Eckehardt Knöpfel, Elmar Wortmann (Hrsg.): Die Unverzichtbarkeit pädagogischer Bildung
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 24.10.2023
Eckehardt Knöpfel, Elmar Wortmann (Hrsg.): Die Unverzichtbarkeit pädagogischer Bildung.
Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2022.
207 Seiten.
ISBN 978-3-8340-2193-9.
D: 19,80 EUR,
A: 20,40 EUR.
Reihe: Didactica Nova - Arbeiten zur Didaktik und Methodik des Pädagogikunterrichts.
Didaktik + Methodik + Lehre = Bildung
Jede Zeit ist eine Zeit des Wandels (Ken Follett). Das gilt für Informationsaufnahme und –auseinandersetzung, für Lernen und Bildung. Es sind die intellektuellen, professionellen Herausforderungen, wie sie sich in den gängigen „Diskursanalysen“ (Michel Foucault, u.a.) artikulieren und als „Neusprech“ im pädagogischen Diskurs zum Ausdruck kommen. Es sind die individuellen und kollektiven Verhältnisse, wie sie seit dem antiken, philosophischen Nachdenken und Konzepten in vielfältigen Formen und Kompetenzen thematisiert werden und sich als Definitionen und Dilemmata entwickelt haben. Es sind die unbestrittenen und kontroversen pädagogischen Schlüsselbegriffe und Theorie- und Praxiskonzepte, die im professionellen Denken und Handeln wirksam sind. Es sind traditionalistische Einstellungen (Keine Experimente!“ – „Das haben wir noch nie/schon immer so gemacht!), die Veränderungs- und Wandlungsprozesse be- oder verhindern (Karl-Heinz Dammer/Anne Kirschner, Hrsg., Pädagogisches Neusprech. Zur Kritik aktueller Leitbegriffe, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​30907.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Im pädagogischen Diskurs sind Veränderungs- und Wandlungsprozesse immer schon Stachel und Zumutung gewesen, und sie sind es bis heute: Bildung und Schule verändern, weg von der Paukanstalt, hin zum Lernprojekt. Schulreformen vollziehen sich zwischen Anpassung und Widerstand, Zustimmung und Ablehnung. Reformer gelten als Apologeten oder Helden, als Laudatoren oder Gesellschaftskritiker. Sie bewegen sich auf dem Grat zwischen Traditionen und Traditionalismen.
Der Pädagoge und Erziehungswissenschaftler Christoph Storck (1956 – 2013) galt als Didaktiker und Bildungsreformer. In wissenschaftlichen Büchern, in Lehrbüchern, Lernhilfen, Aufsätzen, Vorträgen, Kommentaren und Rezensionen meldete er sich zu Wort. Als Verbandsvertreter – Verband der Pädagogiklehrer*innen <VdP> und Gesellschaft für Fachdidaktik Pädagogik <GfdP> – setzte er sich dafür ein, dass die pädagogische Bildung angemessen gesellschaftlich wahrgenommen, anerkannt und institutionalisiert wird. Er vermittelte das Bild, das weiterhin Marker für die Professionalisierung des Lehrer/​innenberufs ist: Über breite und vertiefte wissenschaftliche Kenntnisse verfügen und diese für die Lernenden anschaulich vermitteln. Sein Eintreten für pädagogische Bildung charakterisiert die Spannweite des Unterrichtens: „Aufarbeitung der eigenen Sozialisation und von dem, was mit dem Anspruch von Erziehung erfahren oder erlitten wurde“, und die Konsequenz daraus: „Verantwortungsvolles pädagogisches Handeln“.
Der Fachdidaktiker Eckehardt Knöpfel, Stocks Nachfolger im Vorsitz des VdP, und Elmar Wortmann, aktueller Vorsitzender, erinnern mit dem Anspruch von der „Unverzichtbarkeit pädagogischer Bildung“ an Christoph Storck und werben dafür, seine differenzierten wissenschaftlichen Arbeiten in den erneuten Umbruch-Entwicklungen der „digitalisierten“ Zeit zur Kenntnis zu nehmen.
Aufbau und Inhalt
Die ausgewählten Storckschen Texte werden im Sammelband gegliedert in die Kapitel „Pädagogische Bildung“ (1), „Pädagogikunterricht als Unterrichtsfach aller Schulstufen“ (2), „Zentrale Inhalte des Pädagogikunterrichts“ (3).
Im ersten Kapitel „Pädagogische Bildung angesichts gegenwärtiger Probleme mit Erziehung und Bildung?“ werden Zeitanalysen thematisiert, wie: „Wir haben Kinder, die Antworten bekommen auf Fragen, die sie nie gestellt haben. Kurzum, wir haben keine Kinder mehr“ (Neil Postman, 1987). Es sind Klagen, dass Kinder unfähig seien, sich zu trauen (H.v.Hentig, 1981). Es ist die traditionalistische Kritik, dass die Schule der synonymen Autorität des Elternhauses und Familie die Erziehungskompetenz streitig mache (Herward Kemper, 1990). Es sind drei wesentliche Anforderungen, die pädagogische Bildung leisten könne: Unterstützen – Motivieren – Humanisieren. Mit der Fachfrage – „Wozu brauchen wir Erziehungswissenschaft?“ – wird Gesellschaftskritik deutlich. Und mit der didaktisch-methodischen Frage – „‘Kausalmechanischer‘ oder ‚offener‘ Erziehungsbegriff“ wird Schulbuchkritik geübt.
