Jörg F. Liesegang: Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) bei Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 24.08.2022

Jörg F. Liesegang: Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) bei Kindern und Jugendlichen. Praxisbuch zur Teihabe-Ermöglichung. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2022. 179 Seiten. ISBN 978-3-621-28787-6. D: 44,95 EUR, A: 46,50 EUR.
Thema
FASD, bezeichnet die Fetale Alkoholspektrumstörung. Geschätzt sind in Deutschland ca. 2 von 100 Menschen betroffen. Durch den Alkohol wird das Gehirn geschädigt, mit der Folge gravierender psychischer Behinderungen, die jedoch häufig nicht sichtbar sind. Betroffene erleben dann nicht selten, dass Erwartungen der Umwelt nicht zu den Fähigkeiten der Betroffenen passen, es kommt zu vorschnellen Bewertungen des auffälligen Verhaltens zum Beispiel als „faul“ oder „oppositionell“. Der Autor Jörg Liesegang stellt die neurobehaviorale Perspektive vor und eröffnet damit einen neuen Zugang dahingehend, was ist, wenn die Kinder aufgrund ihrer Funktionsbeeinträchtigung wirklich nicht anders können. Er reflektiert, welche Unterstützung Betroffene brauchen und wie eine faire Hilfestellung aussehen kann. Er orientiert sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO.
Autor
Dr. med. Jörg Liesegang arbeitet als leitender Oberarzt der Tagesklinik sowie der Psychiatrischen Institutsambulanz am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist im Hardcover erschienen und hat einen Umfang von 179 Seiten, die sich in fünf Kapitel und zahlreiche Unterkapitel gliedern. Im Anhang findet sich ein Literaturverzeichnis, eine Übersicht und Beschreibung der Arbeitsmaterialien (herunterzuladen als E-Book) sowie ein Sachwortverzeichnis, um schnell nach Stichworten zu suchen. Am unteren linken Seitenrand ist die Kapitelüberschrift abgedruckt, am rechten unteren Seitenrand findet sich die Angabe zur Überschrift des jeweiligen Unterkapitels. Zahlreiche grau hinterlegte Textboxen, Tabellen und Abbildungen erklären und ergänzen die Ausführungen und lockern den Fließtext auf. Das Buch ist in der femininen Genderform geschrieben.
Das vollständige Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Homepage der Deutschen Nationalbibliothek.
Das erste Kapitel Diagnosestellung einer FASD betrachtet die Entwicklung der Diagnostik der Fetalen Alkoholspektrumstörung. Dabei wird die Diagnosestellung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet:
- a) aus der Perspektive der deutschen S3-Leitlinie,
- b) aus der Perspektive der Angst vor Stigmatisierung,
- c) aus der Perspektive in Bezug auf die leibliche Mutter,
- d) aus der Perspektive des Selbstbildes sowie
- e) aus der Perspektive in Bezug auf die Zukunft.
Das zweite Kapitel bearbeitet die neurobehaviorale Perspektive in Bezug auf hirnorganische Veränderungen und Verhalten bei FASD. Betrachtet werden Verhaltensauffälligkeiten als sekundäre Veränderungen bei FASD, der Autor gibt Einblicke in die neurobehaviorale Perspektive und die Pädagogik, besprochen werden auch die Psychotherapie und Entwicklungsmöglichkeiten. Das Kapitel endet mit typischen Fragen und Antworten zur neurobehavioralen Perspektive und der Frage nach Teilhabe als Ziel der neurobehavioralen Perspektive.
Die Beratung im Alltag bildet den Mittelpunkt des dritten Kapitels in Hinblick auf den Beratungsprozess sowie typische Themen bei FASD-Beratungen. Liesegang stellt ein FASD-Beobachtungsschema, einen Fragebogen zu Fähigkeiten, Verhalten und Selbstbild als Orientierung vor und zeigt ein Hypothesenschema bei konkreten Schwierigkeiten im Alltag wie das Teilhabe-Ermöglichungs-Modell, das in seiner Spezialsprechstunde entwickelt wurde. Das ist ein Hypothesenschema, mit dem aus drei Perspektiven konkrete Schwierigkeiten besprochen werden können (Beispiele S. 79–85). Dieses Kapitel endet mit Grundhaltungen im Beratungsprozess. Wichtig ist: Das Tempo der Beratung richtet sich nach den Notwendigkeiten und danach, ob es gelingt, ein gemeinsames Erkennen von Symptomen und eine gemeinsame Sprache zu finden.
