Matthias Quent, Christoph Richter et al.: Klimarassismus
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Frindte, 14.11.2022

Matthias Quent, Christoph Richter, Axel Salheiser: Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende. Piper Verlag GmbH (München) 2022. 288 Seiten. ISBN 978-3-492-06399-9. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 26,90 sFr.
Thema
Der Mensch ist zu einer Naturgewalt geworden, an der er vielleicht zugrunde gehen könnte. Klimawandel, Erderwärmung, Artensterben, saure Meere, die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre, Wasserknappheit, Gifte aller Art, die durch die Industrialisierung, die Landwirtschaft und die privaten Haushalte rasant die Umwelt zerstören usw. – all das sind Indikatoren für einen Wandel, den die Menschen selbst verursacht haben und durch den sie nun bedroht werden. Die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, gehören zu den größten Bedrohungen und Herausforderungen. Die weltweite Klimaveränderung und die globale Erderwärmung sind weitgehend menschengemacht und bedrohen die Menschheit in allen Teilen der Erde. Radikale Beobachter der menschengemachten Weltveränderung, wie Jason W. Moore, ein US-amerikanischer Historiker und Soziologe, meinen allerdings, nicht die Menschheit oder wir Menschen seien für den Klimawandel und die Umweltzerstörungen verantwortlich, sondern der moderne Kapitalismus. Jason Moore (2019) spricht deshalb vom „Kapitalozän“ (Capitalocene). Ähnlich argumentieren die Autoren des vorliegenden Buches, wenn sie schreiben, die Geschichte vom menschengemachten Klimawandel sei die Geschichte vom „Erfolgsmodell Kapitalismus“. Die Protagonisten des Kapitalismus, die globale antiliberale sowie die neoliberale Rechte, kämpfen gegen die ökologische Wende und erhalten dabei Rückenwind „[…] vor allem aus rechten Teilen der Bevölkerung“ (S. 10). Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser wollen mit ihrem Buch die rechten Akteure, ihre Netzwerke und Unterstützer analysieren, die mit ihren Desinformationskampagnen Stimmung gegen die ökologische Wende machen und damit die liberale Demokratie bekämpfen.
Autoren
Matthias Quent studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Neuere Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der University of Leicester (UK). Er gründete und leitete bis 2022 das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Seit 2021 ist er Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Matthias Quent forscht und lehrt unter anderem zu Rechtsradikalismus, Folgen der Digitalisierung, zu Demokratieförderung und zu gesellschaftspolitischen Fragen der ökologischen Transformation.
Christoph Richter hat Soziologie, Journalistik und Ethnologie an der Universität Leipzig studiert. Seit 2020 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) am Standort des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Konfliktforschung, hier insbesondere im Bereich Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, sowie Einstellungs- und Demokratieforschung und sozialer Wandel.
Axel Salheiser lehrte und forschte von 2002 bis 2019 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität. Seit Februar 2022 ist er wissenschaftlicher Leiter am IDZ und Sprecher des Jenaer Teilinstituts im Forschungszentrum gesellschaftlicher Zusammenhalt. Er leitet u.a. ein Projekt zum „Internationalen Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen“ und forscht zu Rechtsextremismus und anderen Gefährdungspotenzialen der demokratischen Kultur.
Inhalt
Das Buch ist in dreizehn Kapitel, nebst Vorwort und Einleitung, gegliedert.
Im Vorwort schreiben die Autoren, das Klima werde von vielen Seiten angegriffen, seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auch militärisch. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei „[…] das Ergebnis antiliberaler, faschistischer, nationalistischer und männlicher Großmachtphantasien, finanziert durch internationale Devisen für russisches Gas und Öl“ (S. 10). Aggressive Antidemokrat:innen gebe es aber nicht nur in Moskau. Sie sitzen auch in deutschen Parlamenten (und in europäischen und außereuropäischen), demonstrieren auf den Straßen und kämpfen in den sozialen Netzwerken gegen die Demokratie. Längst habe sich gezeigt, „[…] dass das Schicksal von Klima und von unteilbarer Menschenwürde untrennbar miteinander verbunden sind“ (S. 11).
