Christine Kröger, Gernot Hahn et al.: Klinische Sozialarbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Tobias Falke, 06.01.2023

Christine Kröger, Gernot Hahn, Silka Brigitte Gahleitner: Klinische Sozialarbeit: Das Klinische Sozialarbeit: Das Soziale behandeln. Entwicklung einer Fachsozialarbeit. ZKS-Verlag für psychosoziale Medien (Höchberg) 2022. 196 Seiten. ISBN 978-3-947502-62-2. 29,90 EUR.
HerausgeberInnen
Die HerausgeberInnen sind tief verwurzelt in den Einrichtungen, die gemeinsam die Ausbildung und Professionalisierung der Klinischen Sozialarbeit massiv geprägt haben. Sie sind daher zusätzlich zu ihren grundständigen Ausbildungen als Diplom-Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, als Diplom Sozialpädagoge und Diplom-Sozialtherapeut sowie als Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin ExpertInnen in Praxis und Forschung Klinischen Sozialarbeit.
Entstehungshintergrund
Die Veröffentlichung hat den Anspruch nach mehr als 20 Jahren die Klinische Sozialarbeit in Deutschland umfassend in ihrer Entwicklung und im Status quo zu beleuchten.
Aufbau
Das Buch ist insgesamt in drei Themenbereiche unterteilt. Die LeserInnen können sich so sehr schnell im Buch orientieren.
Die Entwicklung der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland nimmt der erste Abschnitt in den Fokus. Im zweiten Teil werden aktuelle Fragen und Themenfelder wie z.B. die Soziale Diagnostik, das Klinische Case Management oder die Psychosoziale Beratung beleuchtet. Im dritten Teil wagt das Buch einen Ausblick in diejenigen Themenfelder, die für die Herausgebenden perspektivisch besondere Rollen in der Klinischen Sozialarbeit spielen werden, wie beispielsweise die Arbeit mit Hochbetagten oder die Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Innerhalb dieser Teile finden sich jeweils vier bis sechs Kapitel von PraktikerInnen und Lehrenden aus weiten Teilen Deutschlands, die ihre jeweilige Sichtweise und Expertise einbringen. Gerahmt werden diese beschriebenen Inhaltsteile durch persönliche Erinnerungen und Gedanken zur Entstehung dieses Bandes und der professionellen (Weiter-)Entwicklung von Weggefährten Helmut Pauls, dessen Wirken für die Klinische Sozialarbeit insbesondere zu Beginn reich an fachlichen und persönlichen Facetten betrachtet wird.
Inhalt
Nachfolgend werden die drei oben beschriebenen Teile der Publikation mit ihren einzelnen Beiträgen vorgestellt, wobei aus jedem Teil ein Artikel ausgewählt wurde und noch einmal dezidierter betrachtet.
Der Teil „Entwicklung und Etablierung der Klinischen Sozialarbeit“ umfasst Artikel mit folgenden Titeln:
- „Klinische Sozialarbeit als gesundheitsbezogene Facharbeit – Wegmarken der Entwicklung“
- „Therapie und Soziale Arbeit – ein besonderes Spannungsverhältnis?!“
- „Der Blick in den Spiegel als professionelle Aufgabe – Selbstreflexion als Kernkompetenz der Klinischen Sozialarbeit“
- „Forensische Soziale Arbeit. Hard to reach – auf vielen Ebenen“
- „Klinische Sozialarbeit studieren? Klinische Sozialarbeit studieren! Eine Verbleibstudie zum kooperativen berufsbegleitenden Masterstudiengang der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Hochschule Coburg“
Im Teil „Aktuelle Fragen, Zugänge und Methoden der Klinischen Sozialarbeit“ finden sich folgende Artikel:
- „Beziehungsgestaltung in der Klinischen Sozialarbeit“
- „Multiperspektivität in Sozialer Diagnostik und Intervention“
- „Beratung im sozialtherapeutischen Feld – zur Komplexität des Sozialen“
- „Arbeit mit Emotionen in der klinischen Fallarbeit – mit dem Modell ,Emotionale Offenheit'“
- „Klinisches Case Management“