Des Weiteren verwendet Liesegang ausschließlich den Begriff „Beratung“ statt „Beratung und Therapie“, weil aus seiner Sicht „Beratung“ ein Begriff ist, der noch nicht auf eine Pathologisierung zurückgreift, sondern hervorhebt, dass es einen Klärungsbedarf gibt. Jede Beratung ist Kommunikation und jede Kommunikation braucht ein gemeinsames Verstehen, eine Abstimmung über das Gleiche zu reden. Eventuell liegen Einschränkungen der Hirnfunktionen vor, deren Erkennen und Berücksichtigen eine Teilhabe erleichtern können, das gleiche gilt für eventuelle Barrieren und unpassende Erwartungen der Umwelt, deren Erkennen und Berücksichtigen eine Teilhabe ebenfalls erleichtern können.
Beratung ist immer ein Prozess. Liesegang stellt das sog. 5-Schritte-Modell vor, das aus der Multifamilientherapie nach Eia Asen stammt. Es handelt sich dabei um eine systemische Basistechnik, um in einem Beratungskontext dahin zu kommen, über das Gleiche zu kommunizieren. 1. Beobachtung, 2. Wahrnehmungsvergleich, 3. Bewertung, 4. Veränderungswunsch und 5. Aktion – der erste Schritt.
Zur Schaffung von guten Entwicklungsbedingungen braucht es eine Stellungnahme der Beraterin, so auch der Titel des vierten Kapitels, dabei werden 42 Aspekte unter verschiedenen Kategorien genauer betrachtet. Diese Ausführungen sind jeweils in der gleichen Struktur aufgebaut und nutzbar: der Titel z.B. Orientierung, die Einordnung in die ICF-Kategorie, Beschreibung von Beobachtungsmerkmalen, Beispiele aus dem Alltag anhand Fallvignetten sowie erste Ideen der Anpassung bei Einschränkungen.
Im Mittelpunkt steht der Ist-Zustand von Hirnfähigkeiten mit der besonderen Beachtung von Orientierung, Intelligenz, globale psychosoziale Funktionen, Anpassung, Stabilität, Ausdauer, Zugänglichkeit, Geselligkeit, Umgänglichkeit, Gewissenhaftigkeit, psychische Stabilität, Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Optimismus, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Motivation, Appetit, Impulskontrolle, Schlafen, Aufmerksamkeit, Kurzzeitgedächtnis, Abrufen und Verarbeiten von Gedächtnisinhalten, Psychomotorische Kontrolle, Situationsangemessenheit von Emotionen, Affektkontrolle, Spannweite von Emotionen, auditive Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung, Geruchswahrnehmung, Geschmackswahrnehmung, Berührungswahrnehmung, räumlich-visuelle Wahrnehmung, Denkgeschwindigkeit, Abstraktionsvermögen, organisieren und planen, Zeitmanagement, kognitive Flexibilität, Einsichtsvermögen, Entscheidungsfähigkeit, Problemlösen, Sprache als Fähigkeit und die Wahrnehmung von Zeit. Die Erklärungen zu den aktuellen Umweltbedingungen und die Beschreibung der aktuellen Aktivitäten und Teilhabe weisen im Aufbau ebenso die gleiche Struktur auf: zuerst die Beschreibung des Themas, dann Beispiele und zuletzt die Beeinflussungsmöglichkeiten. In Zusammenhang mit den aktuellen Umweltbedingungen werden neun Aspekte wie Produkte, Substanzen und Technologien, Licht und Geräusche, die Familie und das soziale Umfeld, Autoritätspersonen und Hilfspersonen, Tiere, Einstellungen sowie Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze genannt. Die Beschreibung der aktuellen Aktivitäten (im Sinne von Selbstwirksamkeit) und Teilhabe (im Sinne von Teil in einem sozialen Ganzen zu sein) nimmt Bezug auf die Themen Lernen, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung und häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen sowie bedeutende Lebensbereiche und endet mit Beschreibungen der Fähigkeiten, Einschränkungen und Empfehlungen der Stellungnahme.
