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Silke Birgitta Gahleitner: Professionelle Beziehungs­­gestaltung in der psychosozialen Arbeit und Beratung

Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Marion Locher, 10.06.2022

Cover Silke Birgitta Gahleitner: Professionelle Beziehungs­­gestaltung in der psychosozialen Arbeit und Beratung ISBN 978-3-87159-837-1

Silke Birgitta Gahleitner: Professionelle Beziehungsgestaltung in der psychosozialen Arbeit und Beratung. dgvt-Verlag (Tübingen) 2020. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. 124 Seiten. ISBN 978-3-87159-837-1. D: 14,90 EUR, A: 15,40 EUR.
Reihe: Beratung - 17.

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Thema

Die große Bedeutung sozialer Beziehungen im Lebensverlauf ist unbestritten. Auch in der Beratung und Sozialen Arbeit wird niemand in Abrede stellen, wie wirksam eine gelungene Beziehungsgestaltung sich in Hilfeprozessen auswirkt. Sie fördert „Gesundheit und Wohlbefinden, Rückhalt und Hilfe in … Krisen und Störungen“ (S. 9), so Silke Birgitta Gahleitner in ihrem aktuellen Buch „Professionelle Beziehungsgestaltung für die psychosoziale Arbeit und Beratung“. Der Band dekliniert das Thema Beziehung in Theorie wie Praxis von der Diagnostik bis zur Intervention gründlich durch, bietet Praktiker*innen damit eine solide Grundlage für professionelles Handeln und kann für Teams eine gute Orientierung für die gemeinsame Arbeitskultur geben.

Autorin

Silke Birgitta Gahleitner studierte Soziale Arbeit, Sozialwissenschaften und Psychologie. Mit dem Abschluss als Sozialarbeiterin und einer Integrativen Psychotherapie- und Beratungsausbildung war sie viele Jahre in der Sozialen Arbeit sowie in eigener Praxis tätig. Mit der Promotion in Klinischer Psychologie kehrte sie an die Hochschule zurück, wo sie zunächst in Ludwigshafen, ab 2006 in Berlin an der Alice Salomon Hochschule im Bereich Klinischer Psychologie und Sozialarbeit lehrte. Forschungsgebiete sind psychosoziale Diagnostik und Intervention, psychosoziale Traumatologie, Bindungs- und Beziehungsgestaltung und qualitative Forschungsmethoden. Die Habilitation in den Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität Dresden liegt der vorliegenden Publikation zugrunde.

Aufbau und Inhalt

Bereits das Vorwort von Frank Nestmann führt mit einem vielschichtigen Text in die Komplexität des Beziehungs- und Unterstützungsgeschehens in der psychosozialen Arbeit und Beratung ein. Die Autorin knüpft in ihrer Einführung daran an und zeigt damit die Thematik der professionellen Beziehungsgestaltung in ihrer Bekanntheit einerseits, aber ihrer geringen Ausformulierung andererseits. Nach einer ausführlichen Begriffsklärung unter Einbezug zahlreicher Quellen werden einige zentrale Konfliktlinien, u.a. das Thema Nähe und Distanz, aufgemacht. Abschließend wird in den Band eingeführt.

Der Theorieabschnitt handelt nach einer Vorstellung der Zielgruppe psychosozialer Arbeitsbereiche die Themen Vertrauen, Bindung, Netzwerke und soziale Unterstützung sowie Milieutheorien ab und geht dabei entwicklungstheoretisch bis auf die Identitätsbildung zurück. Bindungstheoretisches Wissen ist demnach eine wichtige Grundlage für professionelles Beziehungshandeln, aber zunächst eher dyadisch angelegt. Daher müssen soziale, alltagsweltliche und gesellschaftliche Aspekte über Netzwerk und Milieutheorien einbezogen werden, denn „in der psychosozialen Arbeit geht es … stets um das ‚Individuum in seiner Welt‘“ (S. 13), bemerkt die Autorin mit Verweis auf Thomae (1969, S. 151).

Das Praxiskapitel ist der innovativste Teil des Buches. Die vielen durch langjährige Forschung gewonnenen Zitate von Adressat*innen machen das Kapitel sehr lebendig und eingängig. Anhand von Fallvignetten aus Interviews mit Klient*innen aus den Praxisfeldern Beratung in der Tumorbehandlung, Frauen in Gewaltverhältnissen, Opferberatung und stationäre Jugendhilfe werden die vorangegangenen Theorieinputs mit der Praxis verbunden, um Leser*innen einen Einblick in die Komplexität professioneller Beziehungsgestaltungsprozesse zu geben. Es wird deutlich, welche „Einflussfaktoren für eine gelingende professionelle Beziehungsgestaltung sich interdisziplinär betrachtet herausarbeiten lassen“ (S. 13) und wie dies mit den vorausgegangenen Theoriekapiteln in Verbindung steht. Wenn Maria Melnar z.B. erzählt, wie behutsam die Streetworkerin das Vertrauensverhältnis zu ihr anbahnt und Stück für Stück Beziehung zu ihr aufbaut, könnte dies kein*e Professionelle*r besser schildern: „Die hat, die hat das gesehen, dass ich habe diese Vertrauen nix. Und die hat auf so langsam, langsam, langsam, langsam ist durch mich gekommen. Ja, öfters Gespräche, weißt du, und so, wie man sagt, mit Gespräche verdient man die, die Vertrauen“ (S. 56). Schritt für Schritt erschließt sich so die Theorie an konkreten Fallbeispielen.

