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Karin Tiesmeyer, Friederike Koch: Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung

Rezensiert von Tamara Glasl, 22.09.2022

Cover Karin Tiesmeyer, Friederike Koch: Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung ISBN 978-3-17-039592-3

Karin Tiesmeyer, Friederike Koch: Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung. Wahlmöglichkeiten sichern. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2022. 291 Seiten. ISBN 978-3-17-039592-3. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR.

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Thema

Das Buch „Wohnwunschvermittlung bei Menschen mit komplexer Behinderung, Wahlmöglichkeiten sichern“ geht der Frage nach, welche Methoden es ermöglichen Wohnwünsche systematisch zu erheben und wie diese anschließend realisiert werden können (vgl. S. 29). Dabei betrachten die Autor*innen vor allem die Bedürfnisse von Menschen mit komplexen Behinderungen und gehen auf Unterstützungsmöglichkeiten bei der Kommunikation ein. Es werden Impulse für Wissenschaft und Praxis geboten und die Leser*innen am gesamten Forschungsprozess teilhaben gelassen.

Herausgeberinnen

Herausgeberinnen sind Prof. Dr. Karin Tiesmeyer, von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe,und Dr. Friederike Koch, von der Stiftung Bethel/​Bethel.regional. Die beiden Herausgeberinnen wurden durch Beiträge von insgesamt 21 weiteren Autor*innen unterstützt. Die Autor*innen stammen zum größten Teil aus der Forschung und Lehre, dennoch sind dort auch eine Vielzahl an Ausbildungsrichtungen und wissenschaftlichen Schwerpunkten vertreten.

Entstehungshintergrund

Das Buch basiert auf dem Forschungsprojekt „Wahlmöglichkeiten sichern!“. Dieses wurde vom Bochumer Zentrum für Disability Studies (kurz: BODYS), einer Forschungseinrichtung der Evangelischen Hochschule Rheinlang-Westfalen-Lippe, durchgeführt. Die Forscher*innen suchen nach Möglichkeiten, um auch Menschen mit komplexen Behinderungen in den Forschungsprozess zu integrieren. Auch werden Strategien zur Förderung von selbstbestimmten Entscheidungen, insbesondere bei Wohnwünschen, erforscht.

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einem Geleitwort und einem Vorwort der beiden Herausgeberinnen. Es folgt der Hauptteil, der in fünf Themenblöcke unterteilt ist. Im letzten inhaltlichen Gliederungspunkt werden die Autoren und Autorinnen vorgestellt. Es folgt ein Anhang, indem Transkriptionsregeln und das Basistranskript eingesehen werden können.

Im Geleitwort umreißen die Herausgeber*innen die Hintergründe des Forschungsprojekts und dessen Rahmenbedingungen. Die Relevanz partizipativer Forschung liegt bereits hier im Mittelpunkt.

Das Vorwort spricht die Entwicklungen im Forschungsfeld kurz an und beschreibt den folgenden inhaltlichen Aufbau des Buches.

Im ersten inhaltlichen Themenblock, Projektanlage und Ausgangsanalyse, beschreiben die Autor*innen sehr ausführlich das Forschungsprojekt. Eingegangen wird unter anderem auf die Hintergründe und die Projektpartner*innen. Des Weiteren wird das Forschungsdesign vorgestellt. Am Ende des Kapitels werden die erhobenen Wohnwünsche vorgestellt und diskutiert.

Das zweite Kapitel, Theoretische Hintergründe, arbeitet die relevanten Themenblöcke literarisch auf. Die Schwerpunkte liegen dabei auf dem Leben mit komplexem Unterstützungsbedarf, insbesondere der Wohnsituation und der Einbeziehung von Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf in die Forschung.

Der dritte Themenblock, Praktische Umsetzung des Projekts, setzt sich noch einmal intensiv mit methodischen Ansätzen und der Erhebung sowie den Umsetzungsmöglichkeiten von Wohnwünschen auseinander. Am Ende des Kapitels gibt Dr. Friederike Koch Anregungen zum Transfer der gewonnenen Erkenntnisse.

Es folgt ein Kapitel zur Projektevaluation. Die Autor*innen evaluieren die Forschungsmethoden und reflektieren insbesondere den Aspekt der Partizipation.

