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Irina Ose, Bernhard Preusche: Moderationsmaterial Ethische Fallbesprechungen

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 29.06.2022

Cover Irina Ose, Bernhard Preusche: Moderationsmaterial Ethische Fallbesprechungen ISBN 978-3-7841-3498-7

Irina Ose, Bernhard Preusche: Moderationsmaterial Ethische Fallbesprechungen. Eine Arbeitshilfe. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 78 Seiten. ISBN 978-3-7841-3498-7. D: 21,00 EUR, A: 21,60 EUR.

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Entstehungshintergrund und Thema

In Sozial- und Pflegeberufen stehen die beteiligten Professionen immer wieder vor herausfordernden Situationen, die als Kombination von organisationalen Rahmenbedingungen, der Klientel, der Teamstruktur oder anderen Faktoren wie festgefahren, konflikthaft oder ausweglos erscheinen. Eine Ethische Fallbesprechung (EFB) kann Bewegung in den Fall und eine Lösungsannäherung bringen.

Autorin und Autor

Irina Ose ist Pfarrerin in Baden-Württemberg, Ethikberaterin, Leiterin des Referats Diakonie und Theologie der Samariterstiftung und sie nimmt Coaching- und Beratungsaufträge an (https://www.irina-ose.de). Dr. Bernhard Preusche ist Studienleiter des Themenbereichs Wirtschaft, Globalisierung, Nachhaltigkeit an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Als Betriebswirt und Sozialethiker und Inhaber der Stabsstelle Ethik bei der Stiftung Liebenau bringt er wie Irina Ose zahlreiche Erfahrungen bei der Durchführung von Ethischen Fallbesprechungen (EFB) mit.

Aufbau und Inhalt

In der zweiseitigen „Allgemeinen Einführung“ wird kurz das belastende Empfinden von in Sozial- oder Gesundheitsberufen tätigen Personen oder Teams umrissen, die in einer Situation festzuhängen scheinen. Die EFB wird als Instrument vorgestellt, mit der „ausweglose Situationen (Dilemmata)“ (S. 10) methodisch angegangen, interdisziplinär überdacht und daraus Lösungsvorschläge entwickelt werden können.

Mit einem „Ethikdetektor“ (nach Vorlage) lässt sich anhand von elf mit „ja“ oder „nein“ zu beantwortenden Fragen identifizieren, ob das bei den Personen vorhandene „Bauchgrimmen“ Anlass für eine EFB ist. Gibt es eine Anfrage für eine EFB, werden von der verantwortlichen Moderatorin oder dem Moderator Vorgespräche mit der fallgebenden Person geführt, um Informationen zu sammeln und den zu beteiligenden Personenkreis einzugrenzen. Eine Vorlage für die Vorbereitung enthält die zu berücksichtigenden Aspekte. Gemäß organisational festgelegten Regelungen erfolgt eine Einladung zur EFB (Vorlage ist angefügt). Auf die Klärung weiterer Rahmenbedingungen wie Ort, Raum und Zeit sowie benötigtes Material wird eingegangen.

Im Folgenden werden die sechs Schritte des Ablaufs einer EFB beschrieben: Schritt 1 umfasst die Begrüßung, den Ablaufplan und eine Vorstellungsrunde. Schritt 2 dient der Situationsbeschreibung inklusive einer kompakten Formulierung der ethischen Herausforderung. Diese wird in Schritt 3 nach den medizinisch-ethischen Prinzipien „Respekt vor der Autonomie“, „Nichtschaden“, „Fürsorge/​Wohltun“ und „Gerechtigkeit“ anhand von spezifischen Fragen konkretisiert und mit der formulierten Sorge in Schritt 2 kontextualisiert. Mit Schritt 4 werden Handlungsmöglichkeiten gesammelt und festgehalten, die in Schritt 5 anhand der Vorzugskriterien der „Realisierbarkeit“, der „Erfolgsaussicht“, der Abwägung von „guten bzw. besseren Gründen“ und der „Minimierung von negativen Folgen“ geprüft werden. Die übrig gebliebenen Optionen werden schließlich nach Wichtigkeit und Dringlichkeit priorisiert. Der Ablauf der EFB wird von den moderierenden Personen protokolliert. Bei Bedarf wird die Niederschrift von den Teilnehmenden gegengelesen und schließlich der Akte der betroffenen Person beigelegt, da sie vor Gericht Indiziencharakter einnehmen kann.

Die Seiten 23 bis 36 enthalten Flipchartvorlagen zu Ablaufschritten der EFB. Auf den Seiten 37 bis 56 sind insgesamt 20 Moderationskarten für die Moderatorin oder den Moderator mit detaillierten Hinweisen zu den einzelnen Teilschritten und für besondere Situationen abgedruckt. Eine eigene Vorlage für ein Handout an die EFB-Teilnehmenden zum Ablauf und den medizinisch-ethischen Prinzipien, eine Vorlage zur Anfertigung des Protokolls und eine Checkliste ergänzen das Material. Die zuletzt genannten Vorlagen stehen auf den Verlagsseiten zum Download bereit.