Einleitung
Einen derart aggressiven und unverschämten Wahlkampf gegen eine einzelne Partei (gemeint ist die Partei der Grünen) und ihre Spitzenkandidatin (Annalena Baerbock) wie im Bundestagswahlkampf 2021 habe „[…] es in Deutschland bisher noch nicht gegeben“, so die Autoren (S. 13). Im Vergleich zu den Schmutzkampagnen in den Wahlkämpfen der früheren Bundesrepublik ist das sicher eine Übertreibung (erinnert sei z.B. an den Bundestagswahlkampf 1953, in dem Konrad Adenauer der SPD unterstellte, sie werde von der DDR finanziert, oder an den Wahlkampf 1961, in dem Willy Brandt aus CDU-Kreisen mit Adolf Hitler verglichen wurde). Und doch sind die Anfeindungen, denen die Klimaaktivist:innen im Wahlkampf 2021 ausgesetzt waren, markante Beispiele für die Kampagnen, die gegen die Protagonist:innen der ökologischen Wende geführt werden. Die „[…] ideologischen Hintergründe, Strategien und Netzwerke des rechten Kampfs gegen die ökologische Wende“ (S. 17) aufzudecken, haben sich die Autoren des Buches zum Ziel gesetzt. Dabei gehen sie von zwei Hauptrichtungen rechter Klimapositionen aus: zum einen identifizieren sie einen Ökofaschismus, dessen Anhänger den menschengemachten Klimawandel als Folge einer im Zerfall befindlichen liberalen Moderne interpretieren, und zum anderen sehen sie die Gefahren eines wissenschaftsfeindlichen Antiökologimus, der Klimaschutzpolitiken als „ideologisches Projekt“ deutet, „[…] mit dem liberale Eliten das Volk gängeln, seine Freiheit abschaffen und den Wohlstand ruinieren wollen“ (S. 18).
Kapitel 1: Klimarassismus und Kapitalismus
Wenn die Geschichte des menschengemachten Klimawandels eine Geschichte des Kapitalismus ist, dann handelt es sich einerseits um eine Erfolgsgeschichte. Man denke etwa an die mit der Moderne verbundenen Fortschritte im Hinblick auf Gesundheit, Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, Liberalisierung der Werte etc. Aber, so die Autoren, eine solche Sichtweise auf den Kapitalismus sei „[…] eine weiße, westliche, meist männliche und materiell wie kulturell privilegierte“ (S. 23). Wechsele man die Perspektive, dann handele sich beim Kapitalismus und seinen Folgen, einschließlich des menschengemachten Klimawandels, um eine Geschichte der Ausbeutung, Unterdrückung und gravierender Ungleichheiten. Es gehe aber nicht einfach um einen Klimakapitalismus, den es zu kritisieren gelte. Die Leugnung des menschengemachten Klimawandels laufe auf rassistische Vorherrschaft hinaus.
„Klimarassismus beschreibt in diesem Sinne auf struktureller Ebene die Externalisierung der ökologischen Kosten des industriellen Wohlstands des mehrheitlich weißen Westens auf Kosten mehrheitlich nicht weißer Regionen und Menschen. Darüber hinaus beschreibt Klimarassismus die ideologischen und strategischen Hintergründe der Antworten der Rechten auf die Folgen des Klimawandels und auf Forderungen nach Klimagerechtigkeit“ (S. 27). Klimawandel sei Teil unserer Alltagspraxis, unseres Eingebundenseins in lokale und globale Ungleichheitsstrukturen, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. An dieser Stelle führen die Autoren den Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu ein, um zu erklären, dass wir uns diesen Strukturen nur bedingt entziehen können. Nicht, weil wir alle Rassist:innen sind, Böses im Schilde führen oder uns der Klimawandel egal ist, sondern, weil wir aufgrund der historischen Entwicklung in rassistische Strukturen verstrickt sind (S. 28). Die Lösung des Dilemmas bestehe also darin, diese Strukturen, die diesen destruktiven Habitus hervorbringen, zu verändern.
Kapitel 2: Das Klima wird feindlicher
Die Klimadaten zeigen, dass es „5 vor 12“ ist und der Menschheit nur wenig Zeit bleibt, um den Klimaschutz radikal, jetzt und nicht erst in 20 Jahren, offensiv zu betreiben. In diesem Kapitel verweisen die Autoren darauf, dass die Ursachen und Folgen des menschengemachten Klimawandels seit Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht und gut dokumentiert sind. Die Autoren referieren die Befunde über die Verstärkung des Treibhauseffekts, der Gletscherschmelze, des Anstiegs des Meeresspiegels und vieles mehr. Sie erläutern, dass der Klimawandel die Gesundheit der Menschen beeinflusst, ein gutes Leben in Sicherheit, Wohlstand und Frieden bedroht und dass die Ursachen dafür vor allem im „globalen Norden“ zu suchen sind, unter dessen Ignoranz und Empathielosigkeit die Menschen im „globalen Süden“ zu leiden haben.
