Winfried Rief (Hrsg.): Psychotherapie
Rezensiert von Dr. phil. Ulrich Kießling, 18.07.2022

Winfried Rief (Hrsg.): Psychotherapie. Ein kompetenzorientiertes Lehrbuch. Urban & Fischer in Elsevier (München, Jena) 2021. 893 Seiten. ISBN 978-3-437-22601-4. D: 99,00 EUR, A: 101,80 EUR.
Thema
Das hier vorgelegte Lehr- und Handbuch setzt mehr noch als das kürzlich erschienene Integrative Lehrbuch von Senf/Broda/Voos/Neher (Hg.) weniger auf den Diskurs der traditionellen Therapieschulen als vielmehr auf die Ergebnisse empirischer Forschung, insbesondere der Psychotherapieprozessforschung.
- Getrennt noch nach Krankheitsbildern und theoretischen Orientierungen und Settings, manchmal aber auch integrativ, werden Kompetenzen identifiziert, deren Anwendung sich als evidenzbasiert erwiesen hat.
- Das ist ein fast reines „Psychologenbuch“: Nur wenige Mediziner sind beteiligt, keine Sozialwissenschaftler und auch keine Pädagogen (im Moment noch 80 % der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen). Unter den 97 Autor*innen sind nur 7 ärztliche. Das Selbstverständnis, Psychotherapie als Teil der klinischen Psychologie zu sehen ist umgesetzt.
Autor*innen
Winfried Rief (*1959) studierte Psychologie an der Uni Trier (1979–1984). Er zunächst an der Forschungsstation der Universität Konstanz und am psychiatrischen Landeskrankenhaus Reichenau tätig, wo er 1987 zum Thema „Informationsverarbeitung bei Schizophrenen“ promovierte. Seine Habilitation erlangte Rief 1994 an der Uni Salzburg zum Thema „Somatoforme Störungen und Hypochondrie“. Es folgten klinische Tätigkeiten am Psychiatrischen Krankenhaus Rottweil (1986–1987) sowie an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck (Prien am Chiemsee), wo er ab 1989 als leitender Psychologe tätig war. Seit 2000 ist Rief Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Marburg und zusätzlich Gastprofessor an den Universitäten Auckland (2002), Havard (Medical School - 2004/05), San Diego (2009/10). Er ist Sprecher der Kommission „Psychologie und Psychotherapieausbildung“ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und war zudem einige Jahre Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin (2001–2005).
Elisabeth Schramm (*vertraulich), Dipl.-Psych., ist Verhaltens- und interpersonelle Therapeutin, leitende Psychologin und Forschungsgruppenleiterin (Sektion Psychotherapie in der Psychiatrie) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg im Breisgau. Sie gilt als internationale Depressionsexpertin und hatte mehrere Gastprofessuren in den USA inne (Pittsburgh, Los Angeles). Schramm ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Interpersonelle Therapie und war Präsidentin des internationalen CBASP-Netzwerks (Cognitive Behavioural Analysis System of Psychotherapy).
Bernhard Strauß (*1956), Dipl. Psych., ist psychodynamischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker, Gruppenanalytiker, bis 1986 an der Abteilung Sexualforschung in Hamburg Eppendorf tätig. Er promovierte zum Dr. phil. an der Uni Hamburg zu Zeitreihenanalysen und habilitierte 1991 in Kiel mit psychologischen Untersuchungen von Sterilitätspatientinnen, übernahm 1992 eine Vertretungsprofessur in Hamburg und wurde 1996 Direktor des Instituts für psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie der Universiätt Jena (von 1996–2000 Geschäftsführer). 2000–2003 war er Vorsitzender des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin, 2000 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie und 2008/2009 Präsident der internationalen „Society for Psychotherapy Research“ (SPR). Als Hauptautor (mit Elmar Brähler) des Forschungsgutachtens zur Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten (PP) und zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) hatte er sich noch für eine Beibehaltung des verfahrensspezifischen Ausbildungsmodells nach dem bisherigen Psychotherapeutengesetz ausgesprochen.
