Rüdiger Maas, Perret Eliane: Wie ich mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen spreche
Rezensiert von Elfy Roca, 20.09.2022

Rüdiger Maas, Perret Eliane: Wie ich mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen spreche. BrainBook UG (Kiedrich) 2022. 94 Seiten. ISBN 978-3-96890-115-2. D: 12,99 EUR, A: 13,40 EUR.
Thema
In den letzten Monaten ist der Krieg für uns und unsere Kinder in greifbare Nähe gerückt. Wie können wir Erwachsene mit Kinderfragen zu diesem Thema umgehen? Das psychologisch und pädagogisch versierte Autorenteam hat anhand anschaulicher Beispiele einen Leitfaden entwickelt.
Autoren
Rüdiger Maas ist Psychologe und Gründer des Instituts für Generationenforschung. Er analysiert mit seinem Team gesellschaftlich relevante Fragen und ist Autor verschiedener Bücher zu diesen Themen.
Eliane Perret ist Psychologin und promovierte zu einem Thema in Sonderpädagogik. Sie war bis 2020 Schulleiterin und Heilpädagogin an einer Tagessonderschule. Sie publiziert Artikel zu Schul- und Erziehungsfragen sowie zu Gewalt- und Mobbingprävention.
Entstehungshintergrund
Aus aktuellem Anlass – dem Kriegsgeschehen in unserer Nachbarschaft – wurden die Autoren gebeten, einen Leitfaden für Gespräche mit Kindern zu dem uns alle belastenden Thema Krieg und Katastrophen zu entwickeln.
Aufbau
Im ersten Teil erhalten die Leser psychologisch fundierte Richtlinien, die helfen, Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen in Kriegs- und Krisenzeiten zu übernehmen. Ein nächster Teil zeigt Wege für den Einstieg in diese schwierigen Themen mit Kindern unterschiedlicher Alters- und Entwicklungsstufen in der Familie. Darauf bauen die Überlegungen für Lehrpersonen und Pädagogen zu ihren Möglichkeiten, mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, auf. Projektbeispiele illustrieren, wie Kinder und Jugendliche durch eigene Aktivität (z.B. bei Hilfsprojekten) Gefühlen von Angst und Sinnlosigkeit vorbeugen.
Inhalt
Das Thema Krieg und seine Folgen beschäftigt uns alle. Unsere Kinder sind selbstverständlich einbezogen, ob wir wollen oder nicht. Wie können wir ihnen als Eltern oder Pädagogen den nötigen Schutz geben, damit sie das Vertrauen in andere Menschen und die Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft nicht verlieren?
Die Neuerscheinung von Maas/Perret «Mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen sprechen» wendet sich an uns als Bezugspersonen. Sie gibt uns einen Leitfaden für Gespräche, stellt aber auch Projekte mit Kindern und Jugendlichen aus dem Wissens- und Erfahrungsschatz des Autorenteams vor. Der Leitfaden baut auf psychologischem Fachwissen, fundierter Kenntnis der Sorgen von Eltern und Leitsätzen der Friedenspädagogik auf.
Zunächst geht es im Buch um die eigene Haltung: Vielen Erwachsenen ist ihre grosse Bedeutung als Vorbild für die Kinder und Jugendlichen nicht bewusst. Die vorliegende Auswahl von Forschungsergebnissen aus der Lern- und Entwicklungspsychologie kann dies wieder vermitteln: In Krisenzeiten braucht es Sachlichkeit und eine forschende Haltung gegenüber Bildern und Nachrichten. So entwickeln wir Erwachsene einen eigenen, gut begründeten Standpunkt. Und nur dann, wenn wir nicht selbst von Angst und Unsicherheit überschwemmt sind, können wir unseren Kindern Halt geben. Dies kann gelingen, wenn wir auf seriösen Quellen bestehen und keine Stereotypen und Feinbilder zulassen, sondern den Wunsch aller Menschen, in Frieden zu leben, als Leitziel vermitteln. Diese Haltung gibt den Kindern und Jugendlichen den Mut, den sie für ihre Zukunft brauchen.
Das Autorenteam empfiehlt aber auch ein «Gegenprogramm» zu den Kriegsnachrichten: positive Unternehmungen in dieser Krisenzeit, auch einmal bewusst eine mediale Auszeit für alle, um den belastenden Eindrücken positive Gedanken entgegenzusetzen und negativem Denken den Kampf anzusagen. Ruhige Gespräche, Zeit, sowie Zuhören verhindern, dass wir an den Kindern und Jugendlichen «vorbeisprechen».