Expert:innen der Klimaforschung, so die Forscherinnen und Forscher vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, haben auf Kippelemente aufmerksam gemacht, deren Überschreiten das Erdsystem in eine neue Heißzeit katapultieren könnte. Auch diese Kippelemente (wie z.B. die Zerstörung der tropischen Korallenriffe oder das Schmelzen der Eisschilde) werden von den Autoren aufgerufen, um für die unbedingte Einhaltung der Klimaziele zu plädieren. Und was passiert im globalen Norden? „Die politischen Verantwortungsträger:innen und Entscheider:innen hören schlicht zu oft auf die Falschen – nämlich auf die, denen nationale Vorteile, Profite und Wirtschaftswachstum wichtiger sind als Menschenleben“ (S. 40). Dabei ist der menschengemachte Klimawandel längst auch in Deutschland angekommen, wie die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in den Tälern der Ahr und Eft zeigten. Die Autoren verweisen darauf, dass diese Katastrophe und der Tod von vielen Menschen aus dem Ahrtal von der AfD instrumentalisiert wurde, um die menschliche Verantwortung für den Klimawandel infrage zu stellen. Und der Rezensent erinnert an eine kaum zu überbietende Absurdität: Verschwörungsmythisch inspirierte Menschen meinten nach der Hochwasserkatastrophe der Welt mitteilen zu müssen, die Überschwemmungen seien von der offiziellen Politik aus Wahlkampfzwecken geplant und bewusst erzeugt worden. Wolkenimpfungen oder Geoengineering (also Versuche, das Klima vorsätzlich mittels technische Hilfsmittel zu beeinflussen) hätten die Flutkatastrophe an Ahr und Erft verursacht (Maier & Kagermeier, 2021).
Kapitel 3: Menschengemachter Klimawandel?
Die ältesten archäologischen Funde, die die Existenz des Menschen als Gattung belegen, sind zirka 300.000 Jahre alt. Die Industrialisierung, mit der der menschengemachte Klimawandel seinen Anfang nahm, begann indes erst vor rund 200 Jahren. „Erst seit dieser Zeit emittieren Menschen in einem klimaschädlichen Ausmaß Gase, die über einen jahrzehntelangen Prozess die Atmosphäre aufheizen“ (S. 47). Also, so die Schlussfolgerung der Autoren, ist die Erderwärmung nicht einfach von allen Menschen gemacht, sondern industriegemacht. Mehr noch: „Die Ursprünge der Erderwärmung liegen insbesondere im Handeln reicher weißer Menschen im globalen Norden“ (S. 49). Insofern sei die Rede vom „menschengemachten Klimawandel“ auch nicht korrekt, sondern entspringe dem Geist des Neoliberalismus. Mit dieser Rede werde das Problem der Erderwärmung individualisiert und die Problemlösung privatisiert. Nicht die Industrie, nicht die Politik, auch nicht die Reichen oder die Expansionspolitik des globalen Nordens werden – aus neoliberaler Perspektive – für den Klimawandel verantwortlich gemacht, sondern die Bürgerinnen und Bürger, von denen Achtsamkeit im Umgang mit unserem Planeten gefordert werde. Tatsächlich liege, so die Autoren, die Verantwortung für den mit materiellen Überfluss verbundenen Luxus, der für klimaschädliche Emissionen sorge, nur bei einem Teil der Menschheit, eben jener im globalen Norden. Im globalen Süden hingegen leben viele Menschen, die an Hunger leiden oder als Tagelöhner:innen auf den giftigen Deponien des Wohlstandsmülls aus dem globalen Norden arbeiten, um sich über Wasser halten zu können (S. 50). Eine ökologische Wende müsse deshalb auch eine soziale sein.
Nicht das „Abendland“ stehe vor dem Untergang, wie die radikalen Rechten es propagieren, „[…] sondern viele pazifische Inseln werden faktisch vom abendländischen Modell der Industriegesellschaft im Meer versenkt“ (S. 51). Das Modell der westlichen Industriegesellschaft, des christlich geprägten „Abendlandes“, der aufgeklärten Demokratien, der weißen Vorherrschaft, der Weltordnung der Ungleichheit, der männlichen Herrschaft vernichte die Menschheit im Süden. Und die radikale Rechtfertigung der globalen Vorherrschaft des weißen Westens durch die äußerste Rechte und die Zurückweisung der westlichen Verantwortung für den Klimawandel sind nur zwei Seiten einer Medaille.
