Robert Kruschel: Inklusionsorientierte Schulentwicklung in der Praxis
Rezensiert von Dr. Thomas Bürger, 07.11.2023
Robert Kruschel: Inklusionsorientierte Schulentwicklung in der Praxis. Einblicke in den pädagogischen Umgang mit Heterogenität.
Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2021.
243 Seiten.
ISBN 978-3-8340-2112-0.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Reihe: Basiswissen Grundschule - Band 45.
Thema
Robert Kruschel versucht durch elf individuell angelegte Interviews mit Schulpädagoginnen den, wie er sagt „heterogenitätssensiblen pädagogischen Alltag“ (S. 3) sichtbar zu machen. Dabei konstatiert er, dass der Gesetzgeber zwar mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) von 2008 die rechtlichen Rahmenbedingungen für Inklusion hergestellt hat, die notwendige Infrastruktur aber den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort überlässt. Dem Autor geht es dabei weniger um eine akademische Diskussion, eine besondere theoretische Aufarbeitung oder um empirische Daten, welche die Fortschritte der Inklusion dokumentieren. Vielmehr sucht er den Kontakt zu engagierten Pädagoginnen, die trotz ungünstiger Voraussetzungen eine produktive inklusive Haltung entwickelt haben, um Kindern und Jugendlichen Teilhabe zu ermöglichen.
Autor:in oder Herausgeber:in
Robert Kruschel, studierte zwischen 2004–2010 Sonderpädagogik in Halle-Wittenberg und hat danach dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter gewirkt. Zwischen 2018 und 2022 hat er an der Universität Leipzig ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet.
Entstehungshintergrund
Robert Kruschel ging aufgrund- und Oberschulen (Haupt- und Realschulen) in Sachsen zu, die nach seiner Einschätzung einen „produktiven und inklusionsorientierten Ausschnitt der sächsischen Schullandschaft“ abbilden. Dabei suchte er nicht nach den objektiv besten Schulen und führte auch keine aufwendigen Assessments durch. Vielmehr ging er auf Protagonisten zu, die er bereits in anderen Kontexten persönlich kennengelernt hatte oder ihm empfohlen wurden.
Die hier vorgestellten Interviews fanden zwischen Mai 2019 und Juni 2020, also vor und während der Corona-Pandemie in der Schule oder Online statt.
Aufbau
Der Band eröffnet mit einem Beitrag der Herausgeberin der Reihe: Basiswissen Grundschule Astrid Kaiser. Dem folgt eine Einleitung des Autors Robert Kruschel. Anschließend finden sich elf Interviews des Autors mit Schulpädagoginnen. Diese sind zwar sprachlich so überarbeitet worden, dass sie flüssig zu lesen, aber immer noch als unverfälschte und persönliche Position der Interviewpartnerinnen erkennbar sind. Dazwischen finden sich eine Vielzahl von Querverweisen des Autors aber auch QR-Codes der Schulen, um sich weiter zu informieren zu können.
Inhalt
Staatlich und Alternativ
Im ersten Interview wird die Konrektorin Katrin Quosdorf interviewt. Ihre Schule, Die 59. Grundschule Jürgen-Reichen, hat sich bereits nach der Wende (1990) auf den Weg nach aktuellen pädagogischen Ansätzen gemacht. Entsprechend wurde sich u.a. mit Jürgen Reichen und seinem Konzept der Schullandschaft oder dem Konzept des Offenen Unterrichts nach Falko Peschel auseinandergesetzt. Als es darum ging, die Schule umzugestalten, wurde versucht Kolleginnen zu finden, die von dem Konzept angetan waren, um sich mit den beiden Schulleiterinnen auf einen gemeinsamen Weg der Veränderung zu machen. Im weiteren berichtet Katrin Quosdorf wie die Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Lernprozessen begleitet, unterstützt und motiviert werden.
Inklusion aus Überzeugung
Das zweite Interview wird mit der Schulleiterin Kathrin Riedel von der Geschwister-Scholl-Grundschule in Leipzig geführt, welche unter dem Slogan „Gemeinsam Vielfalt erleben“ agiert. Dabei wird betont, dass die Kinder Gemeinschaft und Beziehung erleben, die ihnen hilft ihr Leben zu meistern und aus welchen sie gestärkt hervorgehen sollen. Aus der Perspektive der Schulleiterin wird klar, dass dieser Prozess nur in Zusammenarbeit mit dem Kollegium gelingt, welches in Fortbildungen wie pädagogischen Tagen und Hospitationsreisen mitgenommen werden muss. Dabei arbeiten an der Schule nicht nur Grundschullehrkräften, sondern auch Erzieherinnen, Sonderpädagoginnen, Gymnasiallehrkräfte und andere. Der Text macht klar, dass Schulentwicklung ein dynamischer Prozess zwischen allen an der Schule Beteiligten ist. Jede und jeder kann und soll sich mit seinen Ideen einbringen können, um Inklusion zu ermöglichen.
