Alfons Hollederer (Hrsg.): Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen
Rezensiert von Prof. Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke, 12.09.2022

Alfons Hollederer (Hrsg.): Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen. Fachhochschulverlag (Frankfurt am Main) 2021. 512 Seiten. ISBN 978-3-947273-39-3. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Thema & Zielsetzung
Das von Alfons Hollederer herausgegebene Buch über die Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen bildet die Interdependenz zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit bzw. Krankheit ab und weist bereits zu Beginn des Vorwortes auf den zentralen Aspekt hin: „Die Teilhabe an Arbeit hat neben dem Lohnerwerb eine wichtige Funktion für die gesamte Integration“. Diese Erkenntnis und die sich daraus ergebenden (logischen) Konsequenzen untermauert der Herausgeber durch zahlreiche Beiträge aus artverwandten Themenbereichen, um den Leser aus Wissenschaft und Praxis darüber aufzuklären.
Herausgeber
Alfons Hollederer ist Professor für das Fachgebiet Theorie und Empirie des Gesundheitswesens am Institut für Sozialwesen im Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel. Er studierte Sozialwesen (HS Nürnberg) und Gesundheitswissenschaften/​Gesundheitsförderung (Universität Bielefeld), promovierte im Fach Public Health in Bielefeld und hatte dann verschiedene Ämter/Positionen inne wie beispielsweise als Geschäftsführer des Europäischen Public Health Zentrums NRW, Leiter des Gesundheitsdezernates in Bielefeld, Medizinaldirektor am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Nürnberg. Er habilitierte sich 2010 an der Universität Bremen im Fach Gesundheitswissenschaften und war vor seiner Professur in Kassel außerplanmäßiger Professor an der medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg für das Fachgebiet Gesundheitswissenschaften.
Der Herausgeber ist an mehreren Kapiteln selbst als Autor beteiligt und hat darüber hinaus mehrere namhafte Autoren für die einzelnen Kapitel seines Buches gewinnen können wie bspw. Klaus Moser oder Karsten Paul uvm.
Entstehungshintergrund
Die Tatsache, dass Teilhabe an Arbeit mehr ist, als nur ein Lohnerwerb, sondern vielmehr die gesellschaftliche Integration bedingt ist grundsätzlich keine neue Erkenntnis. Der Beginn dieser Erkenntnis führt beinahe 100 Jahre in die Vergangenheit. Diese Erkenntnis und die, dass (Erwerbs-) Arbeit eine hohe Interdependenz mit Gesundheit und Krankheit hat, begann bereits bei den „Arbeitslosen von Marienthal“, die Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel untersucht hatten. Die im Jahre 1933 erschienene Studie der drei o.g. Autoren ist mittlerweile ein „Klassiker“ der empirischen Soziologie und hat in den letzten Jahrzehnten zu zahlreichen, weiteren Studien diverser Autoren/​Wissenschaftler geführt. Dieser Line spürt der Herausgeber nach und endet m.o.w. beim im Jahre 2015 erlassenen Gesetz zur Prävention und Gesundheitsförderung.
Aufbau
Nach einem Vorwort, das die Inhalte des Buches gut strukturiert und kurz darlegt, sowie einem Inhaltsverzeichnis ist das Buch in sechs Teile gegliedert. Der erste Teil (Kap. I) gibt einen Überblick über „Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitslosen“ gefolgt von einem Teil (Kap. II) über „Psychosoziale Trainingsmaßnahmen und Beratungskonzeptionen“ und Kapitel III über „Fallmanagement in der Beschäftigungsförderung mit Gesundheitsbezug“. Schließlich stellt der Autor weitere Aspekte unter den Überschriften „Arbeitslose mit besonderem Förderbedarf“ (Kap. IV), „Ansätze in Betrieben und arbeitsmarktnahen Settings für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen“ (Kap. V) und „Gemeinwesenbezogene Interventionsansätze“ (Kap. VI) dar. Die Kapitel bestehen aus mehreren Unterkapiteln, die mit Buchstaben „nummeriert“ sind.