Das fünfte und letzte Kapitel zur Teilhabe-Ermöglichung erläutert spezielle Unterstützungs- und Therapieangebote, diese werden an drei Fallbeispielen vertieft: 1.Fallbeispiel: Entwicklungschancen, 2. Fallbeispiel: Selbstbestimmtheit der Diagnose 3. Fallbeispiel: Teilhabe-Ermöglichung.
Diskussion
In den USA spricht man beim FASD auch von einer „silent disease“, also einer stillen Krankheit. Diese Bezeichnung weist darauf hin, dass dieses Erscheinungsbild nicht auffällig ins Auge fällt, sondern eines fachlichen und überlegten Umgangs benötigt. Nicht selten werden Betroffene mit FASD dazu aufgefordert werden, sich mehr anzustrengen. Das ist nach Liesegang unfair, denn er weiß aus seiner Arbeit, dass Betroffene selber den Eindruck haben, sich in solchen Situationen bereits zu 180 Prozent anzustrengen, diese Diskrepanz führt zu Frustration.
Liesegang vertritt die neurobehaviorale Perspektive und empfiehlt, sich den betroffenen Kindern und Jugendlichen und der Diagnose behutsam zu nähern, zuzuhören, partnerschaftlich auf Augenhöhe entsprechend der vorhandenen Lebensbedingung. „Veränderte Hirnfähigkeiten resultieren oft für die betroffenen Menschen in unsichtbaren psychischen Behinderungen im Alltag“ (S. 11).
Die neurobehaviorale Perspektive verändert Einschätzungen z.B. dahingehend, dass auffälliges Verhalten als Folge einer Hirnfunktionsstörung eingeordnet werden kann und nicht als absichtliches Verhalten. Durch diese veränderte Perspektive fühlen sich Betroffene besser verstanden und bekommen neue Ideen für alternative Handlungsmöglichkeiten. Eine Tabelle auf den Seiten 44 und 45 zeigt Entwicklungsmöglichkeiten von persönlichen Annahmen wie z.B. „das Kind will nicht“ hin zu einer anderen Perspektive „das Kind kann es noch nicht“.
Eine Abbildung auf S. 46 zielt auf die Teilhabe aus der neurobehavioralen Perspektive, die von der Passung zwischen Fähigkeiten und Anforderungen beeinflusst ist. Bekannt ist, dass Menschen mit einer anderen hirnorganischen Entwicklung einem höheren Risiko ausgesetzt sind, psychisch zu erkranken. Sie haben weniger Fähigkeit zu Resilienz (Widerstandskraft) und psychischen Selbstheilung, oft fehlt es an Stimmigkeit zwischen der Innenwahrnehmung und dem Leben, das nimmt Einfluss auf das Selbstbild. Ein kongruentes Selbstbild ist wichtige Voraussetzung für psychische Gesundheit. Erschwerend kommt für Betroffene, die unter den Bedingungen von FASD leben, hinzu, dass behauptet wird, sie seien nicht psychotherapiefähig. Dieser Behauptung widerspricht Liesegang! Nach seiner Ansicht scheitert die Psychotherapie an „der Unfähigkeit der Psychotherapeutin, sich auf die Kommunikationsart der Klientin einzustellen“(S. 46). Diese Erkenntnis ist zentral, denn sie verändert die Perspektive: statt das Betroffene als Problemfall in den Fokus genommen werden, ist es Aufgabe des Umfeldes, Möglichkeiten zu finden, mit der Situation umzugehen.
Liesegang empfiehlt als praxiserprobten Schutz Struktur. In der Abbildung auf S. 64 wird eine Struktur vorgestellt, die aus vier Beratungsphasen besteht, diese können transparent mit den Klientinnen besprochen werden, so wissen alle Beteiligten, was das aktuelle Thema ist (im E-Book gibt es dazu Arbeitsblätter unter dem Kürzel „AB 6 Beratungsschema FASD“). Die Phasen sind nach seiner Ansicht aber nicht linear, sondern bezeichnen Zustände, die sich verändern können, also auch hin und her wechseln können, je nachdem, welche Herausforderungen sich stellen oder welche Entwicklungen genommen werden. Die einzelnen Phasen werden vertiefend beschrieben, daraus können weitere Perspektiven abgeleitet werden, je nachdem, zu welchen Reaktionsmustern eine Neigung besteht (S. 65).