Entstehungshintergrund
Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob die Psychotherapeutenausbildung eher „schulenbezogen“ (kognitiv-verhaltenstherapeutisch, psychodynamisch, humanistisch, systemisch) oder kompetenzorientiert methodenintegrativ gestaltet sein soll. In der Realität werden die meisten Therapeut*innen schulenbezogen ausgebildet. Die Vertreter der akademischen Psychologie fordern seit langem aber eine kompetenzorientierte schulenübergreifende Ausbildung (z.B. Klaus Grawe, Hansruedi Ambühl) wie sie aber nur an wenigen universitären Ausbildungsstätten realisiert wird. Der Vorwurf an diese Ausbildungen aus humanistischer oder psychodynamischer Perspektive ist, dass diese Ausbildungen auf neopositivistische Logiken enggeführt sind und existenziellen und emotionalen Erfahrungen nicht gerecht werden können.
Aufbau/Inhalt
Das Werk ist in 51 Kapitel gegliedert, 97 zum großen Teil sehr ausgewiesene Wissenschaftler:innen haben unmittelbar mitgewirkt. Die Hauptteilüberschriften sind unterschiedlich farbig gedruckt und mit römischen Ziffern gekennzeichnet:
I. Persönliche Kompetenzen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten: Kapitel 1–4
1.1. Therapeutische Kompetenz als (relativ) neues Thema in der Psychotherapie
1.2. Fachkompetenz und wissenschaftliche Kompetenz
1.3. Fertigkeiten (Skills) und Fähigkeiten (Abilities)
1.4. Mentalisierung als reflexive und selbstreflexive Kompetenzen
1.5. Kommunikative Fähigkeiten
1.6. Flexible Gestaltung von Interaktionssituationen
1.7. Emotionsregulation
1.8. Merkmale erfolgreicher Psychotherapeut:innen und Effektivität der Umsetzung
II. (violett) Störungsspezifischer Teil: Kapitel 5–27
III. (türkis) Verfahrensspezifischer Teil: Kapitel 28–38
IV. (violett) Allgemeiner Teil: Kapitel 39–51
Inhalt
zu I:
Vor allem die Beschreibung der persönlichen Kompetenzen entspringt dem relativ neuem Ansatz der Psychotherapieforschung, den Einfluss von Therapeutenvariablen auf das Therapieergebnis zu ermitteln (für den deutschen Raum etwa Wampold et al. 2018). Von verhaltenstherapeutischer Seite (vgl. Rief in Tab.1.1.) werden Kompetenzen darin beschrieben, die „Befunde und Konzepte der empirisch-wissenschaftlichen Psychologie auf die Beschreibung des Verhaltens und Erlebens von Patientinnen anzuwenden“. Das Münchener Modell psychoanalytischer Kompetenzen (von Will 2019) vermittelt demgegenüber letztlich eine Vorstellung persönlicher emotionaler Reife, die mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion einhergeht und den Therapeuten von eigenen Handlungsimpulsen entlastet.
Laireiter führt Kompetenz auf Fähigkeiten und Fertigkeiten zurückführt, die letztlich als trainierbare Variablen erscheinen (bezugnehmend auf Kanfers Selbstmanagementkonzept 2012): Psychotherapeutische Basisfähigkeiten/Gesprächstechniken/Diagnostische Fertigkeiten und Kompetenzen/Konzeptionelle und strategische Fertigkeiten/Prozessfertigkeiten/Methodisch-technische Fertigkeiten/Methoden/Interventionskompetenz – meines Erachtens lassen die sich auf jede Form professionellen Verhalten herunterbrechen. Kernbergs Kritik an der üblichen psychoanalytischen Ausbildungskonstellation lautet: Psychoanalytische Institute seien Berufsfachschulen ähnlich, sollten aber eine Mischung aus wissenschaftlicher Forschungseinrichtung und Kunsthochschule sein; das trifft auf den Fertigkeitenerwerb erst recht zu.
Zu II:
Im Mittelpunkt des 2. Hauptabschnitts steht die Förderung der persönlichen Kompetenzen, im Therapeutensprech als Abilities und Skills bezeichnet, in der Aus- und Weiterbildung. Auch wird der Schwerpunkt im Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie gelegt. Während die psychodynamischen Modelle eher auf emotionale Reife abzielen, die als eine hohe reflexive Kompetenz anstelle von Spontanität oder gar Impulsivität gesehen wird (siehe den Betrag von Svenja Taubner und Oliver Evers), zielen die verhaltenstherapeutischen Ansätze eher auf instrumentelle Kompetenzen (Gestaltung von Kommunikation, Kompetenz zur Emotionsregulierung, Effektivität der Umsetzung von Kompetenzen). Grundsätzlich alle Behandlungen in manualisierter Form durchführen zu können, weil das die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Therapien im Rahmen von RCT-Studien ist, legt einen schulenbezogenen Anspruch fest, in dem die empathische Auseinandersetzung mit szenisch mitgeteilten Beziehungsepisoden im Rahmen eine psychodynamischen Behandlung schwer abzubilden ist – erst recht der Einfühlung in eine Lebensgeschichte im Rahmen einer bestimmten kulturellen Situation die ihren transgenerationalen Niederschlag auf die Biographie der/des Patient*innen gefunden hat.