Inhalt
(Massen-) Arbeitslosigkeit und deren Folgen sind seit der Weltwirtschaftskriese 1929 zu einem immer zentraleren Aspekt der sog. Industrienationen geworden und werden deshalb seither mehr be(ob)achtet.
Das erste Unterkapitelkapitel (A) beginnt mit einem Überblick des Herausgebers. Hier stellt er zunächst die Segmente des Arbeitsmarktes und zentrale Begriffe dar und stellt dann ausgesuchte empirische Studien dar. Hier wird erstmals der Zusammenhang zwischen verminderter Gesundheit und Arbeitslosigkeit expliziert. Auch der Teufelskreis zw. Arbeitslosigkeit und Gesundheit und die entsprechenden Variablen (psychische und finanzielle Deprivation, Arbeitslosigkeit als stresshafte Lebenssituation sowie Stigmatisierung) werden verdeutlicht. Ferner wird die Länge/Dauer der Arbeitslosigkeit als wesentlicher (vulnerabler) Faktor deutlich. Nach der Beschreibung des Ist-Zustandes wechselt der Herausgeber auf das Feld der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung und verweist auf die geringe Anzahl von randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs). Hier legt er auch die Probleme der verfügbaren Studien dar.
Im zweiten Unterkapitel (B) des ersten Kapitels befindet sich ein Beitrag über verschiedene Moderatorvariablen zu psychischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit wie bspw. Geschlecht, sozioökonomischer Status, Länge der Erwerbslosigkeit, etc.
„Die Bedeutung von Beschäftigungsfähigkeit für die arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung“ steht im Fokus des nächsten Unterkapitels. Hier wird u.a. auch der Resilienzbegriff aufgegriffen. Daraufhin legt das Folgekapitel theoretische Grundlagen des Zusammenhanges zw. Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit. Dabei greifen die Autoren (unter Ihnen der Herausgeber) auf „altbekannten“ Faktoren und Modelle zurück, die bis heute Gültigkeit haben. Das darauf folgende Unterkapitel greift Möglichkeiten und Grenzen aber auch Verbreitung und Evidenzen von gesundheitsförderlichen Maßnahmen des SGB V auf, wobei das Folgekapitel quasi darauf aufbaut und Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung Erwerbsloser heraus arbeitet.
Kapitel II beginnt mit (Unterkapitel G) Ausführungen darüber, wie sich Interventionsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit Arbeitsloser auswirken; dies stellt in diesem Buch den Auftakt zur Darstellung weiterer Interventionsmaßnahmen dar. Dazu bieten die Autoren metaanalytische Befunde auf. Dabei haben die Autoren dieses Unterkapitels auch ein Auge für bei der metaanalytischen Vorgehensweise auftretenden Limitationen (z.B. Verzerrungseffekte).
Dem Unterkapitel folgt eine Darstellung aus einer tiefer gehenden qualitativen Analyse, die eher einem metaanalytischen Vorgehen ähnelt. Die Autoren schließen mit einem Resumée und entsprechenden ableitbaren sowie nachvollziehbaren Handlungsempfehlungen.
Das Folgeunterkapitel (I) enthält die ausführliche Beschreibung einer Trainingsmaßnahme zu psycho-sozialen Kompetenzen für Arbeitslose (AktivA). Hier werden die Inhalte der Maßnahme ausführlich dargelegt; dabei fehlt zwar eine Ergebnisdarstellung im eigentlichen Sinn, die einzelnen Aspekte werden aber diskutiert. Direkt darauf stellt das Unterkapitel J eine internationale Maßnahme (JOBS; JOBS I und JOBS II) dar; dabei werden neben den unabhängigen Variablen auch die abhängigen Variablen dargestellt.
Unterkapitel K illustriert den Ansatz für integrative Arbeits- und Gesundheitsförderung des Job Centers Essen. Dabei werden hier neben dem Konzept auch und vor allem die Umsetzungserfahrungen dargestellt und dem Leser mitgeteilt.
