John Medina: Brain Rules für Ihr Baby
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 19.10.2022

John Medina: Brain Rules für Ihr Baby. Wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, dass Ihre Kinder schlau und glücklich werden. Hogrefe AG (Bern) 2022. 3. überarbeitete Auflage. 343 Seiten. ISBN 978-3-456-86153-1. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 47,90 sFr.
Thema
Eltern brauchen Fakten, nicht nur Ratschläge, wie sie ihre Kinder am besten aufziehen. Leider sind solche Fakten in dem ständig wachsenden Berg von Erziehungsratgebern nur schwer zu finden. Für Eltern ist es schwierig zu entscheiden, was sie glauben sollen, und was nicht.
Der Neurobiologe John Medina bricht die wichtigsten Erkenntnisse der Hirnforschung auf äußerst amüsante und informative Weise herunter und beschreibt die zentralen Regeln, mit denen Eltern genau das Richtige tun können. (aus dem Klappentext)
Autor
John Medina ist Entwicklungsbiologe mit Schwerpunkt Molekularbiologie und Leiter des Brain Center for Applied Learning Research an der Seattle Pacific University.
Aufbau und Inhalt
Im Einführungskapitel beschäftigt sich Medina mit Mythen der kindlichen Entwicklung, welche Aussagen die Gehirnforschung machen kann und welche nicht. Medina führt die Saat-und-Boden-Metapher ein, die die Forschungsstränge „Anlage“ und „Umwelt“ versinnbildlichen sollen.
Im ersten Kapitel geht es um die Gehirnentwicklung in der Schwangerschaft. Es wird u.a. die Entwicklung der Sinne besprochen sowie Faktoren, die diese nachweislich beeinflussen (Gewicht, Ernährung, Stress und Sport).
Von großer Bedeutung ist nach der Geburt die (Bindungs-)Sicherheit des Säuglings. Wichtig ist dafür auch die Beziehung der Eltern. Das Kapitel bespricht Gründe für die „Feindseligkeit“ (wie Medina es nennt) zwischen den Eltern und wie sich dies auf die Gehirnentwicklung auswirkt. Er benennt Schlafmangel, soziale Isolation, ungleiche Verteilung der Hausarbeit und Depression als die häufigsten Streitursachen. Er zeigt aber auch Auswege auf.
In den beiden folgenden Kapitel geht es um Saat und Boden, um ein schlaues Baby zu bekommen. Im Kapitel „Saat“ beschäftigt sich der Autor mit dem Begriff der Intelligenz und den IQ-Tests. Mit der Metapher „Zutaten für Mamas Rinderschmorbraten“ beschreibt er als Grundlagen für die Gehirnentwicklung den Drang, Dinge zu erforschen, Selbstkontrolle, Kreativität, verbale und nonverbale Kommunikation“. Dem Kapitel „Boden“ steht als Leitsatz voran: „Gesichter anstelle von Bildschirmen“. Medina verdeutlicht, wie wichtig es ist, mit dem Kind zu sprechen, ihm Gelegenheit zum offenen Spiel zu geben und es richtig (für seinen Fleiß) zu loben. Dabei betont er immer wieder die Rolle der Exekutivfunktionen. Kritisch setzt er sich mit den digitalen Medien auseinander.
Die nächsten beiden Kapitel thematisieren das glückliche Baby (Kind), wiederum aufgeteilt in Saat und Boden. Im Bereich Saat wird die Bedeutung der Emotionen und Emotionsregulierung behandelt, folgend das Temperament und seine genetische Disposition. Trotz der genetischen Voraussetzungen gibt es vieles, was Eltern tun können (Boden). Zu allererst ist dabei die sichere Bindung zu nennen. Die weiteren Zutaten, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein glückliches Kind zu haben, sind ein fordernder, aber warmherziger Erziehungsstil (autoritativ), das Zurechtkommen mit den eigenen Emotionen, das Erkennen der Emotionen beim Kind, sich den Emotionen zu stellen und diese in Worte zu fassen. Und sehr wichtig: jede Menge Empathie.