Mit Musik und Inklusion zum Deutschen Schulpreis
Das dritte Interview findet an der Kurfürst-Moritz Schule statt. Die Schulleiterin Luise Robock möchte der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler nachgehen. Konkret bedeutet das, dass die individuellen Interessen und Lernentwicklungsstände unbedingt berücksichtigt werden. Dabei helfen Materialien, welche selbstständig oder kooperativ bearbeitet werden können und so einen systematischen Gleichschritt unnötig machen. Als hilfreich hat sich erwiesen, dass die Schule fortlaufend an einem gemeinsamen Schulkonzept arbeitet. Die Verschriftlichung dient als gemeinsame Arbeitsgrundlage und hilft Prozesse fortlaufend danach auszurichten. Als besonders gemeinschaftsstiftend gilt es, ein Musikinstrument zu erlernen und in einer Band zu spielen. Das alles gelingt, weil die Arbeit von den Kolleginnen und Kollegen mitgetragen wird und von den Eltern Akzeptanz erfährt.
Kooperation zwischen Hort und Schule als Voraussetzung für Inklusion
Das vierte Interview an der Joachim Ringelnatz Grundschule findet mit der Schulleiterin Anne Matthias und der Hortleiterin Viola Granzow statt. Als zentrales Moment gilt es die Kinder gleich welcher Herkunft zu stärken. Im Gespräch wird der Kontinuitätsbegriff herausgestellt. Dabei wird klar, dass wenn Mitarbeiterinnen zu häufig wechseln, sich Inklusion nicht verstetigen kann. Auch hier steht das Musizieren im Mittelpunkt. Alle Kinder lernen ein Streichinstrument, dies ermögliche die Persönlichkeitsentwicklung, schaffe Konzentration, Aufmerksamkeit und kulturelle Teilhabe. Sich der Inklusion stellen bedeutet für die Interviewpartnerinnen die Kinderrechte einzulösen. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler lernen sich der Vielfalt der Gesellschaft zu stellen und auf diese vorbereitet werden. Weitere Methoden sind der Projektunterricht, das Faustlosprogramm und den Klassenrat. Die Lehrerinnen werden unterstützt, in dem sie eine Doppelbesetzung in den Klassen haben und auf die Schulsozialarbeit zurückgreifen können. Die entstandenen Netzwerke tragen insgesamt zum Gelingen bei.
Integration aus Tradition
Das Interview an der Scultetus-Oberschule findet mit Marlies Hanke, Beauftragte für Inklusion, und Kilian Melzer, Inklussionsassistent, statt. Die Schule hat räumlich eine besondere Nähe zu einem Wohngebiet mit vielen körperlich behinderten Menschen. Dies beeinflusst das pädagogische Profil der Schule. Zum zweiten wurde die Bedeutung des Übergangs von der Grundschule in die weiterführende Schule besonders fokussiert. Um diese und weitergehende Herausforderungen zu bewältigen, haben alle Kolleginnen an dieser Schule eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation absolviert. Ziel war und ist, dass alle Beteiligten eine gemeinsame Idee von Integration haben. Der Zuspruch aus der Bevölkerung für dieses Konzept wuchs so stark, dass nicht alle Kinder, die an die Schule kommen wollen, aufgenommen werden können. Es wird versucht, jedem Kind mit seinen je spezifischen Herausforderungen entgegen zu kommen und eine Lösung zu finden. Zum Teil wird mit außerschulischen Bildungspartnern kooperiert, um dem einzelnen Kind gerecht zu werden. Als problematisch wird der Lehrerinnenmangel thematisiert. Für die Einrichtung bedeutet dies, dass dem neu hinzukommenden Personal bisweilen die sonderpädagogischen Voraussetzungen fehlt, um überall gleichermaßen gewinnbringend eingesetzt werden zu können.
