André Jacob: Interaktionsbeobachtung von Eltern und Kind
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 01.11.2022
![Werk bestellen Cover André Jacob: Interaktionsbeobachtung von Eltern und Kind ISBN 978-3-17-041448-8](/images/rezensionen/cover/29540.jpg)
André Jacob: Interaktionsbeobachtung von Eltern und Kind. Methoden - Indikation - Anwendung : ein Praxisbuch. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2022. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage. 188 Seiten. ISBN 978-3-17-041448-8. 39,00 EUR.
Autor
Dr. André Jacob ist Diplompsychologe und Psychologischer Psychotherapeut, leitet aktuell eine Berliner Erziehungs- und Familienberatungsstelle und war langjährig nebenberuflich als familienrechtspsychologischer Gutachter tätig. Er lehrt, unter anderem an der Psychologischen Hochschule Berlin, und publiziert in den Fachgebieten der Entwicklungs-, Erziehungs- und Familienpsychologie.
Thema
Interaktionsdiagnostik als Spezialfall der Verhaltensbeobachtung von Eltern-Kind-Beziehungen wird inzwischen im Rahmen vieler Untersuchungen, Beratungen und Therapien angewandt. Bisher fehlten eine systematische Grundlegung und eine darauf aufbauende Bewertung dieser Methoden, die es den Praktikerinnen und Praktikern erleichtern, ihren eigenen Auswahlprozess zu begründen und zu steuern sowie eine Darstellung der themen- oder altersgruppenspezifischen Herangehensweisen. Das Arbeitsbuch schließt diese Lücken, denn es kombiniert methodische Grundlagen, umfassende Recherche und die Bewertung der gängigsten Verfahren mit einer ausführlichen Darstellung verschiedener diagnostischer und therapeutischer Vorgehensweisen. (aus dem Klappentext)
Aufbau und Inhalt
Teil I: Theorie und Methodik
In diesem Teil werden Systematiken besprochen, die Beobachtungsinstrumente erfüllen oder erfüllen sollen, z.B. Berücksichtigung der Perspektiven „Kind“, „Elternteil“, „Eltern-Kind-Beziehung“, „Elternbeziehung“. Dafür werden Beispiele für Indikatoren der Beobachtung gegeben. Weiterhin wird die Methodik (Beurteilungseffekt, Gütekriterien, verbale und nonverbale Kommunikation, Videounterstützung) kurz besprochen.
Teil II: Interaktionsdiagnostische Verfahren
Nach einer kurzen Einführung in die Differenzierungskriterien einer Systematik werden eine Vielfalt an Verfahren als Steckbrief in Tabellenform vorgestellt (u.a. Altersgruppe, Perspektiven, Kategorien, Dimensionen, Subskalen, inhaltliche Kategorien), deren Praktikabilität bewertet und Hinweise zur Benutzung gegeben. 12 Verfahren werden ausführlicher erläutert (z.B. CARE-Index, Ainsworthsche Feinfühligkeitsskala, Lausanner Trilogspiel). Mit kürzeren Steckbriefen folgen 11 weitere Verfahren, die für deutschsprachige Praktikerinnen und Praktiker eher kompliziert anzuwenden sind. Anschließend werden die 12 ausführlicher vorgestellten Verfahren hinsichtlich Beurteilungsperspektiven, Interpretationssicherheit und Raterreliabilität auf einer Skala von 1 bis 3 (Sterne) beurteilt.
Teil III: Praxis der Interaktionsbeobachtung
In einem Kapitel werden Fragen der Durchführung besprochen (Setting, Formulierung der Instruktionen, Aspekte der Auswertung und Information der Eltern über Ergebnisse). Anschließend erfolgt eine tabellarische Zuordnung der Verfahren bzgl. der empfohlenen Anwendung zu Altersgruppen.
In einem langen Kapitel unterbreitet der Autor Vorschläge für die Praxis bzgl. verschiedener Fragestellungen. Er beginnt mit der Diskussion der Instrumente bei Fragen zur Beurteilung der Bindung eines Kindes, gefolgt von der Beurteilung der elterlichen Erziehungsfähigkeit. Ausführlich geht der Autor auf Beobachtungsverfahren der dyadischen Interaktion bei frühkindlichen Regulationsstörungen, bei postpartal depressiven Müttern und bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung, mit oppositionellem Verhalten oder kindlicher Depression ein. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Beobachtungen triadischer Interaktionen (Kind, beide Eltern).
Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit ausgewählten Anwendungsfeldern (ausgewählt aus den Erfahrungen des Autors). Es beginnt mit Interaktionsbeobachtungen zu primär diagnostischen Zwecken, für familienrechtspsychologische Gutachten und zur Indikationsentscheidung bei Pflegeeltern. Dann werden Anregungen für die Erziehungsberatung am Beispiel „Eltern-Kind-Interaktionsberatung“, für eine stationäre Eltern-Kind-Interaktionstherapie (Heike Morche), im Rahmen der Video-Interventionstherapie (VIT) nach George Downing, im Rahmen von Marte Meo sowie im Rahmen des STEEP-Programms (Brit Bonin) gegeben.
Der umfangreiche Anhang umfasst 7 Anlagen, neben einer Checkliste zu Konstrukt, Facetten und Indikatoren der Eltern- Kind-Interaktion ausführliche Darstellungen und Materialien zu 6 der in Teil II behandelten Verfahren.
Diskussion
Das Buch führt in die Fragen der Interaktionsbeobachtung ein, stellt verhaltensbeobachtende interaktionsdiagnostische Verfahren vor und bespricht diese kritisch analysierend. Es gibt Hinweise und Anregungen für den konkreten Gebrauch und beschäftigt sich mit der diagnostischen Bedeutung und Spezifika der Umsetzung in verschiedenen Handlungsfeldern.
Das Buch hilft, einen Überblick über eine Anzahl von relevanten und in der Praxis verwendeten Instrumenten zu bekommen. So kann eine passende Vorgehensweise für die individuelle Fragestellung ausgewählt werden.
Viele der ausgewählten und dargestellten Instrumente beziehen sich auf das Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter. Die Auswahl und die Bewertung der Verfahren gibt im Wesentlichen (so auch Jacob auf S. 31) die mehr oder weniger begründete Meinung des Autors wieder. So z.B. erfolgt die Bewertung der Feinfühligkeit nach Ainsworth als nur noch selten eingesetzt und vor allem für die Forschung geeignet; im Beitrag über STEEP wird diese Feinfühligkeit als wesentlicher Faktor benannt.
Insgesamt ist es ein wertvolles Buch für die Praxis.
Zielgruppen
Alle, die beruflich mit der Beobachtung von Eltern-Kind-Interaktionen betraut sind.
Fazit
Das Buch vermittelt einen Überblick über viele Verfahren zur Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion, vor allem im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter. Es hilft, das richtige Instrument und die richtige Vorgehensweise für die eigene individuelle Fragestellung zu finden.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
Mailformular
Es gibt 197 Rezensionen von Lothar Unzner.
Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 01.11.2022 zu:
André Jacob: Interaktionsbeobachtung von Eltern und Kind. Methoden - Indikation - Anwendung : ein Praxisbuch. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2022. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-17-041448-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29540.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.