Kapitel 4: Globale Klimaungerechtigkeiten
Dass die westlichen Industrieländer die Spitzenpositionen beim weltweiten CO2-Ausstoß einnehmen, ist bekannt oder man kann es sich denken. Europa und Nordamerika produzieren 60 Prozent des weltweiten Ausstoßes, rund 30 Prozent kommen aus Asien (S. 57). Nachdem die europäischen Nationen durch die Kolonialisierung die indigenen Bevölkerungen gewaltvoll unterworfen haben, würden sie nun (und schon seit Längerem) auch die natürlichen Ressourcen ausbeuten. Zwar habe sich die von weißen Männern aus Europa gewaltsam auf die ganze Welt exportierte Lebensweise diversifiziert und einige sogenannte Entwicklungs- und Schwellenländer würden heute vom vorherrschenden Kapitalismusmodell profitieren. Aber: „Die historischen Wurzeln des Kolonialismus strukturieren noch heute den Klima-Kolonialismus“ (S. 58). Und das führt zu mannigfachen Ungerechtigkeiten. Stichwortbeispiele, die die Autoren ausbuchstabieren:
- „Es trifft nicht alle gleich“. „Menschen und Erdteile, auf denen vor allem nichtweiße Menschen leben, sind […] besonders vom Klimawandel betroffen“ (S. 61).
- Stimmen aus dem Süden werden in der Klimafrage ignoriert. Der Norden halte die ärmeren Länder im globalen Süden durch Klimapolitik in Abhängigkeit (S. 65).
- Umweltrassismus in Deutschland. Haushalte mit niedrigerem sozioökonomischen Status und Migrationshintergrund seien überproportional von Luftverschmutzung betroffen (S. 67).
- Flucht vor den Folgen des Klimawandels: Hitze, Überflutung von Küstengebieten, Extremwetterkatastrophen, Wassermangel, Gewalt und Kriege können Fluchtursachen sein und sind es auch. Die extremen Rechten meinen dagegen, Klimaflüchtlinge gebe es gar nicht; sie seien eine Erfindung der „Ökosozialisten“ (S. 72).
- „Armut macht krank“ (S. 74). Die Klimakrise verstärke die Risiken der Armut, des Krankseins und der sozialen Ungerechtigkeit noch.
- „Mit Klimakatastrophen steigt die Gefahr, zum Opfer von männlicher Gewalt zu werden“ (S. 80).
- „Der Klimawandel ist männlich“ (S. 81). Männer seien eher auf technologische, Frauen dagegen auf soziale Wege zur Bearbeitung der Klimakrise orientiert. Frauen haben häufiger „grüne“ Werte. Der Rezensent ergänzt: Nicht nur die GRÜNEN, auch die SPD und die CDU werden mehrheitlich von Frauen gewählt; AfD, FDP und DIE LINKE hingegen mehr von Männern (Bundeswahlleiter, 2022).
- Durch den Klimawandel werden die Gesundheit, die Freiheit und gleichwertige Lebensverhältnisse zukünftiger Generationen bedroht.
Kapitel 5: Menschenfeindliches Klima
Der Klimawandel bedeute strukturelle Diskriminierung von Menschen im globalen Süden. Er richte sich gegen Black, Indigenous, People of Color, Sinti:zze und Rom:nja, gegen Frauen, gegen ärmere und schutzlose Menschen, gegen junge und ungeborene Generationen, gegen alte und gebrechliche Menschen. Aus Sicht der extremen Rechten und Verschwörungsideolog:innen handelt es sich beim menschengemachten Klimawandel dagegen um eine „Klimalüge“, die von den Juden bzw. in deren Interessen in die Welt gesetzt werde.