Ein Fallbeispiel von Bernhard Preusche (S. 62-68) gibt Einblick in eine das Team herausfordernde Klient:innensituation mit Spannungsmomenten für die beteiligten Professionen, den Ablauf der EFB und die eingebrachten Aussagen zu den Prinzipien, in die Problemformulierung, das Suchen, Finden und Bewerten von Lösungsoptionen als Wege aus dem Dilemma und die Schlussrunde.

Im anschließenden „Leitfaden zur Implementierung Ethischer Fallbesprechungen in Sozialunternehmen“ (S. 69-72) offenbart Bernhard Preusche u.a. die Chancen des mit Irina Ose zusammen entwickelten Instrumentenkoffers für eine EFB, zeigt den Unterschied zu einer pädagogischen Fallbesprechung auf, erörtert, wer eine Fallbesprechung einberufen kann und wer zu beteiligen ist, wer als Ethikmoderator:in in Frage kommt und wie EFBen insgesamt in Organisationen implementiert werden können.

Vorangestellt ist der Arbeitshilfe ein Abkürzungsverzeichnis, abgeschlossen wird sie von Angaben zu den Autor:innen.

Diskussion

Eine als Arbeitshilfe titulierte Publikation löst entsprechende Erwartungen an eine praxisnahe Anwendung aus, die mit pragmatischen Hinweisen gespickt ist, wie eine EFB umzusetzen ist. Diesem Anspruch wird das vorliegende Büchlein, das sich zudem im Titel auf das Moderationsmaterial fokussiert, absolut gerecht. Die Autorin und der Autor kombinieren ihr Wissen mit organisationalen Erfahrungen zu einer ziel- und lösungsorientierten Durchführung und präsentieren das Resultat mundgerecht. Die organisationalen Begrenzungen in der Durchführung von EFBen scheinen an mehreren Stellen durch, wenn z.B. bei der Klärung der Rahmenbedingungen auf den realiter i.d.R. auf eine moderierende Person (statt auf zwei Personen) beschränkten Einsatz hingewiesen wird oder wenn Bernhard Preusche offenbart, dass es angesichts des Potenzials von EFBen insgesamt zu wenige davon gibt. In der Einführung beziehen sich die Verfasserin und der Verfasser auf die Handlungsfelder der Alten- und Eingliederungshilfe und auch die Fallvignette repräsentiert eine Situation aus diesem Umfeld. Insgesamt unterlassen es Irina Ose und Bernhard Preusche sich festzulegen, für welche Einsatzgebiete sich ihr Modell besonders eignet. Nur in der Vorlage zum Handout erwähnen sie beiläufig und ohne genauere Angaben, dass sie sich an den medizinisch-ethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress orientieren und damit einem Modell von konsensorientierten EFBen folgen. Da durchaus andere Modelle in verschiedenen Anwendungsfeldern praktiziert werden, wäre es hilfreich gewesen, die Entscheidung transparent zu machen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei EFBen den moderierenden Personen eine hohe Relevanz für das Ergebnis attestiert wird, werden den Voraussetzungen für die Moderation von EFBen relativ wenig Gewicht beigemessen. Im Leitfaden wird zwar auf die notwendigen organisationalen Regelungen für die Einberufung und die Entscheidungswege hingewiesen, allerdings auf Basis von Organisationen, die ein Ethikkomitee oder ein ähnliches Gremium ohnehin implementiert und damit günstige Bedingungen haben. Dass das Moderationsmaterial nicht auf solche Fragen ausgerichtet ist, ist verständlich. Im Leitfaden zur Implementierung oder auch in der allgemeinen Einführung hätten kurze Hinweise auf die o.g. Aspekte platziert werden können, um Missverständnissen und einer missbräuchlichen Verwendung vorzubeugen. Denn trotz der Optimierung des Ablaufs und einer ressourcenschonenden Strukturierung einer EFB, die sicherlich bejaht werden können, geht es nicht um die Erfüllung der Form, sondern um die Inhalte und das sind die Dilemmata, die an Klient:innen und Patient:innen gesichtet werden und die es interdisziplinär zu lösen gilt – und das benötigt zunächst auch eine Investition.

Fazit

Die Arbeitshilfe dient dazu, die in der Regel als knapp empfundenen zeitlichen wie personellen Ressourcen in Organisationen für eine EFB effizient einzusetzen, den Ablauf zu strukturieren und sehr lösungsorientiert zu arbeiten. Die Vorlagen sind sehr informativ gehalten und ansprechend gestaltet, sie können direkt genutzt werden.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 77 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.

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Zitiervorschlag
Irmgard Schroll-Decker. Rezension vom 29.06.2022 zu: Irina Ose, Bernhard Preusche: Moderationsmaterial Ethische Fallbesprechungen. Eine Arbeitshilfe. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. ISBN 978-3-7841-3498-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29471.php, Datum des Zugriffs 12.12.2024.


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