Diskussion

Das Bändchen hat sich zum Ziel gesetzt, einen theoretisch anspruchsvollen Stoff praxisorientiert an Leser*innen zu vermitteln. Es bezieht sich in weiten Teilen explizit auf die Habilitationsschrift der Autorin (Gahleitner, 2014), hat aber gegenüber der Publikation „Soziale Arbeit als Beziehungsprofession“ (Gahleitner, 2017) die praktische Handhabbarkeit und Lesbarkeit in den Vordergrund gerückt. Dies gelingt vor allem durch den kompakten Theorieteil und die Falldarstellungen im Praxisteil des Buches, die den Leser*innen das konkrete Vorgehen in der Sozialen Arbeit und Beratung – im Kontrast zu therapeutischen Feldern – anhand der Beschreibungen der Adressat*innen lebendig veranschaulichen. Auch die einführenden theoretischen Kapitel sind verständlich geschrieben und für den Praxisgebrauch nutzbar, allerdings muss man es mögen, mit umfangreichem Quellenmaterial überschüttet zu werden. Die Hinweise bieten jedoch andererseits die Möglichkeit, eine Reihe von Themen entlang eigenen Bedürfnissen zu vertiefen.

Alles in allem ist der Autorin damit ein informatives, gut und auch in vertretbarer Zeit lesbares und praxisnahes Einführungsbuch in professionelles Handeln im Beziehungsbereich gelungen. Es macht Freude zu lesen und beschreibt das Thema grundlegend und dennoch praxisnah – und explizit für die Beratung und psychosoziale Arbeit. Es ist auch eine wichtige Grundlage für Fort- und Weiterbildungen sowie für fachliche Teamprozesse. Das macht verständlich, dass das Büchlein bereits nach einem Jahr in die zweite Auflage ging. Das Modell „Von der ‚schützenden Inselerfahrung’ zum ‚persönlich geprägten Netzwerk’“ (S. 93) fasst den Inhalt auch grafisch zusammen und bietet konzeptionelle Aufmerksamkeitslinien für die Praxis. Mir persönlich gefällt besonders gut der Ausflug in den personzentrierten Bereich, der die Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Beziehungskonzepten und humanistischen Grundorientierungen in Erinnerung ruft – ein häufig unterschlagenes Theoriekapitel.

Fazit

Der Autorin gelingt auf diese Weise eine Verknüpfung der verschiedenen Erfahrungsebenen Forschung, Theorie und Praxis. Silke Birgitta Gahleitner leistet mit dem Buch wichtige Entwicklungsarbeit für eine zentralen Schlüsselqualität für die Soziale Arbeit: für eine professionelle Beziehungs- und Umfeldgestaltung für Adressat*innen. Wer sich in Zukunft für professionelle Beziehungsprozesse – als grundlegende Basis gelingender Sozialer Arbeit und Beratung – interessiert, wird dieses Praxisbändchen sehr gut brauchen können, denn, so die Autorin selbst: „Im Bereich psychosozialer Arbeit – für AdressatInnen, KlientInnen und PatientInnen, die häufig bereits Beziehungsabbrüche und Vertrauensmissbrauch erlebt haben – ist die professionelle Beziehungs- und Umfeldgestaltung eine besonders vielgestaltige Angelegenheit“ (S. 10).

Literatur

Gahleitner, S. B. (2014). Professionelle Beziehungsgestaltung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Interdisziplinäre und integrative Perspektiven. Habilitationsschrift. Dresden: Technische Universität, Fakultät Erziehungswissenschaften.

Gahleitner, S. B. (2017). Soziale Arbeit als Beziehungsprofession. Bindung, Beziehung und Einbettung professionell ermöglichen. Weinheim: Beltz Juventa.

Thomae, H. (1969). Die biographische Methode in der Psychologie. In M. Thiel (Hrsg.), Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden. Bd. 7: Methoden der Psychologie und Pädagogik (S. 121-158). München: Oldenbourg.

Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Marion Locher
Personzentrierte Beraterin
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Es gibt 2 Rezensionen von Marion Locher.

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Zitiervorschlag
Marion Locher. Rezension vom 10.06.2022 zu: Silke Birgitta Gahleitner: Professionelle Beziehungsgestaltung in der psychosozialen Arbeit und Beratung. dgvt-Verlag (Tübingen) 2020. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-87159-837-1. Reihe: Beratung - 17. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29489.php, Datum des Zugriffs 07.06.2023.


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