Im letzten inhaltlichen Teil, Perspektiven und Herausforderungen, gehen die Autor*innen auf die Realisierbarkeit von Wahlmöglichkeiten bei Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf ein. In diesem Kapitel kommen auch Projektbeteiligte zu Wort. Am Ende werden Herausforderungen von Leistungserbringer*innen, Leistungsträgern und Wissenschaftler*innen aufgegriffen.

Diskussion

Das Forschungsprojekt sucht nach „Methoden und Instrumenten zur Erfassung individueller Wünsche und Zukunftsperspektiven von Menschen mit Komplexer Behinderung“ (S. 27) und begleitet diesen Prozess von der Erfassung bis zur Umsetzung. Dabei beziehen die Wissenschaftler*innen nicht nur die Praxis mit ein, sondern suchten bei Betroffenen selbst nach Expertise.

Die ausführliche Dokumentation des gesamten Prozesses (vgl. S. 30) und die ausführliche Evaluation dieser (vgl. S. 201–258) ermöglicht es Forscher*innen von den Erkenntnissen und Erfahrungen dieser Untersuchung auch in Zukunft lernen und profitieren zu dürfen. Transparenz und Einblick in den Forschungsprozess ziehen sich ebenso wie Wertschätzung für alle Forschungsteilnehmer*innen durch den gesamten Text. Man glaubt den beiden Herausgeberinnen, wenn sie sagen, dass die „vorliegende Publikation belegt, dass derartige Forschung weder illusionär noch ideologisch ist“ (S. 6).

Neben der Wissenschaft kann das Buch auch in der Praxis Anregungen zu mehr Beteiligung von Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf bieten. So zeigt der Punkt 15.4 „Zusammenarbeiten: Unterstützungskreis“ (vgl. S. 242–248) detailliert auf, wie ein Unterstützerkreis in der praktischen Arbeit von Fachkräften aussehen kann. Gewinnstiftende Beispiele, wie diese, rauben Praktiker*innen möglicherweise Ängste vor der Komplexität solcher Konzepte und stärken so aktiv das Mitspracherecht von Leistungsempfänger*innen. Wenn der Text auch, durch seine komplexe und stark wissenschaftlich ausgelegte Art, keine leichte Literatur für Praktiker*innen darstellen dürfte, kann er sicherlich zum Nachdenken anregen und wertvolle Hinweise für die praktische Arbeit liefern.

Wunsch- und Wahlrecht, als Grundlage für die Leistungserbringer*innen (vgl. S. 260–262) und mehr Partizipation in der Forschung, trotz der Herausforderungen (vgl. S. 228–229) sind die beiden grundlegenden Apelle, die zwischen den Zeilen immer mitschwingen. Es bleibt zu hoffen, dass sich viele Fachkräfte an diese durchaus nicht leichte Lektüre herantrauen und die Gedanken und Empfehlungen der Autor*innen in ihrer Arbeit beherzigen. Diesiges gilt ebenso für die Wissenschaft. „Es braucht jedoch Achtsamkeit und Aufgeschlossenheit dafür, eigene Lernprozesse in den kooperativen Prozess einzubringen“ (S. 229).)

Fazit

Das Buch „Wohnwunschvermittlung bei Menschen mit komplexer Behinderung“ und das dahintersteckende Forschungsprojekt „Wahlmöglichkeiten sichern!“ sind ein Gewinn in den Debatten um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Der Text erläutert sehr anschaulich, dass Menschen, unabhängig von der Schwere ihrer Behinderung, Wünsche haben und es immer Möglichkeiten gibt, sie dabei zu unterstützen, diese mitzuteilen und umzusetzen. Eine durchweg sehr empfehlenswerte Literatur, die eigene Ansichten zu prägen vermag.

Rezension von
Tamara Glasl
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Es gibt 7 Rezensionen von Tamara Glasl.

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Zitiervorschlag
Tamara Glasl. Rezension vom 22.09.2022 zu: Karin Tiesmeyer, Friederike Koch: Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung. Wahlmöglichkeiten sichern. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2022. ISBN 978-3-17-039592-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29576.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.


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