Zu III:
Unter diesem Punkt wird „ein verfahrensübergreifendes Modell für psychische Störungen als Grundlage der Therapieplanung“ vorgestellt. Das Modell enthält fünf Elemente:
Prädisposition bzw. Vulnerabilität, Eigendynamik der Störung, Ausbruch oder Exazerbation, Interaktion zwischen Persönlichkeitsmerkmalen/Umwelt sowie aufrechterhaltende Faktoren.
Dieses multifaktorielle bio-psycho-soziale Konzept versucht psychodynamische, verhaltenstherapeutische, systemische und humanistische Erklärungsansätze zur Krankheitsentstehung zu integrieren oder zumindest nebeneinander zu stellen. Hier wird für die Psychotherapie nachvollzogen, was in angrenzenden Disziplinen (z.B. Psychiatrie) relativ normal ist, nämlich dass Psychopathologie als multifaktorieller Prozess zu betrachten ist. Viele einschlägige Lehrbücher enthalten nur die Perspektive ihres Verfahrens; alternative Sichtweisen werden oft nur angedeutet.
Der störungsspezifische Teil des Buchs enthält Beschreibungen der Störungsbilder nach ICD 10, teilweise ICD 11 und DSM 5. Die Kapitel enthalten gegenüber den Orginaltexten an die Erfordernisse des Lehrtexts adaptierte Angaben zu Epidemiologie, Klassifikation, Diagnostik und Therapie, speziell die Therapie-Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften mit Darstellungen der empirischen Evidenz zu den jeweiligen Therapieverfahren. Als Verfahren der ersten Wahl wird fast immer die Kognitive Verhaltenstherapie genannt, da für dieses Behandlungsverfahren jeweils die höchste Evidenz in randomisierten kontrollierten Studien (RCT-Studien) vorliegt, was von den Verantwortlichen des Buchs als „Goldstandard“ gesehen wird. Gewissermaßen handelt es sich dabei um einen Artefakt: Von Verhaltenstherapeuten im Sinn der experimentellen Psychologie entwickelte Behandlungsverfahren können auch am besten von ihnen selbst auf Wirksamkeit überprüft werden, weil die Kriterien für Wirksamkeit verfahrensimmanent sind.
III Verfahrensspezifischer Teil
Dieser Abschnitt stellt für die Autor*innen einen Kompromiss dar, gewissermaßen ein Zugeständnis an die heutige klinische Wirklichkeit, die in hohem Maß verfahrensspezifisch ist. Auch dieser Abschnitt beginnt mit verfahrensübergreifenden Veränderungsmodellen:
In einem Vergleich der pro und kontra Argumente liegt das Kontra letztlich auf Seiten der Psychoanalyse: Ein Aufgeben seiner Kernbestände (wie z.B. Symptombildungen folgen einer Psychodynamik des Unbewussten) oder deren Ersetzung durch eine allgemeine psychologische Störungstheorie würde Verfahren zerstören. Die Kognitive Verhaltenstherapie hingegen kann jedes psychologische Konzept integrieren, sobald es eine hinlängliche empirische Evidenz dafür gibt (z.B. Teile der buddhistischen Meditationspraxis als Bestandteil der DBT).
Gleichzeitig lassen sich übergreifende allgemeine und spezifische Wirkfaktoren benennen – etwa Beziehung. Obwohl auch allgemeine Variablen für Beziehung beschreibbar sind, hat die APA (American Psychological Association) eine Task Force gebildet, die die empirische Fundierung von Beziehungskonstrukten überprüft (z.B. Bindung, Kohäsion, Empathie, Zielkonsens, positive Wertschätzung, Rückmeldung durch Patient:innen).
In der klinischen Praxis sind Beziehungskonstruktionen allerdings hoch spezifisch (z.B. Basisvariablen der personzentrierten Psychotherapie, Übertragungsbeziehung in der psychodynamischen Therapie). Natürlich stehen allgemeinmenschliche Regeln über verfahrensspezifischen Strategien und werden durch diese nicht in ihrem Geltungsanspruch beschnitten – dennoch sind die verfahrensspezifischen Ansprüche für das Praktizieren einer bestimmten Form von Psychotherapie konstitutionell.