Das Folgeunterkapitel stellt den Begriff des Empowerments ins Zentrum. Es berichtet über psychosoziale Beratung von Arbeitslosen und betrachtet Empowerment als Instrument gegen eine potentielle Viktimisierung. Hier kommen auch Teilnehmer der Studie/Maßnahme exemplarisch bei den verschiedenen Items/​Bausteinen der Studie (z.B. Aufbau alternativer Tätigkeiten, Stressreduktion, etc.) zu Wort.
Ausführungen über Beratung zur Gesundheits- und Beschäftigungsförderung stehen im Fokus des letzten Unterkapitels dieses Kapitels des Buches (Kap. II); dabei steht insbesondere der Gruppenaspekt Pate. Es geht allerdings keineswegs nur um die Gruppe der Teilnehmenden und die Gruppenleitung(en), sondern auch um einen abstrakteren und weiter gefassten Gruppenbegriff.
Kapitel III (Fallmanagement in der Beschäftigungsorientierung mit Gesundheitsbezug) beginnt mit einem Unterkapitel über Gesundheitsförderung in der Fortbildung für Fallmanager und Arbeitsvermittler und legt den Fokus somit nicht mehr auf Maßnahmen(charakteristika) oder Teilnehmer, sondern auf die Fortbildung für jene, die als erste/persönliche Ansprechpartner in der Vermittlung von Arbeitssuchenden in komplexen Lebenssituationen arbeiten. In diesem (Unter-) Kapitel hat das beschäftigungsorientierte Fallmanagement (bFM) einen entscheidenden Stellenwert. Auch beim Folgeunterkapitel (O) steht das Fallmanagement im Fokus. Es wird allerdings von den Autoren (unter ihnen der Herausgeber Alfons Hollederer) im Zusammenhang mit dem Projekt „AmigA“ ausgearbeitet. Dieser Fokus wird im Folgeunterkapitel weiter geführt, wobei die Erfahrungen des Projektes AmigA des Landkreises Potsdam-Mittelmark dargestellt werden.
Der Teil des Buches über „Arbeitslose mit besonderem Förderbedarf“ (Kap. IV) beginnt mit Ausführungen über „Ansätze zur psychosozialen Bewältigung von Jugendarbeitslosigkeit“; dabei wird eine Typologisierung von Jugendlichen und deren speziellen Bedarfen und Bedürfnissen ausgearbeitet. Zugespitzt wird der Plot der Jugendarbeitslosigkeit im nächsten Kapitel, in dem psychisch kranke (arbeitslose) Jugendliche im Fokus stehen. Gefolgt werden diese Ausführungen von Ausarbeitungen zu Migration, wobei psychosoziale Belastungen aber auch Ressourcen von migrierten Frauen zur Sprache kommen. Schließlich wird die Problemlage bzw. Perspektive der Wohnungslosigkeit bzw. Obdachlosigkeit im Folgekapitel hinzugenommen. Das nächste Unterkapitel widmet sich dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit und kombiniert diese mit einem hoch aktuellen Thema, der Corona-Pandemie und ihren Konsequenzen für Arbeitslose.
Neben der bestehenden Arbeitslosigkeit wird auch der drohenden Arbeitslosigkeit Raum in diesem Buch gewidmet, sodass hier auch arbeitsmarktnahe Settings keineswegs ausgelassen werden. Dazu wird die Maßnahme „JobFit“ genauer „unter die Lupe“ genommen. Hier steht allerdings nicht die „therapeutische“ Arbeit, sondern vielmehr der präventive Charakter im Vordergrund.
Abgerundet wird das Kapitel – konsequent zur Maßnahme JobFit – von einem Unterkapitel (W) über die Verhinderung von Arbeitslosigkeit im betrieblichen Kontext bzgl. Eingliederungsmanagement. Hier wird eine individuelle, betriebliche und ökonomische Nutzenanalyse durchgeführt. Schließlich wenden sich die Autoren des Kapitels (X) der Prävention beruflicher Rehabilitation von Menschen mit (drohender) Behinderung zu, womit sie einen Schritt weiter in Richtung Gesundheit bzw. Krankheit und Behinderung gehen. Mit diesem schwierigen und interdisziplinären Thema begeben sich die Autoren auch auf das Feld anderer SGBs und folgen v.a. dem Thema der Rehabilitation.