Medina bespricht auch das „moralische Kind“. Hier sieht er die Theory of Mind und Emotionsverarbeitung als bedeutsam. Wichtig sind klare und konsequent umgesetzte Regeln, aber auch die Regeln zu erklären. Er setzt sich kritisch mit Sinn und Unsinn von Bestrafung auseinander. Wenn, dann müsse die Bestrafung prompt erfolgen. Er geht auch auf die Frage des Schlagens ein, u.a. weil in den USA im Gegensatz zu Deutschland dies nicht verboten sei.
Im Folgenden geht es um das müde Baby. Der Autor erklärt das Schlafverhalten von Säuglingen. Ausführlich diskutiert er die Vor- und Nachteile des Nighttime Attachment und der Cry-it-out-Methode. Er empfiehlt konkrete Schritte um herauszufinden, welche Strategie für das jeweilige Eltern-Kind-System am besten ist.
In den Schlussbemerkungen betont Medina nochmals die Bedeutung der Emotionen und von Empathie. Als Eltern habe man manchmal das Gefühl, dass das Kind nur nehme, jede Form des Nehmens sei aber eine versteckte Form des Gebens.
Das Buch endet mit vielen praktischen Tipps, jeweils bezogen auf die einzelnen Kapitel.
Diskussion
Schon im Einführungskapitel regt der Schreibstil an, weiter zu lesen.
John Medina erklärt Experimente anschaulich und mit viel Witz, z.B. wie er die die Herangehensweisen der Kindergartenkinder bei einem Experiment zum Belohnungsaufschub beschreibt. In einem anderen Beispiel fragt ein Vater eines Säuglings nach einem Vortrag, wie er seinen Sohn nach Harvard bringen könne. Medina antwortet „Gehen Sie nach Hause und lieben Sie Ihre Frau.“ Später im Text, nach der Besprechung der Auswirkungen von ehelichen Feindseligkeiten auf die kindliche Entwicklung, bemerkt er: „so viel zu Harvard“.
Wichtig ist für Medina immer die wissenschaftliche Evidenz der getroffenen Aussagen.
Wichtig ist ihm auch die Botschaft: kein Fernsehen für Kinder unter 2, dann gemeinsames Anschauen ausgewählter Sendung. Er ist bei seinen Aussagen aber nicht dogmatisch, so könne der Fernseher einmal als Nothandlung durchaus sinnvoll sein, wenn Eltern sehr gestresst sind, denn auch gestresste Eltern sind schädlich für die kindliche Entwicklung.
Seine Einstellung wird auch deutlich, wenn er schreibt, dass er behaupte, Erziehung drehe sich um das sich in der Entwicklung befindliche Gehirn; es gehe aber besonders um das in der Entwicklung befindliche „Herz“.
Die ausführlichen Literaturangaben zeigen, dass die relevante Literatur zeitnah und vollständig rezipiert wurde.
Angenehm finde ich, dass Leserinnen und Leser mit Sie angesprochen. Auch dies ist ein Zeichen von Respekt.
Das Buch ist nicht nur informativ, es macht auch Spaß, es zu lesen.
Zielgruppen
Entwicklungspsycholog*innen, Eltern, Großeltern.
Fazit
Das Buch vermittelt viel Wissen über die kindliche Entwicklung. Beginnend mit der Schwangerschaft wird (veranschaulicht mit den Metaphern Saat und Boden) die kindliche kognitive und emotionale Entwicklung (schlaues Baby und glückliches Baby), aber auch die moralische Entwicklung besprochen. Konkret ist auch das Schlafverhalten Thema. Wichtig ist in allen Bereichen der Umgang mit den kindlichen Emotionen, seiner Emotionsregulation, aber auch der Umgang der Eltern mit den eigenen Emotionen. Das Buch ist informativ und es macht Spaß, es zu lesen.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 19.10.2022 zu:
John Medina: Brain Rules für Ihr Baby. Wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen, dass Ihre Kinder schlau und glücklich werden. Hogrefe AG
(Bern) 2022. 3. überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-456-86153-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29474.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.
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