Soziokulturelle Vielfalt als Chance statt Last
Mit der Schulleiterin Nancy Kallenbach wird das Interview an der August-Bebelschule in Leipzig geführt. Sie spricht die große Heterogenität der Kinder an, die die Schule besuchen. Da an dieser Schule viele mehrsprachige Kinder sind, wird hier darauf geachtet, dass die Kinder diese auch erhalten können. Entsprechend wird mit Personen Kontakt aufgenommen, welche die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichten. Um die unterschiedliche soziale Herkunft der Kinder aufzufangen gibt es ein kostenloses Frühstück und Schulobst. Besonders am Nachmittag ist eine Vielzahl von Angeboten implementiert, die allen, auch den Leistungsstarken, zugutekommen. Eine einwöchigen Klassenfahrt, wird zum Teil von externen Stiftern finanziert, um sozialbenachteiligen Kindern ein Angebot machen zu können. Interessant ist, dass es zu diesen Veränderungen gekommen ist, weil die Herausforderung sich der Heterogenität zu stellen, zunächst zu einer Überforderung der Kolleginnen geführt hat. Die aktuellen Angeboten zielen damit zwar auf die Kinder, sollen aber auch dazu beitragen, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit Freude an der Schule unterrichten. Im weiteren geht es darum, wie das vorhandene Potenzial ausgelotet werden kann, um zum Experimentieren zu ermutigen und Hilfe von außen zuzulassen. Methodisch hat man sich hier für offenen Unterricht entschieden.
Inklusiv und Digital
In Dohna an der Marie-Curie-Oberschule trifft der Autor die Schulleiterin Antje Ambos, die vor allem versucht digitale Lernverfahren verstärkt zu nutzen. Dabei betont sie die Bedeutung der Arbeit an der Basis. Widerstand habe es eher vom Schulträger gegeben. Frau Ambos beschreibt dann „den Glauben, dass Inklusion gelingen kann“ (S. 139). Der Weg in die Inklusion muss vom Kollegium getragen werden und basisdemokratische Entscheidungen sind unumgänglich. Eine Besonderheit ist, dass hier mit Frau Prof. Anke Langner vom Lehrstuhl für inklusive Bildung an der TU Dresden kooperiert wird. Methodisch arbeiten die Schülerinnen und Schüler vor allem im Wochenplan, haben auch Projektunterricht und erhalten Fördermaßnahmen, besuchen außerschulische Lernorte und kooperieren in leistungsdifferenzierten Gruppen. Hier helfen externe Mitarbeiterinnen mit. Eine weitere Besonderheit der Schule ist das Schulfach Glück, welches von Ernst Fritz-Schubert entwickelt wurde. Ausnahmsweise wird berichtet, dass es durchaus Widerstand von den Eltern gab, die diese Unterrichtsformen aus ihrer eigenen Schulzeit nicht kannten. Wenn neue Kolleginnen an die Bildungsstätte kommen, werden sie darüber informiert, an welche Schwerpunkte die Schule hat. Es wird vorzugsweise mit iPads gearbeitet, welche die Arbeit mit differenzierten Lernmaterialien ermöglicht. Besonders die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf „lieben“ diese Technik (S. 146). Als Problem für die fortlaufende Inklusionsarbeit bleibt die Sensibilisierung der Kolleginnen und die Notwendigkeit des kooperativen Arbeitens im Unterricht aber auch in der Vor- und Nachbereitung.
Über Kooperation zur Inklusion
An der Carl-von-Linné-Grundschule spricht Kruschel mit den zwei Grundschullehrerinnen Birgit Herzog und Daniela Olschewski. Interessanterweise geht an dieser Schule die Initiative für mehr Inklusion von den Eltern aus, die einen kooperativen Unterricht für ihre Kinder wollen und auch im weiteren Prozess diesen Weg unterstützen. Deutlich wird, dass es Mut braucht sich auf neues Terrain zu wagen, sich auf etwas einzulassen, von dem man zunächst keine praktische Erfahrung hat und bereit zu sein, zu experimentieren. Es wird berichtet, dass die Lern- und Lehrmaterialien komplett selbst erstellt werden mussten, was eine deutliche Mehrarbeit und Kreativität braucht. Auch die Notwendigkeit sich auf die kollegiale Teamarbeit einzustellen, wird thematisiert. Methodisch wird hier vorzugsweise in Projekten gearbeitet, zum Beispiel in einem Musikprojekt mit den Ziel am Ende des Schuljahres ein Musical aufzuführen. Die Leistungsheterogenität der Schülerinnen und Schüler wird transparent und offen benannt, aber diskriminierende Vokabeln vermieden. Methodisch gibt es zwar ein transparentes Curriculum, aber jedes Kind wird motiviert, es individuell zu durchlaufen. Deutlich wird, dass die Schulleitung zu hundert Prozent hinter dem Vorhaben zu stehen hat, aber auch übergeordneten Behörden motiviert sein müssen, das Konzept der Schule zu tragen.