Die vier Wirkfaktoren von Psychotherapie nach Grawe (1995)
- motivationale Klärung oder Intentionsveränderung
- Problembewältigung oder Intentionsrealisierung
- Problemaktualisierung oder prozessuale Aktivierung
- Ressourcenaktivierung
sind für alle Psychotherapieverfahren zutreffend; sie muten aber auch so unspezifisch an, dass sie gleichermaßen auf jede intentionale Intervention bezogen werden können.
IV Allgemeiner Teil:
Dieser Hauptteil des Buches umfasst sämtliche Aspekte der psychotherapeutischen Berufsausübung aller Kolleg*innen, betreffend z.B. das bundesdeutsche psychosoziale Versorgungssystem insgesamt, das Berufsrecht, administrative Aufgaben, ethische Fragen, Kooperationsprobleme zwischen Psychotherapie (SGB V) und Jugendhilfe (SGB VIII)…, zugleich unerwünschte Effekte psychotherapeutischer Behandlungen, psychopharmakologische und genderbezogene Fragen, transkulturelle Aspekte der Psychotherapie, das Spannungsfeld Psychotherapie und komplementäre Therapien, Aspekte der teilstationären und stationären Psychotherapie, Fragen der Begutachtung in klinischen Fragestellungen und zuletzt Aspekte der Psychotherapieforschung.
Diskussion
Die diesem umfassenden kompetenzorientierten Lehrbuch zugrunde liegende empirische Psychotherapieforschung schließt subjektwissenschaftliche und in gewissen Umfang auch kulturelle und gesellschaftliche Perspektiven aus. Diese Engführung scheint der Preis für ein (vermeintlich schulenübergreifendes und die klinische Notwendigkeit abbildendes) einheitswissenschaftliches Design von Forschungsperspektive, Vergleichbarkeit, Wiederholbarkeit und weiteren Qualitätskriterien zu sein. Im Vergleich dazu muten die klassischen Therapieschulen an wie auf überkommene Mythen gegründete esoterische Konzepte, bei denen gefragt werden müsse, ob die Art der Theoriebildung nicht an gewöhnlichen Personen vorbeigehe (hat ein durchschnittlicher moderner Internet-User überhaupt ein Über-Ich).
Im vorliegenden Werk sind auch einige Psychoanalytiker beteiligt, die auf hohem theoretischem Reflexionsniveau horizontüberblickend unterwegs sind (etwa Bernhard Strauß und Timo Storck, Svenja Taubner und Henning Schauenburg). Die Hauptgruppe der Autor*innen scheint jedoch ein einheitswissenschaftliches Paradigma zu konstellieren, das interpretative Konzepte (wie sie in Philosophie, Kultur-, Kunst-, Religions-, und vor allem dem subjektwissenschaflichem Teil der Sozialwissenschaften verbreitet sind) als nicht wissenschaftlich ablehnt. Entsprechend sind diese Disziplinen hier auch nicht vertreten, 8enn wir von Storck als Religionswissenschaftler einmal absehen). Ausgeschlossen bleibt nicht nur die klassische Psychoanalyse, sondern bleiben genauso alle anderen psychodynamischen Schulen, jungianische, daseins- und existenzanalytische sowie humanistische Beiträge wie Psychodrama, personzentrierte Psychotherapie, Gestaltpsychologie und Interaktionsanalyse, denen unisono die Wissenschaftlichkeit bestritten wird.
Das vorliegende Werk vertritt den Anspruch, Psychotherapie wissenschaftlich und kompetenzorientiert umfassend zu vertreten; zugleich grenzt es klinisch empirisch das professionelle Tun hunderter Kolleg*innen aus.
Die jeweiligen Einschränkungen zu hinterfragen und einen wissenschaftlichen Diskurs über die Wirksamkeit von Psychotherapie zu führen, wäre durchaus nützlich und ein großes Unterfangen. Die Diskussion müsste jedoch von der gegenseitigen Akzeptanz der jeweiligen Forschungslogiken geprägt sein. Meiner Auffassung nach wäre es sowohl sinnvoll als auch subjekt- und bedarfsorientiert, Psychotherapie interkulturell und methodeninteressiert etwa auch für interpretative sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven geöffnet zu halten, wie es außerhalb der psychologischen Fachbereiche von den meisten Akteur:innen gehandhabt wird.