- „Resilienz fördern und soziale Ressourcen entwickeln“
Im dritten Teil „Zukünftige Herausforderungen und Entwicklungsfelder“ sind beheimatet:
- „Klinische Sozialarbeit in der psychosozialen Versorgung zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie“
- „Klinische Sozialarbeit mit älteren Menschen: Herausforderungen und Aufgaben“
- „Was ist aus dem ,Projekt' Klinische Sozialarbeit geworden? Eine kritische Bilanz“
- „European Centre for Clinical Social Work: eine europäische Idee für die Praxis Klinischer Sozialarbeit“
Am Ende finden sich noch zwei persönliche Anmerkungen in den Titeln
- „Supervision meets Soziale Arbeit: die Geschichte einer Beziehung“
- „Noch eine Erinnerung mit Blick in die USA“
„Klinische Sozialarbeit als gesundheitsbezogene Facharbeit – Wegmarken der Entwicklung“
Albert Mühlum (S. 15–23) stellt seinem Artikel direkt voran, dass der Name Helmut Pauls mit der Entwicklung der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland maßgeblich verbunden ist. Mühlum sieht eine deutliche Vernachlässigung des Themas „Gesundheit“ an den Hochschulen. Er beschreibt die Veränderungen in der strukturellen Eingebundenheit des Themas Gesundheit in die community des Sozialen u.a. dadurch, dass aus dem Beruf eine Profession wurde, die in vier Thesen dargelegt wird. Der Artikel beschreibt die Entwicklung neuer professionspolitischer Optionen mit dem Fokus auf die Notwendigkeit einer klinischen Spezialisierung, Profilbildung und der Erarbeitung von verlässlichen Standards.
Unter dem Label der Akademisierung stellt der Artikel sowohl chronologisch als auch inhaltlich entscheidende Schritte zur Entwicklung einer Fachsozialarbeit dar.
Die angewandte Sozialarbeitsforschung mit den Zielen „Optimierung von Hilfeprozessen und die Verbesserung des Bewältigungsverhaltens“ (S. 20) wird sowohl für die fachliche Weiterentwicklung als auch für die Positionierung im Fächerkanon der Professionen als wichtiges Element beschrieben und im Artikel mit ihren Anforderungen und Herausforderungen beschrieben.
Im seinem Fazit beschreibt Mühlum das Verhältnis der Klinischen Sozialarbeit zur Sozialen Arbeit als „fruchtbare Wechselbeziehung“ mit positiven Auswirkungen auf die Zukunft (S. 21).
„Beziehungsgestaltung in der Klinischen Sozialarbeit“
Silke Birgitta Gahleitner, Johanna Hefel und Elisabeth Steiner (S. 72 – 81) leiten ihren Artikel mit grundlegenden Betrachtungen zum Subjektbegriff und dessen notwendiger Einordnung in soziale Gefüge ein. Fachkräfte der Sozialen Arbeit sind in ihrer Arbeit mit Menschen mit deren subjektiven Sichtweisen, Unsicherheiten, Beziehungsebenen und „gesellschaftlichen sowie kulturellen Deutungsmustern“ (S. 73) konfrontiert.
Die Autorinnen beziehen sich im Artikel auf die Empirie in den Bereichen der Bindung, Beziehung und der Einbettung im klinisch sozialarbeiterischen Feld (ebd.) Durch gesellschaftliche Veränderungsprozesse wird ein Angewiesensein auf professionelle Beziehungsgestaltung beschrieben. Je schwerer AdressatInnen zu erreichen sind, umso sehen die Autorinnen einen Vertrauensaufbau und die Kenntnis über ein breites Verständnis von Bindungsorganisationen sowie die Erarbeitung förderlicher Milieus als basale Elemente sozialarbeiterischen Wirkens.
In einem Wechselspiel aus Praxisbeispielen und der Darstellung empirischer Forschungsergebnisse betrachten die Autorinnen diese Elemente erneut. In Ihrem Ausblick wird die helfende Beziehung zwischen Klienten und Helfenden einen zentralen Platz mit dem Fazit, dass diese Beziehung bewusst und unbewusst auch biologische Prozesse beeinflussen kann.
