite von Belegen überschätzenden Irrwegen zum Opfer zu fallen.
Rezension von
Prof. Dr. Gertrud Hardtmann
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Es gibt 111 Rezensionen von Gertrud Hardtmann.
Zitiervorschlag
Gertrud Hardtmann. Rezension vom 03.04.2023 zu:
Katharina Miller, Milena Valeva, Julia Prieß-Buchheit (Hrsg.): Verlässliche Wissenschaft. Bedingungen, Analysen, Reflexionen. wbg Wissenschaftliche Buchgesellschaft
(Darmstadt) 2022.
ISBN 978-3-534-40607-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29438.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.
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