Die Haltung von Liesegang ist bemerkenswert. Statt einer defizitorientierten rein medizinisch geprägten Sichtweise versteht er Diagnosen als Raster, die sich hervorragend dazu eignen, sich gegenseitig zu verständigen und zu versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Grundsätzlich gilt das Prinzip immer zuerst den Menschen zu sehen, denn kein Mensch ist oder hat eine Diagnose!
Nach seinem systemischen Verständnis ist eine Diagnose ein Konstrukt und dieses Konstrukt wird sinnvoll genutzt, um Schwierigkeiten zu verstehen und Hilfen zu ermöglichen. Diagnosen sind Instrumente der Beschreibung, der Verständigung und des Ermöglichens. Liesegang weist ausdrücklich darauf hin: Diagnosen sind keine Urteile, allerdings weiß er aus seiner Praxis auch, dass Diagnosen, die Ursachen beinhalten, nicht selten viele Abwehrmechanismen auslösen, gerade bei der Diagnose FASD tritt dieser Effekt auf, denn die Diagnose beinhaltet, dass die Mutter in der Schwangerschaft Alkohol zu sich genommen hat. Sein Ansatz ist ein anderer: Um mit dem Familiensystem arbeiten zu können wird die Diagnose FASD in einen anderen Rahmen gestellt und festgestellt: Diese Diagnose ist eine Katastrophe, so wie eine Rötelerkrankung eine ist. Bei letzter wird die Mutter anders behandelt als bei einer FASD Diagnose.
Der Autor macht darauf aufmerksam, dass viele Menschen, die sich eine Beratung bei FASD einholen, anfänglich oft quasi wie in einem Strudel der Ereignisse von Dekompensationen und Eskalationen verloren sind und in dieser Situation den nächsten Schritt nicht mehr erkennen können, sie sind kurz gesagt orientierungslos. Aus psychohygienischer Sicht kann diese Orientierungslosigkeit sehr ansteckend sein, sodass Fachleute gut beraten sind, sich dieser Orientierungslosigkeit nicht ohne Schutz auszusetzen. Hier bietet strukturiertes Arbeiten Schutz und gibt Transparenz (darauf weist er auf S. 64 hin).
Liesegangs Buch ist prall gefüllt mit praxiserprobten Strategien sowie einem notwendigen Wissen zu theoretischen Hintergründen, die in verständlicher Form erklärt werden. Ein Buch, das schwer aus der Hand zu legen ist, weil es zahlreiche Hilfestellungen u.a. aus neurobehavioraler Perspektive gibt und neue Denkpfade eröffnet. „Die Passung zwischen Fähigkeiten der Betroffenen und Anforderungen und Erwartungen der Umwelt macht Teilhabe leichter möglich“ (S. 75).
Positiv hervorzuheben ist auch, wie es dem Autor gelingt, fortlaufend den Rahmen des Bundesteilhabegesetz (BTHG) und das biopsychosoziale Modell der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der WHO einzubeziehen. Er bricht die ICF auf die Praxis herunter und macht sie damit verständlich und auf die Alltagspraxis übertragbar. Entlang der ICF beschreibt der Autor eine Reihe von Beobachtungen, die oft im Zusammenhang mit Menschen, die unter den Bedingungen von FASD leben auffällig sind. Aber er weist auch darauf hin, dass zwar schon Core-Sets für die Diagnosen Aufmerksamkeitstörungen und Autismus vorliegen, nicht aber für FASD. „Gestützt wurde die Auswahl der ICF -Kategorien durch die von Bölte und anderen geschaffenen sog. ICF-Core-Sets“ (S. 93) zu den Diagnosen Aufmerksamkeitsstörungen und Autismus, mit dem Hintergrund, dass diese zu FASD noch fehlen.
Meine Empfehlung: Anwendung von Strategien der Strukturierung und Visualisierung, wie in der Arbeit mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum gebräuchlich. Im Buch finden sich zwar vereinzelt Hinweise zu dieser systematischen Arbeitsweise wie z.B. der Einsatz des sog. Time Timer (S. 86), die Anwendung von Tagesplänen oder das Perlenbeispiel zum Verstehen des Konzeptes von Zeit, leider fehlt der Hinweis auf den TEACCH ® Ansatz, der in den 1970er Jahren in den USA für Kinder aus dem autistischen Spektrum sowie für Kinder mit Kommunikationsbeeinträchtigungen entwickelt wurde und bei FASD spielt die Kommunikation eine große Rolle.