Kapitel 6: Die Rechten und der Klimawandel in Deutschland
Die extreme Rechte sieht in den politischen Bemühungen, dem menschengemachten Klimawandel zu begegnen, einen „teuflischen Plan“ und eine „Weltverschwörung der Eliten“. Die Autoren verweisen diesbezüglich auf den Kampf der AfD gegen eine ökologische Wende (S. 100 ff.). Mit diesem Kampf gehe die AfD auf Stimmenfang und mache sich zum Fürsprecher der „einfachen Leute“ (S. 105). Flankiert werde dieser Kampf durch den Ökofaschismus der Neuen Rechten. Mörderische Attentate durch Rechtsterroristen, wie im Juli 2011 in Norwegen, 2019 im neuseeländischen Christchurch oder im Oktober 2019 in Halle, zeigen, dass Ökofaschisten und Klimarassisten auch nicht vor Terroranschlägen zurückschrecken. Die Attentäter begründeten in diesen (und anderen) Fällen ihre mörderischen Taten u.a. durch den von den Eliten heimlich geplanten „großen Austausch“, mit dem Ziel, Migrantinnen und Migranten massenhaft in Europa (in Neuseeland oder den USA) anzusiedeln, um den nationalen Zusammenhalt in den jeweiligen Ländern aufzubrechen. „Die Ideologie hinter dieser Gewalt verlagert die von der westlichen Industrialisierung gemachten Probleme der Klima- und Umweltzerstörung auf Sündenböcke“ (S. 116).
Kapitel 7: Antiökologie weltweit: ideologische Wurzeln und Netzwerke
Die ideologischen Wurzeln des aggressiven Kampfes gegen den Klimaschutz sind vielfältig. Die Autoren schauen in ihren Argumentationen u.a. auf das jahrhundertalte rassistische und koloniale Ausbeutungsprojekt, auf die Geschichte des Neoliberalismus und seine rechtsautoritären Auswüchse, auf das Freiheitsverständnis der rechten Libertären und deren Gesellschaftsbild, auf das weltweite Netzwerk der Klimaskeptiker:innen und –leugner:innen und auf die Verquickungen von klimaleugnerischen Thinktanks, klimaverschmutzenden Ölkonzernen und rechtspopulistischen Parteien.
Kapitel 8: Die rechten und der Klimawandel: Beispiele aus Europa und der Welt
Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern sind es – bekanntlich – die Anhänger der rechtspopulistischen Parteien (z.B. in der österreichischen FPÖ, der britische Ukip oder der niederländischen PVV), die die wissenschaftlichen Befunde über den Klimawandel bestreiten. Rechte Thinktanks, die diesen und anderen Parteien die Argumente gegen den menschengemachten Klimawandel zu liefern versuchen, gibt es – wie die Autoren belegen – auch in Tschechien, in Australien, Brasilien, den USA. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei ein Krieg gegen die Demokratie und Freiheit, zugleich aber auch ein Krieg um die Zukunft der Fossilenergie und gegen den Klimaschutz (S. 165). Die vielfältigen Beispiele, die im Buch vorgelegt werden, zeigen die systematische weltweite Vernetzung neoliberaler und rechter Interessengruppen in einem weltweiten Kampf gegen die ökologische Wende, einen Kampf, der ein Kulturkampf ist (S. 177). Mit diesem Kampf werde der Klimarassismus und der Zusammenhang zwischen kolonialer bzw. neokolonialer Ausbeutung und dem westlichen Wohlstandswunder, der in die globale Klimakrise geführt habe, verschleiert (S. 179).
Kapitel 9: Die Strategien der klimaskeptischen Antiökolog:innen
Zu diesen Strategien gehören beispielsweise: Kampagnen bezahlter Fake-Fachleute, die mit vermeintlichen Strategiepapieren wissenschaftliche Befunde der weltweiten Klimaforschung in Frage zu stellen versuchen, die Manipulation seriöser wissenschaftlicher Ergebnisse über den menschengemachten Klimawandel oder Diskriminierung und Diffamierung von Klimaaktivist:innen.
Kapitel 10: Die verbindenden Erzählungen der klimaskeptischen Antiökolog:innen
Einige dieser Erzählungen ranken sich um Klimaskepsis bzw. -leugnung (ein menschlicher Einfluss auf den Klimawandel sei nicht nachweisbar), um Krisenskepsis (der Klimawandel habe keine negativen, eventuell sogar positive Folgen), Maßnahmeskepsis (die Klimaschutzmaßnahmen seien erfolglos) oder um die Wissenschaftsskepsis (Klimafolgenforschung sei interessen- und ideologiegeleitet).