„Klinische Sozialarbeit in der psychosozialen Versorgung zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie“
Norbert Beck und Christopher Romanowski-Kirchner (S. 130 – 139) schlagen zu Beginn ihres Kapitels einen Bogen und kommen zu der Erkenntnis, dass sowohl stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung als auch die Jugendhilfe vergleichbare Entwicklungen genommen haben und einem deutlich gewachsenen Bedarf gegenüberstehen. Da das Klientel einen systemübergreifenden Versorgungsbedarf hat, beschreiben die Autoren die Notwendigkeit die Notwendigkeit hoher fachlicher Qualifizierung.
Nach einer sozialrechtlichen Einordnung wird ein Kompetenzprofil entwickelt, dass sich für Multiproblemlagen dem Ziel nähern soll „eine falladäquate Komposition mehrdimensionaler Interventionen“ (S. 134) zu entwickeln. Mit konkreten Beispielen aus der Sicht der NutzerInnen und AdressatInnen gestalten Beck und Romanowski-Kirchner im weiteren Verlauf des Kapitels Einblicke in die Herausforderungen der Anwendung.
In ihrem Fazit betonen die Autoren zusätzlich die Notwendigkeit weiterer Forschung im Bereich der psychosozialen Versorgung und begründen dies u.a. mit der aktuellen SGB-VIII-Reform auch im Hinblick auf die Perspektiven von Heranwachsenden mit und ohne Behinderungen.
Diskussion
Für den Rezensenten, der schon einige Jahre in einem Bereich der Klinischen Sozialarbeit tätig ist, ist dieser Sammelband eine Herausforderung im positiven Sinne. Durch die konsequente Darstellung wissenschaftlicher Grundlagen entwerfen die Artikel ein immer wieder neu legitimiertes und fachlich eng umschriebenes Bild der praktischen Tätigkeit auf Grundlage hochschulischen Wissens.
An einigen Stellen leidet durch die Betonung wissenschaftlicher Herleitung der Lesefluss, was in den meisten Artikeln jedoch durch Fallbeispiele, Bezugnahme auf aktuelle Entwicklungen und prägnante Fazite aufgewogen wird. Die Grob- und Feingliederung des Bandes erleichtern die Orientierung und regen dazu an, auch zwischen den einzelnen Artikeln Vergleiche anzustreben und Parallelen zu entdecken.
In der Einleitung geben die Herausgebenden an, dass der Band „einen fundierten Einblick in die Bedeutung der Klinischen Sozialen Arbeit als gesundheitsbezogener Fachsozialarbeit“ liefert. Diesem Anspruch wird das Buch umfassend gerecht. Für Studierende, FachkollegInnen oder KooperationspartnerInnen der Klinischen Sozialarbeit bieten sich zahlreiche Einblicke in die Praxis, jedoch nie ohne grundlegende Theorien, hinführende Chronologie oder auch empirische Belege schuldig zu bleiben.
Ein breites Spektrum unterschiedlicher Sichtweisen, grundständiger Professionen und praktischer Erfahrungen nehmen die Lesenden mit in einen Bereich der Sozialen Arbeit, der innerhalb der Sozialen Arbeit aber auch im Gesamtkontext der Hilfesysteme bereits elementar ist und perspektivisch noch an Bedeutung gewinnen wird.
Fazit
Die Herausgebenden stellen in ihrem Buch die Entwicklung, den Status quo und zukünftige Herausforderungen für die Fachsozialarbeit der Klinischen Sozialarbeit dar. Ein breites Feld von AutorInnen steuert hierzu aus einer jeweiligen fachlichen, aber auch persönlichen sichtweise einzelne Aspekte bei, die das Buch zu einem guten Überblick werden lassen.
Rezension von
Prof. Dr. Tobias Falke
gesundheitsfördernde Soziale Arbeit (M. A.); Kliniksozialdienst und Qualitätsmanagementbeauftragter in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie; systemischer Coach, Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen, ehrenamtlich sozialpädagogischer Leiter in einem Fußballverein, SRH Hochschule Hamm
Mailformular
Es gibt 5 Rezensionen von Tobias Falke.