Im zweiten Kapitel steht das Praktische, die Übermittlung und der fächerbezogene und fachübergreifende Unterricht im Mittelpunkt: „Pädagogikunterricht in der Oberstufe der weiterführenden Schulen“, weil Unterricht in Pädagogik wesentlich dazu beitragen kann, „Neu- und Umlernen von Menschen im nachschulischen Leben auf sinnvolle Weise und langfristiger Perspektive zu fundieren“. Dasselbe gilt natürlich auch für den „Pädagogikunterricht in der Sekundarstufe I“, weil es gelingen sollte, damit auch Auseinandersetzung und Einfluss „auf die schulpädagogische Alltagswirklichkeit genommen“ werden kann. Auch in der Primarstufe ist die Auseinandersetzung über Einstellungen und Verhalten notwendig.
Im dritten Kapitel werden zentrale Inhalte und Zielsetzungen des Pädagogikunterrichts thematisiert. „Der Mensch wird der Mensch, der er wird, erst im Prozess der Bildung“ – und Aufklärung. Es sind die intellektuellen, ganzheitlichen, fachlichen, interdisziplinären und sachlichen Anforderungen, die als die „pädagogische Perspektive“ bezeichnet werden. Und es sind die individuellen und kollektiven Herausforderungen, die „Erziehung“ als Bedarf und Bewusstsein werden lassen. „Moralität“ ist, wie es der Kantische „Kategorische Imperativ“ ausweist, höchstes Ziel von Bildung und Erziehung: „Erziehung ist immer paradox. Sie fordert zum Lernen auf…, kann aber Lernen nicht erzwingen“. Es sind Vorweiser, die, wie Janusz Korczak, Kinderrechte und –pflichten zusammenbringen. Und es ist im schulischen Bildungs- und Erziehungsprozess das schwierige, lern-, entdeck- und erfahrbare Zusammenbringen von Theorie und Praxis.
Wie können sich Identitäten entwickeln, angesichts der Digitalisierung und Virtualisierung der Welt? Es sind die geplant und spielerisch entwickelnden Lernanlässe, die das Nachdenken über „Wer bin ich?“, „Wie will ich sein?“, „Wie bin ich geworden, was und wie ich bin?“ als philosophisches Denken aufweisen. Und es sind nicht zuletzt moralische Fragen: „Was ist gut?“, „Was ist böse?“, „Was ist gerecht?“, „Was ist Wahrheit, was Lüge?“… Da ist der Blick auf die „globale Ethik“, wie die von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierte, allgemeinverbindliche und nicht relativierbare „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ bezeichnet wird, und in der es in der Präambel eindeutig heißt: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“.
Diskussion
Christoph Storck bringt bei seiner Feststellung über die Unverzichtbarkeit pädagogischer Bildung vielfältige Denk- und Ethikpositionen zusammen. Seine Fähigkeit, Bildungs- und Erziehungsfragen in familiale, schulische, universitäre und verbandliche Zusammenhänge zu bringen, in Theorie und Praxis zu thematisieren und in anschaulichen Lernbeispielen zu präsentieren, ist bemerkenswert und macht es sinnvoll, sie erneut in den aktuellen, lokalen und globalen Bildungsdiskurs zu bringen.
Ein Produktionshinweis an den Verlag: Bereits beim ersten Durcharbeiten der Veröffentlichung zeigen sich Auflösungs- und Brucherscheinungen. Die nicht sachgemäße Bindung hält keinesfalls Belastungen stand.
Fazit
Mit der wissenschaftlichen Reihe „Didactica Nova“, die im Auftrag des Verbandes der Pädagogiklehrerinnen und –lehrer (VdP) herausgegeben wird, verdeutlicht der Schneider-Verlag, dass der Diskurs über Bildung und Erziehung der Menschen sich auch in unserer Zeit sich weder erledigt hat, noch überflüssig geworden ist, sondern aktuell, gegenwartsbezogen und zukunftsorientiert engagiert und verantwortungsvoll weitergeführt werden muss. Die vor 40 bis vor 10 Jahren publizierten wissenschaftlichen Arbeiten von Christoph Storck lohnen, sie in die Bildungs- und Professionalisierungsreformen von Heute und Morgen hineinzunehmen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 24.10.2023 zu:
Eckehardt Knöpfel, Elmar Wortmann (Hrsg.): Die Unverzichtbarkeit pädagogischer Bildung. Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2022.
ISBN 978-3-8340-2193-9.
Reihe: Didactica Nova - Arbeiten zur Didaktik und Methodik des Pädagogikunterrichts.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29449.php, Datum des Zugriffs 06.11.2024.
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