Kapitel 11: Gesellschaftliche Konfliktfelder: Energie und Mobilität
Windparks, Biogasanlagen, von Hochspannungsleitungen oder Photovoltaikanlagen sind – bekanntlich – nicht nur in den Reihen der AfD eine keinesfalls unumstrittene Angelegenheit. In der Bevölkerung – und nicht nur in der deutschen – reichen die Meinungen von Zustimmung und Unterstützung bis zu Ablehnung und Widerstand. Ablehnungen und Widerstände sind dabei nicht immer und überall politisch grundiert. Die Autoren diskutieren in diesem Kapitel u.a. die Konflikte um den Abbau bzw. Nichtabbau fossiler Rohstoffe, die Diskussionen um die deutschen Kernkraftwerke, die Spannungen zwischen der deutschen Autoindustrie, den Autolenker:innen und den Klimaaktvist:innen sowie die Instrumentalisierung dieser Spannungen und Konflikte durch die extremen Rechten.
Kapitel 12: Nach der Leugnung: rechte Zukunftsszenarien in der Klimafrage
„Der Klimawandel ist ein strukturell rechtes Projekt: Er verstärkt Ungleichheiten und das Konfliktrisiko zwischen Gruppen und Nationen“ (S. 231). Gegen die ökologische Wende versuchen die Klimarassist:innen, „besorgte“ Bürger:innen zu mobilisieren, einen „grünen Nationalismus“ zu propagieren, den Ausstieg aus der Demokratie zu organisieren oder industriefinanzierte Kampagnen zugunsten fossiler Energien zu lancieren.
Kapitel 13: Ausblick: Eine klimagerechte Welt ist möglich
Aber wie? „Technologie allein wird die Herausforderungen des Klimawandels nicht lösen und schafft neue Probleme“ (S. 240). Unter Berufung auf Naomi Klein und Klaus Dörre kritisieren die Autoren nicht nur die neoliberalen Auswüchse des postmodernen Kapitalismus, sondern plädieren für grundlegend soziale Veränderungen im globalen Maßstab. „Demokratieförderung, Antifaschismus, Antirassismus, Feminismus, Kämpfe gegen Diskriminierung, gegen soziale Ungleichheit, gegen Antisemitismus, gegen Wissenschaftsfeindlichkeit müssen Hand in Hand mit dem Kampf gegen den Klimawandel gehen“ (S. 245).
Diskussion
„Fruchtet und mehrt euch und füllet die Erde und bemächtigt euch ihrer“, heißt es in der Genesis (1. Moses, 1, 28). Aktuelle Befunde legen nahe: Menschen, die den menschengemachten Klimawandel nicht nur als abstrakte Nachricht wahrnehmen, sondern sensibel genug sind, auch die lokalen, sie selbst betreffenden Folgen zu antizipieren und sich als Teil einer globalen Menschheit (global identity) betrachten, sind auch eher bereit, sich für Umweltschutz, klimafreundliche Energien und eine lebenswerte Zukunft zu engagieren (z.B. Masson & Fritsche 2021). Auch die Identifikation mit der Natur (im Sinne einer engen Naturverbundenheit) hängt – wie kann es anders sein – eng mit einem umweltgerechtem Verhalten zusammen. Ähnlich wie die Identifikation mit sozialen Gruppen und Umweltbewegungen kann die Identifikation mit der Natur, klima- und umweltfreundliches Verhalten fördern. Schließlich geht es nicht nur um Starkregen in Süddeutschland oder um trockene Böden in Mecklenburg-Vorpommern, auch nicht nur um schmelzende Gletscher in den Alpen oder Hitzewellen in ganz Europa; es geht nicht um das oder die und dort, sondern um reale, weltweite Bedrohungen für die Menschheit insgesamt. Nimmt man Moses beim Wort, so gilt nicht, sich die Erde zu unterwerfen, um sie irgendwann zu erneuern. Die Reihenfolge ist umgekehrt: Erneuere, fülle die Erde und dann kannst Du Dich ihrer bemächtigen. So steht es nicht nur bei Moses, sondern so lautet das Gebot für die Menschheit: „Es gibt weder ein Gebot noch eine Lizenz, die Erde zu zerstören […]. Die Erde soll vor Missbrauch geschützt werden, weil sie zur Freude des Menschen geschaffen wurde. Die Erde zu missbrauchen, ist kein ökologisches Verbrechen. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Chighel 2020, S. 278).
Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser haben ein Buch vorgelegt, mit dem sie sich vehement gegen eben jenes Verbrechen wenden, das sie auch als „[…] Angriffe auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde“ (S. 245) verstehen. Es ist ein großer Rahmen, innerhalb dessen die Autoren diese Angriffe verorten. Um diesen Rahmen auf den begrifflichen Punkt zu bringen, entwickeln die Autoren das Konzept des Klimarassismus. Der menschengemachte Klimawandel ist für die globalen antiliberalen und neoliberalen Rechten sowie für die Klimawandel-Leugner:innen nicht nur ein beliebiger Anlass für den rechten Kampf gegen den Klimaschutz. Im Umgang der extremen Rechten und ihrer Mitläufer mit dem menschengemachten Klimawandel offenbare sich quasi der Kern rechter Ideologien. Nicht die Sorge um die Zukunft des Planeten treibe die extremen Rechten und Klimawandel-Leugner:innen [1] (ob sie nun ökofaschistisch oder ökonationalistisch argumentieren) um, sondern die vermeintlichen Verluste ihrer Privilegien, „[…] die sich aus Weißsein, Reichsein oder Mannsein ergeben haben“ (S. 24). In ihren Darstellungen spitzen Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser zu, sind auch nicht frei von Polemik, legen aber vor allem eine Vielzahl von wissenschaftlich belegten Befunden vor, mit denen sie ihre Argumente zu stützen vermögen.
Sicher, man kann darüber streiten, ob der „globale Norden“ und „globale Süden“ hilfreiche Kategorien sind, um die globalen Widersprüche der Klimakrise, des postmodernen Kapitalismus und der rechten Angriffe auf die Demokratie analysieren und beschreiben zu können. Die Autoren verweisen selbst auf die Grobkörnigkeit eines solchen Rasters (S. 26). In den seriösen wissenschaftlichen Debatten finden sich dazu durchaus kontroverse Positionen. Einig ist man sich trivialer Weise, dass mit den Kategorien keine geografischen Entitäten beschrieben werden. Uneinigkeit herrscht eher darüber, inwieweit die Begriffe ein Potenzial haben, um die Positionen verschiedener sozialer Akteure aus dem globalen Süden in den globalen Netzwerken der Macht zu stärken (z.B. Kloß 2017), oder ob mit der Bezeichnung „globaler Süden“ neue Diskriminierungen transportiert werden (z.B. da Silva 2021). Sieht man sich dagegen zum Beispiel Statistiken über die weltweite Vermögensverteilung an, so rangieren Länder, wie die Schweiz, die USA, die sogenannte Sonderverwaltungszone Hong Kong [2], Australien, Neuseeland, Dänemark, Kanada, die Niederlande, Schweden, Belgien und Singapur unter den elf reichsten Ländern. Die Länder in Afrika finden sich weit abgeschlagen auf den letzten Plätzen (Global Wealth Report 2022). Insofern funktioniert das grobe Raster, das Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser nutzen, um die globalen Klimaungerechtigkeiten oder die Klimapolitik des Nordens zu Ungunsten des Südens anzuprangern. Um sich dabei nicht des Vorwurfs auszusetzen, die innernationalen Ungerechtigkeiten oder die Scheren zwischen Reichen und Armen in den Ländern des globalen Südens zu ignorieren, machen die Autoren zum Beispiel auf den Siegeszug des rechtsautoritären Neoliberalismus in Brasilien aufmerksam.
Des Streitens würdig scheint dem Rezensenten die von Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser mehrfach ins Spiel gebrachten weißen, westlichen, materiell privilegierten Männer als Verursacher des menschengemachten Klimawandels und als Protagonisten des Klimarassismus. Die Autoren haben ja Recht, wenn sie den Kolonialismus der weißen Männer und die von ihnen gewaltsam exportierte (kapitalistische) Lebensweise anprangern. Auch aus Sicht der Vertreterinnen und Vertreter der Postcolonial Studies waren es weiße Europäer, die mit ihren humanistischen Bemühungen nur die kolonialen Ansprüche des „weißen Westens“ theoretisch verbrämten. Ja, es waren weiße Männer und Frauen, die im sogenannten Abendland einen Humanismus entwickelten, in dessen Zentrum der Mensch, die Freiheit, Würde und Gleichheit sowie ein mitmenschliches Miteinander stehen. Das sollte aus Sicht des Rezensenten zumindest nicht unerwähnt bleiben (vgl. auch Frindte 2022).