In der Tendenz ist das Werk nicht von engführenden Dogmatikern und Methodenfetischisten geschrieben worden. Jürgen Margrafs Text über Angststörungen zum Beispiel (Kapitel 7)habe ich angesichts seiner klaren Prosa bezog und exzellenten didaktischen Fähigkeiten mit Vergnügen gelesen. Er vertritt die Idee, moderne Verhaltenstherapie sei eine Behandlungsmethode, die sich auf alle Konzepte der empirischen Psychologie gründen könne, also z.B. auch auf die Affektforschung, deren Ergebnisse weiterhin von vielen Verhaltenstherapeut:innen systematisch ausgeblendet werden.
Dennoch besteht das Problem einer Ignoranz gegenüber allen Erfahrungen, die sich nicht auf die neopositivistische Forschung stützen.
Fazit
Winfried Rief, Elisabeth Schramm und Bernhard Strauß haben hier ein Lehrbuch vorgelegt, dass wesentlichen Forderungen der empirischen Psychotherapieforschung gerecht wird. Wer es liest bekommt einen qualifizierten Überblick des aktuellen Stands dieser Wissenschaft.
Mit Grave (1998) als ein Nestor dieser Orientierung gesprochen, bedeutet dass, „Konzepte und Theorien der Psychotherapie sollten sich, ebenso wie Interventionstechniken, letztlich auf psychologische Theorien beziehen lassen“.
Gleichsam muss aber auch gesagt werden. Wir finden einen psychologistischen Empirismus am Werke, der wesentliche anthropologische Perspektiven ausgrenzt, die mit interpretativen und subjektwissenschaflichen Konzepten ebenso den Wert eine therapeutischen Methode belegen könnten.
Literatur
Ambühl Hansruedi und Klaus Grawe (1989): Psychotherapeutisches Handeln als Verwirklichung therapeutischer Heuristiken. Ein Prozessvergleich dreier Therapieformen aus einer neuen Perspektive. Zeitschrift für Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 39: Seiten 1–10
Grave, Klaus (1998): Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe
Grave, Klaus mit Ruth Donati, Friederike Bernauer (1994): Psychotherapie im Wandel – von der Konfession zur Profession. Hogrefe, Göttingen
Kernberg, Otto F. (1996):„Dreißig Methoden zur Unterdrückung der Kreativität von Kandidaten der Psychoanalyse“ in: Psyche-Z Psychoanal 52:199–213
Kanfer, Frederick mit H. Reinecker & D.Schmelzer (1998): Selbstmanagement-Therapie. 2. überarbeitete Auflage. Springer: Berlin
Kernberg, Otto, F. (2000): „A concerned critique of psychoanalytic education.“ International Journal of Psycho-Analysis 81.1, S. 97–120.
Strauß, Bernhard, Elmar Brähler (Hg., 2009): Forschungsgutachtens zur Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten (PP) und zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) in: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 2009, 57. Jg., Heft 5, S. 175–176, Stuttgart: Georg Thieme (die Gruppe bestand aus Marianne Leuzinger-Bohleber, Ulrike Willutzki, Sven Barnow, Elmar Brähler, Jörg Fegert, Steffen Fliegel, Harald J. Freyberger, Lutz Goldbeck sowie Bernhard Strauß als Projektleiter)
Wampold, B. E. ; Imel, Z.E., Flückiger, C.: Die Psychotherapie-Debatte. Was Psychotherapie wirksam macht. Bern: Hogrefe (2018)
Rezension von
Dr. phil. Ulrich Kießling
Dipl.-Sozialarbeiter/Soziale Therapie, Analytischer Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche, Familientherapeut und Gruppenanalytiker, tätig als niedergelassener Psychotherapeut in Treuenbrietzen (Projekt Jona) und Berlin, Dozent, Supervisor und Selbsterfahrungsleiter bei SIMKI und an der Berliner Akademie für Psychotherapie (BAP) von 2004 bis heute. Psychotherapiegutachter der KVB
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Zitiervorschlag
Ulrich Kießling. Rezension vom 18.07.2022 zu:
Winfried Rief (Hrsg.): Psychotherapie. Ein kompetenzorientiertes Lehrbuch. Urban & Fischer in Elsevier
(München, Jena) 2021.
ISBN 978-3-437-22601-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29527.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
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