Vielfalt begegnen mit offenem Unterricht
Das Interview in Grimma, findet mit drei Personen statt. Hier mit der Inklusionsbeauftragten Claudia Müller und den Stammgruppenleiterinnen Claudia Leipold und Antje Braunreuther. Die Bildungseinrichtung möchte ein Ort für alle sein! Dennoch kommt die Schule mit diesem inklusiven Ansatz immer wieder an ihre Kapazitätsgrenzen, da mehr Eltern für ihre Kinder diese Einrichtung wählen, als Plätze vorhanden sind. Auch wenn Kinder abgewiesen werden müssen, soll die Lerngruppe eine ausgewogene soziokulturelle Mischung repräsentieren. Außerdem sollen vorzugsweise Kinder aufgenommen werden, die mit dem gleichschrittigen Frontalunterricht ihre Schwierigkeiten haben. Kinder mit einer entmutigenden Vergangenheit werden dabei vorzugsweise aufgenommen. Der Heterogenität der Schülerinnen- und Schülergruppe wird nun durch jahrgangsgemischte Stammgruppen, den Ganztagsbetrieb, epochalen Unterricht, eine festzugeordnete Erzieherin, Wochenpläne, Morgenkreis, Freiarbeit, multiprofessionelle Teams, vielfältige Materialien und selbstbestimmtes Lernen begegnet. Hier zeigt sich, dass die Kinder die reformpädagogische Arbeitsformen am besten schon im ersten Schuljahr erlernen sollten. Dabei soll das Klassenzimmer ein Ort an sein, an dem die Kinder Verantwortung für ihren Lernprozess selbst übernehmen. Die Individualität des einzelnen Kindes wird sehr ernst genommen. Entsprechend werden lernförderliche und individualisierte Strukturen aufgebaut. Außergewöhnlich ist, dass es keine klassische Schulleitung gibt, sondern eine Steuergruppe, die sich die verschiedenen Aufgaben aufteilt. Die wichtigsten Zutaten aller Beteiligten sind Mut und Experimentierfreude.
Vielfalt leben im Dreiländereck
An der SCHKOLA-Schule trifft der Autor die pädagogische Geschäftsführerin Ute Wunderlich. An dieser pädagogischen Einrichtung bedeutet Inklusion eine interkulturelle Haltung inne zu haben. Sie berichtet, dass es vielfach die Eltern sind, die sich eine offenere Schule wünschen. Es könnten mittlerweile mehr Kinder aufgenommen werden, als Schulplätze zur Verfügung stehen. Die gemischten Lerngruppen werden in der Regel kooperativ unterrichtet. Strukturierende Elemente sind gemeinschaftsbildende Maßnahmen wie der Morgenkreis, der Abschiedskreis, gemeinsames Essen und Singen. Zugleich wird jahrgangsübergreifend und mit Wochenplänen gelernt. Auch hier treffen sich die Kolleginnen regelmäßig zur Teamberatung bei welcher man fortlaufend konzeptionell arbeitet, denn auch jede Lehrerin soll sich persönlich entwickeln können, wobei eine inklusive Richtung unbedingt erwünscht ist.
Inklusion geht nicht ohne Schulentwicklung und Schulentwicklung geht nicht ohne Inklusion
Den Abschluss bildet ein Interview mit der Schulentwicklungsbegleiterin Birgit Kilian. Sie hält eine Reihe schulpädagogischer Erkenntnisse bereit. So zum Beispiel die Sätze: „Jedes Kind hat Stärken und Schule hat die Aufgabe, diese zu finden und zu fördern! Es geht nicht um Noten, es geht darum, dass es den Kindern gut geht. Sie wissen, dass Schule ein Ort ständigen Lernens ist, und zwar von allen Beteiligten. Kinder haben ein Gespür, was ihnen gut tut! Wenn eine Schulleitung auf der Bremse steht, hat es jeder Schulentwicklungsprozess schwer. Es gibt keinen fertigen Schulentwicklungsplan.“ Manche dieser Sätze eignen sich sicher, um Diskussionen zur Schulentwicklung zu initiieren.