Leider findet sich im Buch keine Hinweise zu den pädagogischen Prinzipien und der Arbeitsweise der TEACCH® Philosophie. Auch das schrittweise Vorgehen (dem sog. Zwei-Wege-Ansatz) deckt sich mit der Haltung des Autors: zuerst wird immer die Umwelt verändert statt den Menschen zu therapieren. Im Zwei-Wege-Ansatz liegt großes Potenzial, auch darauf weist Liesegang mehrfach hin, eine Vertiefung findet sich im vierten Kapitel, in dem die Schaffung von guten Entwicklungsbedingungen in Bezug auf 42 Aspekte genauer betrachtet wird. Die Erklärungen sind jeweils in der gleichen Struktur aufgebaut und nutzbar: der Titel z.B. „Orientierung“, die Einordnung in die ICF-Kategorie, Beschreibung von Beobachtungsmerkmalen, Beispiele aus dem Alltag sowie erste Ideen der Anpassung bei Einschränkungen. Auch dabei zeigen sich viele Überschneidungen mit dem Erscheinungsbild Autismus, eine weitere Begründung dafür, das methodische Arbeiten nach TEACCH® in der Arbeit mit FASD-Betroffenen anzuwenden.
FASD, also die Fetale Alkoholspektrumstörung, hat seine Ursachen im Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft. Geschätzt sind in Deutschland ca. 2 von 100 Menschen betroffen. Durch den Alkohol wird das Gehirn geschädigt, mit der Folge gravierender psychischer Behinderungen, die jedoch häufig nicht sichtbar sind. Betroffene erleben oft, dass Erwartungen der Umwelt nicht zu ihren Fähigkeiten passen, sie erhalten vorschnell Bewertungen des auffälligen Verhaltens wie zum Beispiel, dass sie „faul“ oder „oppositionell“ sind. In diesem Buch vertritt der Autor Jörg Liesegang eine neurobehaviorale Perspektive gepaart mit Erkenntnissen aus der Systemtheorie. Er eröffnet damit einen neuen Zugang, der hilft, zu reflektieren, was ist, wenn die Kinder aufgrund ihrer Funktionsbeeinträchtigung wirklich nicht anders können, welche Unterstützung Betroffene brauchen und wie eine faire Hilfestellung aussehen kann. Er orientiert sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO.
So gelingt ihm ein ressourcenorientierter Brückenschlag – von der Diagnostik über die Stellungnahme der Beratung gegenüber Jugendamt oder Schule bis zur Psychoedukation der Betroffenen selbst. Das hier vorgelegte Buch ist ein gelungenes Praxisbuch zur Ermöglichung von Teilhabe.
Die Aussagen von Liesegang sind immens wichtig: Teilhabe ermöglicht eine gesunde Entwicklung des Selbst in einem sozialen Umfeld. Teilhabe ist die beste Medizin (S. 163). Die systemische Perspektive gepaart mit einem breiten Theorie- und Praxiswissen zu Hintergründen und möglichen Fallstricken macht das Buch äußerst lesenswert. Ein must have für alle, die beruflich und persönlich mit dem Erscheinungsbild FASD in Berührung kommen.
Fazit
FASD, also die Fetale Alkoholspektrumstörung, hat seine Ursachen im Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft. Der Autor Jörg Liesegang vertritt eine neurobehaviorale Perspektive gepaart mit Erkenntnissen aus der Systemtheorie und eröffnet damit einen neuen Zugang. Die Aussagen von Liesegang zur Teilhabe sind immens wichtig: Teilhabe ermöglicht eine gesunde Entwicklung des Selbst in einem sozialen Umfeld. Teilhabe ist die beste Medizin (S. 163). Die systemische Perspektive gepaart mit einem breiten Theorie- und Praxiswissen zu Hintergründen und möglichen Fallstricken macht das Buch äußerst lesenswert. Ein must have für alle, die beruflich und persönlich mit dem Erscheinungsbild FASD in Berührung kommen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 24.08.2022 zu:
Jörg F. Liesegang: Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) bei Kindern und Jugendlichen. Praxisbuch zur Teihabe-Ermöglichung. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2022.
ISBN 978-3-621-28787-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29494.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.
Urheberrecht
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