Eine letzte Marginalie sei noch erwähnt: Mit dem Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu haben die Autoren ein Konzept eingeführt, um das historisch bedingte Eingebundensein der Einzelnen in rassistische Strukturen aufzuklären (S. 28). Leider kommt dieses Konzept in den späteren Kapiteln zumindest explizit nicht mehr zum Einsatz. Das ist schade, wäre es doch mit diesem Konzept oder mit dem vom Rezensenten bevorzugten Frommschen „Gesellschaftscharakter“ (Fromm1999) [3] möglich gewesen, den Ausblick in eine klimagerechte Welt (Kapitel 13) weiter auszudifferenzieren.
Fazit
Bei aller Mäkelei durch den weißen, alten Rezensenten, der seine Anmerkungen vielleicht auch aus weißer Schuldabwehr formuliert: Es ist ein lesenswertes und engagiertes Buch, das Matthias Quent, Christoph Richter und Axel Salheiser vorgelegt haben. Freilich sind manche Argumentationsstränge nicht frei von Redundanzen. Aber das zählt nicht. Es geht um Wesentlicheres, um die Auseinandersetzung mit den rechten Angriffen auf die Menschlichkeit und um die Wege, sich diesen Angriffen zu erwehren. Der Rezensent musste sich allerdings in seiner Besprechung beschränken, manches nur andeuten, vieles weglassen, empfiehlt aber uneingeschränkt die Lektüre des Buches.
Literatur
Bundeswahlleiter (2022). Pressemitteilung Nr. 01/22. https://www.bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2021/01_22_ergebnis-rws.html. Zugegriffen: 1. November 2022.
Chighel, M. (2020). Kabale. Das Geheimnis des Hebräischen Humanismus im Lichte von Heideggers Denken. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann GmbH.
da Silva, J. T. (2021). Rethinking the use of the term ‘Global South’ in academic publishing. European Science Editing, 47.
Frindte, W. (2022). Quo Vadis, Humanismus? Wiesbaden: Springer.
Fromm, E. (1999; Original: 1941). Die Furcht vor der Freiheit. In Erich-Fromm-Gesamtausgabe in 12 Bänden, Band I, herausgegeben von R. Funk. (S. 217–392). Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.
Global Wealth Report (2022). https://www.credit-suisse.com/about-us/en/reports-research/global-wealth-report.html. Zugegriffen: 1. November 2022.
Kloß, S. T. (2017). The Global South as subversive practice: Challenges and potenzials of a heuristic concept. Global South, 11(2), 1–17.
Maier, Y. & Kagermeier, E. (2021). #Faktenfuchs: Die Hochwasser wurden nicht künstlich ausgelöst. https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-die-hochwasser-wurden-nicht-kuenstlich-ausgeloest,SdzgGfx. Zugegriffen: 29. Oktober 2022.
Masson, T., & Fritsche, I. (2021). We need climate change mitigation and climate change mitigation needs the ‘We’: a state-of-the-art review of social identity effects motivating climate change action. Current Opinion in Behavioral Sciences, 42, 89–96; doi.org/10.1016/j.cobeha.2021.04.006. Zugegriffen: 1. November 2022.
Moore, J. W. (2020). Capitalocene & planetary justice. Études digitales, 9, 53–65.
Soentgen, J. & Bilandzic, H. (2014). Die Struktur klimaskeptischer Argumente. Verschwörungstheorie als Wissenschaftskritik. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 23(1), 40–47.
[1] Von Klimaleugnern zu sprechen und zu schreiben, wäre sicher ungenau und nicht angemessen. Die besagten Leugner bezweifeln ja nicht, dass es ein Klima gibt. Klimawandel-Leugner scheint aber auch nicht ganz exakt zu sein. Sie müssten eigentlich „Klimawandelursachendiagnosenkonsensskeptiker“ genannt werden, meinen etwas spöttisch Jens Soentgen und Helena Bilandzic (2014, S. 42).
[2] Die sich bekanntlich längst nicht mehr verwalten kann.
[3] „Der Gesellschafts-Charakter […] umfasst den wesentlichen Kern der Charakterstruktur der meisten Mitglieder einer Gruppe, wie er sich als Ergebnis der grundlegenden Erfahrungen und der Lebensweise dieser Gruppe entwickelt“ (Fromm 1999, S. 379; Hervorh. im Original).
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Frindte
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Kommunikationswissenschaft - Abteilung Kommunikationspsychologie
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