Diskussion
Durch die sehr individuellen und zum Teil persönlichen Interviews erhalten die Leserinnen und Leser einen vertieften Einblick in die subjektiven Auffassungen und berufsbiografischen Erfahrungen der Befragten. Sie gestatten dem Leser einen unmittelbaren und unverstellten Blick in die konkrete Situation. Dabei werden „best practice“ Beispiele aufgemacht, die durch ihre positiven Herangehensweise einen hohen motivationalen Charakter haben. Gescheiterte Projekte, missglückte Vorhaben, enttäusche Pädagogen, frustrierte Eltern, die ihre Kinder an andere Schulen schicken, bleiben unerwähnt. Entsprechend wird der Erfolg dieser Leuchtturmprojekte auch nicht empirisch vermessen. Es fehlen konkrete und vergleichende Zahlen über die Lern- und Leistungsfähigkeit dieser Projekte gegenüber regulären und traditionellen Konzepten. Schließlich wird am Ende des Buches auf eine vergleichende und systematische Analyse verzichtet. Wenn diese geleistet worden wäre, hätten ähnliche Bedingungen oder auch gemeinsame Kategorien extrahiert werden können. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen diese hier in gebotener Kürze benannt werden:
Die hier vorliegenden Muster für eine „inklusionsorientierte Schulentwicklung“ sind nach meinem Leseeindruck, dass Inklusion kein abstraktes Gebilde ist, sondern sich aus der Beobachtung und Wahrnehmung der konkreten Situation ergibt. Die Binsenweisheit, dass Kinder und Jugendliche verschieden sind, wird hier als pädagogischer Auftrag verstanden. Die Beteiligten stellen sich der Heterogenität und suchen nach nachhaltigen Lösungen. Zweitens braucht Inklusion eine Vielzahl an Unterstützerinnen. Zu allererst Schulleiterinnen und Schulleiter, die zur Schnittstelle im Prozess werden, Lehrerinnen und Lehrer, die bereit sind bekanntes Terrain zu verlassen, Eltern die Vertrauen in die Reform haben sowie externe kooperative Partner. Drittens die Bereitschaft, dass man sich auf einen gemeinsamen und kooperativen Weg macht. Inklusion braucht Teamfähigkeit und Teambereitschaft, Mut und Frustrationstoleranz. Viertens wird ein geeigneter Methodenmix benötigt. An vielen Schulen wird Offener Unterricht praktiziert. So sind Tagespläne, Wochenpläne, und langfristige Projekte genauso vorhanden, wie persönliche und individuelle Lernwege. Fünftens und der vielleicht wichtigste Punkt ist der Faktor Zeit. Viele Lehrerinnen sehen sich im alltäglichen Schulbetrieb unter Zeitdruck. Themen und Inhalte müssen gegen die Lerninteresse der Kinder durchgepeitscht werden. An den hier vorgestellten Schulen hat Zeit eine andere Qualität. Lernen braucht Zeit! Und da alle gemeinsam, Schulleiterinnen, Lehrerinnen, Eltern und Kinder Lernprozesse absolvieren müssen, erhalten alle die Zeit, die sie brauchen.
Fazit
Das Buch von Robert Kruschel ist ein Mut-Mach-Buch für diejenigen, die sich auf den Weg zu einer inklusionsorientierten Schule machen. Es ist zugleich eine wertvolles Dokument über einzelne erfolgreiche und begeisternde Projekte. Was fehlt ist eine vergleichende Analyse, die Genauigkeit der Empirie und eine sichere Verortung dieser Einzelfälle in der Gesamtheit der Schullandschaft.
Rezension von
Dr. Thomas Bürger
Justus Liebig Universität Gießen
Institut für Kindheits- und Schulpädagogik
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Es gibt 1 Rezension von Thomas Bürger.
Zitiervorschlag
Thomas Bürger. Rezension vom 07.11.2023 zu:
Robert Kruschel: Inklusionsorientierte Schulentwicklung in der Praxis. Einblicke in den pädagogischen Umgang mit Heterogenität. Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2021.
ISBN 978-3-8340-2112-0.
Reihe: Basiswissen Grundschule - Band 45.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29455.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
Urheberrecht
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