Der letzte Teil des Buches (Kap. VI) widmet sich den Gemeinwesenansätzen. Dabei wird im Unterkapitel Y der sozialarbeiterisch geprägte Begriff der (kommunalen) Lebenswelt eingeführt, und die Autoren weisen vor diesem Hintergrund auf Verzahnungsmöglichkeiten zwischen Arbeitsförderung und Gesundheitsförderung hin. Gerade das Gesetz zur Gesundheitsförderung und Prävention (PrävG) findet hier Anwendung. Schließlich wird im Anschluss daran auch die Digitalisierung bei diesem schwierigen Themenkomplex thematisiert, und zwar in Form der Frage nach Digitalisierungsmöglichkeiten im ländlichen Raum hinsichtlich der Gesundheitsförderung von Arbeitslosen.
Zielgruppe
Die Zielgruppe des Buches wird seitens des Herausgebers nicht weiter eingegrenzt. Es ist aber davon auszugehen, dass vor allem für diejenigen das Buch ein Mehrwert darstellt, die sich mit dem Themenkomplex Arbeitslosigkeit und Gesundheit beschäftigen. Dabei stellt das Buch vor allem theoretische Hintergründe dar, stellt Untersuchungen und ihre Ergebnisse vor, wendet sich aber auch verschiedenen Maßnahmen und ihrer Ausgestaltung zu. Somit hat das Buch sowohl einen theoretischen als auch einen praktischen Ansatz und ist für „Theoretiker“ als auch für „Praktiker“ sicherlich eine lohnenswerte Lektüre, wobei der Schwerpunkt eher in der wissenschaftlichen Betrachtung liegt und weniger auf der Seite praktischer Handlungsempfehlungen. Der Transfer dürfte „Praktikern“ aber gut gelingen.
Diskussion
Zu diskutieren gibt es weniger die Inhalte des Buches, sondern vielmehr die daraus ableitbare Konsequenz.
Die (Unter-) Kapitel sind fast alle ausführlich referenziert und stellen zu aller meist evidenzbasiert diverse Einzelsachverhalte der Thematik Arbeitslosigkeit und Gesundheit dar. Zudem werden praktische Beispiele (Maßnahmen) aufgegriffen und beschrieben. Trotz des Aufgreifens diverser entscheidender Aspekte für die Thematik kann das Buch aber leider nicht erklären, warum sich der gordische Knoten bzw. die Interdependenz von Arbeitslosigkeit und schlechter (psychischer) Gesundheit nicht (ohne weiteres) lösen lässt. Dabei muss man dem wirklich sehr informativen Werk zugestehen, dass das Lösen dieses Knotens sicherlich auch nobelpreisverdächtig wäre und keineswegs erwartet werden kann. Die dem zugrunde liegenden (Einzel-) Aspekte dieser emergenten Interdependenz werden aber ausführlich von allen Seiten beleuchtet und analysiert.
Fazit
Die wirklich spannende und umfassende Lektüre des Buches von Alfons Hollederer ist vor allem für diejenigen, die sich primär wissenschaftlich mit dem Themenkomplex Gesundheit und Arbeitslosigkeit beschäftigen sicherlich ein sehr ausgeprägter Mehrwert; aber auch für „Praktiker“ stellt die Lektüre einen großen Mehrwert dar, da das Buch genug Rüstzeug liefert, um einen Praxistransfer zu ermöglichen.
Rezension von
Prof. Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke
M.A.
Professur für Medizin in Sozialer Arbeit, Bildung und Erziehung.
Hochschule der Bundesagentur für Arbeit Mannheim
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Zitiervorschlag
Andreas G. Franke. Rezension vom 12.09.2022 zu:
Alfons Hollederer (Hrsg.): Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen. Fachhochschulverlag
(Frankfurt am Main) 2021.
ISBN 978-3-947273-39-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/29578.php, Datum des Zugriffs 29.09.2023.
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