Nach der Klärung dieser Grundlagen gehen Maas und Perret auf die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen für den Umgang mit verschiedenen Altersstufen – Vorschulkindern, Kindern oder Jugendlichen – ein. Sie gliedern ihre Ausführungen in entsprechende Unterkapitel, die sie jeweils mit anschaulichen Beispielen belegen. Es handelt sich dabei nie um pauschale «Tipps», sondern um Anregungen, die den Lesern die eigene Gestaltung von Gesprächen nicht vorwegnehmen wollen und können.
In einem dritten Teil geht das Autorenteam ein auf Möglichkeiten, diesen Themenkreis in Schulen oder anderen Einrichtungen zu behandeln. Kinder und Jugendliche aus einem der Konfliktgebiete unserer Welt finden sich heute in jeder Klasse. Gespräche über Krieg und Krisen erfordern hier besonders viel Fingerspitzengefühl. Sie dürfen nicht über die von einem betroffenen Kind signalisierten Grenzen hinausgehen, aber auch keine übertriebene Vorsicht ausstrahlen. Dieser natürliche respektvolle Umgang ist Vorbild für alle Kinder und Jugendlichen. «Es geht darum, sie mit den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens vertraut zu machen und bei ihnen das Gefühl sozialer Verbundenheit und ihr Verantwortungsgefühl für das menschliche Zusammenleben zu stärken.» (S. 60) Grundprinzip der Beispiele und Projekte ist es, den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zu eröffnen, selbst aktiv zu werden. «Diese Möglichkeit der Aktivität ist in Krisensituationen sehr wichtig für die Stimmungslage von Kindern und Jugendlichen.» (S. 60)
Die Projekte sind auch hier wieder den Altersstufen der Kinder und Jugendlichen angepasst. Ein solches Beispiel ist die Behandlung der Grundsätze des Internationalen Roten Kreuzes in einer Oberstufenklasse. Ein IKRK-Delegierter gab dort einen Einblick in seine Tätigkeit. Daraus entstanden Referate, die die Jugendlichen in anderen Klassen vortrugen. Anschliessend entwickelten sie den Gedanken eines Sammeltages, an dem sie selbstgebackenen Kuchen als Spende für Kriegsbetroffene verkauften. Zum Abschluss planten sie als Klassenfahrt den Besuch des IKRK-Museums in Genf.
Diskussion
Ein Buch zum Thema „Gespräche mit Kindern über den Krieg“ muss fundierte Erkenntnisse einbeziehen. Es sollte gut lesbar sein, damit es von Nutzen ist. Und in erster Linie sollte es ein praxisnaher Leitfaden sein, auf den sich Eltern und Pädagogen abstützen können. Wird das Buch diesen Ansprüchen gerecht?
Lesbarkeit: Das Buch ist leserfreundlich gestaltet. Die Kapitel und Zwischentitel eröffnen einen leichten Zugang ins komplexe Thema.
Theoriebezug: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden verständlich vorgestellt und mit der Anwendung in der Praxis verbunden.
Kernaussage: Erwachsenen tragen die Verantwortung, keine Feindbilder entstehen zu lassen und auch in schwierigen Zeiten Zuversicht zu vermitteln. Eigene Vorurteile oder Stimmungen dürfen nicht in das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen einfliessen. Der Aufbau von Grundvertrauen – trotz Krieg – steht an erster Stelle.
Praxisbezug: Gerade die Beispiele helfen Eltern und Pädagogen, das Thema sachlich, informiert und offen anzugehen und zusammen mit den Kindern zu gestalten – ein Praxisbuch im besten Sinne.
Eine kleine Kritik an dem sonst fundierten Buch: Auch der Lesestoff für Kinder und Jugendliche sollte im Literaturverzeichnis aufgenommen werden.
Insgesamt: Eine wichtige Neuerscheinung, die ihrem leider sehr aktuellen Auftrag gerecht wird.
Fazit
Emotionsgeladene Beiträge in den Sozialen Medien und Berichte zum Krieg, wie sie Kindern und Jugendlichen heute zugänglich sind, können starke Ängste auslösen. Es ist deshalb wichtig für Eltern oder Pädagogen, in Gesprächen zu diesem Thema einen altersgerechten Zugang zu finden. Die Erwachsenen stehen vor der Aufgabe, sachliche Information zur Verfügung zu stellen, die Entstehung von Feindbildern zu verhindern und Eigenaktivität anzuregen. Die Neuerscheinung von Maas/Perret geht psychologisch und pädagogisch fundiert auf diese drängenden Fragen ein. Eine hochaktuelle Hilfestellung für Familien und Schulen!
Rezension von
Elfy Roca
Heilpädagogin
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